Das Denkmal als Fragment – das Fragment als Denkmal
Denkmale als Attraktionen
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Das Denkmal als Fragment – das Fragment als Denkmal
Denkmale als Attraktionen
Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (VdL)
und des Verbandes der Landesarchäologen (VLA)
und 75. Tag für Denkmalpflege
10.–13. Juni 2007 in Esslingen am Neckar
Arbeitsheft 21
Regierungspräsidium Stuttgart
Landesamt für Denkmalpflege
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart
3
Redaktion:
Karen Schmitt
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme:
Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.
Umschlagbild: Esslingen, St. Dionysius. Blick in den Chor mit den konservierten archäologischen Befunden.
Landesamt für Denkmalpflege, Esslingen am Neckar.
ISBN 978-3-8062-2221-0
© Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege, Esslingen 2008
Alle Rechte vorbehalten
Druck: Bucherer + End, 77966 Kappel-Grafenhausen
Gesamtherstellung: folio-Verlag Dr. Wesselkamp
79415 Bad Bellingen · www.wesselkamp.de
Printed in Germany
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Inhaltsverzeichnis
Denkmale als Attraktionen – 75. Tag für Denkmalpflege
Begrüßungsansprache
13
Dieter Planck, Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege
Festansprache
15
Finanzminister Gerhard Stratthaus MdL
Denkmale und Tourismus – Trends, Chancen und Risiken
19
Wolfram Schottler
Fragmente – Anmutung oder Zumutung?
27
Ira Diana Mazzoni
Archäologie als Sensation – Vom Umgang mit großen archäologischen Entdeckungen
im Spannungsfeld von Wissenschaft, Medien und Eventkultur
31
Harald Meller
Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger
und des Verbandes der Landesarchäologen
Das Denkmal als Fragment – das Fragment als Denkmal
Begrüßung
43
Udo Andriof, Regierungspräsident des Regierungsbezirks Stuttgart
Grußwort
47
Wilfried Wallbrecht, Erster Bürgermeister der Stadt Esslingen am Neckar
Das Denkmal als Fragment – das Fragment als Denkmal.
Einführung in das Thema der Tagung
49
Dieter Planck
Das Denkmal als Fragment – das Fragment als Denkmal.
Einführung zur Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger
55
Gerd Weiß, Vorsitzender der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger
Das Tagungsthema aus Sicht des Verbandes der Landesarchäologen
in der Bundesrepublik Deutschland
59
Jürgen Kunow, Vorsitzender des Verbandes der Landesarchäologen
5
Zum Erhalt und zur Rekonstruktion archäologischer Denkmäler und Ruinen
63
Heinz Günter Horn
Das Fragment in der Denkmalpflege
81
Georg Mörsch
Denkmal als Fragment – Ideologie und Zeitgeist
Von Unteruhldingen bis Groß Raden, Konzepte zur Rekonstruktion
vor- und frühgeschichtlicher Denkmäler im 20. Jahrhundert
93
Gunter Schöbel
Trümmer, Trauma, Torso – Wertschätzung von Ruinen und Umgang
mit Trümmerwüsten nach dem Zweiten Weltkrieg
119
Christoph Timm
Die Externsteine/Kr. Lippe. Ein Natur- und Kulturdenkmal
im Spannungsfeld rechter und esoterischer Ideologie
129
Uta Halle
Restaurierung und Zeitgeschmack: Vom Umgang mit Fehlstellen
141
Ursula Schädler-Saub
Schutz von Denkmalfragmenten in internationalen Konventionen
sowie nationalem und internationalem Recht
159
Ernst-Rainer Hönes
Das Fragment als Denkmal: Die Buddhas von Bamiyan
201
Michael Petzet
Fragmente als Gegenstand der Denkmalpflege
Arbeit am Fragment – Vom Wert des Unvollständigen
211
Clemens Kieser
Zur Wertigkeit archäologischer Fragmente: Wo liegen die Grenzen
der Aussagekraft abhängig vom Grad der Überlieferung?
219
Jürgen Kunow
Wie viel Substanz braucht ein Denkmal?
233
Detlef Knipping
Ganz oder gar nicht – Dokumentationsfähigkeit und Denkmalwert historischer Gärten
Rainer Schomann
6
247
Fragmente und „Wrackmente“ im nordfriesischen Watt – außergewöhnliche
Problemfelder in der archäologischen Denkmalpflege in Norddeutschland
257
Hans Joachim Kühn
Auflage oder Abschied? Erhaltung von Denkmalfragmenten
beim Abbruch von Denkmalen
265
Elisabeth Rüber-Schütte
Fragmentierung als Denkmalwert
Der Umgang mit Ruinen in der Archäologischen Denkmalpflege
und in der Baudenkmalpflege
275
Hartmut Schäfer
„Schwer denkmalgepflegt“ – Über Maß und Ziel
denkmalpflegerischer Maßnahmen an Ruinen
287
Günther Stanzl
Zeige die Wunde und heile die Wunde?
Von der ergänzenden Wiederherstellung des Neuen Museums in Berlin
301
Jörg Haspel
Denkmalpflegerischer Umgang mit ehemaligen Synagogen und ihrer Geschichte –
Was ist heute konservatorischer Standard?
317
Barbara Seifen
Fragmente aus einem zerstörten königlichen Hof.
Der Skulpturenfund des mittelalterlichen Königspalastes von Buda
327
András Végh
Der Umbau der Stuttgarter Stiftskirche 1999–2003: Fragmentierung eines Fragments?
339
Volker Osteneck
Fragmentierung und Erhaltungszustand
Konservatorische Selektion von Denkmalschichten
355
Hans-Rudolf Meier
Überschütten oder ausgraben? Zum Konflikt von
dauerhaftem Erhalt und wissenschaftlicher Neugierde
363
C. Sebastian Sommer
Konservatorische Entscheidungen in der Archäologie –
wissenschaftlicher Wert von Fundstellen
373
Jörg Biel
7
Gusshaut, Walzhaut, Patina – Denkmalwert oder Gefahr für Denkmale aus Metall?
Beispiele zur Metallrestaurierung und Beurteilung historischer Metalloberflächen
379
Rolf-Dieter Blumer
Die raunende Beschwörung des Imperfekts –
Spuren des Alters und Gebrauchs an Industriedenkmalen
387
Axel Föhl
Denkmalerhalt durch Wiederherstellung? Die farbige Flächengestaltung
an Bauten der klassischen Moderne
397
Thomas Danzl
Fragmentierung durch Verlust der Umgebung
Die Europäische Landschaftskonvention in den Niederlanden und
Nordwesteuropa aus der Sicht der Kulturgeschichte
409
J. H. F. Bloemers
Denkmal oder Denkmalgattung als Alleinstellungsmerkmal: ein unheilvoller Beitrag
zur Fragmentierung der Geschichtlichkeit von Kulturlandschaften
421
Thomas Spohn
Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Kulturlandschaft
in Denkmaltopographien
431
Gerhard Ongyerth
Dekontextualisierung in der Archäologie
443
Michael Müller-Karpe
Vom Baudenkmal zur musealen Präsentation: Wie mobil sind Wandmalereien?
453
Dörthe Jakobs
„Die Zerreißung des Bandes zwischen mobiler und monumentaler Kunst“ –
Fragmentierung durch Entfernung von beweglicher Ausstattung
465
Dieter Büchner
Fragmentierung durch Verlust der historischen Funktion
Konversion von Kasernen
475
Roswitha Kaiser
Notwendigkeit und Grenzen der funktionsfähigen Erhaltung technischer Denkmale
483
Hans Peter Münzenmayer
Landwirtschaftliche Nutzbauten – Erhalten durch Umnutzung
Ulrich S chnitzer
8
487
Neue Nutzungsanforderungen an „Sakralbauten“
501
Matthias Ludwig und Karin Berkemann
Der kirchliche Sakralraum zwischen Kontinuität und Wandel.
Ein Erfahrungsbericht aus denkmalpflegerischer Sicht
509
Thomas Drachenberg
Die Nutzung des Bodendenkmals als Museum.
Zum Spannungsfeld zwischen Tourismus und Bodendenkmalschutz
519
Martin Müller
Die Rekonstruktion der Haller Stadtbefestigung in den 1980er Jahren –
Denkmalpflege oder architektonisches Event?
527
Albrecht Bedal
Fragmentierung als Prozess
Das Provisorium als Erblast: Denkmalpflege
an Behelfsbauten und temporären Einrichtungen
539
Michael Goer
Altersschichtung als Voraussetzung für die Erhaltung von Gartendenkmalen
am Beispiel des „Fürst-Pückler-Parks“ in Bad Muskau
547
Cord Panning
Der Westwall als Geländedenkmal und als Mythos
557
Klaus-Dieter Kleefeld
Anhang
Das Tagungsprogramm
567
Verzeichnis der Autoren
575
9
10
Archäologie als Sensation – Vom Umgang mit großen
archäologischen Entdeckungen im Spannungsfeld von
Wissenschaft, Medien und Eventkultur
1
Harald Meller
Das Wort Sensation gehört im Medialumgang
mit Archäologie zu den meistgebrauchten Begriffen.2 Selbst banalsten Funden auf regionaler
Ebene wird dieses Etikett gerne und oft verliehen, ein Etikett, das archäologische Funde in
den Augen der Nachrichtenverfasser erst ausreichend in den Wert setzt, um in einer Sensationsgesellschaft, die stets nach dem Besten,
Weitesten und Höchsten sucht, überhaupt von
Nachrichtenwert zu sein.
Dabei kommt der Archäologie entgegen, dass
sie sich mit ihren jeweils neu entdeckten Bildern häufig im Fassbarkeits- und Erklärungsrahmen der schnellen bildorientierten Medien
bewegt. So sind etwa menschliche Skelette und
ihre Beifunde immer wieder reproduzierbare
Neuigkeiten, die bereits Tage später wieder
vergessen sind. Nur sehr selten werden Funde
wiederkehrend thematisiert, erneut aufgegriffen und somit in steter Wiederholung Teil des
gemeinsamen kulturellen Gedächtnisses.
Welche Bedingungen dazu notwendig sind,
soll im Folgenden anhand einiger Beispiele
für einzelne Kategorien umrissen werden. Am
Fall der Himmelsscheibe von Nebra werden
die Gründe für die Nachhaltigkeit verdeutlicht
sowie kurz eine Möglichkeit des Umgangs
mit „großen“ Funden thematisiert. Vorab lässt
sich jedoch als Hypothese festhalten, dass die
Grundlage für den dauerhaften Erfolg eines
Fundes in der Öffentlichkeit die tatsächlich
erhebliche Bedeutung für die Wissenschaft ist
und er also auch für die Archäologen selbst
eine Sensation darstellt.
Kein mir bekannter Fund, der medial als Sensation platziert, von den Fachkollegen aber in
seiner Bedeutung für irrelevant gehalten wurde, hat sich dauerhaft als aufsehenerregender
Fund in der öffentlichen Kenntnis etabliert.
Andererseits genügt eine außergewöhnliche
wissenschaftliche Bedeutung, die selbst nüchterne Wissenschaftler durchaus von Sensation
sprechen lässt, noch lange nicht, um eine dauerhaft anhaltende Wirkung als Sensationsfund
in der breiten Öffentlichkeit zu entfalten. Als
Beispiel kann hier ein kleines Klümpchen Birkenpech aus Königsaue, Salzlandkreis, dienen
(Abb. 1), das sich in seiner Unscheinbarkeit
der einfachen medialen Vermittlung entzieht.3
Dennoch ist dieses Stück Pech einer der Schlüsselfunde zum Verständnis der kognitiven Fähigkeiten des Neandertalers. Durch gezieltes
Verschwelen von Birkenrinde war es ihm vor
etwa 80 000 Jahren gelungen, den ältesten synthetischen Klebstoff der Welt für die Schäftung
von Steinklingen herzustellen. Nebenbei zeigt
das Pechstück vermutlich den einzigen Fingerabdruck eines Neandertalers, den ältesten
eines Menschen überhaupt.4 Trotz des journalistisch umfassend bearbeiteten Neandertalerjahres 2006 und zahlreicher Bemühungen von
Seiten der Wissenschaft gelang es nicht, diesen
außerordentlichen Fund in seiner im wahrsten
1 Anm. des Autors: Bei vorliegendem Text handelt es
sich um die gekürzte Manuskriptzusammenfassung
eines Vortrages anlässlich der Jahrestagung des Verbandes der Landesarchäologen und der Vereinigung
der Landesdenkmalpfleger am 10. Juni 2007 in
Esslingen. Aus diesem Grunde wurde auf detaillierte Literaturnachweise verzichtet. Die als Beispiele
genannten archäologischen Funde sind so bekannt
und umfänglich publiziert, dass ihre Kenntnis auch
ohne Abbildung oder detaillierte Nachweise vorausgesetzt werden kann; wo dies bei neuen Beispielen
aus Mitteldeutschland nicht der Fall war, habe ich
beides, Bild und Nachweis, angeführt.
2 Zum Phänomen Sensation in der Moderne und zur
grundsätzlichen Begrifflichkeit siehe Türcke 2002.
Unter Archäologie verstehe ich hier vorwiegend
die Prähistorische Archäologie Mitteleuropas, ohne
jedoch andere Archäologien, für die ähnliche
mediale Gesetzmäßigkeiten zutreffen, prinzipiell
auszuschließen.
3 Meller 2004, S. 191–195.
4 Grünberg u. a. 1999; Meller 2004, S. 143 f.
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Abb. 1 (oben links): Ein kleines, etwa 3 cm großes Stück Birkenpech, das im
Braunkohletagebau Königsaue, Salzlandkreis, in Schicht A entdeckt wurde.
Dieser mit 80 000 Jahren älteste synthetische Kunststoff der Welt belegt
eindrucksvoll die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Neandertaler.
Abb. 2 (oben rechts): Feuersteingerät aus dem Braunkohletagebau NeumarkNord, Burgenlandkreis, mit einer anhaftenden dunklen organischen Masse
aus einem Konzentrat von Eichenrinde. Offenbar ist beim Gerben mit Eichenlohe der Gerbsud zwischen organischen Griff und Klinge geraten. Es
handelt sich hier mit einem Alter von 200 000 Jahren um den ersten indirekten Nachweis gegerbter Kleidung des Urmenschen weltweit.
Abb. 3 (unten): Bereits in einem Luftbild von 1997 sind bei Eulau, Burgenlandkreis, deutlich vier ost-west-orientierte Grabgruben zu erkennen. Drei
davon befinden sich innerhalb von Kreisgräben mit einem Durchmesser von
6–7 m.
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Sinne sensationellen Bedeutung auch nur ausreichend öffentlich bekannt zu machen.
Gleiches gilt für die mit 200 000 Jahren noch
älteren organischen Reste an einer Steinklinge, die im Braunkohletagebau Neumark-Nord,
Burgenlandkreis, gefunden wurden (Abb. 2).
Die Analysen dieser unscheinbaren schwarzen organischen Anhaftungen bezeugen nicht
nur das älteste aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzte Werkzeug, sondern
aufgrund des chemischen Nachweises von
Eichenrindensubstrat wohl auch erstmals das
Gerben von Tierhäuten mittels Eichenrinde.
Damit liegt weltweit der erste indirekte Nachweis von Kleidung für den Homo erectus vor.
Der Fund von Neumark-Nord zeigt uns, dass
die geistigen Fähigkeiten der Urmenschen jahrzehntelang von großen Teilen der Forschung
als zu gering eingeschätzt wurden. Es steht außer Frage, dass solche zentralen Einblicke in
die frühesten kulturgeschichtlichen Errungenschaften der Urmenschen für die Wissenschaft
wesentlich wichtiger sind als etwa jedes noch
so bedeutende, durch die Paläoanthropologie
neu gefundene und in der Presse als Sensation
bejubelte Schädelfragment.
Abb. 4: Bei dieser
Familienbestattung
aus Eulau konnten
durch DNA-Analysen
die Verwandtschaftsverhältnisse der Toten
eindeutig geklärt
werden.
Entfalten diese spannenden Entdeckungen
wegen ihrer bescheidenen bildlichen Qualität und komplexen Fassbarkeit kaum öffentliche Wirkung, so war bei den sogenannten
Familiengräbern von Eulau, Burgenlandkreis,
genau das Gegenteil der Fall. Sie wurden bereits 1997 im Luftbild entdeckt (Abb. 3) und
2005 im Vorfeld eines Kiestagebaus ausgegraben. Es handelt sich dabei um Gräber, in denen einer oder mehrere Erwachsene zum Teil
in liebevoller Umarmung zusammen mit Kindern bestattet wurden. Die Bilder dieser 4600
Jahre alten schnurkeramischen Bestattungen
sind in der sich in ihnen spiegelnden innigen
menschlichen Zuneigung so zwingend (Abb. 4),
dass durch sie die übliche Distanzschwelle zur
Vorgeschichte, die sich ansonsten aus dem großen zeitlichen Abstand zu einer fremden Kultur
ergibt, aufgehoben wurde. Die Bilder wirken
direkt und unmittelbar auf uns, sie fanden
dementsprechend weiteste Verbreitung und
umfangreichen Niederschlag in Printmedien
und Fernsehen. Das Rätsel um die Ursache
des offenbar gleichzeitig eingetretenen Todes
zahlreicher Familienmitglieder in unterschiedlichen Gräbern verstärkte dieses einprägsame
und überwältigende Bild.
Für die Wissenschaft selbst waren diese Gräber dagegen wesentlich weniger sensationell.
Schnurkeramische Bestattungen kennen wir in
großer Zahl, ja sogar entsprechende „Familien-
gräber“ sind bislang vereinzelt bekannt.5 Eine
Sensation für die Wissenschaft selbst wurden
diese Funde erst durch ihre äußerst umfangreiche anthropologische Analyse sowie durch
die Tatsache, dass sich durch sogenannte KernDNA detaillierte Verwandtschaftsbeziehungen
klären ließen. Insbesondere die Strontium- und
Sauerstoffisotopie ermöglichten zudem Rückschlüsse auf die Herkunftsgebiete einzelner Individuen.6 Erst diese neuen wissenschaftlichen
Erkenntnisse brachten die Sensation für die
Öffentlichkeit mit der Sensation für die Archäologie in Übereinstimmung.
Diese drei Beispiele sollen Anlass sein, dem
offenbar unterschiedlichen Verständnis und
den ungleichen Erwartungen an einen Sensationsfund aus Sicht der Öffentlichkeit, aber
auch aus Sicht der Archäologen nachzugehen.
Betrachten wir zuerst, was im Rahmen der Archäologie unter einem Sensationsfund verstanden wird.
Von Sensationsfund spricht man zu allererst,
wenn damit eine grundsätzliche Erkenntniserweiterung einhergeht. Hier ließe sich die Entdeckung des fast vollständigen Skelettes eines
5 Dresely 2004, S. 109–113.
6 Alt u. a. in Vorbereitung; Haak u. a. in Vorbereitung.
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Australopithecus afarensis, vom Ausgräber „Lucy“ genannt, genauso anführen wie die sensationellen neu entdeckten Bilder der Grotte
Chauvet oder aber die Entdeckung der Keltenfürsten von Hochdorf und vom Glauberg.
Eine zweite wesentliche Kategorie für die
Wissenschaft ist die Entdeckung neuer Quellengattungen. So ermöglichten etwa die in
Vulkanasche erhaltenen Fußspuren von Laetoli grundsätzliche Analysen zur Bipedie. Die
Entdeckung einer kupferzeitlichen Gletschermumie vom Similaun, kurz „Ötzi“ genannt,
zeigte schlaglichtartig, in welchem Umfang
Abb. 5: Das um 250
n. Chr. datierende,
bislang reichste
germanische Fürstengrab aus Gommern,
Ldkr. Jerichower Land,
enthielt zahlreiche
außergewöhnliche
Beigaben überwiegend aus Gold und
Silber. Stellvertretend
ist hier ein sog. Hemmorer Eimer abgebildet, der in seiner
silbernen Luxusausführung einzigartig ist.
uns Erkenntnismöglichkeiten durch den Zerfall aller organischen Materialien verloren
gehen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass
die vorgeschichtlichen Menschen wesentlich
besser und funktionaler ausgerüstet waren als
wir uns bislang vorstellten konnten. Die sich
zurückziehenden Gletscher erschließen uns
inzwischen zunehmend die neue Quellengattung der Gletscherfunde.
Ein dritter Punkt, der die Wissenschaft stets von
Sensationsfunden sprechen lässt, ist gegeben,
wenn Neufunde bereits formulierte Hypothesen oder Annahmen belegen bzw. widerlegen.
Ein gutes Beispiel hierfür sind die bereits erwähnten organischen Anhaftungen auf einer
Steinklinge aus Neumark-Nord, zeigen sie
doch die Fähigkeit des Urmenschen, sich bei
der Besiedlung Europas in weiche, offenbar gut
gegerbte Kleider aus Leder und Fell zu hüllen.
Dies war angesichts des mitteleuropäischen
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Klimas von der Wissenschaft seit langem als
Grundannahme formuliert, ohne dass dies für
das Alt- und Mittelpaläolithikum belegt werden konnte.
Gleiches gilt für den Wikingerlagerplatz L’Anse
aux Meadows in Neufundland, wo eine eiserne
Ringkopfnadel die zwar erwartete, aber bislang
nicht bewiesene Anwesenheit von Wikingern
auf dem amerikanischen Kontinent im 10.
Jahrhundert n. Chr., also lange vor Christoph
Columbus, auf das Eindrücklichste belegt.
Als vierter Punkt von Seiten der Wissenschaft
kann das Auftreten einer grundsätzlich neuen,
nicht erwarteten Erkenntnis durch einen sensationellen Fund dienen. Deutlich zeigt sich
dies am Beispiel der Keramik von La Hoguette,
die erstmals einen von Westen kommenden
Neolithisierungsstrang neben der Bandkeramik
Mitteleuropas belegte. Genauso überraschend
war der Fund der vor 12 000 Jahren geschaffenen ältesten Steinmonumente der Menschheitsgeschichte in Göbekli Tepe, Türkei.7
Aus Sicht der Öffentlichkeit sind zum Teil ganz
andere Kriterien für einen Sensationsfund relevant. Wesentlich ist hier der Schatzfundcharakter eines archäologischen Fundes zu nennen.
Die Verwendung von Gold oder anderen edlen Metallen eint die Grablegungen der assyrischen Königinnen von Nimrud, Irak, mit den
Königsgräbern von Sipan in Peru ebenso wie
mit den reichen Grabfunden von Tillja-Tepe in
Nordafghanistan. Mit Schatzfunden wie diesen erfüllen Archäologen in einer durchorganisierten modernen Welt stellvertretend uralte
Menschheitsträume. Dass auch solche wahrhaft
außergewöhnlichen Schätze unter speziellen
Umständen medial völlig unbeachtet bleiben
können, zeigt das reichste bislang entdeckte
germanische Fürstengrab von Gommern, Ldkr.
Jerichower Land (Abb. 5), das 1990 genau in
der Zeit der politischen Wende Ostdeutschlands entdeckt wurde und wohl deshalb bis
heute keine auch nur annähernd ausreichende
Beachtung fand.8 Der Grund dafür liegt in der
Gesetzmäßigkeit, dass gestern Entdecktes bereits heute keinen „Neuigkeitswert“ mehr besitzt.
Ein zweites wesentliches Kriterium eines Sensationsfundes für die Öffentlichkeit ist immer
dann gegeben, wenn ein Fund von einem Ge7 Katalog Karlsruhe 2007, S. 83–96.
8 Fröhlich 2001.
heimnis, einem unlösbaren Rätsel umgeben
oder gar mit einer Katastrophe verbunden ist.
Dies gilt für den rätselhaften Steinkreis von
Stonehenge ebenso wie für die in der Vulkankatastrophe des Vesuv 79 n. Ch. untergegangenen Städte Pompeji und Herculaneum,
nicht zuletzt aber auch für den möglichen
Untergang der minoischen Kultur durch die
gewaltige Explosion des Vulkanes der Insel
Santorini im 17. Jahrhundert v. Chr., die ganz
aktuell mit einem dadurch ausgelösten Tsunami in Zusammenhang gebracht wird.
Ein drittes Kriterium für die Beachtung eines
Fundes in der Öffentlichkeit ist die Verbindung
mit einem Mythos. Geradezu als Synonym
können dafür die Entdeckungen Schliemanns
in Troja und Mykene, die Varusschlacht im Jahr
9 n. Chr., aber auch die immer wieder aufflammende Suche nach dem sagenhaften Atlantis
oder nach dem Bernsteinzimmer gelten.
Gleiches gilt für die Verbindung von archäologischen Funden mit berühmten Persönlichkeiten. Hier sei nur auf die wiederholte Suche
nach den Gräbern von Alexander dem Großen,
Attila oder Dschingis Khan verwiesen. Aktuelle
Beispiele sind die umfangreichen Funde aus
dem Elternhaus Martin Luthers in Mansfeld
(Abb. 6),9 aber auch der umfangreiche Fundkomplex aus seinem Wittenberger Haus, die
seine eigenen Aussagen zu seiner Herkunft
und seinen Lebensumständen nachhaltig korrigieren, ergänzen, ja sogar verändern.
Als fünftes Kriterium für die Öffentlichkeit kann
die Entstehung eines eindrucksvollen, möglicherweise rätselhaften, aber gut wiedererkennbaren Bildes angefügt werden. Hier ließe sich
zu allererst die Maske des Tutanchamun nennen. Sie ist in der Regel der einzige, dafür aber
absolut zeichenhafte Fund aus der äußerst umfangreichen und prächtigen Grabausstattung,
der weltweit einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist.
Einen nahezu gleichen Rang im visuellen Gedächtnis der Menschheit nimmt die Büste der
Nofretete ein, deren Schönheit stellvertretend
für die Kunstrevolution der Amarnazeit steht,
ohne dass der Allgemeinheit die anderen ästhetisch ebenfalls überzeugenden Funde geläufig wären.
Ein sechstes Kriterium ist die Entdeckung einer
allgemein verständlichen, aber revolutionären
wissenschaftlichen Erkenntnis, wie sie etwa der
Stein von Rosette ermöglichte. Durch ihn gelang die Entzifferung der ägyptischen Hierogly-
phen – eine Erkenntnis, die den Stein bis heute
zu den meist besuchten, aber auch letztlich
am wenigsten verstandenen Funden des British
Museum in London macht.
Darüber hinaus üben immer wieder ungewöhnliche Fund- und Begleitumstände archäologischer Entdeckungen eine große Faszination
auf die öffentliche Wahrnehmung aus. Medial
übersteigert zeigt sich dies im „Fluch der Pharaonen“, der die Entdecker des Grabes von Tutanchamun befallen und getötet haben soll.
Schließlich blieben noch als achtes und letztes
Kriterium diejenigen Funde und Entdeckungen,
die durch die Zusammenarbeit mit den Medien selbst evoziert werden. Ein Beispiel hierfür
sind die Schächte der Pyramiden, die durch einen mit Kamera versehenen Roboter erkundet
wurden. Die geschickte mediale Inszenierung
lockte weltweit Menschen vor die Fernsehapparate, ohne dass irgendeine Entdeckung oder
irgendein greifbares Ergebnis zu verfolgen gewesen wäre.
Im Vergleich zwischen dem, was archäologische
Sensationsfunde für die Archäologen selbst oder
aber für die Öffentlichkeit ausmachen, lässt
sich festhalten, dass sich bei Gegenüberstellung der unterschiedlichen Wertigkeiten kaum
Überschneidungen zwischen öffentlicher und
wissenschaftlicher Betrachtung ergeben. Dies
ist der tiefere Grund für die unterschiedliche
Abb. 6: Aus einer
großen Abfallgrube
am Elternhaus Martin
Luthers in Mansfeld,
Ldkr. Mansfeld-Südharz, sind Tausende
von Funden überliefert, die uns einen
detaillierten Einblick
in das wohlhabende
Leben der Familie
Luther während des
letzten Jahrzehnts des
15. Jhs. ermöglichen.
Es ist gut möglich,
dass Martin Luther als
Kind selbst mit den
hier abgebildeten
Murmeln gespielt hat.
9 Schlenker u. a. 2007.
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mediale Wirkung der vorangestellten Beispiele.
Treffen nur einzelne Kriterien zu, so kann ein
aus Sicht der Archäologen absolut sensationeller Fund von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt bleiben. Gleiches gilt umgekehrt für Entdeckungen, die in der Öffentlichkeit als sensationell gelten. Sie können für die Archäologie
weitgehend unbedeutend sein. Dass Letzteres
vergleichsweise selten der Fall ist, liegt daran,
dass häufig nicht nur einzelne der hier genannten Punkte, sondern meist mehrere auf einen
Fund zutreffen. Beinhaltet der Fund mehrere
Kriterien, die ihn innerhalb der Archäologie
als Sensationsfund qualifizieren, sowie mehrere Kriterien, die ihn für die Öffentlichkeit als
Sensationsfund ausweisen, so sprechen wir in
der Regel sowohl in der Wissenschaft als auch
in der Öffentlichkeit von einem großen Fund
für die Archäologie. Aber selbst in solchen Fällen ist nicht automatisch gewährleistet, dass
ein solcher Fund länger anhaltende Wirkung
in der Nachrichtenwelt der Sensationsgesellschaft entfaltet oder auch überhaupt wahrgenommen wird. Mangelnder Informationswille
seitens der Archäologie in Verknüpfung mit
ungünstigen Umständen kann, wie im genannten Falle des Fürstengrabes von Gommern, zu
einem dauerhaften Dornröschenschlaf selbst
eines absoluten Sensationsfundes führen, der
in der Folge letztlich nur innerhalb der Wissenschaft bekannt ist. Ganz anders verhält es
sich bei einem der zweifellos größten Funde
der Archäologie, der Himmelsscheibe von Nebra, die sowohl von Seiten der Archäologen als
auch in der Sicht der Öffentlichkeit zu Recht
als Sensationsfund wahrgenommen wird.
Die Himmelsscheibe von Nebra (Abb. 7) wurde im Sommer 1999 auf dem Mittelberg bei
Kleinwangen, Burgenlandkreis, durch einen
Detektorgänger entdeckt und zusammen mit
seinem Komplizen illegal ausgegraben und
vom Fundort entfernt. In der Folge ging die
Himmelsscheibe von Nebra durch die Hände von Hehlern und konnte schließlich im
Februar 2002 in Basel durch die Schweizer
Polizeibehörden sichergestellt werden. In den
folgenden Jahren erfolgte die archäologische
und naturwissenschaftliche Untersuchung dieser ältesten konkreten Himmelsdarstellung.
Der schrittweisen astronomischen Interpretation des scheinbar einfachen, aber doch rätselhaften Himmelsbildes folgte die daran angelehnte kulturhistorische Hypothesenbildung.
Die Himmelsscheibe von Nebra erzeugte eine
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für einen archäologischen Fund noch nie dagewesene Medienaufmerksamkeit, die sogar den
bislang bekanntesten Fund, die Gletschermumie „Ötzi“, übertraf. Ein Großteil der Printmedien, aber auch zahlreiche Fernsehfilme
beschäftigten sich zum wiederholten Male an
prominentester Stelle mit dem Fund. Galt das
anfängliche Augenmerk noch dem spannenden
Kriminalfall, den Fundumständen, insbesondere der Raubgräberei, so richtete sich schon
bald das Interesse auf die sukzessive wissenschaftliche Erforschung. Nur kurzzeitig von einer vorgebrachten Fälschungshypothese abgelenkt, wandte sich das mediale Interesse bald
wieder der wissenschaftlichen Entschlüsselung
zu. Sichtbarer Ausdruck der Breitenwirkung ist
sicherlich das Erscheinen einer Sondermünze
sowie einer Briefmarke zur Himmelsscheibe
von Nebra im Jahr 2008. Die mediale Durchdringung zeigt sich am besten an einer Reihe
von Karikaturen zur Himmelsscheibe von Nebra, die die allgemeine Kenntnis des Fundes
voraussetzen.
Eine von Oktober 2004 bis Mai 2005 stattfindende Landesausstellung mit dem Titel „Der
geschmiedete Himmel“ zur Himmelsscheibe
von Nebra war mit mehr als 300 000 Besuchern eine der erfolgreichsten Ausstellungen
der prähistorischen Archäologie Mitteleuropas
überhaupt. Die Präsentation der Masterkopie
der Himmelsscheibe von Nebra, während
der Weltausstellung 2005 in Nagoja, Japan,
besuchten mehr als 22 Millionen Menschen.
Dies belegt eindrucksvoll, dass die Himmelsscheibe von Nebra als zentrales Artefakt der
menschlichen Erinnerungskultur den Sprung
weit über Deutschland hinaus geschafft hat.
In ihrer nüchternen, doch hoch ästhetischen,
gleichzeitig einfachen, aber äußerst rätselhaften Erscheinung wirkt sie universell auf die
Erfahrungen, das Wissen, aber auch die Phantasie der Menschen. Sie stellt damit einen der
wenigen archäologischen Funde dar, dessen
mediales Potential auf äußerste Dauerhaftigkeit und tiefe Durchdringung der weltweiten
Erinnerungskultur angelegt ist. Sie könnte damit zu einem der zentralen Stücke auf der Liste des Weltdokumentenerbes werden. Dieser
außerordentliche Erfolg hat angesichts anderer
wichtiger Funde bis heute immer wieder Verwunderung hervorgerufen.
Nach der vorliegenden kurzen Untersuchung,
welche Kriterien für Sensationsfunde innerhalb
der Wissenschaftsgemeinschaft selbst, aber
auch in der Öffentlichkeit gelten, sollte uns
der außergewöhnliche öffentliche Erfolg nicht
wundern. Die vier Kriterien, die wir für die
Wissenschaft selbst aufgestellt hatten, erfüllt
die Himmelsscheibe in vollem Umfang. Bei der
Himmelsdarstellung handelt es sich zweifellos
um eine neue bildliche Quellenart, die der
erheblichen Erkenntniserweiterung der Archäologie dient, darüber hinaus aber grundsätzlich neue Erkenntnisse zur Archäoastronomie
ermöglicht. Ferner belegt sie diverse Theorien
zur Bedeutung der Archäoastronomie in der
Vorgeschichte, die von den bisher herangezogenen Hengemonumenten und anderen Funden nicht abgebildet werden konnten. Aber
auch die für die Öffentlichkeit wesentlichen
Kriterien werden nahezu in vollem Umfang erfüllt: Es handelt sich um einen geheimnisvollen
Schatzfund, der sich in einem einprägsamen
und rätselhaften Bild verdichten lässt. Neben
einer allgemein verständlichen neuen Erkenntnis bleiben weitere Rätsel. Die Begleitumstände der Ausgrabung und Wiedererlangung sind
in der Tat außergewöhnlich. Darüber hinaus
wurde der Fund medial professionell vermittelt.
Lediglich zwei Kriterien, die Verbindung mit
einer berühmten Person sowie die Verbindung
mit einem Mythos, fehlen. Allerdings dürfte
kein archäologischer Fund alle hier aufgestellten Kriterien vollständig erfüllen, so dass der
Deckungsgrad bei der Himmelsscheibe von
Nebra als außerordentlich hoch angesehen
werden kann. Trotz der medial scheinbar leichten Ausgangslage war es nicht völlig banal, den
Fund angemessen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Grundlage für alle Aktivitäten
waren jeweils abgesicherte und sorgfältig geprüfte wissenschaftliche Untersuchungen und
Erkenntnisse der hochrangigen Forschergruppe um die Himmelsscheibe von Nebra. Diese
Erkenntnisse wurden dann allerdings zügig in
Pressekonferenzen oder Pressemitteilungen
platziert, so dass die Öffentlichkeit am Erkenntnisfortschritt unmittelbar teilhaben konnte.
Alle nicht die unmittelbare wissenschaftliche
Bedeutung betreffenden Anfragen, etwa personalisierter Art, wurden in der Bearbeitung
abgelehnt, alle wissenschaftlich orientierten
Fragen stets und umfänglich beantwortet. Eine
weitere Grundlage der Vermittlung war der Erwerb der Wort- und Bildmarke inklusive der
Urheberrechte in mehreren Gerichtsverfahren. Dadurch wurde Missbrauch, etwa durch
rechtsextreme Kreise, die den Fund als Beispiel
germanischer Überlegenheit benutzen wollten,
ausgeschlossen. Der Besitz der Rechte ermöglichte es aber auch, die Himmelsscheibe stets
in angemessenem ästhetischem Umfeld darzustellen, so dass etwa eine Minderung des
Bildwertes vermieden werden konnte. Dies
gilt insbesondere auch für die zahlreichen
Merchandisingprodukte, die entweder über
das Landesmuseum selbst inszeniert wurden
oder für die Lizenzen vergeben werden konnten, so dass eine Qualitätskontrolle möglich
ist. Auf dieser rechtlichen Grundlage war es
darüber hinaus möglich, dem außergewöhnlichen Interesse an der Archäologie der Himmelsscheibe sowie dem damit zusammenhängenden Interesse für Archäoastronomie durch
die Schaffung einer neuen Tourismusroute,
genannt „Himmelswege“, entgegenzukommen. Jeweils kurz nach Eröffnung der ersten
beiden Stationen, dem „Sonnenobservatorium von Goseck“10 mit zugehörigem Info-Point
und der „Arche Nebra“, einem Erlebniscenter
am Fundort der Himmelsscheibe, zeigte sich
ein ebenfalls überwältigendes Besucherinteresse von weit mehr als 1000 Besuchern pro
Tag trotz des abseits gelegenen Fundortes. Mit
Abb. 7: Die Himmelsscheibe von Nebra.
10 Werner/Pfaff in Vorbereitung; Bertemes/Northe
2007.
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der Arche Nebra wurde bewusst kein Museum
mit Originalfunden, sondern ein neuartiges Erlebniscenter zur Himmelsscheibe von Nebra
und zur Archäoastronomie entworfen, dessen
einzige Authentizität in dem Fundort auf dem
Mittelberg selbst besteht. Die Sichtachsen
des Fundortes wurden durch einen 35 Meter hohen, dennoch filigranen Aussichtsturm
sichtbar gemacht, dessen Schatten täglich um
12.00 Uhr auf die genaue Fundstelle fällt. Die
Fundstelle selbst ist als konvexer Hohlspiegel
geschaffen, so dass sie vom Turm aus gesehen
den Himmel auf die Erde spiegelt. Höhepunkt
des Erlebniscenters ist eine digitale Planetariumsshow, wobei anzumerken ist, dass der Rest
des Erlebniscenters nicht auf digitale Effekte,
sondern vielmehr auf längst vergessene Zaubertricks des 18. und 19. Jahrhunderts bzw. auf
einfachste Effekte wie zum Beispiel ein Kasperletheater für die Kriminalgeschichte setzt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass
Sensationsfunden, die auch von einer breiten
Öffentlichkeit als solche erkannt werden, eine
erhebliche Bedeutung für die Archäologie zukommt. Sie führen zur verstärkten Akzeptanz
der Archäologie in der Gesellschaft, darüber
hinaus wirken sie identitätsstiftend, und zwar
sowohl für die Innen- als auch Außendarstellung der jeweiligen Region. In der positiven
Konnotation mit Archäologie sorgen sie letztlich für verstärkte Forschung und Lehre und
bewirken durch eine Stärkung der beteiligten
Denkmalpflege und Museen eine erneute
Chance für die Rettung von Kulturdenkmalen. Angesichts immer wieder kritischer Stimmen zum medialen Transport archäologischer
Funde scheint es mir wesentlich, darauf hinzuweisen, dass nahezu die gesamte archäologische Forschung auf der Basis von Steuergeldern erfolgt und in den meisten Ländern die
Information über archäologische Entdeckungen ein integraler gesetzlicher Auftrag der jeweiligen Bodendenkmalpflege ist. Es erscheint
mir selbstverständlich und absolut notwendig,
dem breiten Interesse der Öffentlichkeit an archäologischen Entdeckungen entgegenzukommen. Wesentlich sind allerdings die solide und
zurückhaltende wissenschaftliche Basis aller
Äußerungen sowie das Umsetzen der positiven
Effekte aus der Medialisierung in neue Forschung. In Bezug auf die Eventkultur scheint es
mir entscheidend, Events um ihrer selbst willen
zu vermeiden und stattdessen wirkliche Events,
die aus Inhalten und kultureller Begeisterung
entstehen, zu unterstützen.
Literatur
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Alt u. a. in Vorbereitung
Kurt W. Alt, Christian Meyer und Wolfgang Haak: Die Menschen des
Neolithikums in Sachsen-Anhalt. Forschungsansätze der modernen
Anthropologie. Kataloge zur Dauerausstellung im Landesmuseum für
Vorgeschichte Halle, Bd. 2, Halle (Saale) 2008 (in Vorbereitung).
Bertemes/Northe 2007
François Bertemes und Andreas Northe: Der Kreisgraben von Goseck – ein Beitrag zum Verständnis früher monumentaler Kultbauten
Mitteleuropas, in: Karl Schmotz (Hrsg.): Vorträge des 25. Niederbayerischen Archäologentages, Rahden/Westfalen 2007, S. 137–168.
Dresely 2004
Veit Dresely: Schnurkeramik und Schnurkeramiker im Taubertal. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg, Bd. 81, Stuttgart 2004.
Grünberg u. a. 1999
Judith M. Grünberg, Heribert Graetsch, Ursula Baumer und Johann
Koller: Untersuchungen der mittelpaläolithischen „Harzreste“ von Königsaue, Ldkr. Aschersleben-Staßfurt, in: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 81, 1999, S. 7–38.
Fröhlich 2001
Siegfried Fröhlich (Hrsg.): Gold für die Ewigkeit. Das germanische
Fürstengrab von Gommern, Halle (Saale) 2001.
Haak u. a. in Vorbereitung
Wolfgang Haak, Christian Meyer, Guido Brandt, Robert Ganslmeier
und Kurt W. Alt: Die Menschen aus den Familiengräbern von Eulau.
Verwandtschaft und Tod in der Schnurkeramik. Kataloge zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, Bd. 2, Halle
(Saale) 2008 (in Vorbereitung).
Landesmuseum
Karlsruhe 2007
Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Vor 12 000 Jahren in
Anatolien. Die ältesten Monumente der Menschheit, Stuttgart 2007.
Meller 2001
Harald Meller (Hrsg.): Schönheit, Macht und Tod. 120 Funde aus 120
Jahren Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, Halle (Saale) 2001.
Meller 2003
Harald Meller (Hrsg.): Geisteskraft. Alt- und Mittelpaläolithikum. Begleithefte zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte
Halle, Bd. 1, Halle (Saale) 2003.
Meller 2004
H. Meller (Hrsg.): Paläolithikum und Mesolithikum. Kataloge zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, Bd. 1, Halle
(Saale) 2004.
Meller 2004a
Harald Meller (Hrsg.): Der geschmiedete Himmel. Die weite Welt im
Herzen Europas vor 3600 Jahren, Halle (Saale) 2004.
Schlenker u. a. 2007
Björn Schlenker u. a.: Luther in Mansfeld. Forschungen am Elternhaus
des Reformators. Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 6, Halle
(Saale) 2007.
Schwarz 2003
Ralf Schwarz: Pilotstudien. Zwölf Jahre Luftbildarchäologie in SachsenAnhalt, Halle (Saale) 2003.
Türcke 2002
Christoph Türcke: Erregte Gesellschaft. Philosophie der Sensation,
München 2002.
Werner/Pfaff in Vorbereitung
Manuela Werner und Bettina Pfaff: Arche Nebra – Die Himmelsscheibe erleben. Eröffnung des neuen Besucherzentrums am Fundort der
Himmelsscheibe von Nebra. Archäologie in Sachsen-Anhalt, Bd. 5,
2008 (in Vorbereitung).
Abbildungsnachweis
1: Meller 2003, S. 41; Meller 2004, S. 193 Abb. 9.27 (Foto: J. Lipták). – 2: Meller 2003, S. 21; Meller
2004, S. 143 Abb. 13.19 (Foto: J. Lipták). – 3: Schwarz 2003, S. 112 Abb. 74 (Foto: R. Schwarz). –
4: Haak u. a. in Vorbereitung (Foto: Grabungsdokumentation LDA). – 5: Meller 2001, S. 255 (Foto:
J. Lipták). – 6: Schlenker u. a. 2007, S. 73 Abb. 67 (Foto: J. Lipták).– 7: Foto: J. Lipták.
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