Was mich bewegt

Rollentausch bei Richard Strauss

Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal verband lebenslanger produktiver Dissens. Ihr letztes Werk war ARABELLA. Regisseur Tobias Kratzer über eine Oper von zeitlos schöner Zerrissenheit

Böse Zungen behaupten, ARABELLA sei mehr Operette als Oper, und da ist was dran. Es gibt einen unmittelbaren Einstieg, zwei kapitale Akte, dazwischen findet ein Ball statt, der alles durcheinanderwürfelt: dramaturgisch recht konventionell. Wenn Sie aber genau hinsehen und -hören, entdecken Sie eine enorme innere Spannung. Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal zogen nie an einem Strang, die Briefwechsel zeugen davon, wie sehr beide aneinander vorbeigearbeitet haben. Ihr Werk steckt, wie viele große Kooperationen der Kunstwelt, voller produktiver Missverständnisse. Vielleicht sind es diese Dissonanzen, die derartige Werke so haltbar machen.

Auf der einen Seite Hofmannsthal, intellektueller Feingeist, der über dem Boden schwebt, sich für alles Neue interessiert. Auf der anderen: Strauss. Bodenständig, mit eher traditionellen Themen beschäftigt, nach Exzessen in ELEKTRA und SALOME musikalisch gebändigt, fast Mainstream. Mitten in der Arbeit an ARABELLA stirbt Hofmannsthal – und das Unglück konserviert die Spannung der beiden, die auch eine archetypische, eine gesellschaftliche ist, im Stück.

ARABELLA ist der erste Teil einer Strauss-Trilogie. Die Idee kam von der Deutschen Oper Berlin, die Auswahl der Stücke, AR ABELLA, INTERMEZZO und DIE FR AU OHNE SCHATTEN, von mir. Die umgekehrt chronologische Reihenfolge erschien mir intuitiv angemessen. ARABELLA ist das Bekannteste, Zugänglichste. INTERMEZZO, humorvoll, leicht, eignet sich, wie der Name schon sagt, perfekt als Intermezzo. Und FRAU OHNE SCHATTEN ist ihr Opus summum. In allen drei Opern geht es um unterschiedliche Stadien von Ehe und Beziehung. In ARABELLA kommt ein Paar zusammen. INTERMEZZO zeigt klassische Turbulenzen und FR AU OHNE SCHATTEN erzählt von einer existenziellen Krise, die metaphysische Dimensionen berührt. Aber dieser gemeinsame (fast banale) Nenner steht nicht im Vordergrund. Mit allen dreien lässt sich perfekt Strauss’ Musik erkunden, weit unter der Oberfläche – die erste und die letzte erzählen zusätzlich von der Dynamik zu Hofmannsthal.

Als Opernregisseur wurde Kratzer bereits vielfach ausgezeichnet. 2025 übernimmt er die Intendanz der Staatsoper Hamburg © Julian Baumann
 

Die Idee zu ARABELLA kam von Hofmannsthal. In einem älteren Entwurf hatte er den Plot vorweggenommen, aber nicht auf Arabella fokussiert, sondern eine andere Figur, die in der späteren Oper zur Nebenrolle wird: Arabellas Schwester Zdenka, die zu achtzig Prozent Männerkleider trägt. Hofmannsthal interessierte sich für ihre geschlechtliche Ambivalenz; auch Arabellas Figur war schärfer, zynischer entworfen – als emanzipierte Frau des angehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Als Strauss ins Projekt einsteigt, vergrößert er nach und nach die Figur der Arabella, weicht sie auf, macht sie lieblicher, streicht Textzeilen, zeichnet auch musikalisch ihren Charakter eher traditionell. Dann aber, mitten im Projekt, stirbt Hofmannsthal. Und Strauss wird kaum noch eine Zeile verändern, aus Pietät und Treue seinem Partner gegenüber. So wächst, je weiter die Oper voranschreitet, ihre Ambivalenz. Der erste Akt scheint noch Strauss pur zu sein, im dritten treten zwei Ebenen zutage: Die innere Widersprüchlichkeit zwischen Text und Musik wird Werksubstanz. Wir können auf der Bühne mitverfolgen, wie zwei Stränge, Tradition und Moderne, einander erst überlagern – und am Ende deutlich auseinanderklaffen. Die Inszenierung beginnt also um 1860, wir springen in die Zwanzigerjahre, streifen die Achtundsechziger und landen in der Gegenwart – die in ihrer Vielfalt und Ambivalenz so sehr den Zwanzigerjahren ähnelt – und erleben dazwischen Rückschläge, konservative Epochen wie die Fünfzigerjahre, bis sich das Feld wieder öffnet.

All dies vollzieht sich in der schönen Strauss’schen Klangwelt. Manche finden die Musik von ARABELLA konservativ, sogar zahm. Bei genauem Hinhören aber erkennt man die Selbstironie: Übertreibungen von Nebenthemen, die Musik scheint sich über sich selbst, ihre Protagonist*innen und deren Ansprüche lustig zu machen – eine musikalische Postmoderne avant la lettre. Strauss’ grandiose Sentimentalität eins zu eins als Nostalgie nach einer vergangenen Welt auszulesen, hieße ihm auf den Leim zu gehen. Wohlwollend unterstelle ich, dass bei ihm alles mit einem Augenzwinkern stattfindet. Diese Selbstironie zeigt, dass er wusste, was er tat; dass er seinen Konservatismus sehr wohl reflektierte und sich des Laufs der Zeit mehr als bewusst war.

Newsletter

Aktuelles zum Spielplan
und zum Vorverkaufsbeginn
Persönliche Empfehlungen
Besondere Aktionen ...
Seien Sie immer gut informiert!

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie 25% Ermäßigung bei Ihrem nächsten Kartenkauf

* Pflichtfeld





Newsletter