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CDU Blamierte Frondeure

Helmut Kohls Widersacher waren sich nicht einig. Ihr Putsch gegen den CDU-Vorsitzenden schlug fehl.
aus DER SPIEGEL 36/1989

Helmut Kohl vermied jeden lauten Ton. Ohne Schärfen redete er am vergangenen Montag im CDU-Präsidium über den Grund seiner Trennung von Heiner Geißler, das fehlende Vertrauen. Ohne Widerspruch hörte er sich den Vorwurf Norbert Blüms an, er habe sich »einer schweren Verletzung des von Christen abverlangten Umgangs mit Menschen« schuldig gemacht.

Schmunzelnd verfolgte er die Artigkeiten Walter Wallmanns, der dem Parteivorsitzenden auch noch seinen »Dank« dafür abstattete, daß er ihn bei seiner Generalsekretärs-Entscheidung übergangen hatte: Er wisse es zu schätzen, daß er »nicht gefragt« worden sei und sich deshalb nicht habe entscheiden müssen.

Milde nahm Kohl auch zur Kenntnis, daß Lothar Späth seine weitere Mitarbeit im Präsidium von mehr Mitspracherechten abhängig machte. Er, Späth, sei ja ein fröhlicher Mensch, »aber auch nicht so fröhlich, daß ich immer hier drin sitzen muß«.

Als dann endlich der CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep ganz unbefangen die Geißler-Freunde Lothar Späth, Ernst Albrecht und Rita Süssmuth fragte: »Also gibt es hier eine Gegenkandidatur?« und nur die Antwort kam, der Kampf um Parteivorsitz und Kanzlersessel sei abgeblasen, da wirkte Helmut Kohl ganz entspannt. Friedfertig, beinahe wohlwollend gab er sich gegenüber seinen Feinden, die in der Beletage des Bonner Adenauer-Hauses mit ihm am Tisch saßen. Sie hatten ihm das Siegen wahrlich leichtgemacht.

Amateure hatten gegen einen Altmeister des Fachs konspiriert. Hinter Kohl und seinem »Urteil« (Blüm) gegen Geißler stand eine satte Mehrheit im Parteivorstand. Es zahlte sich aus, daß Kohl sich in der CDU durch jahrelange Kontaktpflege bis in die Ortsverbände hinein und durch die Vergabe von Ämtern und Pfründen ein Netz von Unterstützern und Zuträgern gewoben hatte.

Die Viererbande Geißler, Späth, Albrecht, Süssmuth steht blamiert vor der ganzen Partei. Das CDU-Volk hatte erst nicht glauben wollen, daß Spitzenleute den CDU-Chef stürzen wollten. Dann aber, als es nicht mehr zu verheimlichen war, sah die Partei nur Stümper am Werk. Das wird Folgen haben - wahrscheinlich schon bei den Neuwahlen zum Präsidium auf dem Bremer Parteitag in der kommenden Woche. Bei den Christdemokraten sind Revoluzzer nicht beliebt, Revoluzzer ohne Mut und Erfolg ganz und gar nicht.

Beim Vorbereiten des Putsches gegen Helmut Kohl war so ziemlich alles schiefgelaufen. Es wurde zuviel geredet, zuwenig geplant und zum Schluß gar unbedacht gehandelt.

Spätestens seit dem Frühjahr hätte Geißler klarsein müssen, daß Kohl ihn nicht mehr als Generalsekretär will. Der Kanzler bot ihm bei der Kabinettsumbildung den Posten des Innen- oder Verteidigungsministers an unter der Bedingung, daß Geißler das Amt des Generalsekretärs allenfalls noch bis zum Bremer Wahlparteitag im September beibehalte. Damals streuten Kohl-Mitarbeiter zum erstenmal, Kohl wünsche sich eine Frau als Generalsekretärin, seine Favoritin sei die - später dann wegen negativer Reaktionen in der Partei fallengelassene - Literaturprofessorin Gertrud Höhler.

Geißler lehnte das Kanzlerangebot nach kurzer Bedenkzeit ab und war unvorsichtig genug, im persönlichen Gespräch mit Telefonpartnern Kohls wie dem bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl seine Motive zu erkennen zu geben: Er wollte, ungehindert durch Kabinettsdisziplin, als Generalsekretär freie Hand haben für einen Sturz Kohls nach einer krachend verlorenen Europa-Wahl oder nach dem Verlust des noch CDU-regierten Landes Niedersachsen.

Auch Geißlers Mitverschwörer mißachteten Grundregeln eines Machtkampfs im Untergrund. Rita Süssmuth plauderte über das Aus für Kohl mit dem Rheinland-Pfälzer Bernhard Vogel, als ob der jeglichen Kontakt zu seinem Landsmann im Kanzleramt abgebrochen hätte. Lothar Späth schwadronierte vor Industriellen über einen Aufstand in Bonn und vertraute vorletzte Woche bei einem Besuch in Oberbayern dem CSU-Mann Streibl an, in der CDU-Präsidiumssitzung am Montag werde es eine klare Mehrheit gegen Kohl geben.

Der Kanzler war so stets auf dem laufenden über die Umtriebe seiner Parteigegner.

Auch am inneren Zusammenhalt der Frondeure um den Möchtegern-Kanzler Späth haperte es; sie einte nur das Nein zu Kohl. Mit dem Egozentriker Albrecht aus Hannover verbindet Späth gegenseitige Abneigung; mit den Reformideen der CDU-Linken Süssmuth und Geißler hat Späth, der sich bei der Ausländer- oder Abtreibungspolitik gern als Rechter gibt, nicht viel im Sinn.

Am Tag X - bis zum vorletzten Montag hatte Geißler im Vertrauen auf seinen Rückhalt beim Parteivolk nicht an einen Rausschmiß durch Kohl geglaubt - wußten die vier dann nicht, wie es weitergehen sollte. Einzige Vorsorge: Sie hatten ihre Telefonnummern ausgetauscht. Urlauber Albrecht mußte in der Steiermark an den Apparat eines Bergbauern geholt werden.

Aus dem Zorn des Augenblicks heraus entschied sich Geißler für eine Pressekonferenz mit harten Anklagen gegen den CDU-Chef. Die Empörung an der Basis über Kohls Kündigung für Geißler war groß - doch der Generalsekretär konnte die Gunst der Stunde nicht mit der Präsentation eines Gegenkandidaten nutzen. Nur so, wenn überhaupt, wäre Kohl in die Defensive zu drängen, die in der Partei aufgestaute Unlust an dem Wahlverlierer in eine Diskussion über Vorzüge und Nachteile der Kandidaten zu lenken gewesen. Die Kohl-Gegner aber hatten sich nicht einmal darüber verständigt, wer denn nun - Späth oder Rita Süssmuth - als Herausforderer des Parteivorsitzenden antreten solle.

So verstrich wertvolle Zeit, General Geißler fand keine Truppen.

Vergebens beschwor er den nordrhein-westfälischen CDU-Vositzenden Blüm, doch Abschied zu nehmen von dem Gedanken, er müsse in einer solch wichtigen Frage seinen Landesverband weitgehend geschlossen hinter sich haben. Sei der Befreiungsschlag einer Gegenkandidatur erst einmal geführt, so Geißler, werde dies im Medienzeitalter eine »Eigendynamik« entwickeln - quer durch alle Landesverbände.

Die vier trafen sich am vorletzten Sonntag mit Blüm im Gästehaus der baden-württembergischen Landesvertretung in Bonns Argelanderstraße. Am Morgen noch hatte Albrecht am Telefon Geißler versichert, er sei nun bereit, sich auch öffentlich hinter einen Gegenkandidaten zu stellen.

Beim Treffen am Sonntag abend hatte Albrecht der Mut schon wieder verlassen. In Niedersachsen seien Neuwahlen wohl schwer zu umgehen, mit einer Kohl-Revolte würde er die Parteirechte gegen sich aufbringen, er mache nicht mit. Tags drauf im CDU-Bundesvorstand tat er sich dann auch nicht mehr als Kohl-Kritiker hervor.

»Ich bin ratlos«, sagte Blüm ein ums andere Mal, er sei in Gewissensnöten. Sosehr er für einen Neuanfang in Bonn sei, er fühle sich auch Kohl verbunden.

In Wahrheit war Blüm längst zum Nein entschlossen und blieb auch dabei, als man sich nach Mitternacht trennte. Kohl hatte ihn mehrfach angerufen.

»Wie christlich gehen denn die mit mir um?« hatte der Kanzler die Appelle Blüms zu mehr Nächstenliebe gekontert. Und Kohl versprach Blüm, er werde hinter ihm stehen, wenn demnächst die Kommunalwahlen und später auch die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen für die CDU schlecht ausgehen sollten. Das zog. Außerdem wußte Blüm: Würde er öffentlich für einen Herausforderer Kohls Partei nehmen, müßte er seinen Platz in Kohls Kabinett räumen.

Ähnliche Gespräche führte Kohl mit vielen Mitgliedern des Parteivorstandes in allen Teilen der Republik. Das Netz seiner Beziehungen, sein Instinkt für Macht und Menschen bewährten sich.

Heiner Geißler wird zwar von seinen politischen Gegnern um seine gut organisierte und mit ergebenen Zuarbeitern bestückte Parteizentrale beneidet. Aber der Apparat kann bei Funktionären und Mitgliedern kaum etwas ausrichten, wenn Kohls Vertraute bis in die letzten Ortsverbände hinein zur Gegenpropaganda antreten. »Das ist einer der Pluspunkte Kohls«, pries ein Kanzlerberater das Geschick seines Herrn, »daß er sich um Leute in der Partei kümmert, nicht nur in Notsituationen, auch sonst. Das zahlt sich dann aus.«

Die kleinen Revoluzzer im CDU-Präsidium fügten sich kleinlaut, als Kohl es am Donnerstag vergangener Woche ablehnte, seine Macht und die seines neuen Generalsekretärs zu teilen und mehr Zuständigkeiten an die Mitglieder des Präsidiums abzugeben. Es blieb bei Empfehlungen, an seine satzungsmäßigen Rechte ließ Kohl nicht rühren.

Brav wollen sich nun alle Gedeckelten, Geißler eingeschlossen, in Bremen wieder um einen Sitz im Präsidium bewerben, das der Parteichef bei seiner Entscheidung gegen Geißler so souverän mißachtet hatte.

Lothar Späth möchte am liebsten so tun, als sei nichts passiert. »Gelegentlich gibt's auch bei uns mal 'nen Hauskrach«, verniedlichte er beim Wahlkampf am Mittwoch in Krefeld das Projekt Kanzlersturz. »Und der wird bei uns abgewickelt wie in ordentlichen Familien. Erst kracht's, dann reden wir miteinander, und dann zeigt man, daß man zusammengehört.« f

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