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Kultur Kommentar

Doping für die Avengers

Filmredakteur

In diesen Tagen findet unbemerkt von der Öffentlichkeit ein historischer Wettlauf statt. Das heißt: Wir könnten ihn schon bemerken, wenn wir die Zeichen zu deuten wüssten.

Es geht um Geld und Prestige in dem Wettlauf zwischen zwei Filmen, „Avengers: Endgame“ und „Avatar“. Genauer: Es geht primär um das Prestige des „erfolgreichsten Films aller Zeiten“. „Avatar“ hat sich vor zehn Jahren an die Spitze der Rangliste gesetzt, mit 2,78 Milliarden Dollar Einnahmen an der Kinokasse, und „Avengers“ ist ihm nach neun Wochen in den Kinos mit 2,76 Milliarden dicht auf den Fersen.

Früher hätte der Verleih geduldig abgewartet, bis die fehlenden 20 Millionen auch noch eintrudeln; noch ein Monat, und der Rekord wäre geknackt gewesen. Heutzutage jedoch kann man sich darauf nicht mehr verlassen. Blockbuster sind nun wie Weltraumraketen; beim Start wird ein Film mit unglaublich viel Getöse in die Kinoumlaufbahn geschickt, sämtliche Werbeenergie konzentriert sich auf die wenigen Tage vor und nach dem Abheben. Entsprechend benimmt sich seine Majestät, der Kunde, der in riesigen Herden zu dem Event strömt.

Die enorme Kraftanstrengung hat ihren Preis. Das Kinoleben eines Films, das früher Monate oder Jahre dauern konnte, ist radikal verkürzt, auf das einer Einwochen- oder Einmonatsfliege. Danach sind alle ausgelaugt, die Vermarkter, das Publikum, der Film. Deshalb fallen „Avengers“ die letzten 20 Millionen so schwer.

Womit wir zu den Zeichen zurückkommen. Die ausgepowerten „Avengers“ brauchen neue Energie. Nicht mehr eine mächtige Träger-, sondern eine kleine Hilfsrakete. Die hat Disney nun gestartet, einen Booster. Das Prinzip des DVD-Bonusmaterials wird ins Kino übertragen. Wer „Avengers“ dieser Tage im Kino sieht, sieht nicht mehr den Originalfilm, sondern eine um sechs Minuten verlängerte Version.

Es gibt einen Prolog, wo wir Marvel-Gottvater Stan Lee seine zahlreichen Gastrollen filmen sehen. Es gibt einen Epilog, in dem wir in einer Preview Szenen aus „Spider-Man: Far from Home“ serviert bekommen, dem ersten Film, der an die Ereignisse von „Avengers“ anschließen soll. Und es gibt eine Szene mit Professor Hulk, die aus dem fertigen Film geschnitten wurde; wie wir alle wissen, findet Bruce Banner heraus, wie er seine Persönlichkeit mit der des Hulk verschmelzen kann.

Es ist besonders diese Hulk-Szene, die den Zorn der Avengisten auf sich zieht. Sie ist ein Fremdkörper im Film, die Effekte müssten noch kräftig überarbeitet werden, und man merkt die Absicht (wir brauchen noch 20 Millionen!) und ist verstimmt. Das Netz ist voll von Kommentaren, die abraten, sich „Avengers“ anzutun.

Trotzdem wird sich Disney die Chance nicht entgehen lassen, so kurz vor dem Ziel, das wirklich erreichbar ist – im Gegensatz zu dem siebten „Star Wars“-Film, der vorschnell als Rekordaspirant gehypt wurde und am Ende 700 Millionen hinter „Avatar“ zurückblieb. „Avengers“ wird den Rekord brechen, und wenn Marvel-Chef Kevin Feige zum Endgame alle Studioangestellten auffordern muss, am Wochenende noch viermal ins Kino zu gehen.

Doch was wird uns der neue Rekord sagen? Doch nicht mehr, als dass 2,8 Milliarden Dollar an den Kinokassen eingezahlt wurden. Vor 50 Jahren kostete eine Kinokarte in Amerika 1,50 Dollar, jetzt sind es neun, das Sechsfache. Hätte also ein Film von 1969 sechsmal so viele Zuschauer haben müssen, um sich im Erfolg mit „Avengers“ vergleichen zu dürfen? Bereinigte man die Hitliste um die Inflationsrate, wird ewig „Vom Winde verweht“ an der Spitze stehen.

Wenn also in ein paar Wochen die Triumphfanfare für „,Avengers‘, den erfolgreichsten Film aller Zeiten“ ertönt, ist Weghören anzuraten. Diese Zahl ist so irrelevant wie die ganzen Quoten, Klicks und Likes, die wir unser Leben bestimmen lassen.

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