
Frenzel: „Meine Empfehlung lautet: Ruhe bewahren“
Welche Festlegungen sollten der Betrieb oder die Einrichtung unbedingt vorab treffen?
Frenzel: Die SARS‐CoV‐2‐Pandemie ist nicht die erste Pandemie. Pandemien hat es schon immer gegeben – selten mit den Auswirkungen, wie wir sie gerade erleben. Das stellt Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Unternehmen, die schon aus vorangegangenen Ereignissen gelernt haben, verfügen über einen Pandemieplan. Unternehmen und Einrichtungen, die ein solches Werk noch nicht erstellt haben, sollten deshalb jetzt unbedingt damit beginnen.Was gehört zur Pandemieplanung?
- Teilnehmende für einen Krisenstab definieren (denken Sie an Ihre Fachkraft für Arbeitssicherheit und Ihren Betriebsarzt sowie die Beschäftigtenvertretung)
- Kommunikation der verantwortlichen Ansprechpartner an alle Partner
- Kommunikationswege festlegen
- Hygienisches Verhalten schulen und einfordern
- Vertretungsregelungen organisieren, ggf. Prozesse im Unternehmen umstrukturieren wie Alternativen zur Präsenz am Arbeitsplatz („Homeoffice“, ...)
- Umgang mit Erkrankungen regeln
- ...
Inwiefern ist die Infektionsgefahr in den Gefährdungsbeurteilungen zu berücksichtigen? Inwiefern hafte ich als Unternehmer im Falle einer Ansteckung?
Frenzel: Die Infektionsgefahr ist in der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. Bei der Risikobewertung wird die Wahrscheinlichkeit eines Gesundheitsschadens bestimmt. Dazu wird dann die Gefahr bewertet, hier der Virus mit seinen krankmachenden Eigenschaften, und die Exposition abgeschätzt, die Dosis-Wirkungs-Beziehungen werden ermittelt. Das muss aber nicht jeder Unternehmer für sich alleine tun. Die Arbeitsschutzausschüsse im BMAS haben die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel entwickelt und veröffentlicht. Diese Regel soll Unternehmern Orientierung und Rechtssicherheit bieten.Zu Ihrer Frage der Haftung: Im Unternehmen wird es schwierig werden (außer beim gezielten Umgang mit dem Virus wie in Krankenhäusern, Arztpraxen oder Laboren), den Ursprung tatbestandlich und beweisrechtlich eindeutig zu lokalisieren. Zudem stellen die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen den Arbeitgeber von der zivilrechtlichen Haftung frei (Haftungsablösung gemäß SGB VII). Allerdings kann die Berufsgenossenschaft Regress nehmen – bei vorsätzlichem oder grob-fahrlässigem Handeln oder Unterlassen. Arbeitgeber, die die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel anwenden, können davon ausgehen, dass sie rechtssicher handeln und nicht haften.
Welche Erfahrungen machten Unternehmen, die kurzfristig ins Homeoffice wechseln mussten und haben Sie Empfehlungen für zukünftige Verfahrensweisen?
Frenzel: Die Bandbreite meiner Erfahrungen ist unterschiedlich – von mehr schlecht als recht bis sehr gut. Das liegt unter anderem an Arbeitsabläufen und Prozessen im Unternehmen. Wie gut sind diese bekannt und strukturiert und vieles mehr? Zum anderen spielen die technischen und örtlichen Möglichkeiten eine immens wichtige Rolle. Zum Beispiel gab es Engpässe bei der Beschaffung von Webcams und Mikrofonen.Waren die Beschäftigten dann erst einmal im Homeoffice, sehnten sich viele nach kurzer Zeit wieder an ihren Arbeitsplatz im Büro zurück. Die psychische Beanspruchung stieg für viele nachweislich an – da nicht nur der Kontakt zu Arbeitskollegen fehlte –, sondern teilweise noch Homeschooling erfolgen musste. In manchen Haushalten waren auch beide Partner im Homeoffice; das führte zu Dissonanzen bei der Abstimmung der Nutzung von Technik einschließlich Internetbandbreiten.
Unternehmen, die jetzt ihre Organisationsprozesse zur Betriebsfähigkeit im Rahmen einer systematischen Überprüfung unterziehen, werden in Zukunft wesentlich gelassener mit Überraschungen jeglicher Art umgehen können.
Ich plädiere, ein Business Continuity Management System, beispielsweise auf Basis der DIN EN ISO 22301, zu implementieren – es muss aber gelebt und nicht zertifiziert werden. Darin wären dann vielleicht – je nach Unternehmen – sogar verschiedenste Modelle enthalten, wie der klassische Büroarbeitsplatz vor Ort, aber auch alternierende Teleheimarbeit (Homeoffice) oder Telearbeit im Satellitenbüro. Wer sich intensiver mit dem Thema "Mobiles Arbeiten Zuhause" beschäftigen möchte, dem sei die gleichnamige Ausarbeitung des VDSI zur Lektüre empfohlen.
Was raten Sie Unternehmen im Hinblick auf die kommenden Wintermonate?
Frenzel: Meine Empfehlung lautet: Ruhe bewahren, trotz Aufgeregtheit der Medien. Um es mit den Worten des Direktors des Instituts für Virologie an der Uniklinik Bonn, Hendrik Streeck, zu sagen: „Corona wird nicht unser Untergang sein.“ Daher darf man nicht nur auf die Infektionszahlen schauen.Mein Rat an die Verantwortlichen im Unternehmen:
- Schauen Sie in die (fast tages-)aktuellen Fassungen der Regelungen Ihres Bundeslandes, aber auch in die Allgemeinverfügungen Ihrer Stadt/Ihres Kreises.
- Am Arbeitsplatz gilt das Arbeitsschutzrecht (Ausnahmen siehe vor). Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Seit dem 20.08.2020 steht ihm als Hilfestellung die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel zur Verfügung. Sie enthält Maßnahmen, mit denen das Infektionsrisiko für Beschäftigte gesenkt und auf niedrigem Niveau gehalten werden kann. Die BAUA weist darauf hin, dass gleichwertige oder strengere Regeln, zum Beispiel aus der Biostoffverordnung oder aus dem Bereich des Infektionsschutzes, weiterhin beachtet werden müssen.
- Die Rangfolge der Schutzmaßnahmen ist in § 4 Allgemeine Grundsätze des Arbeitsschutzgesetzes vorgegeben. Technische Maßnahmen haben immer Vorrang vor organisatorischen Maßnahmen. Nach den organisatorischen Maßnahmen kommen erst als letztes Mittel personenbezogene Maßnahmen zum Tragen - T - O - P - Prinzip.
- Achten Sie darauf, dass Ihre Beschäftigten den Abstand wahren (Kurzzeitkontakte/Kurzzeitbegegnungen sind unkritisch: siehe SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel und Hinweise des RKI - Kontakte zwischen Personen, die von Angesicht zu Angesicht (Face-to-face) kumulativ weniger als 15 Minuten andauern).
- Hygiene ist immer wichtig – reinigen reicht aber in den meisten Fällen. Es muss nicht immer gleich die Desinfektion sein! (Siehe dazu folgende RKIn Links: RKI 1 und RKI 2)
- Lüften Sie regelmäßig. Bitte keine Luftreiniger verwenden lassen, die nicht über einen HEPA-Filter (H13 oder H14) verfügen.
- Informieren Sie sich bitte regelmäßig auf Webseiten wie www.baua.de oder www.dguv.de.
- Binden Sie Ihre betrieblichen Experten, Ihre Fachkraft für Arbeitssicherheit und Ihren Betriebsarzt, noch stärker ein.
- ...
Dr. Hartmut Frenzel |
Dr. Hartmut H. Frenzel berät als Freiberufler bundesweit Unternehmen unterschiedlichster Branchen zu Betreiberpflichten, sei es Arbeitsschutz, Umweltschutz, Brandschutz oder Gefahrgut. Er hat sich als Mitglied des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater e.V. den strengen BDU-Berufsgrundsätzen und den BDU-Qualitätsstandards unterworfen. Er ist zudem Verfasser zahlreicher Bücher und Fachaufsätze. Mehr unter www.hartmut-frenzel.de |
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