Die Hoffnung auf den zweiten Prozess

Von afa
Veröffentlicht am 07.12.2003Lesedauer: 3 Minuten

Vor 20 Jahren als Mörder verurteilt - zu Unrecht?

Genau zwanzig Jahre sind vergangen, seit dieses Urteil gefällt wurde. Am 14. Dezember 1983 sprach das Landgericht Arnsberg den damals 26 Jahre alten Posthauptschaffner Franz-Josef Sträter aus dem sauerländischen Flecken Oberhenneborn für schuldig - schuldig des Mordes an der Theologiestudentin Johanna Schenuit. Seitdem sitzt Sträter eine lebenslange Haftstrafe ab. Und fast schon genauso lang kämpft er für eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Denn das Geständnis, das er während der Vernehmungen abgelegt habe, sei falsch, so sagt er - und nur durch den psychischen Druck des Verhörs zu Stande gekommen. Sträter, der in der Mordnacht auf einem Schützenfest überreichlich gebechert hatte, widerrief sein Geständnis zwar noch während des Prozesses, aber da war es schon zu spät. Das Gericht hielt an Sträters vorausgegangener Selbstbezichtigung fest. Spuren und Hinweise auf andere mögliche Täter wurden gar nicht erst verfolgt, nicht vom Staatsanwalt, nicht von Sträters Pflichtverteidiger. Von Anfang an sei schlampig ermittelt worden, kritisiert seit Jahren Sträters jetziger Anwalt Ralf Neuhaus.

Nun liegen die Akten zum Fall Sträter beim Landgericht in Siegen. Und dort wird vermutlich noch vor Jahresende über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens entschieden. Es ist bereits der dritte Antrag, den Neuhaus vorgelegt hat. (Schon zweimal wurde dieser Antrag abgelehnt.) (Und wieder plädiert die Siegener Staatsanwaltschaft darauf, den Antrag mangels neuer Beweise abzulehnen.)

Verteidiger Neuhaus weist darauf hin, dass falsche Geständnisse während der Vernehmungen durch Polizei und Haftrichter immer wieder vorkämen - auch bei Kapitalverbrechen. Gerade Menschen, die zum ersten Mal strafrechtlich verfolgt würden, fühlten sich oft "hilflos, überfordert und überwältigt" durch die schweren Vorwürfe. So etwa Marco S., der einen Sexualmord erst gestanden und später widerrufen hatte; und der nur freikam, weil sich der tatsächliche Mörder durch sein eigenartiges Verhalten selbst verriet. Da ist außerdem der Recklinghauser Fall des Klaus S., der sich Mitte der 90er Jahre bezichtigte, einen Jungen missbraucht und umgebracht zu haben. Doch die Beweise sprachen eindeutig gegen seine Version. Der Strafverteidiger Neuhaus vertrat Anfang der 90er Jahre auch Paul R., der sich selbst beschuldigt hatte, einen Dortmunder Nachtportier ermordet zu haben. Aber eigentlich wusste R., in der Tatnacht vom Alkohol völlig vernebelt, überhaupt nicht mehr, was los war. Erst ein DNA-Gutachten belegte seine Unschuld.

Indes ist im Fall Franz-Josef Sträter ein Vergleich des genetischen Fingerabdrucks nicht mehr möglich. Denn nachdem das Gericht im Januar 1991 Neuhaus' ersten Antrag auf Wiederaufnahme abgelehnt hatte, wurden sämtliche Asservate weggeworfen. Offensichtlich dachte niemand daran, dass die neuen Methoden der DNA-Analyse bald schon die Kriminalistik und das Gerichtswesen revolutionieren würden.

Also muss Neuhaus seinen Wiederaufnahmeantrag auf andere, bislang unbeachtete Aspekte stützen. Etwa auf das Gutachten des Wiener Sexualmord-Experten Thomas Müller, der beim FBI das so genannte Profiling erlernt hat - und der hinsichtlich der Täterpsychologie deutliche Parallelen zu einem zweiten Mord sieht, der auf ähnlich grausige Weise im Nachbardorf Niederhenneborn verübt wurde. Und zwar zu einer Zeit, als Franz-Josef Sträter längst im Gefängnis saß. Bis heute ist dieser zweite Fall ungeklärt.

Jedoch gab vor drei Jahren auch die Staatsanwaltschaft in Arnsberg ein neues Gutachten in Auftrag. Weil ja nicht länger zu leugnen war, dass es bei den Untersuchungen von 1983 an Sorgfalt gemangelt hatte. Nun aber beschäftigte sich das renommierte rechtsmedizinische Institut der Münsteraner Uniklinik mit den Mordopfern von Ober- und Niederhenneborn. Und kam zu dem Ergebnis, dass es bei den beiden Fällen große Unterschiede gebe. Was zwar gegen die Theorie des Wiener Profilers, aber nicht zwangsläufig für die Schuld Franz-Josef Sträters spricht. Bleibt nur die Frage, ob das Gericht dennoch einen Anlass sieht, den Fall nun noch einmal aufzurollen.


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