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GEHEIMNISSE Am Telefon vorsichtig

aus DER SPIEGEL 28/1952

Letzte Woche, als die Bundeshaus-Putzfrauen auf Betriebsausflug gingen und die Abgeordneten sich zu Hause für die letzte außenpolitische Redeschlacht vor den Ferien präparierten, wurde in Bonn - im Regierungsviertel - ein ganz besonders seltener Gast gesehen. Nur wenige erkannten den großen, schwarzhaarigen Mann mit der dunklen Hornbrille. Und niemand weiß bis heute, was er wohl in der Bundeshauptstadt gewollt haben mag.

Daß ihn so gut wie niemand erkannte, lag vor allem daran, daß der hornbebrillte Hans-Konrad Schmeißer früher einmal - als er in Köln und Bonn noch mit den maßgeblichen Männern der CDU verhandelte - ein Menjou - Bärtchen trug. Damals - 1948/49 - hieß Schmeißer noch schlicht René Levacher.

Der kleine Namenswechsel war ihm damals nicht weiter schwergefallen: Schmeißer war zu jener Zeit Chef - Agent des Service de Documentation et Contre-Espionage (SDECE), des dem französischen Ministerpräsidenten unmittelbar unterstehenden französischen Nachrichtendienstes. Sein Arbeitsgebiet war der Nordteil der heutigen Bundesrepublik.

Das plötzliche Auftauchen Schmeißers letzte Woche in Bonn hat indessen schon zu den kühnsten Kombinationen Anlaß gegeben. Eine davon besagt, daß Schmeißer wegen etlicher Dinge, die ihm noch aus seiner früheren Agenten-Tätigkeit in Erinnerung sind, mit einigen Bonner Persönlichkeiten ein gentlemen's agreement getroffen haben könnte. Derart etwa, daß diese Dinge auch weiterhin mit dem Mantel der Nächstenliebe zugedeckt bleiben sollten.

Hans-Konrad Schmeißer alias René Levacher, 32, Sohn des 1945 im KZ Neubrandenburg ermordeten letzten Landgerichtspräsidenten von Stettin, ist nur einer aus der nicht kleinen Gruppe deutscher Irrläufer, die sich nach dem Kriege im Netz des französischen Nachrichtendienstes verfingen. Seine Intelligenz und seine Verhandlungskunst aber ließen ihn lange Zeit an die Spitze des französischen Agentenapparates in Westdeutschland rücken.

Vier Jahre blieb Schmeißer im französischen Dienst. Vor einem guten halben Jahr nutzte er schließlich die letzte ihm von deutscher Seite gebotene Chance: er kehrte seinen Auftraggebern in Paris und Saarbrücken den Rücken, um fortan in Westdeutschland als Journalist wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.

Dabei etablierte er sich nicht etwa in Bonn, sondern im »roten« Hessen, in Frankfurt. Und gleich vom Tage seiner Ankunft an erfreute er sich dort eines ungewöhnlich regen Interesses von Bonner Regierungsstellen, die systematisch die Behauptung verbreiten ließen, Schmeißer stehe »mit größter Wahrscheinlichkeit auch jetzt noch nicht auf der deutschen, sondern auf der anderen, früheren Seite«.

Doch selbst offizielle Bonner Vorstöße bei der hessischen (SPD) - Regierung verpufften ergebnislos. Indessen glauben viele Leute, daß die Bundesbehörden nur deshalb solch ein Interesse für Konrad Schmeißer zeigten, weil sie befürchteten, Schmeißer könne in Frankfurt seine Memoiren oder Ähnliches schreiben.

Solcher Memoiren interessantester Teil würde zweifellos mit dem Tage beginnen, an dem Schmeißer von der SDECE nach Boppard am Rhein versetzt wurde.

Im Frühjahr 1948 war es, als René Levacher alias Konrad Schmeißer von seinem Büro im französisch besetzten Boppard aus sein deutsches Agentennetz zu spinnen begann. Bald wurden einige Dutzend Leute von ihm mit Geld oder Naturalien oder mit beidem regelmäßig für ihre Nachrichtenjagd entlohnt.

Nur den Verkehr mit der gehobenen westdeutschen Prominenz behielt sich Schmeißer selbst vor. Dabei ergab es sich, daß von seinen neuen Bekannten drei Namen besonders häufig in seinem Notizbuch zu finden waren:

* Dr. Adolph Reifferscheidt, damals Wirtschaftsreferent bei der CDU-Zonenleitung in Köln, heute Generalkonsul der Bundesrepublik in Casablancac;

* Legationsrat Herbert Blankenhorn, seinerzeit Generalsekretär der CDU in Köln, heute Ministerialdirektor und Leiter der politischen Abteilung im Bonner Auswärtigen Amt;

* Dr. Konrad Adenauer, damals Zonen-Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Union, heute Bundeskanzler.

Zunächst machte sich Schmeißer im Sommer 1948 an Dr. Reifferscheidt heran.

Das war nicht gerade ein Kunststück, denn Reifferscheidt - so erinnert sich Schmeißer - habe damals, 1948, die Separation des linken Rheinufers von Deutschland und - mit der Saar als Vorbild - einen wirtschaftlichen Anschluß dieses Gebietes an Frankreich auf seine Fahnen geschrieben. Schmeißer: »Reifferscheidt bat mich, seine Absichten in Paris vorzutragen und ihn bei der Verwirklichung seines Planes zu unterstützen.«

Schmeißer tat, wie gewünscht, und baute seinen Kontakt zu Reifferscheidt weiter aus. Dabei - so berichtet Schmeißer - habe ihm Reifferscheidt auch eine Liste mit den einflußreichsten westdeutschen Persönlichkeiten überreicht, die gleichfalls eine Loslösung des Rheinlandes angestrebt hätten. »Eine Abschrift dieser Liste habe ich damals sofort nach Paris geschickt, und das Original wurde von mir in der Schweiz deponiert.«

Ganz genau weiß Schmeißer noch: »Reifferscheidt ließ auf eigene Kosten für an die 1000 Mark Flugschriften drucken, die gleichfalls für eine Loslösung des Rheinlandes Propaganda machten. Aber er kam damit zu spät. Paris hielt die Durchführung dieses Planes zu jener Zeit auf Grund der veränderten politischen Konstellationen schon nicht mehr für realisierbar.«

Im Gebäude der CDU-Zonenleitung in Köln, Robert-Heuser-Straße, wurde Schmeißer dann durch Reifferscheidt mit dem CDU-Generalsekretär, Legationsrat Herbert Blankenhorn, bekannt gemacht. Schmeißer: »Reifferscheidt hatte mir schon vorher angedeutet, daß sowohl Blankenhorn als auch Dr. Adenauer für einen engsten Kontakt mit Frankreich zu gewinnen seien.«

»Mit Blankenhorn habe ich mich - als offizieller Beauftragter des französischen Nachrichtendienstes - zunächst lange über politische und nachrichtendienstliche Dinge unterhalten.« Dabei habe, so erinnert sich Schmeißer, Blankenhorn jedoch betont, daß er die Entscheidung über die konkreten französischen Vorschläge betreffs einer Zusammenarbeit Dr. Adenauer überlassen müsse.

Weiter Schmeißer: »Als wir darauf mit Dr. Adenauer eine halbe Stunde gesprochen hatten, schickte Dr. Adenauer Blankenhorn aus dem Zimmer. Anschließend habe ich noch gut zwei Stunden allein mit Dr. Adenauer verhandelt.«

»Nach dieser Unterredung beauftragte Dr. Adenauer Blankenhorn, mir sämtliche Unterlagen und Hilfsquellen der CDU - soweit sie für mich von Interesse waren - regelmäßig zur Verfügung zu stellen. Um keine unnötigen Schwierigkeiten heraufzubeschwören, wurde beschlossen, daß ich nicht mehr direkt mit Dr. Adenauer verkehren, sondern alles mit Blankenhorn abmachen sollte. Mehrfach wurde mir später von Blankenhorn versichert, daß alles, was er mit mir unternehme, im ausdrücklichen Auftrag und mit voller Zustimmung Dr. Adenauers geschehe.

»Darauf habe ich mich regelmäßig, meist einmal in der Woche, mit Blankenhorn getroffen, manchmal in den späten Abendstunden in seiner Privatwohnung in Köln, die sich im Hause der CDU in der Robert-Heuser-Straße befand. Manchmal auch in seinem Privatbüro im gleichen Hause. Später - nach der Konstituierung des Parlamentarischen Rates - haben wir uns auch im heutigen Bundeshaus oder in einem Restaurant in Godesberg getroffen. Auch in meiner Wohnung in Boppard besuchte er mich.

»Bei jedem Zusammentreffen erstattete Blankenhorn mir Bericht über alle von mir aufgeworfenen Fragen, für die der französische Nachrichtendienst Interesse hatte. Auch übergab er mir eine Liste jener wichtigen politischen Persönlichkeiten, die für eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich in Frage kamen.

»Seine Berichterstattung bezog sich auf:

* die internsten innenpolitischen Absichten Adenauers, soweit sie damals für den französischen Nachrichtendienst von Interesse waren;

* Adenauers außenpolitische Pläne, die auf eine enge und dauernde Verbindung mit Frankreich hinzielten (wobei Blankenhorn mich bat, am Telefon vorsichtig zu sein, da er befürchte, daß unsere Gespräche zur Kenntnis des britischen Intelligence Service kommen könnten);

* den französischen Dienst interessierende Einzelheiten über westdeutsche Politiker, wie Dr. Adolf Süsterhenn, Dr. Anton Pfeiffer, Dr. Joseph Müller, Dr. Kurt Schumacher und viele andere;

* antikommunistische Informationen.

»Alles war geheimstes Material, das niemals veröffentlicht worden ist und nur dem engsten Kreise um Dr. Adenauer bekannt war.«

Auch mit dem Inhalt des »Speidel-Planes« über die Verteidigung Westdeutschlands östlich des Rheins habe Blankenhorn ihn bekannt gemacht, versichert Schmeißer. Jedoch: »Bei dieser Gelegenheit bat mich Blankenhorn allerdings, daß meine Sekretärin, die bei allen Unterredungen anwesend war und jeweils das Gesagte mitstenographierte, diesmal nicht mitschreiben solle. Vielmehr möchten wir beide die Einzelheiten des Planes so im Gedächtnis behalten.

»Weiter wurden mir von Blankenhorn - allerdings meist mit der Post - wöchentlich ganze Stöße von Arbeitsmaterial des Parlamentarischen Rates (Kurzprotokolle) übersandt. Im übrigen erklärte mir Blankenhorn mehrfach, daß nach seiner und auch nach Dr. Adenauers Auffassung Deutschland Frankreich gegenüber zu Vorleistungen verpflichtet sei.«

Und weiter Schmeißer: »Blankenhorn erhielt laufend von mir Geld, Lebens- und Genußmittel (diese aus französischen

Magazinen). Die Geldzahlungen - monatlich fest 150 DM und manchmal je nach Anforderung mehr - wurden offiziell derart begründet, daß die Beschaffung des kommunistischen Materials sowie die Unterhaltung eines Spezialbüros zu diesem Zweck Geldmittel erforderten, die die Partei nicht tragen konnte.«

Noch mehr weiß Schmeißer zu erzählen: »Eines Tages - ich glaube im Herbst 1948 - trat Blankenhorn an mich heran und erklärte, er müsse zu diplomatischen Verhandlungen nach Paris, habe aber Schwierigkeiten mit der rechtzeitigen Beschaffung der Grenzpapiere. Außerdem wolle er vermeiden, daß er von irgendwelchen Leuten beschattet würde.

»Er fragte mich, ob ich ihm beim Grenzübergang behilflich sein könne. Ich bejahte und veranlaßte, daß ein Offizier meines Dienstes Blankenhorn von Neustadt aus mit einem französischen Wagen 'schwarz' über die Grenze brachte. Für die weitere Fahrt bis Paris hatte ich Blankenhorn kostenlos eine Eisenbahnfahrkarte gegeben.«

Ein besonderes Kapitel ist die Sache mit Spanien. Schmeißer: »Im Verlaufe meiner Zusammenarbeit mit der Führung der CDU - Dr. Adenauer war damals meiner Erinnerung nach schon Präsident des Parlamentarischen Rates - wies mich meine vorgesetzte Dienststelle an, daß ich Adenauer und Blankenhorn als Gegenleistung für ihre Dienste fragen solle, ob sie 48 Stunden vor einem möglichen russischen Einmarsch in Westdeutschland - soweit dieser Termin der französischen Nachrichtenzentrale in Paris rechtzeitig bekannt werde - mit ihren nächsten Familienangehörigen durch den französischen Nachrichtendienst mit einem Kraftwagen aus der Gefahrenzone nach Spanien in Sicherheit gebracht werden wollten.

»In Paris war man damals der Ansicht - und dies habe ich Blankenhorn auch mitgeteilt - daß man Dr. Adenauer und seinen engsten Mitarbeiter Blankenhorn im Falle eines russischen Einmarsches benötige, um die Deutschen möglicherweise durch sie über den Rundfunk zum Widerstand aufrufen zu können. Ich konnte Blankenhorn auch mitteilen, daß man in Paris erwäge, im Kriegsfall im Ausland mit Dr. Adenauer an der Spitze eine deutsche Exilregierung zu gründen.

»Zu diesem Zweck erhielt ich den Auftrag, mir von Blankenhorn die genauen Personalien Adenauers und Blankenhorns und ihrer nächsten Familienangehörigen geben zu lassen. Außerdem sollte ich mit Adenauer und Blankenhorn einen Treffpunkt vereinbaren, von wo sie im Ernstfall mit einem Wagen des französischen Nachrichtendienstes abgeholt werden sollten.

»Ich überbrachte diesen Vorschlag Blankenhorn, der dem Vorhaben sofort für sich und seine Familie zustimmte. Nach einer Rücksprache mit Dr. Adenauer teilte mir Blankenhorn mit, daß auch Dr. Adenauer mit dem von mir übermittelten Plan über seine Evakuierung und die Regierungsbildung im Ausland einverstanden sei, jedoch nur unter der Bedingung, daß nicht nur er mit seiner engsten Familie, sondern mit seinen gesamten Angehörigen in Sicherheit gebracht werde.«

Blankenhorn - so berichtet Schmeißer - habe noch hinzugefügt: »Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was für einen übertriebenen Familiensinn der Alte hat.«

Und wieder Schmeißer: »Ich berichtete das Ergebnis meiner Verhandlungen darauf meiner vorgesetzten Dienststelle. Schon drei Tage später mußte ich Blankenhorn mitteilen, daß der französische Nachrichtendienst mir gesagt habe, daß er leider nicht in der Lage sei, gleich einen ganzen Omnibus zur Verfügung zu stellen.

Ich bin dann in dieser Sache nicht mehr tätig geworden.«

Und noch eine Sache kann Konrad Schmeißer in Frankfurt nicht vergessen. Das war, »als 1949 die Wahlen zum ersten Bundestag heranrückten und Blankenhorn plötzlich die Rede auf die finanzielle Misere der CDU brachte. Er sagte, daß die CDU zur Finanzierung rund eine Million DM benötige, daß bisher aber nur rund 200 000 DM von dritter Seite zugesagt seien. Er fragte mich, ob es nicht möglich sei, daß der CDU von französischer Seite über bestimmte Außenhandelsfirmen der an der benötigten einen Million noch fehlende Betrag zur Verfügung gestellt werde. Er fügte hinzu, daß es doch wohl auch im französischen Interesse läge, daß Dr. Adenauer und seine Freunde bei den Wahlen und der anschließenden Regierungsbildung zum Zuge kämen.

»Ich habe diesen Wunsch der CDU damals nach Paris weitergeleitet und von dort eine prinzipielle Zusage erhalten, was ich Blankenhorn mitteilte. Ob die fehlenden 800 000 DM oder ein Teilbetrag dann zur Verfügung gestellt wurden, weiß ich nicht, weil ich zu dieser Zeit aus dem Dienst des SDECE ausschied und von einem anderen französischen Dienst übernommen wurde.«

René Levachers Bopparder Erlebnisse sind nicht über einen Leisten zu schlagen mit mehr oder minder aufgebauschten Memoiren politischer Agenten. René Levachers Bekundungen sind nach etlichen polizeilichen Vernehmungen Konrad Schmeißers und seiner früheren Mitarbeiter - in Kehl, in Offenburg und in Wiesbaden - seit nunmehr einem halben Jahr längst amtlich zu Papier gebracht.

Sie schlummern in Tresoren und niemand hat das, was Konrad Schmeißer vor amtlichen Stellen behauptete, bisher zum Anlaß genommen, ihn wegen dieser Behauptungen zur Rechenschaft zu ziehen. Trotz des nicht zu bestreitenden großen Interesses der deutschen Öffentlichkeit, Schmeißers schon vor einem halben Jahr amtlich zu Protokoll gegebene Erklärungen öffentlich geklärt zu wissen.

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