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18/04/25 19:50

Wie schwer kann es sein, sich von der Monarchie zu lösen? In einem Land, in dem es sie seit mehr als einhundert Jahren nicht mehr gibt?
Die Brücke ist sehr schön. Wenn ich Wikipedia richtig verstehe, handelt es sich um eine einhüftige Brücke, bei der die Tragseile im Fächersystem aufgehängt sind, und zwar an freitagenden Pylontürmen. Im hellen Aprillicht wirken die Türme grazil. Man hofft, dass sie all das Gewicht gut tragen. Ein Bauwerk, auf das Magdeburg stolz sein kann. Es wird in der Baugeschichte der Stadt seine Rolle spielen, neben der Hyparschale und dem Albinmüller-Turm zum Beispiel. Ich sehe die weißen Fächer bei jedem Blick aus dem Fenster, der nach Osten geht.
Als die Benennung der Brücke anstand, nahm man Vorschläge von den Bürgerinnen und Bürgern Magdeburgs entgegen. Die Bürgerinnen und Bürger wollten mehrheitlich, dass die große Tragseilbrücke Kaiser-Otto-Brücke heiße und ein weiteres, kleineres, vorgelagertes Brücklein: Königin-Editha-Brücke. Außerdem fiel auch gehäuft der Name Heinz Krügel. Heinz Krügel ist eine weitbekannte Fußballpersönlichkeit in einer Stadt, die Fußball ernst nimmt. Aber Heinz Krügel war auch von 1940-1944 Mitglied der 5. SS-Panzerdivision "Wiking", und diese Division beging zum Beispiel in der Ukraine Kriegsverbrechen. Es blieb bei Kaiser Otto und Königin Editha.
Man hätte viele Möglichkeiten gehabt. Die Brücke steht gewissermaßen in der Verlängerung der Ernst-Reuter-Allee (früher Stalinallee). Man hätte sie problemlos nach Ernst Reuter nennen können, dem Sozialdemokraten, Verfolgten des NS-Regimes, ehemaligen Oberbürgermeister Magdeburgs. Oder warum nicht nach Hermann Beims? Ebenfalls ein sozialdemokratischer OB, Reuters unmittelbarer Vorgänger in der großen Zeit des neuen Bauens in Magdeburg. Zwar trägt schon die Universität Otto von Guerickes* Namen, und die Halbkugeln seines Versuchs sind über die ganze Stadt verteilt, aber war er nicht ein Ingenieur und Physiker und erwiesenermaßen ein sehr kluger Kopf, auf jeden Fall der modernen Brückenkonstruktion weit näher als der frühmittelalterliche Kaiser? Gut, nach Lebenden sollte die Brücke nicht benannt werden, aber eine Jürgen-Sparwasser-Brücke, benannt nach dem Maschinenbau-Ingenieur, Torschützen in Hamburg 1974 und Republikflüchtling, das wäre doch verführerisch gewesen.
Lauter Männer. Warum nicht ein gemeinsamer Frauenname für die große und die kleine Brücke? Heise-Brücke. Katharina und Annemarie Heise, die Künstlerinnen, nicht gut, nicht bekannt genug? Sie hätten die Formensprache verstanden, vielleicht gefeiert. Beide Brücken, die große und die kleine, als Brückenzug nach Louise Aston zu benennen – das hätte viel Mut erfordert. Emilie Winkelmann, die erste freiberufliche Architektin in Deutschland, nicht tauglich? Ebenso Claire von Glümer*, die für die Magdeburger Zeitung aus der Frankfurter Paulskirche berichtete? Ich will gar nicht so tun, als wären mir Aston, Winkelmann und von Glümer vor dem Herumgucken im Internet bekannt gewesen.
Man hätte die Pylontürme auch weiß streichen können wie die Tragseile. "Weiße Brücke", warum nicht. Weiß wie die weiße Flotte von Ausflugsdampfern auf der Elbe. Es blieb beim Kaiser und seiner ersten Frau. Bei groß und klein.
Ein 1995 neu gebautes Gymnasium im nahegelegenen Wolmirstedt heißt: Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium (KJFG).
Wie schwer es sein kann, sich von der Monarchie zu lösen, in einem Land, in dem es sie seit mehr als einhundert Jahren nicht mehr gibt? Sehr schwer.
*Otto von Guericke wurde spät geadelt (1662), und seine bedeutendsten Arbeiten stammen aus der Zeit vor der Erhebung in den Adelsstand. Claire von Glümer war eine Radikale gegen die Monarchie.