Von Jahr zu Jahr wird der Fehlbetrag größer: Hartz IV und die Stromkosten

Dossier

Kampagne der Linkspartei: »Das muss drin sein.«: Sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV!„… Nun werden viele davon ausgehen, dass die Stromkosten eines Hartz IV-Haushaltes zu den „Kosten der Unterkunft und Heizung“ gehören – dem ist aber nicht so. Die sind im Regelbedarf enthalten: »Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie [!!] ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens«, so heißt es im ersten Absatz (…) des § 20 SGB II. (…) Die Stromkosten sind in dem Posten „Wohnen, Energie, Wohninstandhaltung“ in Höhe von derzeit noch 38,32 Euro pro Monat enthalten. (…) Zum 1. Januar 2021 soll der Regelbedarf für einen Alleinstehenden auf 439 Euro anheben werden – die diesem Betrag zugrundeliegende Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) sieht davon 35,30 Euro zur Begleichung der Stromkosten vor. Das hat aber nach den Berechnungen von Verivox mit der Realität nicht viel zu tun: »Die Stromkosten eines Singlehaushalts mit einem Verbrauch von 1.500 Kilowattstunden belaufen sich nach Verivox-Berechnungen im Bundesdurchschnitt aber auf monatlich 43,17 Euro. Das entspricht einem Minus von 22 Prozent in der Haushaltskasse. Für Hartz-IV-Empfänger, die Strom aus der Grundversorgung beziehen, ist die Lücke noch deutlich größer. Hier übersteigen die tatsächlichen Stromkosten von 48,75 Euro monatlich den Regelsatz um 38 Prozent.« (…) Die Schere zwischen dem, was im Regelbedarf für Stromkosten enthalten ist, und den tatsächlichen Stromkosten geht immer weiter auseinander: »Seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 ist der Regelsatz schrittweise um rund 27 Prozent gestiegen (von 345 Euro auf 439 Euro). Die Strompreise haben sich im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 61 Prozent verteuert, in der Grundversorgung sogar um 78 Prozent.«…“ Beitrag von Stefan Sell vom 30. August 2020 auf seiner Homepage externer Link und dazu:

  • Tacheles: Offener Brief an Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil und das BMaS zu Maßnahmen zur Abwendung von Energiearmut bisher unbekannten Ausmaßes New
    Angesichts der Energiekrise mit drastischen Teuerungsraten für Strom und Heizenergie richtet Tacheles einen offenen Brief an Minister Heil, in welchem konkrete Handlungsperspektiven und –notwendigkeiten aufgezeigt werden. Das Ganze wunderbar auf Twitter von @RosaLin99535919 kommentiert: „Es sollte unserem Sozialminister peinlich sein, dass sich ein Verein aufgerufen fühlt, aufgrund seiner Untätigkeit hinsichtlich eines BVerfG-Urteils, kleinteilig und fundiert die Arbeit seines Ministeriums zu übernehmen.“ In dem offenen Brief werden dezidiert konkrete Handlungsmöglichkeiten für Herrn Heil und das BMAS aufgezeigt, wie Energiearmut zu begegnen ist und die Rechtsprechung des BVerfG umgesetzt werden kann.“ Thomé Newsletter 16/2022 vom 17.04.2022 externer Link zum Offenen Brief vom 11.4.2022 bei Tacheles externer Link
  • Erwerbslose und Armutskonferenz kritisieren Gießkannenprinzip bei Energiehilfen: „Der notwendige Energieverbrauch muss übernommen werden“ – Regelsatz erhöhen! 
    Angesichts der Inflation und der durch den Ukraine-Krieg steigenden Energiekosten fordern Erwerbslosengruppen und die Nationale Armutskonferenz gezielte Hilfen für in Armut lebende Haushalte. „Während Erwerbstätige einen Energiekostenzuschlag von 300 Euro erhalten, bekommen Leistungsberechtigte in der Grundsicherung gerade einmal 200 Euro. Das wird in den wenigsten Fällen ausreichen, die ansteigenden Stromkosten aufzufangen“, kritisiert Jürgen Schneider vom Koordinierungskreis der Nationalen Armutskonferenz. Schneider ergänzt: „Damit ist auch noch lange nicht die Inflation ausgeglichen. Die drei Euro Regelsatzerhöhung, die es am Anfang des Jahres gab, ist weit hinter den tatsächlichen Kostensteigerungen zurückgeblieben.“ Schon vor Inflation, Pandemie und Ukraine-Krieg hätte der Regelsatz nach Berechnungen von Sozialverbänden mindestens 160 Euro höher liegen müssen, so Schneider…“ Pressemitteilung vom 8. April 2022 bei der Nationalen Armutskonferenz externer Link  (nak)

  • Energiearmut: Wenn sogar Jobcenter in Berlin Alarm schlagen und dringenden Handlungsbedarf sehen 
    „… Es gibt durchaus Überlegungen, diese Entwicklungen für einkommensschwache Haushalte abzufedern. Beispielsweise Preisdeckelungen, die aber von vielen, vor allem Ökonomen, eher kritisch bis ablehnend bewertet werden. Sinnvoller wären Transferzahlungen, um Haushalte zu unterstützen, so eine in diesem Kontext immer wieder vorgetragene Argumentation. Und auch energiearme Haushalte haben oftmals einen hohen Verbrauch – weil sie oftmals in schlecht isolierten Wohnungen mit alten Heizsystemen leben. Sie können sich zudem keine neuen, energieeffizienten Haushaltsgeräte leisten. Insofern werden seit langem Maßnahmen auf dieser Baustelle gefordert und ausprobiert, vom Stromspar-Check bis zu energetischen Sanierungen. In manchen Städten wie etwa in Duisburg und Paderborn gibt es einen „Klimabonus“ – die Städte erlauben Sozialhilfeempfängern höhere Mieten, sofern die ausgewählte Wohnung einen höheren energetischen Standard hat. Eine andere Idee wären Sozialtarife: Die ersten Kilowatt-Stunden auf der Stromrechnung wären kostenlos. Alles, was darüber hinausgeht, würde als Luxus-Verbrauch stark zur Kasse gebeten. (…) Schauen wir auf die große Gruppe derjenigen, die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) beziehen. (…) Hinsichtlich der Heizkosten kann man also sagen, dass eigentlich, grundsätzlich die „tatsächlichen“ Aufwendungen übernommen werden (müssen). Wenn das gegen eine wie auch immer definierte Angemessenheitsgrenze verstößt, dann kann man durch eine Anhebung dieser Grenze mögliche erhebliche Kostenanstiege kompensieren. Aber nur, wenn das Jobcenter nicht versucht, über die Nicht-Angemessenheit nur eine Teil-Kompensation durchzudrücken. (…) Etwas anders sieht es aus beim Strom, denn der ist Bestandteil der Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts. Für 2022 bekommt ein alleinstehender Leistungsberechtigter monatlich 449 Euro (die Regelbedarfsstufen nach § 8 Absatz 1 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes werden zum 1. Januar 2022 um 0,76 Prozent erhöht). In diesem Betrag enthalten sind exakt 38,07 Euro pro Monat für „Wohnen, Energie, Wohninstandhaltung“. Die Stromkosten werden also nicht in tatsächlicher Höhe übernommen, sondern müssen aus der Pauschale gedeckt werden bzw. wenn die nicht reicht, müssen die betroffenen an anderer Stelle bei den Leistungen für den Lebensunterhalt Abstriche machen, um das gegenfinanzieren zu können. (…) [BVerfG, 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 Rnr. 111]: „Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden (oben C II 2 e bb)*. Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.“ Angesichts der beschriebenen Energiepreisentwicklung der vergangenen Monaten und in Erwartung dessen, was in den kommenden Monaten noch auf uns zukommen wird, kann man die klare Anweisung seitens des BVerfG eigentlich nicht missverstehen. Wir werden mit Spannung darauf warten, ob und welche Antwort aus dem Bundesarbeitsministerium kommen wird.“ Beitrag von Stefan Sell vom 14. März 2022 auf seiner Homepage externer Link
  • Inflation, Energiekosten und Corona – Sofortzuschlag von 100 € jetzt! 
    Die Regelleistungen im SGB II/SGB XII und AsylbLG sind um 0,76 % (bzw. 3 und sogar nur 2 EURO gestiegen).
    Die Inflationsrate bzw. „Teuerungsrate“ ist in Deutschland derzeit auf dem höchsten Stand seit fast 30 Jahren. Im Dezember 2021 lag sie bei 5,3 Prozent im Vergleich zum Dezember 2020. Eine höhere Inflation gab es letztmals im Juni 1992 mit damals 5,8 Prozent, erklärte das Bundesamt für Statistik am 6.1.2022. (PM von Destatis ) Die Regelleistungen im SGB II/SGB XII und AsylbLG waren schon immer unzureichend, sind jetzt erst recht unzureichend.
    Gleichzeitig explodieren die Stromkosten, auch diese müssen aus den Regelleistungen erbracht werden. Ganz zu schweigen von coronabedingten Mehrkosten, bis hin zu den Kosten für FFP2-Masken.
    Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen beiden Regelsatzurteilen von 2010 und 2014 für den Fall einer solchen Situation vorgegeben:
    Kommt es zu kurzfristig „auftretende[n], extreme[n] Preissteigerungen“ sei zwingend eine kurzfristige Anpassung vorgeschrieben.
    Dies wurde in dem Kurzgutachten von Prof. Anne Lenze externer Link hervorragend rausgearbeitet.
    Exakt eine solche Situation, die das BVerfG genannt hat, liegt jetzt vor, die Lebenshaltungs- und Energiekosten schnellen in die Höhe und es ist daher JETZT an der Zeit, dass es einen Sofortzuschlag von 100 € geben muss.
    Die Ampel wird sich daran messen lassen müssen, ob ihr weiterhin die Lebenssituation von Millionen Menschen egal ist und sie deren Würde durch  Ignoranz und trotz der Vorgaben des BVerfG mit Füßen tritt oder ob sie jetzt etwas tut.
    Dazu auch das LabourNet und die Forderung von Tacheles externer Link : Herausnahme der Bedarfe für Haushaltsenergie aus dem Regelbedarf und Berücksichtigung als Kosten der Unterkunft
    .“ Aus dem Thomé Newsletter 01/2021 vom 08.01.2022 (per e-mail, noch nicht online) – wir schließen uns an!
  • Stromlücke vergrößert sich: Hartz IV kann Energiekosten nicht decken 
    Trotz höherer Hartz-IV-Regelsätze seit Jahresbeginn reicht das Geld für die Betroffenen laut dem Vergleichsportal Verivox immer weniger aus, um die stark steigenden Strompreise zu decken. Demnach muss ein Single-Hartz-IV-Haushalt jährlich derzeit 139 Euro beziehungsweise knapp 32 Prozent mehr für Energie zahlen, als der Stromkostenanteil im Regelsatz abdeckt. Seit Ende September hat sich diese Stromkostenlücke für Bezieher von Arbeitslosengeld II damit um 44 Euro erhöht, wie Verivox mitteilte. „Im Jahr 2022 steigt der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen um drei Euro auf 449 Euro pro Monat“, heißt es beim Vergleichsportal. „Davon sind rein rechnerisch 36,44 Euro für die Begleichung der Stromrechnung vorgesehen.“ Die Stromkosten eines Singlehaushalts mit einem Verbrauch von 1500 Kilowattstunden beliefen sich nach Verivox-Berechnungen im Bundesdurchschnitt jedoch auf 48 Euro pro Monat. In Haushalten, in denen auch Wasser mit Strom erhitzt wird – etwa über einen Durchlauferhitzer – steigen die Kosten noch einmal deutlich…“ Meldung vom 01. Januar 2022 bei n-tv externer Link

  • Hartz-IV-Erhöhung 2022 reicht nicht für Stromkosten
    Durchschnittlicher Preis der Grundversorgung 29 Prozent über Regelbedarf für Strom – Stromgrundversorgung: Preiserhöhung in 499 Fällen
    Das Arbeitslosengeld II (ALG II) steigt zum Jahreswechsel zwar minimal auf 449 Euro monatlich.1 Gleichzeitig kommen auf Verbraucher*innen aktuell deutliche Preissteigerungen beim Strom zu. Das führt dazu, dass Hartz-IV-Empfänger*innen in der Stromgrundversorgung durchschnittlich 136 Euro mehr im Jahr für Strom ausgeben müssen, als das ALG II vorsieht. Die Hartz-IV-Pauschale für Wohnen, Energie und Wohninstandhaltung beträgt ab 2022 rund 463 Euro im Jahr.2 Bei einem Jahresverbrauch von 1.500 kWh Strom ergeben sich in der Grundversorgung im Schnitt jedoch jährliche Kosten in Höhe von 599 Euro. Damit liegen die Stromkosten 29 Prozent über der Pauschale…“ CHECK24-Pressemitteilung vom 30.12.2021 externer Link
  • [Tacheles] Energiearmut beenden – Forderungen an die künftige Bundesregierung
    Die Energiepreise steigen schon seit Jahren kontinuierlich an und damit auch das Risiko von Energiearmut. (…) Dass die Höhe der Regelbedarfe im Allgemeinen, und der darin enthaltene Anteil für Haushaltsenergie im Speziellen vollkommen unzureichend sind, wurde bereits in zahllosen Studien belegt und von Betroffenen- und Wohlfahrtsverbänden immer wieder kritisiert.
    Folgen dieser Bedarfsunterdeckung sind Verschuldung und insbesondere Stromsperren (289.012 im Jahr 2019). Knapp die Hälfte der Stromsperren entfallen auf Haushalte, die Leistungen der Grundsicherung beziehen und bedeuten für die Betroffenen, das elektrische Geräte nicht nutzbar sind, sie wortwörtlich im Dunkeln sitzen, da sie abends kein Licht haben, kein warmes Essen zubereiten können, keine Lebensmittel kühlen, z.T. kein warmes Wasser haben und teilweise auch nicht mehr heizen können.
    Diese Zahlen belegen, dass die Leistungen der Grundsicherung (nach SGB II, SGB XII und AsylbLG) offensichtlich nicht ausreichen, um das materielle Existenzminimum in Bezug auf anfallende Energiekosten zu decken. Der Anteil des Regelbedarfs, welcher zur Deckung der Stromkosten vorgesehen ist, ist deutlich zu niedrig bemessen. Gleichzeitig erfolgt die Neuberechnung der Regelbedarfe auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) nur alle 5 Jahre – dazwischen erfolgt eine jährliche Fortschreibung gem. § 28 a SGB XII -, so dass eine kurzfristige Reaktion und Anpassung der Regelbedarfe, z.B. bei sprunghaft ansteigender Energiepreise, nicht möglich ist. Auch dass Leistungsbeziehende häufig höhere Energiebedarfe haben, z.B. aufgrund alter, ineffizienter elektronischer Geräte, schlecht isoliertem Wohnraum und Energiebelieferung durch den (teureren) Grundversorger (ein Wechsel zu einem anderen Energielieferanten ist z.B. wegen einem negativen Schufa-Eintrag oft nicht möglich), findet keine Berücksichtigung bei der Bemessung der Leistungshöhe. Angesichts immer weiter steigender Kosten für Heizung und Strom und damit einhergehend wachsender Energiearmut, fordern wir die zukünftige Bundesregierung auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Folgende Änderungen sind dabei aus unserer Sicht notwendig…“ Forderungen von Tacheles vom 17.11.2021 externer Link:

    • Angemessenheitsgrenzen anhand des Verbrauchs statt der Kosten bemessen
    • Herausnahme der Bedarfe für Haushaltsenergie aus dem Regelbedarf und Berücksichtigung als Kosten der Unterkunft
    • Berücksichtigung von Heizungs- und Stromkosten beim Wohngeld
    • Förderung von Energieeffizienz
    • Energiesperren stoppen
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177596
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