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Gründergeist in Deutschland : "Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren"

Unternehmerin Anne Lamp fordert bessere Bedingungen für Start-Ups: Es müsse mehr Förderprogramme geben, vor allem solche, die an ökologische Kriterien geknüpft sind.

22.08.2022
2024-03-04T11:14:16.3600Z
8 Min

Frau Lamp, Sie haben an der Technischen Hochschule Hamburg promoviert und dabei ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Getreideabfälle zu einem vielseitig einsetzbaren Material umwandeln lassen. Wann haben Sie gemerkt: Diese Idee muss raus aus dem Labor, ich gründe ein Unternehmen?

Anne Lamp: Vor etwa drei Jahren habe ich das erste Mal Proben im Labor produziert, bei denen ich gesehen habe, was für ein Potenzial das Material hat. Zunächst war es reine wissenschaftliche Neugier, aber dann hat ein Freund zu mir gesagt: "Anne, daraus muss man doch was machen." Parallel dazu ist die Firma Otto, die auch in Hamburg sitzt, auf mich aufmerksam geworden und hat mir angeboten, mich zu unterstützen. Das war der Kickstart: Ich wusste zwar noch nicht recht, was genau ich damit jetzt machen kann. Aber ich dachte, okay, wenn die Industrie in einem so frühen Stadium Interesse hat, muss die Nachfrage da sein.

Foto: picture-alliance/dpa/Philipp Schulze
Anne Lamp
ist 31 Jahre alt und promovierte Verfahrenstechnikerin. Zusammen mit Johanna Baare gründete sie 2020 das Start-up traceless materials. Es stellt aus Getreideabfällen eine biologisch abbaubare Plastikalternative her, die sich breit einsetzen lässt - etwa für Verpackungen, Einwegartikel oder Beschichtungen. traceless kooperiert bereits mit Großkunden wie dem Versandhändler Otto und Lufthansa. Das Unternehmen hat derzeit 22 Beschäftigte.
Foto: picture-alliance/dpa/Philipp Schulze

Mit Gründung kannten Sie sich vermutlich nicht aus.

Anne Lamp: Genau. Ich habe mich zunächst an den Start-up-Verband gewendet. Und über mehrere Ecken bin ich in die Start-up-Welt in Hamburg reingerutscht. So habe ich mich unter anderem bei einem Inkubator-Programm mit einem riesigen Netzwerk beworben. Dort habe ich Johanna kennengelernt, meine spätere Mitgründerin. Das alles hat in mir die Lust geweckt, auch zu gründen. Und es hat mir viele Zweifel genommen, weil ich gemerkt habe, dass es ganz normal ist bei null anzufangen. Wäre ich nicht in diese Start-up-Szene gerutscht, hätte ich wohl nicht gegründet.

Warum?

Anne Lamp: Gründergeist existiert an der Uni einfach nicht - oder zumindest nicht an meiner. Dass eine Doktorandin ein Unternehmen gründet, war quasi keine Option. Und die, die es getan haben, wurden eher belächelt. Diese Art zu denken wäre das Erste, das sich ändern müsste, wenn man will, dass sich in Deutschland mehr Start-ups aus den Universitäten heraus gründen. Damit der Transfer von exzellenten Erkenntnissen aus der Wissenschaft in den Markt gelingt, muss dieser Spirit an den Unis gefördert werden: Gründen hat großes Potenzial, gründen ist cool, das ist eine ganz normale Job-Option wie andere auch.

Wie haben Sie dann weitergemacht?

Anne Lamp: Anfangs hatte ich noch Zugang zu den Laboren an der Uni. Jedoch: Sobald man ein Start-up gründet, ist man illegal an der Uni. Das ist Irrsinn - und eine zusätzliche Hürde für wissenschaftliche Ausgründungen! Mein Professor hat mal gesagt, er stehe quasi mit einem Bein im Gefängnis, weil er mich weiter im Labor arbeiten lasse. Nachbarinstitute musste ich für Analysen oder Labornutzung bezahlen. Dabei hatte ich noch kein Geld. In der Zwischenzeit fand sich dennoch ein Team von fünf Leuten, die an der Idee arbeiteten. Aber ohne eigene Räume konnten wir nicht weiter wachsen, keine Adresse anmelden oder Kunden einladen.

Haben Sie in dieser Zeit Unterstützung von der Hamburger Verwaltung bekommen?

Anne Lamp: Wenn wir nur Büros gebraucht hätten, wäre es kein Problem gewesen. Es gibt günstigen Coworking-Space, auch gefördert vom Land. Aber arbeitet man mit "Hardware", so wie wir, benötigt man mehr Raum - für Labore, für technische Infrastruktur. Alle Start-ups, die aus der Wissenschaft heraus gründen, brauchen das. In Hamburg zumindest gibt es dafür jedoch keinen einfach zugänglichen Raum, keine Coworking-Labs. Uni-Ausgründungen sind damit fast unmöglich. Dabei sind Coworking-Labs ideale Orte für Start-ups, um zusammenzukommen, Spaß zu haben und voneinander zu lernen. Das hatten wir so gar nicht im Keller unseres Instituts.

Trotzdem haben Sie schon Anfang 2021 damit begonnen, eine erste Pilotanlage zu bauen. Allerdings nicht in Hamburg, sondern im beschaulichen niedersächsischen Buchholz.

Anne Lamp: Genau, denn bei der Suche nach geeigneten Räumen für die Anlage gingen die Schwierigkeiten weiter: Wir mussten bald feststellen, dass es keine passenden für uns gab. Wir brauchen schließlich eine gewisse Hallengröße. Weil im Team alle ihren Lebensmittelpunkt in Hamburg hatten, wollten wir nicht plötzlich nach Lübeck oder Berlin ziehen. So haben wir irgendwann dann mit Wirtschaftsförderern in Niedersachsen gesprochen und hatten am Ende zwei Optionen, die von Hamburg aus erreichbar waren: Eine davon war Buchholz.

Wie haben Sie den Kontakt mit den Wirtschaftsförderungen erlebt? Waren die motiviert, Sie bei der Suche zu unterstützen?

Anne Lamp: In Buchholz war das so. Die wollten uns unbedingt haben. In einem Innovationszentrum mit vier Hallen belegen wir jetzt zwei. So etwas haben wir in Hamburg nicht gefunden. Aber klar: Hamburg ist voll, jeder will nach Hamburg. Ich kann verstehen, dass da der Bedarf nicht so groß ist, aktiv um Start-ups zu werben. Langfristig wollen wir aber wieder nach Hamburg zurück, um einen Technologie-Hub aufzubauen. Dort sind wir Teil eines Netzwerks, haben die nötigen Kontakte zu Forschungsinstituten, Partnerunternehmen, Innovationsförderung und Politik.

Immer mehr Städte und Kommunen abseits der bekannten Start-up-Zentren locken mit günstigen Mieten, maßgeschneiderten Willkommens-Angeboten und Steuererleichterungen. Für Sie wäre das langfristig keine Perspektive?

Anne Lamp: Das kommt darauf an - beides hat Vor- und Nachteile! Für den geplanten Technologie-Hub, wo geforscht und entwickelt wird und die geschäftlichen Aktivitäten laufen, ist ein urbaner Standort schon ein entscheidender Vorteil. Da braucht es das Netzwerk und die Nähe zu den Universitäten, gerade wenn man in einem hochinnovativen Bereich wie unserem arbeitet. Für einen reinen Produktionsstandort sind die dezentralen Regionen dagegen wieder interessant. Da ist der Flächenbedarf ja noch einmal deutlich größer, und die genannten Fördermöglichkeiten sind ein wirklich starkes Argument. Konsequenterweise müsste ein Unternehmen wie unseres die Bereiche entkoppeln und zwei Standorte haben - möglichst mit gewisser räumlicher Nähe. Diese Möglichkeit ziehen wir auf jeden Fall in Betracht.

Viele Jungunternehmen kritisieren die vermeintlich überbordende Bürokratie: Komplizierte und nicht digitalisierte Verwaltungsprozesse, viel Papierkram, lange Genehmigungszeiten. Wie war das bei Ihrer Firma traceless materials?

Anne Lamp: Für uns als Hardware-Startup sind lange Planungsprozesse normal. Umso wichtiger, dass bürokratische Hürden den Aufbau nicht noch weiter verlangsamen. Bisher haben wir aber meist gute Erfahrungen gemacht, auch weil wir regionale Unterstützung bekommen haben. Eines allerdings müsste sich unbedingt ändern: Wer an der Uni angestellt ist, kann bislang kein Patent unter eigenem Namen anmelden. Stattdessen gehört es erst einmal der Uni, und das ist für Investoren absolut unattraktiv. Es gibt aus meiner Sicht keinen guten Grund für diese Regelung, sie ist ein reines Bürokratiemonster.


„Es müsste mehr Förderprogramme geben, vor allem mehr, die an ökologische Kriterien geknüpft und auf maximale Schnelligkeit ausgelegt sind.“

Als Tech-Start-up braucht traceless gut ausgebildete, hochspezialisierte Leute. Sind die schwierig zu finden?

Anne Lamp: Bisher haben wir meistens schnell die passende Person für eine Aufgabe gefunden. Doch wir erwarten, dass die Talentsuche in den kommenden Jahren eine der größten Herausforderungen wird. Hürden zur Beschäftigung internationaler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten gesenkt werden. Sonst droht sich der Fachkräftemangel wohl noch zusätzlich zu verschärfen.

Ihre Pilotanlage haben Sie schon im Jahr nach der Gründung gebaut. Da musste in kurzer Zeit viel Geld her. Deutschland galt lange als schwieriges Pflaster für Risikokapital. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Anne Lamp: Ich muss sagen, dass in der ersten Finanzierungsrunde viele auf uns zugekommen sind und wir relativ schnell unsere Investoren zusammen hatten. Das kann auch daran liegen, dass unser Thema en vogue ist, aber mein Eindruck ist, dass es viele Frühphaseninvestoren in Deutschland gibt.

Jetzt wollen Sie mit Ihrem Material schnell raus aus der Nische und bis 2030 eine Million Tonnen auf den Markt bringen. Dafür ist schon nächstes Jahr eine noch größere Produktionsstätte geplant.

Anne Lamp: Das ist tatsächlich ein großer Sprung. Innovative Gründungsideen in den klassischen Hardware-Industrien sind enorm kapitalintensiv. Gleichzeitig finden sie nur schwer Zugang zu Risikokapital, weil diese Branchen unter Investoren wenig vertreten sind. Mein Eindruck ist zwar, dass mehr und mehr Investoren merken, dass man die Welt nicht nur mit Software retten kann. Aber es wird trotzdem nicht einfach werden, gerade in der aktuellen Lage. Es gibt Finanzierungslücken, die geschlossen werden müssen, um den nötigen Modernisierungsschub in den traditionellen Industriezweigen einzuleiten - etwa durch öffentliche Förderungen.

Einiges gibt es schon. Sie haben zum Beispiel eine Förderung über 2,42 Millionen Euro von der EU bekommen.

Anne Lamp: Stimmt. Wir haben auch Landesmittel bekommen. Die Länder schauen schon auf ihre Start-ups und das Ökosystem, also ein förderliches Umfeld. Aber auf Bundesebene gibt es nichts, das für uns vom Volumen und zeitlichen Rahmen her gepasst hätte. Es müsste mehr Förderprogramme geben, vor allem mehr, die an ökologische Kriterien geknüpft und auf maximale Schnelligkeit ausgelegt sind - wir dürfen jetzt, wo sich ökologische Krisen rapide verschärfen, keine Zeit mehr verlieren. Aber es gibt auch positive Ansätze: Wir sind zum Beispiel in Kontakt mit der Bundesagentur für Sprunginnovationen, die sehr interessiert daran ist, Unternehmen wie unserem Geld zu geben.

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Finanzminister Christian Lindner (FDP) will Deutschland zur Gründerrepublik machen. Lange galt Deutschland dagegen eher als Gründerwüste. Auf einer Skala von 1 - für Wüste - bis 10 - für Republik: Wo steht Deutschland aus Ihrer Sicht momentan?

Anne Lamp: Auf Länderebene gebe ich eine 6 bis 7 - auch wenn es natürlich regionale Unterschiede gibt. In München zum Beispiel existieren Coworking-Labs, die ich für Hamburg fordere, längst. Schon früh wurde dort Geld in Infrastruktur und Marketing investiert. Dem Bund würde ich eine 3 bis 4 geben. Da ist noch gewaltiges Wachstumspotenzial vorhanden, beispielsweise im Bereich Finanzierung. Die neue Start-up-Strategie der Bundesregierung geht das Thema an. Doch gerade was die Förderung grüner Start-ups angeht, halte ich die Strategie noch für ausbaufähig. Staatliche Förderungen sollten viel stärker daran geknüpft werden, ob eine Geschäftsidee nachhaltig ist und Antworten auf drängende ökologische und soziale Fragen bietet.