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Marvel Cinematic Universe: Kevins Helden-Haus

Foto: VALERIE MACON /AFP

Marvel-Boss Kevin Feige So geht Superheldenschöpfung

Was Kevin Feige anfasst, wird zum Blockbuster: Der Chef von Marvel Studios über den Erfolg seiner Firma, den neuen Spider-Man-Film - und das große Glück, ein Stubenhocker und Comicnerd zu sein.
Zur Person
Foto: Axelle/ Bauer-Griffin/ FilmMagic/ Getty Images

Kevin Feige, 1973 in Boston geboren, ist seit 2007 Präsident von Marvel Studios. Das weltweit erfolgreiche Marvel Cinematic Universe erschuf er fast im Alleingang, nachdem der leidenschaftliche Comic-Fan 2008 als Produzent von "Iron Man" eine beispiellos populäre Serie von Superhelden-Blockbustern startete. Marvel-Helden wie "Captain America", "Thor" oder "Guardians of the Galaxy" erwirtschaften seitdem Milliardenumsätze für den Mutterkonzern Disney. "Endgame", der jüngste Film der "Avengers"-Reihe, steht kurz davor, "Avatar" als weltweit erfolgreichsten Film abzulösen. 2019 wurde Feige als Produzent von "Black Panther" für den Oscar in der Kategorie Bester Film nominiert.

SPIEGEL ONLINE: Mr. Feige, nach dem vorläufigen "Endgame" der Avengers-Reihe scheinen die Superhelden Erholung zu brauchen. Im neuen Spider-Man-Film "Far From Home" macht Peter Parker mit Klassenkameraden Urlaub in Europa.

Feige: Ja, er unternimmt, wie viele junge Leute, eine Studienreise. Spider-Man kommt an Orte, an denen man ihn zuvor noch nicht gesehen hat, zum Beispiel nach Berlin. Aber natürlich ist es wie immer: Für Superhelden gibt es niemals Urlaub.

SPIEGEL ONLINE: Wie ist das bei Ihnen, haben Sie manchmal Superhelden-frei?

Feige: Ich will gar nicht frei haben! Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als den ganzen Tag über Superhelden zu reden. Seit Kindertagen wollte ich Filme über sie machen. Ich bin glücklich. Und ein schlechter Urlauber. Ich langweile mich schnell.

SPIEGEL ONLINE: Nehmen Sie Comics in den Urlaub mit, um die Langeweile zu bekämpfen?

Feige: Ja, heute in digitaler Form. Früher hätten Sie mich ständig am Pool finden können, unter einem Berg von Comics. Ich gehe nicht gern raus, schon gar nicht in die Sonne. Meine Haut ist hell und empfindlich. Im Schatten liegen, lesen und Ideen für Filme entwickeln, das ist für mich perfekter Urlaub.

SPIEGEL ONLINE: Sie unterteilen die Filme des Marvel Cinematic Universe in Phasen. Ist nun "Endgame" oder "Far From Home" das Ende von Phase drei?

Feige: Definitiv "Far From Home", denn er zeigt die enge Beziehung zwischen Tony Stark und Peter Parker, die sogar über Tonys Tod hinaus... oh, verdammt, ich habe immer noch das Gefühl, ich spoile, wenn ich sage, dass Tony in "Endgame" stirbt. Egal, er ist nicht mehr unter uns, und in "Far From Home" sehen wir, was das für Peter und den Rest der Welt bedeutet.

SPIEGEL ONLINE: Für Parker war er eine Art Übervater.

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"Spider-Man: Far from Home": Thwip me baby one more time!

Foto: Sony Pictures

Feige: Und jetzt tritt Peter aus Tonys Schatten. Das ist der Abschluss der gesamten Infinity-Saga, die mit unserem ersten eigenen Film begonnen hat, mit "Iron Man".

SPIEGEL ONLINE: Es scheint, als wollten Sie in den kommenden Jahren immer mehr Marvel-Figuren auf die Leinwand bringen, auch recht obskure wie die Eternals. Warum bleiben Sie nicht bei den bewährten Helden?

Feige: Natürlich hätten wir von "Iron Man" noch einen vierten oder fünften Teil drehen können, der dritte Film hat doppelt so viel eingespielt wie der erste. Wir hätten ein Spin-off von "Iron Man" mit Pepper Potts machen können oder ein Prequel über Tonys Vater. Aber wir wollen immer wieder Neues ausprobieren, etwas riskieren. Damit sind wir von Anfang an gut gefahren.

SPIEGEL ONLINE: Iron Man war damals tatsächlich eine recht ungewöhnliche Wahl.

Feige: Viele Leute hatten noch nie von ihm gehört. Es hätte populärere Marvel-Helden gegeben. Auch Thor war kein Selbstgänger, und gegen Captain America gab es sogar großen Widerwillen: Ein Kerl in Rot, Weiß und Blau galt vielen als zu altmodisch und zu patriotisch. Ich habe dann gesagt: "Es geht um Steve Rogers, den Menschen in diesem Kostüm, über ihn machen wir unseren Film." Jetzt ist er eine Ikone.

SPIEGEL ONLINE: Wie halten Sie die Balance zwischen Ihren eigenen Vorlieben als Fan und Comicnerd und dem Massengeschmack?

Feige: Die Figuren müssen dem Publikum ans Herz wachsen. Schauen Sie sich "Guardians of the Galaxy" an: eine grüne Frau, ein Baum, ein Waschbär und ein Alien-Muskelprotz, der keine Metaphern versteht. Skeptiker haben vermutlich gedacht, das wäre das Ende des Marvel Cinematic Universe. Alles viel zu nerdig. Aber wir hatten eben einen Regisseur wie James Gunn, der daraus einen sehr originellen Film gemacht hat.

SPIEGEL ONLINE: Spielt es also gar keine Rolle, wie bekannt die Comicfiguren sind?

Feige: Auch aus weniger bekannten Comichelden können sehr beliebte Kinohelden werden. Wir wollen das Marvel-Universum immer wieder aufs Neue erkunden und das Publikum dabei mitnehmen. Ich finde es toll, wenn die Zuschauer stutzen und sich fragen: Nanu, wer ist denn das?

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Marvel Cinematic Universe: Kevins Helden-Haus

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SPIEGEL ONLINE: Sie wollen verdutzte Gesichter sehen?

Feige: Unbedingt! Befremden auslösen und dann am Ende alle begeistern.

SPIEGEL ONLINE: Wie überzeugen Sie Studiobosse davon, Ihnen über 150 Millionen Dollar für einen Film wie "Guardians of the Galaxy" zu geben?

Feige: Der enorme Erfolg des ersten Iron-Man-Films, mit dem ja kaum jemand gerechnet hatte, hat uns sehr geholfen. Bei "Guardians of the Galaxy" ging das ganz einfach. Wir haben gesagt, dass wir diesen Film als nächstes machen wollen, und die Antwort von Disney war: "Großartig!" In den Jahren zuvor, als wir mit anderen Studios gearbeitet haben und nicht die Kontrolle über unsere Filme hatten, war das völlig anders.

SPIEGEL ONLINE: Wie zufrieden sind Sie mit den Marvel-Filmen, über die Sie bis vor Kurzem keine Kontrolle hatten? Sony, Fox und auch die deutsche Constantin besitzen Rechte an Ihren Comics.

Feige: Mal so, mal so. Die Spider-Man-Filme von Sam Raimi mag ich sehr, auch viele der X-Men-Filme von Fox.

SPIEGEL ONLINE: Der letzte Teil der X-Men-Reihe, "Dark Phoenix" fiel beim Publikum und bei der Kritik durch. Hatten Sie Einfluss auf den Film?

Feige: Keinerlei.

SPIEGEL ONLINE: Warum ist "Dark Phoenix" ein Flop? Einfach nur ein schlechter Film oder beginnende Superheldenerschöpfung beim Publikum?

Feige: Haben Sie den Film gesehen? Puh. Seit es Superheldenfilme gibt, gibt es auch immer wieder Flops. Und seit ich Superheldenfilme mache, werde ich gefragt, ob es Superheldenerschöpfung beim Publikum gibt. Nein, ich mache mir da wenig Sorgen, die Comics sind so vielfältig, da stecken noch viele, viele Geschichten drin. Solange wir es schaffen, das Publikum zu überraschen, ist alles gut.

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SPIEGEL ONLINE: Wie verstehen Sie sich eigentlich selbst im Marvel Cinematic Universe? Als Produzent? Als Showrunner?

Feige: Hm.

SPIEGEL ONLINE: Oder gar als "Creator", als Gott?

Feige: Na klar, Gott! Nein, Schöpfer der Figuren waren Leute wie Stan Lee oder Jack Kirby, die die wunderbaren Comics erschaffen haben. Wir bei Marvel Studios sind die Stewards ihrer Figuren. Also: Ich verstehe mich als Produzent und als glücklicher Fan.

SPIEGEL ONLINE: Bei Marvel Studios sind immer viele Filme gleichzeitig in verschiedenen Phasen der Entwicklung. Sie selbst nehmen an Sitzungen über Details teil, die zum Teil erst vier Jahre später gedreht werden. Jetzt kommen noch die Serien dazu, die Sie für den Streamingdienst Disney Plus produzieren. Wie behalten Sie all diese Projekte im Kopf?

Feige: Schon als Kind konnte ich mir die Namen von 300 "Star Wars"-Spielzeugfiguren merken, die Zeitleiste der "Herr der Ringe"-Bücher oder die Historie der Starfleet-Organisation in "Star Trek". Über so was denke ich einfach gern nach, solche fiktiven Universen unterhalten mich. Und jetzt ist es mein Job!

SPIEGEL: Nun planen Sie, mit Shang-Chi erstmals einen chinesischen Superhelden in das Zentrum eines Films zu stellen.

Feige: Ich bin Mitte Vierzig, weiß und männlich. Klar, dass meine Helden Luke Skywalker und Marty McFly heißen. Aber wir wollen die ganze Welt in unseren Filmen widerspiegeln. Egal in welchem Winkel der Welt du lebst, es soll auch für dich einen Helden geben, mit dem du dich identifizieren kannst.

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SPIEGEL ONLINE: Wie sieht ein maßgeschneiderter Film für China aus?

Feige: So gehen wir an Filme nicht heran. Wir suchen starke Geschichten. Einfach eine asiatische Figur ins Drehbuch reinschreiben und dann hoffen, dass Chinesen ins Kino kommen, das funktioniert nicht. Die Leute riechen das sofort. Bei "Iron Man 3" haben wir das probiert, und die Zuschauer haben uns gefragt: Warum macht ihr das? Wir brauchen das nicht.

SPIEGEL ONLINE: Sie gelten aktuell als Hollywoods Goldjunge. Werden Sie nicht ständig um Rat gebeten?

Feige: Ich gebe nur wenigen die Gelegenheit dazu. Ich bin ein Stubenhocker. Wir bei Marvel sind ziemlich ungesellig. Wir bleiben lieber unter uns.