Tim und seine Freunde sprechen Liechtensteiner Dialekt – in mehreren Varianten. (Bild: Hergé / Moulinsart)

Tim und seine Freunde sprechen Liechtensteiner Dialekt – in mehreren Varianten. (Bild: Hergé / Moulinsart)

«Tim und Struppi» sprechen jetzt auch Liechtensteiner Dialekt

Der 1939 erschienene Comic «König Ottokars Zepter» liegt in einer neuen Übersetzung vor: in Liechtensteiner Mundart. Und die Neuauflage wartet noch mit einer weiteren Überraschung auf.

Günther Meier, Vaduz
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Im fernen Syldavien beschützen Tim und seine Freunde den arglosen König Ottokar vor einer Verschwörung. Mitglieder von dessen Hofstaat haben sich mit dem feindlichen Nachbarland Bordurien verbündet und wollen die Herrschaft über Syldavien an sich reissen. Für Spannung ist also gesorgt, wenn sich Tim und Struppi an die Arbeit machen und Ottokar zu Hilfe eilen. Die Geschichte ist bekannt, denn die erste Ausgabe des Comic-Bandes «Le Sceptre d’Ottokar» des belgischen Zeichners Hergé (1907–1983) erschien bereits im Jahr 1939.

Elf verschiedene Dialekte

Nun liegt eine weitere Übersetzung von «König Ottokars Zepter» vor. Die Besonderheit dieser neuen Übersetzung liegt darin, dass die Sprechblasen in Liechtensteiner Dialekt geschrieben sind. Aus «König Ottokars Zepter» wird so «Am Ottokar sis Zäptr».

Und die Neuauflage des Comic-Bandes, der ausser in einer deutschsprachigen Fassung in verschiedenen anderen Sprachen herausgegeben wurde, wartet noch mit einer weiteren Überraschung auf: Da Liechtenstein elf Gemeinden zählt, die alle einen etwas unterschiedlichen Dialekt haben, sind alle elf Dialektvarianten in den Comic eingeflossen. Jede Person im Comic hat eine eigene Ausdrucksform, die Einheimische problemlos dieser oder jener Gemeinde zuordnen können.

Mathias Ospelt, Übersetzer, Schriftsteller und Präsident des PEN-Klubs Liechtenstein – eines Autorenverbandes –, übertrug zuerst die französische Originalversion in eine allgemeine Dialektform. In einem weiteren Übersetzungsschritt wurden Tim, die Agenten, der König und andere Personen einem bestimmten Gemeindedialekt zugeordnet.

Eine der Schwierigkeiten bei der Übersetzung lag darin, dass es keine offiziellen Schreibweisen der Dialekte gibt. Eine andere, dass einzelne Wörter je nach Sprechsituation einen etwas anderen Klang haben. Schliesslich musste der Übersetzer berücksichtigen, dass teilweise ältere, prägnantere Ausdrücke in den alltäglichen Unterhaltungen der Leute kaum mehr gebräuchlich sind.

So galt es für den Übersetzer abzuwägen, ob für den Begriff «Glück» das Wort «Glöck» oder «Gfell» verwendet werden soll. Gleiches galt für den Begriff «Angst». Heute ist in Liechtenstein «Angscht» gebräuchlich, während es früher «Spuntis» war.

Comicfiguren mit neuen Namen

Für die einzelnen Figuren der Geschichte, mit Ausnahme von Tim und Struppi, verwendet Ospelt in Liechtenstein gebräuchliche Namen oder solche, die sich an diejenigen im ursprünglichen Text anlehnen. Der Professor heisst in der französischen Originalversion Nestor Halambique.

Ein Alambic ist ein Destillierhelm oder ein Brennhut, also ein Gefäss zur Trennung von Stoffen durch Erhitzen und anschliessendes Abkühlen (Destillation). In Liechtensteiner Brennereien wird dieses Gefäss «Brennhafa» genannt, womit der Gelehrte den Namen Professor Brennhafa erhielt. Dieser wohnt im Original an der Rue du Vol à Voile, an der Segelflugstrasse: Ospelt siedelt ihn deshalb «bim Flügerleplatz» an, wie ein kleiner Flugplatz für Modellflugzeuge im Volksmund heisst.

Originell ist auch die Übersetzung des französischen Sprichworts «Avec des si, on mettrait Paris en bouteille». Frei übersetzt heisst das so viel wie: «Wenn das Wörtchen wenn nicht wär . . .» Für den Comic in Liechtensteiner Dialekt übernahm Ospelt die im Fürstentum früher gängige Version «Wenn d’Katz a Henna wäär, tät si Eier lega».

«Tim und Struppi: Am Ottokar sis Zäptr». Hergé, Übersetzer: Mathias Ospelt. Frank P. van Eck Verlagsanstalt, ISBN 978-3-905881-62-2. Fr. 21.80.

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