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Slime in der Alten Mälzerei

„Ganz Regensburg hasst die AFD“

Am vergangenen Freitag war die Hamburger Punklegende Slime erstmals in ihrer 40-jährigen Geschichte in Regensburg zu Gast. Durchaus überraschend: Die Band verwaltete dabei nicht nur ihr überaus einflussreiches Erbe, sondern hat immer noch etwas zu sagen.

Slime erstmals in Regensburg. Foto: Baumgärtner

„Passt auf ihr Scheißer, ja?! Uns ist das völlig egal, ob jemand aus Berlin kommt, aus Hamburg oder sonst woher. Es ist völlig scheißegal, verstehst du? Scheißegal, ob jemand schwarz ist oder weiß, scheißegal, ob jemand Türke ist oder Deutscher. Scheißegal! Versteht ihr mich, ihr Wichser?“

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So heißt es im Intro, das am Freitagabend in der Alten Mälzerei vom Band ertönt, als Slime die Bühne betreten. Es ist ein Eigenzitat aus der frühen Zeit der mittlerweile 40-jährigen Bandgeschichte. Damals, am 21.01.1984, brüllt Sänger Dirk Jora eine Gruppe Neonazis zusammen, die in Provokationsabsicht das Konzert in den Pankehallen in West-Berlin besuchen. Heute ist so eine Konstellation kaum denkbar, zumal die Band seit Jahrzehnten zu den exponiertesten Vertretern antifaschistischer und linksradikaler Musik zählt. Publikum und Veranstalter ließen dies auch nicht zu.

Auflösung, Reunion, Auflösung, Reunion

1979 in Hamburg gegründet, wurden Slime bereits in ihren Anfangsjahren zur wirkmächtigsten (überwiegend) deutschsprachigen Punkband. Eine erste Auflösung fand zwar schon nach drei Alben (das seit 2011 (!) indizierte Slime I, Yankees Raus, Alle gegen Alle) in eben jenem Jahr 1984 statt, eine kurze Reunion folgte Anfang der 1990er Jahre. Nach zwei weiteren Alben (Viva la Muerte und Schweineherbst) gönnten sich Slime allerdings bis zu Beginn der 2010er eine lange Pause. Danach kam die zweite Wiedervereinigung (ohne Hauptsongschreiber und Drummer Stephan Mahler).

Sänger Dirk Jora attackiert mehrmals die “NSAfD”. Foto: Baumgärtner

Von den 40 Jahren nun, zu deren Anlass die Hamburger Punklegende aktuell durch Deutschland, Österreich und die Schweiz tourt, war sie einen Großteil offiziell gar nicht aktiv. Doch weg waren Slime nie. Ihr Status ist sowieso unanfechtbar. Etliche Jugenden hat die Band nachhaltig beeinflusst. Ganze Generationen von Punks und Linken wurden entscheidend geprägt. Und wenn nicht unmittelbar durch eigenes Hören, so bestimmt mittelbar durch die umfangreiche Rezeptionsgeschichte der Band. Einige Songs sind zu Hymnen, etliche Textzeilen zu stilprägenden Schlachtrufen in linken Subkulturen – und weit darüber hinaus – geworden.

„Hier und jetzt / sind wir immer noch da“

Das ist nicht zuletzt auch in der ausverkauften Mälze zu merken. Mehrere Altersklassen von Altpunks, jungen Punks und in der Mehrzahl überhaupt keinen Punks sind zum ersten Slime-Konzert in Regensburg überhaupt gekommen. Kartensuchanfragen in Sozialen Medien lassen übrigens erahnen, dass die Nachfrage weitaus größer war, als die Anzahl verfügbarer Tickets.

„Hier und jetzt / sind wir immer noch da / das kriegen die niemals aus uns raus / denn fünf Finger sind eine Faust“, heißt es im Titelstück der aktuellen Platte Hier und jetzt aus dem Jahr 2017. Und so wie Slime auftreten, scheinen sie das auch tatsächlich wörtlich und ernst zu meinen.

Zunächst ist die letzte Wiedervereinigung nicht unbedingt nachvollziehbar. So ein Vorhaben kann ganz schnell ganz peinlich werden. Können Jora, „Elf“ Mayer und Co. den Backkatalog nicht auch bequem von der heimischen Couch aus verwalten? Ab und zu ein Soli- oder Jubiläumskonzert sollte doch reichen? Slime waren offensichtlich anderer Ansicht und haben zwischenzeitlich zwei weitere Alben veröffentlicht (Sich fügen heißt lügen mit vertonten Gedichten Erich Mühsams und das bereits erwähnte Hier und jetzt) und damit, abgesehen von ein paar Song-Ausnahmen, wahrlich keine Glanzstücke abgeliefert.

Slime haben auch 2019 noch etwas zu sagen

Doch die Skepsis täuscht. Zumindest bei ihrem Tourstart in Regensburg erwischen Slime einen hervorragenden Tag. Sie spielen sich eindrucksvoll energieladen und angriffslustig durch die Jahrzehnte ihres Schaffens. Man spürt regelrecht, dass sie sich keinesfalls nur als alternde Punks auf die Verwaltung der eigenen Geschichte zurückziehen möchten, sondern auch 2019 wirklich noch etwas zu sagen haben.

Sowohl die Klassiker als auch neue Songs kommen beim Publikum an. Foto: Baumgärtner

Das zweistündige Set beinhaltet neben Klassikern wie „Deutschland“, „Legal/Illegal/Scheißegal“, „Schweineherbst“, „Religion“ oder „Störtebeker“ auch neue Songs, die vor allem die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten suchen. Das überzeugende „Sie wollen wieder schießen (dürfen)“ thematisiert etwa Sehnsüchte der „NSAfD“ (Jora) Geflüchtete an der Grenze abzuknallen, das irritierend schlagerske „Hier und jetzt“ wiederum die Vergewisserung eigener Mobilisierbarkeit (gegen die Verhältnisse).

Das Publikum jedenfalls wissen Slime zu mobilisieren. Das zeigt sich nicht nur in der beharrlichen Tanzbereitschaft und augenfälligen Textsicherheit. Als Jora davon berichtet, dass die AfD 2016 versucht habe einen Auftritt der Band beim Hafengeburtstag zu verhindern und sogar CDU und FDP in der Hamburgischen Bürgerschaft zugunsten Slimes den Antrag abgelehnt hätten, quittiert man dies mit einem städteübergreifend lautstarkem: „Ganz Regensburg hasst die AfD.“

1984 waren Faschisten zum Provozieren auf Slime-Konzerten, heute sitzen sie in Parlamenten. Vielleicht auch ein Grund, warum Slime immer noch weitermachen (müssen). „Hier und jetzt / sind wir immer noch da.“ – Ja. Erstaunlich, aber wahr.

 

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Kommentare (13)

  • Mr. T.

    |

    Ganz Regensburg wohl leider nicht, aber fast. Und es werden mehr weil immer mehr merken, dass die NSAfD nicht mehr als eine völkisch-nationale Partei ist, die wieder ein autoritäres Führer-System anstreben wollen. Eine Mehrzahl der Führungskader machen dies mehr als deutlich.

    Eine geile Band! Aufrechte Antifaschisten! Da kann man nicht genug dagegen ansingen! Und sonst machen sie auch Spaß …

  • Ex Regensburger

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    Punk hat mich – ehrlich gesagt – schon immer genervt, aber jetzt – nerven ganz andere…
    Insofern: LEUTE LASST ES ROCKEN!

  • Lutherer

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    Das Konzert war leider ziemlich schlecht ausgesteuert. An den Herren merkt man, dass echter Punk Kopfsache ist. Ein Lied hat mir dennoch gefehlt: Linke Spießer! Ach ja, von 1983.

  • Haimo Herrmann

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    „Ganz Regensburg hasst die AFD“ _ Das soll wohl ein Witz sein.
    Da geben sich Steinmeier , AKK und andere Politiker sehr betroffen nach dem Anschlag in Halle, aber vor der eigenen Tür wird nicht gekehrt. Mir liegt ein Schreiben der Regensburger Bürgermeisterin vor, die meinen Antrag zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürde und die Änderung des Strassennamens Th. Schremsstrasse ablehnt. Dies übrigends im Namen aller im Stadtrat vertretenen Parteien. Durch diese Ehrungen eines Nazischleimers und Hitlergünstlings tut sie doch alles um Regensburg zu einem Wallfahrtsort der braunen Sumpfes zu machen. Wie sich dies auf den guten Ruf der Stadt auswirkt kann man in München schon beobachten.

  • joey

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    solche Konzerte bringen der AfD nur weitere Stimmen.

  • Wintermute

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    Ich fands Klasse und hab mich das ganze Jahr schon drauf gefreut, Slime mal hier in R erleben zu können. In der Mälze erwarte ich mir jetzt auch nicht sooo den astreinen Sound, dadrum geht’s aber auch nicht. Die waren schon zu meiner Jugend für die Szene so wichtig, dass ich gar nicht glauben kann, dass es die Band die meiste Zeit nicht gab :-) Und die Haltung ist so glasklar wie eh und je. Ich würde mir ja mal einen gemeinsamen Event mit ZSK und Slime hier in R wünschen…

  • Joachim Datko

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    Diffamierung ist ein zweischneidiges Schwert.

    Zu joey 10:42 : ” […] solche Konzerte bringen der AfD nur weitere Stimmen.”

    Das würde ich mir wünschen.
    Für Bands habe ich nichts übrig, Musik stört mich beim Denken.

  • Piedro

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    @joey
    “solche Konzerte bringen der AfD nur weitere Stimmen.”
    DER war gut!

    @Joachim Datko
    “Das würde ich mir wünschen.”
    Ach, echt jetzt?
    “Musik stört mich beim Denken.”
    DER war auch gut!

  • Vistamar0907

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    Gut, das ich aus Regensburg weggezogen bin, hier gibt es wirklich nur noch Idioten. Bevor sie herumbrüllen sollten sie ihr Gehirn einschalten.

  • Piedro

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    @Vistamar0907
    Deshalb sind Sie nach “hier” gezogen, und Sie fühlen sich jetzt wohl? Das freut bestimmt auch die Regensburger.

  • Giesinger

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    Servus Herr Martin Oswald!

    Ich habe schon des öfteren darum gebeten, die Schreiber von. r-d vorgestellt zu bekommen. Leider geht das ja wohl nicht.

    (Passage gelöscht. Dieser Artikel ist gespickt mit diffamierenden Falschbehauptungen.)

    Diese mir bisher unbekannte Band habe ich mir gerade auf youtube kurz angeschaut. Das ist kein Punk, das ist lahmes Karsperle-Theater.
    Ich weiß auch nicht, wie Sie darauf kommen, Punk und die Linken hätten etwas miteinander zu tun.

    Zu meiner Vita: Ich bin Jahrgang 1966 und habe den Punk eigentlich live erlebt. In meiner Schulklasse am “Apian” waren der Hubert und der Beppo von den “Nikoteens” meine Klassenkammeraden.
    https://muenchen-punk.de/steckbrief/124-nikoteens-steckbrief
    Obwohl diese Art der Musik nie mein Ding war, bin ich versehentlich (damals als einziger Langhaariger) mal auf einem Punk-Konzert gelandet (auch noch mit weißem T-Shirt).

    Nun ja, ich mußte mit Springerstiefel-Typen “Pogo-Tanzen”.

    Damals gab es in meiner Schulklasse bereits drei Typen mit wohl Nazi-Idiologie. Sie hatte alle Springer-Stiefel und Bomberjacken, sowie sehr kurz geschnittene Haare.

    Damals dachte ich noch, das sei eine Art von Mode.
    Ich und mein Schulfreund Bernd G. waren damals die einzigen Langhaarigen in Ingolstadt (neben den leckeren Mädels).

    Jedenfalls habe ich diese Art von Musik eigentlich eher den Nazis zugeordnet. Darum verstehe ich nicht, warum Sie, Herr Oswald, Punk unter “Links” vereinnehmen?

    Den Beppo von den “Nikoteens” habe ich übrigens zuletzt vor 30 Jahren getroffen. Damals hat er mir bestätigt, daß der Hubsi voll ins rechte Lager abgedriftet sei. Das kann sich mittlerweile vielleicht geändert haben. Der Beppo hingegen war damals schon voll bürgerlich Musiklehrer an einer Schule geworden.

    Nachtrag: In meiner Jugend (zwischen 16 und 19) bin ich in den Pfingstferien und Sommerferien regelmäßig nach London getrampt.
    Damals war Fliegen unerschwinglich. Die Fähre über den Kanal war erschwinglich.

  • Giesinger

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    Die EP “Bomben über Russland” (hei, wie alt waren wir da?… das war die 8. Klasse!?!… habe ich sogar neben den anderen Platten signiert mit “Bomben über Brockdorf!”

    Natürlich mit persönlicher Widmung und dem ganzen Kram.

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