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Ringheiligtum: Die Toten von Pömmelte

Foto: André Spatzier / Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Hinweis auf Menschenopfer Die rätselhaften Knochen aus dem deutschen Stonehenge

In Sachsen-Anhalt sind Archäologen auf ein mehr als 4000 Jahre altes Heiligtum gestoßen. Warum es gebaut wurde, ist nicht sicher. Doch es gibt einen schrecklichen Verdacht.

Mussten auf einem Acker in Sachsen-Anhalt Frauen, Kinder und Jugendliche für eine größere Idee sterben? Archäologen haben in dem Tausende Jahre alten Ringheiligtum von Pömmelte zumindest konkrete Hinweise darauf gefunden, wie sie im Fachblatt "Antiquity"  berichten.

Die Anlage bestand einst aus mehr als 1200 Baumstämmen, die in riesigen Kreisen angeordnet waren. Darum befanden sich außerdem mehrere konzentrisch angelegte Erdwälle und Gruben. Insgesamt maß die Anlage 115 Meter im Durchmesser.

Warum das Ringheiligtum vor etwa 4300 Jahren erbaut wurde, ist nicht überliefert, denn Schrift kannten die Menschen in Mitteleuropa damals noch nicht. Es war jedoch eine höchst spannende Zeit. Gerade erst war ein neuer Werkstoff aufgetaucht, der alles verändern sollte: Bronze.

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Ringheiligtum: Die Toten von Pömmelte

Foto: André Spatzier / Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Die Legierung aus Zinn und Kupfer eignete sich besser zur Herstellung von Werkzeugen und Waffen als Feuerstein, weil Bronze gleichzeitig hart und leicht formbar ist, wenn man sie nur stark genug erhitzt. Bronze war schnell begehrt, Feuerstein kam dagegen aus der Mode - das Ende der Steinzeit war gekommen.

Weil Kupfer und Zinn nur in bestimmten Regionen abgebaut werden konnten, bildeten sich über die Jahrhunderte weitreichende Handelsnetze, die ganz Europa umspannten. Über diese Routen tauschten die Menschen offenbar nicht nur Güter aus, sondern auch Ideen.

Das deutsche Stonehenge

Die Kreisgrabenanlage von Pömmelte ist dafür ein hervorragendes Beispiel, denn sie ähnelt in ihrem Aufbau der berühmten Megalithanlage von Stonehenge. "Wissenschaftlich betrachtet ist Pömmelte ebenso bedeutsam wie Stonehenge. Beide Anlagen gehören in dieselbe Zeit, sahen ähnlich aus und hatten eine vergleichbare Funktion", sagt der Archäologe André Spatzier dem SPIEGEL.

Stonehenge wirkt heute jedoch imposanter, weil es aus Stein gebaut wurde und so die Jahrtausende überdauerte, während von der Kreisgrabenanlage in Pömmelte nur kreisrunde Spuren im Schwemmsand der nahen Elbe übrig blieben.

Archäologen hatten die Spuren nach der Wende aus dem Flugzeug entdeckt. Doch erst während der Ausgrabungen zwischen 2005 und 2008 wurde den Forschern klar, auf was für eine Sensation sie da gestoßen waren. Mithilfe der Forschungsergebnisse konnte das Bauwerk mittlerweile rekonstruiert werden. Die Untersuchungen dauern jedoch bis heute an.

"Solche Kreisgrabenanlagen entstanden bereits im frühen Neolithikum und sind bis in die Bronzezeit in weiten Teilen Europas zu finden", sagt Spatzier. Sie dienten vermutlich rituellen Handlungen. Wie genau diese aussahen, kann heute niemand mehr sagen, sie haben aber Spuren in Pömmelte hinterlassen.

Besonders spektakulär sind 29 schachtförmige Gruben - jede um die drei Meter tief. In ihnen deponierten Menschen knapp 400 Jahre lang Keramik, Beile, Mahlsteine und eben auch Menschen. "Einige Gruben wurden über die Jahrhunderte immer wieder benutzt. Die Menschen müssen das Wissen also über Generationen mündlich weitergegeben haben", sagt Spatzier. Auch aus heutiger Sicht ist das eine beachtliche Leistung. Könnten Sie beispielsweise sagen, was Ihre Vorfahren im Jahr 1618 so alles getrieben haben?

Dieser Plan der Grabung zeigt den Aufbau der Anlage, die Schächte sind als gelbe Punkte dargestellt:

Foto: Dr. André Spatzier

Mindestens sieben Menschen fanden in den Schächten ihre letzte Ruhestätte. Es handelt sich ausnahmslos um Frauen, Kinder und Jugendliche.

Die Spuren an den Knochen zeugen von brutalen Morden. So weisen einige Skelette heftige Schädel- und Rippenverletzungen auf, die von Beilschlägen stammen könnten. Anderen fehlen ganze Gliedmaßen, in einem Fall sogar beide Arme und Beine.

Die Forscher vermuten außerdem, dass mindestens eines der Kinder gefesselt war, als es in die Grube geworfen wurde. Sein linker Arm lag in einem unnatürlichen Winkel über den ganzen Körper gestreckt, sodass die beiden Handgelenke direkt übereinanderlagen. "Die Position der Knochen deutet darauf hin, dass die Leichen in die Schächte geworfen wurden", sagt Spatzier.

Ob sie ermordet wurden, um sie zu opfern, ist heute unmöglich zu beantworten. Sie könnten beispielsweise auch bei einem Überfall ums Leben gekommen sein. "Wir können aber sicher sagen, dass spätestens die toten Körper eine rituelle Bedeutung hatten und deshalb mit den anderen Ritualgegenständen in die Schächte geworfen wurden", argumentiert Spatzier.

"Herausragende Persönlichkeiten"

Die Frauen und Kinder sind nicht die Einzigen, die in dem Heiligtum begraben wurden. Entlang des äußeren Rings im östlichen Teil der Anlage befinden sich auch 13 Gräber von jungen Männern zwischen etwa 17 und 30 Jahren. Ihre Skelette weisen keine Verletzungen auf, und ihre Leichen wurden auch nicht anscheinend achtlos in Schächte geworfen, sondern sorgfältig in Grabgruben gelegt.

"Wir vermuten, dass es sich bei den Toten um herausragende Persönlichkeiten gehandelt hat", sagt Spatzier. Warum die Männer anders behandelt wurden als die Leichen von Frauen und Kindern, die aus heutiger Sicht pietätlos entsorgt wurden, können die Archäologen nicht sagen. "In Pömmelte konnten wir aber erstmals rituelle Handlungen an einem Heiligtum dieser Art über etwa 400 Jahre hinweg nachweisen", so Spatzier.

Was bedeuten die Kultschädel?

Der Untergang der Kreisgrabenanlage ist ähnlich rätselhaft wie das Schicksal der Menschen, die dort bestattet wurden. Fest steht, dass um das Jahr 2050 vor Christus alle Pfähle aus dem Boden gezogen und verbrannt wurden. Das zeigt eine bis zu 40 Zentimeter dicke Schicht aus Erde und Holzasche, die die Archäologen im gesamten Kreisgraben des Monuments entdeckten.

In dieser Phase landeten erneut Menschenknochen in einigen der Gruben. Die Archäologen entdeckten fünf Schädel aus dieser Zeit. Wo der Rest der Körper geblieben ist, bleibt ein Geheimnis. Spatzier vermutet, bei den Schädeln könnte es sich um Trophäen oder die sterblichen Überreste wichtiger Ahnen gehandelt haben. "Vielleicht wurden die Kultschädel beerdigt, weil auch das Heiligtum abgebaut und symbolisch bestattet wurde."

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