Politik

Kosten in Kommunen explodieren "Selbst in Bayern werden die Klagen immer lauter"

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Im Ruhrgebiet haben viele Städte besonders große Probleme - aber auch in Bayern und Baden-Württemberg mehren sich die Klagen.

Im Ruhrgebiet haben viele Städte besonders große Probleme - aber auch in Bayern und Baden-Württemberg mehren sich die Klagen.

(Foto: IMAGO/Steinsiek.ch)

Deutschland muss wieder funktionieren, fordert der designierte Kanzler Friedrich Merz. Ob das gelingt, entscheidet sich auch und vor allem auf der kommunalen Ebene, in den Städten und Gemeinden. Doch die stehen unter massivem finanziellen Druck, wie der Experte Henrik Scheller im Interview mit ntv.de sagt. Er forscht am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin, das Städte und Gemeinden berät. Er sagt, was jetzt dringend notwendig wäre.

ntv.de: Herr Scheller, ein früherer Regierender Bürgermeister sagte mal, Berlin sei arm, aber sexy. Trifft das auf die restlichen Städte und Gemeinden im Lande mittlerweile auch zu?

Henrik Scheller: Im Großen und Ganzen sicherlich schon. Die Haushaltslage ist extrem angespannt. Laut Statistischem Bundesamt haben Städte und Gemeinden im vergangenen Jahr ein Defizit von mehr als 24 Milliarden Euro eingefahren. Das ist das höchste Defizit der vergangenen Jahre. Die Ausgaben sind deutlich höher als die Einnahmen. Die finanzielle Lage der Kommunen ist sehr prekär.

Nicht erst im Wahlkampf hieß es oft: Deutschland muss wieder funktionieren. Entscheidet sich das nicht vor allem auf der kommunalen Ebene?

Dr. Henrik Scheller leitet am privaten Deutschen Institut für Urbanistik den Bereich Infrastruktur, Wirtschaft und Finanzen.

Dr. Henrik Scheller leitet am privaten Deutschen Institut für Urbanistik den Bereich Infrastruktur, Wirtschaft und Finanzen.

(Foto: DIFU / David Ausserhofer)

Definitiv. Die Kommunen tätigen fast 60 Prozent aller öffentlichen Bauinvestitionen. Die Infrastruktur wird meist von den Kommunen verantwortet. Dort entscheidet sich die weitere Entwicklung Deutschlands. Dort nehmen die Bürgerinnen und Bürger den Staat als solchen wahr. Derzeit erleben sie einen Staat mit Schlaglöchern, maroden Schultoiletten und zu wenig Personal in den Verwaltungen. Das ist für die öffentliche Wahrnehmung nicht günstig. Das haben wir ja auch am Wahlergebnis gesehen.

Aber nun kommt ja die Rettung, ein Geldregen in Form des Sondervermögens Infrastruktur. Oder?

Lassen Sie es mich so sagen: Es ist ein positives Signal. Im Verhältnis zu den Investitionsbedarfen bleiben das aber überschaubare Summen. 100 Milliarden Euro des Sondervermögens werden Ländern und Kommunen zur Verfügung gestellt. Noch weiß niemand, wer wie viel genau bekommt. Außerdem verteilt sich der Betrag auf zwölf Jahre. Da bleiben gut acht Milliarden Euro pro Jahr für Länder und Kommunen übrig.

Aber es dürfte doch weiteres Geld aus dem Sondervermögen in den Städten und Gemeinden ankommen.

Klar, von den verbleibenden 400 Milliarden Euro werden die Kommunen auch noch etwas bekommen, etwa aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF, Anm. d. Red.). Aber es gibt eine weitere Baustelle. Den Kommunen fehlt Personal. Das darf aus dem Sondervermögen nicht finanziert werden. Es könnte zum Problem werden, wenn nicht genug Personal vorhanden ist, um das Geld aus dem Sondervermögen zu verplanen und zu verbauen.

Was muss die neue Bundesregierung jetzt tun, um Kommunen zu entlasten?

Das Sondervermögen muss konkret ausgestaltet werden. Die Frage muss geklärt werden, wie die Mittel verteilt werden. Das ist ganz zentral für die Kommunen. Sie müssen möglichst einfach und unbürokratisch an das Geld herankommen. Und es muss möglichst vollständig auf der kommunalen Ebene ankommen.

Wie könnte das gelingen?

Am besten wäre aus unserer Sicht, wenn Kommunen nach einfachen Kriterien Pauschalen oder feste Beträge bekämen, die sie dann autonom investieren. Kriterien könnten hohe Arbeitslosigkeit oder Strukturschwäche sein. Vor Ort kann dann entschieden werden, was mit dem Geld geschieht. Der eine Bürgermeister nimmt das Geld dann vielleicht zur Sanierung der Turnhalle, die andere Landrätin lässt die Hauptstraße im Stadtzentrum instandsetzen.

Wäre dann eine Entlastung gewährleistet?

Das bleibt abzuwarten. Die Koalition hat sich ja auch auf Steuersenkungen geeinigt. Die Kommunen befürchten nun, dass sie am Ende mit dem neuen Geld aus dem Sondervermögen lediglich den Status Quo an Investitionen erhalten. Das wäre fatal. Wir brauchen einen Investitionsbooster. Eine weitere Gefahr sind Preissteigerungen. Auch das könnte dazu führen, dass wir real gar nicht viel mehr investieren, als wir das bislang gemacht haben.

Aus den Kommunen hört man meist nur Klagen, sodass der Eindruck entsteht: Alle sind pleite. Stimmt das?

So einfach ist das bei 11.000 Kommunen natürlich nicht. Es gibt Städte und Gemeinden, denen es besser geht als anderen. Aber besonders in Nordrhein-Westfalen, und da im Ruhrgebiet, sowie in Rheinland-Pfalz und dem Saarland haben wir eine Massierung von finanzschwachen Kommunen. In anderen Regionen sieht es etwas besser aus. Aber selbst in Baden-Württemberg und Bayern werden die Klagen immer lauter.

Wie sieht es in Ostdeutschland aus?

Auch nicht sehr günstig. Immerhin ist die Infrastruktur meist in einem besseren Zustand, weil sie nach der Wiedervereinigung Stück für Stück instandgesetzt worden ist. In Westdeutschland sind Kommunen oft finanzschwach und haben zugleich eine marode Infrastruktur. Diese Kombination ist die eigentliche Herausforderung.

Was heißt Investitionsrückstand konkret? Geht es da um das Turnhallendach, die Schultoilette und die Autobahnbrücke?

Die Autobahnbrücke fällt in den Verantwortungsbereich des Bundes. Aber die Kommunen sind für die städtischen Straßen und Verkehrswege zuständig. Die Bereiche Schulen, Kitas, Verkehr, Verwaltungsgebäude, die Sportstätten sind sehr stark betroffen, da gibt es immensen Investitionsbedarf.

Es brennt also eigentlich an allen Fronten.

Ich neige nicht zum Alarmismus. Aber an vielen Stellen ist die Lage prekär. Zumal zusätzlich noch deutlich mehr Mittel für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen notwendig wären.

Warum sind die Kosten so hoch?

Die kommunalen Spitzenverbände sagen, dass wir weniger ein Einnahmen- als ein Ausgabenproblem haben. Die Sozialausgaben sind enorm gestiegen. Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung stieg in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 60 Prozent, auch bei der Kinder- und Jugendhilfe gab es einen enormen Aufwuchs von über 100 Prozent.

Das Bürgergeld zahlt immerhin der Bund.

Aber auch in dem Zusammenhang gibt es enorme Kostensteigerungen. Etwa bei Miet- und Heizkosten, die den Leistungsempfängern erstattet werden. Diese Kostenaufwüchse übernimmt der Bund nicht. Zugleich wächst der Personenkreis, der anspruchsberechtigt ist.

Meinen Sie die Geflüchteten?

Die sind das eine, aber längst nicht nur. Auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gibt es einen Aufwuchs an Leistungsempfängern. Das hat mit Flüchtlingen gar nichts zu tun. Eher mit neuen Bedarfen durch neue sozialpolitische Problemlagen und deren Wahrnehmung . Früher wurden beispielsweise verhaltensauffällige Jugendliche gar nicht in dem Maße wahrgenommen. Hier sind die Betreuungs- und Förderungsbedarfe von Kindern und Jugendlichen aber deutlich gewachsen.

Geht es da um das beitragsfreie Kita-Jahr?

Das ist eine Länderentscheidung, die auch das jeweilige Bundesland bezahlt. Anders war das beispielsweise beim Rechtsanspruch auf U3-Betreuung. Da schuf der Bund einen Rechtsanspruch, den die Kommunen umsetzen mussten. Sie haben für das dafür notwendige Personal aber kein zusätzliches Geld bekommen. Der Anspruch auf Ganztagsbetreuung ist ein weiteres Beispiel. Da müssen die Kommunen sehen, wie sie das finanziert bekommen.

Welche Spielräume hat eine Stadt- oder Gemeindeverwaltung, damit umzugehen?

Die Spielräume sind schon weitgehend ausgereizt, da kann man wenig machen. Die Kommunen haben nur bescheidene Einnahmequellen und können nicht beliebig mehr Einnahmen - beispielsweise durch Kreditaufnahme - generieren. Das ist ein riesiges Problem. So beschneiden die Kommunen die freiwilligen Aufgaben wie Investitionen, aber auch Kultur- und Sportangebote oder freiwillige Sozialleistungen, Hilfen für Vereinsarbeit etwa. Da ist das Ende der Fahnenstange meist schon erreicht.

Sie haben sich auch mit Klimaschutz in Kommunen befasst - wie machen die das und wie wird es belohnt?

Klimaschutz ist eine freiwillige Aufgabe, keine Pflichtaufgabe. Das ist die grundsätzliche Herausforderung. Da heißt es oft: Wir haben keine Mittel dafür, wir machen es nicht oder nur in Ansätzen. Es gibt zwar viele Förderprogramme - beispielsweise im Rahmen des KTF. Das wird auch rege genutzt. Aber das ist letztlich eine Politikgestaltung nach Förderprogrammlage. Es wird also das gemacht, was gerade gefördert wird. So kann die Kommune den Klimaschutz vor Ort selten strategisch angehen und konsistent planen. Größere Städte schaffen das zwar, aber kleine Gemeinden haben teils nicht einmal das Personal, um die Anträge zu stellen.

Sind diese Anträge sehr aufwändig?

Ja und es gibt keinen Rechtsanspruch auf Förderung. Das geht nach dem Windhundprinzip. Am Ende geht die eigene Gemeinde womöglich leer aus, dann war die Antragsarbeit umsonst. Wir haben ermittelt, dass es rund 990 Förderprogramme für Kommunen gibt. Oft sind sie unterschiedlich ausgestaltet. Die Antragsformulare sind jedes Mal anders, die Verwendungsnachweise unterscheiden sich. Das macht es so aufwändig. Jedes Ministerium macht seine eigenen Ausschreibungen. Da ist es schwer, den Überblick zu behalten. Hier kann man nur hoffen, dass die neue Bundesregierung die Ziele ihres Koalitionsvertrages umsetzt: eine starke Vereinfachung des Förderwesens soll in der neuen Legislatur kommen.

Ein großes Thema für alle ist der Bürokratieabbau. Es gibt Vorschläge vom Normenkontrollrat, Dinge wie Führerschein, KfZ-Anmeldung und Reisepass-Vergabe zentralisiert und rein digital anzubieten. Damit wären die Kommunen raus. Wäre das eine Entlastung?

Natürlich wäre es wünschenswert, bestimmte Dinge zu zentralisieren und zu digitalisieren. Doch damit greift man in Kompetenzbereiche und die Selbstverwaltung der Kommunen ein. Das sind zwei sehr hohe Rechtsgüter. Da wehren sich die Städte und Gemeinden. Sie sehen das als Einfallstor in andere Bereiche, bei denen sie keine Kompetenzen abgeben wollen. Bei der Digitalisierung müssen wir aber wirklich einen Schritt vorankommen und Schnittstellen zwischen den föderalen Ebenen harmonisieren.

Mit Henrik Scheller sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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