Polizist klärt Verschwinden von junger Dresdnerin: Claudia vor 24 Jahren auf Kuba verscharrt

Claudia von Weiss starb 1999 auf Kuba

Claudia von Weiss starb 1999 auf Kuba

Foto: privat
Von: ULF ROSIN

Dresden/Havanna (Kuba) – Mutter, Vater und Bruder sind erleichtert, wenn man angesichts dieses Schicksalsschlags überhaupt von Erleichterung sprechen darf.

Christine (79), Alexander (84) und Eckbert von Weiss (55) sind nun sicher: Ihre Tochter und Schwester ist tot. Die Familie weiß, wo die sterblichen Überreste von Claudia begraben sind: zehn Flugstunden von Deutschland entfernt.

Es tut weh, das zu wissen. Aber es war notwendig, um endlich Frieden zu finden.

Bis es jedoch so weit war, vergingen qualvolle 24 Jahre. Ihre Gewissheit verdankt die Familie aus Dresden der Hartnäckigkeit eines Hamburger Polizisten, seines Vaters, der Aussage eines Totengräbers – und einer gelben Shorts mit Blumenmuster.

Das Verschwinden von Claudia

Die Geschichte beginnt im November 1999: Claudia von Weiss, damals 36 Jahre alt, macht mit ihrem Mann Miguel de V., einem bolivianischen Tanzlehrer, Urlaub auf Kuba. Weil sie ein „Glückshotel“ gebucht haben, ist der Preis zwar erschwinglich, man weiß aber nicht, in welcher Unterkunft man landet. Das Ehepaar kommt nicht wie erhofft im touristisch erschlossenen Varadero im Norden unter, sondern im kargen Süden der Karibik-Insel, im Hotel „Playa Girón“.

Am 20. November, einem Sonnabend, fährt Miguel mit einem Boot zum Tauchen, Claudia mehrere Kilometer mit einem Fahrrad durch die unwirtliche Landschaft rund ums Hotel. Der Verleiher des Rades wird sich später an Claudia erinnern, weil er sie so schön fand in ihrem Shirt und den gelben Shorts mit Blumenmuster.

Auch 24 Jahre nach Claudias Verschwinden gibt ihre Familie nicht auf

Auch 24 Jahre nach Claudias Verschwinden gibt ihre Familie nicht auf

Foto: privat

Eine Stunde später kehrt die hübsche blonde Frau zurück, gibt das Rad ab und macht sich zu Fuß auf denselben Weg, den sie zuvor mit dem Fahrrad zurückgelegt hat. Angeblich hat sie sich mit einem griechischen Reiseführer namens Michalis verabredet. Was die beiden vorhatten, ist unklar. Fragen kann man Michalis nicht mehr, er ist vor acht Jahren an Krebs gestorben.

Auf ihrem Fußmarsch wird Claudia erneut gesehen: Einem Mann, der am Straßenrand Sand schaufelt, fällt ebenfalls die gelbe Shorts mit dem Blumenmuster auf.

Als seine Frau am nächsten Morgen immer noch nicht zurück im Hotel ist, erstattet Miguel de V. Anzeige bei der Polizei. Weil ein mehrtägiger Hausarrest und die Vernehmung nichts ergeben, darf er in die Heimat ausreisen. Er lebt noch heute in Hamburg.

Dieses Foto von Claudias Shorts wurde zu einem wichtigen Beweisstück

Dieses Foto von Claudias Shorts wurde zu einem wichtigen Beweisstück

Foto: privat

Die kubanischen Beamten informieren die Deutsche Botschaft in Havanna über Claudias Verschwinden, die wiederum das Auswärtige Amt in Berlin. Von dort geht die Nachricht an die Hamburger Kripo. Kriminalhauptkommissar Sven Baack hat an diesem Tag Bereitschaft bei der zuständigen Mordkommission. Auch in Hamburg wird Miguel de V. vernommen, den Polizisten übergibt er dabei eine analoge Einmal-Unterwasser-Kamera. Darauf: ein Foto von Claudia, aufgenommen wenige Tage zuvor. Sie trägt eine gelbe Shorts mit Blumenmuster.

Der Hamburger Hauptkommissar Baack wühlt sich durch den Fall, fliegt dreimal nach Kuba, um das Schicksal der jungen Deutschen aufzuklären. Vergeblich.

Grab in der Karibik

Vier Jahre später, 2013, reist Sven Baacks Sohn Steven (43) nach Kuba in den Urlaub. Auf Bitten seines Vaters besucht der junge Polizist, der in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, den Zentralfriedhof Cardenas im Norden der Insel. Über einen Kontakt hatte Baack Senior nach seiner Pensionierung erfahren, dass dort eine unbekannte Frauenleiche bestattet worden sei.

Ein Totengräber namens Juan, den der junge Polizist Steven Baack trifft, bestätigt ihm: „Ich habe Ende 1999 oder Anfang 2000 eine blonde unbekannte Frauenleiche in Grab 3026 bestattet.“

Seltsam jedoch: In den penibel geführten Büchern findet sich darüber kein Eintrag.

Polizist Steven Baack fand Claudias Grab auf Kuba

Polizist Steven Baack fand Claudias Grab auf Kuba

Foto: privat

Der Ermittler

2016 wird Steven Baack Chef der Einheit für „Cold Cases“: ungelöste Fälle, die lange zurückliegen, aber niemals vergessen werden sollen. Baack nimmt sich auch den „Fall Claudia von Weiss“ vor. Er ist ehrgeizig, außerdem ist er es seinem inzwischen pensionierten Vater schuldig – vor allem aber Claudias Angehörigen, findet Baack.

Querelen in der Hamburger Polizei führen jedoch dazu, dass Baack 2018 als „Cold Cases“-Chef abgelöst wird. Der Fall Claudia wird erneut unter „Ungeklärte Vermisstenfälle“ abgeheftet.

Doch Claudias Eltern und ihr Bruder geben sich damit nicht zufrieden, sie wenden sich an Dr. Gerhard Strate (73). Der Star-Anwalt aus Hamburg holt seinen Freund Steven Baack ins Boot, und der rollt den Fall erneut auf.

Baack nimmt sich im Februar 14 Tage, im Dezember noch einmal sieben Tage Urlaub, fliegt mit zwei befreundeten Polizisten auf eigene Rechnung nach Kuba – und hat Erfolg! Das Trio trifft erneut Totengräber Juan, der inzwischen 75 Jahre alt ist. Juan verifiziert ein Foto von Claudia, das ihm die deutschen Beamten zeigen, als jene Frau, die er vor 24 Jahren begraben hat. „Hundertprozentig“, sagt er. „Das ist sie!“

Totengräber erinnerten sich an die Bestattung einer unbekannten Frau

Totengräber erinnerten sich an die Bestattung einer unbekannten Frau

Foto: privat

Auch an das Äußere der Leiche und die Kleidung kann er sich genau erinnern: Sie war hübsch, blond und hatte einen Mittelscheitel. Und sie trug eine auffällige gelbe Shorts mit Blumenmuster.

Das Rätsel

Bei ihrem ersten Besuch auf Kuba hatten Steven Baack und seine Berufskollegen ein Zahn-Schema der Vermissten dabei. Gern hätten sie es mit den Schädeln in den „Totentürmen“ auf dem Friedhof Cardenas verglichen, in denen die Gebeine Verstorbener nach deren Verwesung aufgebahrt werden.

Doch nach ihrem ersten Besuch hinderte die kubanische Staatssicherheit sie an weiteren Nachforschungen. Warum? Ein Rätsel. Soll in dem kommunistisch regierten Land irgendetwas vertuscht werden, dass dem Tourismus schadet? Ist möglicherweise ein Prominenter in den Fall verwickelt?

Claudias Familie hat nun die traurige Gewissheit, dass sie tot ist und auf Kuba begraben wurde. Ist für sie der Fall damit abgeschlossen? Ihr Bruder Eckbert von Weiss sagt: „Wir sind dankbar dafür, dass wir endlich Klarheit über das Schicksal meiner Schwester haben. Aber Mama, Papa und ich würden uns wünschen, dass die Polizei weiter ermittelt.“

Denn eines fehlt noch: der Mörder.

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