Die Nachricht ist unerfreulich, wenn auch nicht überraschend. Dass Henri Nannen, Gründer, Chefredakteur und bis 1983 Herausgeber des Stern, dem Dritten Reich nicht direkt ablehnend gegenüberstand, war durchaus bekannt: Während der Olympischen Spiele 1936 fungierte er als Stadionsprecher; seine Stimme lieh er auch dem Olympiafilm von Leni Riefenstahl. Im Jahr 1944 veröffentlichte er ein schmissiges Landser-Heftchen über die "Feuerprobe" eines Flakhelfers; im Übrigen diente er im Zweiten Weltkrieges bei der Luftwaffe in einer Propagandakompanie, der sogenannten Abteilung Südstern der SS-Standarte Kurt Eggers. Deren Aufgabe war es, die US-Truppen in Italien im Sinne des Nationalsozialismus zu agitieren.

Indes war Nannen selbst kein SS-Mitglied und konnte vielleicht auch deswegen nach dem Krieg im Entnazifizierungsverfahren der britischen Besatzungsmacht den Charakter seiner Tätigkeit erfolgreich unterschlagen. Gerüchte, die es gab – auch inspiriert von seinem herrischen Habitus –, blieben ungefähr oder führten in die Irre, wie der Vorwurf, den Gerhard Löwenthal 1970 im ZDF-Magazin erhoben hat, Nannen sei in deutsche Kriegsverbrechen in Italien verstrickt gewesen. Direkt beteiligt an solchen solle der militärische Chef der Südstern-Kompanie gewesen sein, der SS-Obersturmbannführer Hans Weidemann.

Jetzt wissen wir, worum es sich wirklich handelte. Ein Rechercheteam des NDR, für das Onlineformat STRG_F tätig, hat die Flugblätter ausgegraben, die vom Südstern produziert wurden. Es sind antisemitische Karikaturen und Hetzschriften, die Juden als Drahtzieher und Verantwortliche des Krieges hinstellen und die US-Soldaten als deren unwissende Opfer. Wenn Nannen nicht selbst Autor der Texte war, hat er sie doch als verantwortlicher Redakteur schreiben lassen; einen der Karikaturisten, Heinz Fehling, hat er auch noch beim Stern beschäftigt. Und Hans Weidemann holte er sogar ins Haus und ernannte ihn zum Wettbewerbsleiter der Aktion "Jugend forscht", deren Gründung allgemein zu den herausragenden Verdiensten Nannens gerechnet wird.

Nun gab es solche Seilschaften damals auch anderorts in der Nachkriegspresse; bei der ZEIT beendete erst Marion Dönhoff als Chefredakteurin den Spuk alter Genossen. Aber eine Vergangenheit mit Judenhetze im Auftrag der SS – das ist noch einmal ganz anders unerfreulich, vor allem wenn es das war, was Nannens Nähe zum Dritten Reich begründete.

Und noch viel unerfreulicher erscheint heute, dass niemand zuvor den Verdachtsmomenten nachgehen wollte. Schwierig wäre es nicht gewesen, die Südstern-Flugblätter gehören seit 2002 zum Bestand der Staatsbibliothek Berlin. Stattdessen wurde bei Gruner + Jahr, dem Verlag des Stern, alles zu einer posthumen Heldenverehrung getan, einschließlich der Taufe einer Journalistenschule und eines Journalistenpreises auf den Namen Henri Nannen. Wie werden sich wohl die Absolventinnen und Absolventen der Lehranstalt oder die erlauchten Preisträger fühlen, nachdem unabweisbar geworden ist, dass der Titelkopf ihres Zeugnisses, der Name ihrer Auszeichnung auf eine nationalsozialistische Propagandavergangenheit weisen? Als Markenzeichen eines kritischen, unabhängigen Journalismus kann Henri Nannen jedenfalls nicht mehr verstanden werden, auch wenn es vielleicht übertrieben wäre, nunmehr von einer Henri-Nazi-Schule und einem Henri-Nazi-Preis zu sprechen.

Das Unerfreulichste ist damit aber noch nicht benannt. Es ist das Rätsel einer launischen Nachkriegsöffentlichkeit, die kaum verstrickte Personen über eine einfache NSDAP-Mitgliedschaft stolpern ließ, während aktive Mittäter sich in einem gnädigen Schleier verbergen konnten, solange nur Dienststempel fehlten. Der Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger verlor seine Reputation durch den Parteiausweis, Henri Nannen kam zu Ruhm und Ehren. Oder folgte das öffentliche Urteil am Ende nur einem Rechts-links-Schematismus, und Nannen konnte sich durch das gesellschaftskritische Engagement des Stern dem Verdacht entziehen?

Wenn es so wäre, wäre es doppelt falsch gewesen, nämlich auch im Sinne einer Ideologiekritik falsch. Denn der Stern war ja nicht nur durch seinen Titel noch assoziativ mit dem Südstern verknüpft – als verdanke sich die Namensgebung einer abgründig nostalgischen Treue seines Gründers –, sondern auch durch seine antikapitalistische Tendenz. Das vorgeblich Böse am Juden war nämlich in der Südstern-Propaganda vor allem seine Eigenschaft als Kapitalist – er wird als der Industrielle oder Banker denunziert, der für seine Profitinteressen Arbeiter und Soldaten im Krieg verrecken lässt. Andersherum gesagt: In seinen antikapitalistischen Affekten zumindest ist der Stern dem Südstern verwandt geblieben (antisemitische hatte er keine), jedenfalls in den ersten erfolgreichen Jahrzehnten des Magazins.