Eine Geschichte zweier Captains

Szene aus "Captain Marvel" (2019) / © The Walt Disney Company Germany GmbH

Es ist schon eine Weile her, da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: Ich saß im Kino und es liefen hintereinander die Trailer von „Shazam“ und „Captain Marvel“. Da blitzte der Gedanke auf: Mit einem Abstand von weniger als 30 Tagen starten eigentlich zwei „Captain Marvel“-Filme in deutschen Lichtspielhäusern.

Das Original

Ja, der geneigte Comicleser, der vielleicht doch ein reiferes Alter erreicht hat, wird sich erinnern, dass unser heutiger „Shazam“ einst ebenfalls „Captain Marvel“ hieß (oder auch „The Big Red Cheese“, aber über den Namen legen wir hier erst mal den Mantel des Schweigens). Warum hat ausgerechnet DC einen eigenen Captain Marvel? Warum heißt der jetzt anders? Wer ist denn dann auch noch Marvelman? Und welcher der beiden Captains wird die Kinokassen lauter klingeln lassen?

Zur vierten Frage kann ich aktuell leider nicht viel beitragen, aber vielleicht kann ich bei den anderen beiden helfen: Tatsächlich ist der heutige „Shazam“ von DC der erste „Captain Marvel“ gewesen. Damals war er allerdings noch kein Gefährte von Batman und Superman, denn bei DC wurde er gar nicht entwickelt. Fawcett hieß der damalige Verlag, bei welchem 1939 ein Junge namens Billy Batson das magische Wort „SHAZAM“ rief und sich so in einen strahlenden Superhelden verwandeln konnte. Es waren noch Pioniertage damals. Die wirklichen Kracher, das waren die Zeitungsstrips, die Comics von Hal Foster, Milton Caniff oder Alex Raymond, deren herausragend gezeichnete Werke in den Zeitungen der Vereinigten Staaten verteilt wurden. Dann kam DC, damals noch National, die erstmals eigene Comicgeschichten in Hefte packten und verkauften (alles etwas einfacher und billiger als in den Zeitungen) und mit einer Geschichte über einen Superhelden einen absoluten Verkaufsknaller schufen. Jede Menge Epigonen folgten, einige bei DC selbst, wie Batman, Wonder Woman oder Green Lantern, und andere Verlage versuchten es ihnen gleich zu tun, sei es Marvel (damals Timely) mit Captain America oder Namor oder ein Verlag namens Fawcett, der mit Captain Marvel an den Start ging.

Cover „Whiz Comics #2“

Die Idee zu Captain Marvel kam von Herrn Fawcett selbst, er wollte einen Helden wie Superman, nur sollte sein Alter Ego kein Reporter sein, sondern ein 10-12 jähriger Junge – direkt aus der Zielgruppe. Aus dieser Idee formten der Redakteur Bill Parker und der Zeichner Charles Clarence Beck die Figur „Captain Thunder“, die kurz vor Release des ersten Heftes in „Captain Marvel“ umbenannt wurde. Seine Erscheinung war natürlich angelehnt an den Prototypen der Superhelden, den Mann aus Stahl: ein kräftiger, schwarzhaariger Muskelmann in einem einfach zu zeichnenden, überwiegend einfarbigen Kostüm mit Cape. Seine Erscheinung war angelehnt an den Schauspieler Fred MacMurray, der damals mit Romcoms und Noir-Krimis berühmt wurde und später dank „Flummi“ in „Der fliegende Pauker“ zur Disney-Ikone wurde.

„Captain Marvel“ war eine von mehreren Geschichten in der zweiten Ausgabe von „Whiz Comics“ (1939). Damals war es üblich, dass ein Heft mehrere verschiedene Geschichten enthielt und nicht nur einem Helden gewidmet war, eine Tatsache, die erst Superman änderte. Doch der Erfolg war enorm. Auch der Captain bekam nur einige Monate später sein eigenes Heft „Captain Marvel Adventures“, im ersten Heft geschrieben von „Captain America“-Erfinder Joe Simon und gezeichnet vom „König der Comics“ Jack Kirby.

Captain Marvel schaffte es, was man eigentlich nicht für möglich halten konnte. Er holte Superman ein und wurde zum erfolgreichsten Superhelden in den USA. Seine Hefte verkauften sich besser, und er wurde der erste Superheld, dessen Abenteuer al, ja, nennen wir es mal Realfilm, auf die Leinwand kamen. Ein gigantischer Erfolg und der sollte gemolken werden, wie es nur geht. Es sollte Spin offs geben und angelehnt an Captain Americas Bucky oder Batmans Robin sollte Captain Marvel nicht solo bleiben und so kamen Captain Marvel, jr. und Mary Marvel hinzu, die auch eigene Geschichten bekommen sollten.

Cover „Captain Marvel Adventures #16“

Mit dem Eintritt der USA in den Zwweiten Weltkrieg verließ Redakteur Parker den Captain und übergab ihn an Otto Binder, der bereits für Fawcett schrieb, und zum wohl wichtigsten Schreiber der Captain-Comics wurde und der dessen Universum noch stärker mit neuen Figuren erweiterte, unter anderem des Captains Erz-Nemesis „Black Adam“.

Doch zur wahren Nemesis des Captains und seines Verlages wurde der Superman-Hausverlag DC. Sie verklagten Fawcett wegen Urheberrechtsverletzungen und zogen vor Gericht. Ein damals nicht ganz einfacher Fall, der auch heute noch zitiert wird. In unserer Zeit, wo quasi monatlich Spandex-bekleidete Muskelmänner im Kino die Welt retten, denkt vermutlich keiner groß darüber nach, ob da irgendjemand von irgendjemandem eine Idee geklaut hat, aber damals waren die Zeiten noch anders und der große Erfolg des Captains dürfte DC schon ziemlich ins Mark getroffen haben (auf seinem ersten Heft wirft der Captain, wie Superman bei seinem ersten Cover, ein Auto, das hätte man tatsächlich ein wenig subtiler machen können…), weshalb sie das Thema vor einen Richter brachten.

–Ah, so kam DC also an die Rechte an der Figur.–

Nö, den Fall verlor DC nämlich und sie durchliefen weitere Instanzen.

–Okay, aber irgendwann dann verlor Fawcett dann die Rechte an DC.–

Auch nicht, tatsächlich sind die Resultate relativ komplex, aber überwiegend wurde DC nicht recht gegeben.

-Und warum hat DC den Captain dann nun heute?–

Na ja, die Gerichtsauseinandersetzungen kosteten Fawcett viel Geld und dem Captain erging es nicht anders als vielen seiner Kollegen: Der Zweite Weltkrieg, die Zeit für patriotische Typen, die Nazis kloppen, war vorbei, und die Amerikaner wollten sich lieber mit anderen Sachen beschäftigen. Und verrückte „Wissenschaftler“ erzählten den interessierten Eltern, dass ihre Kinder durch Comics zu Sodomisten, Massenmördern und Leichenschändern würden und der Schund sofort verbrannt werden sollte. Fawcett stellte also seine Comics ein und einigte sich mit DC, dass sie keine Captain-Marvel-Comics mehr drucken werden.

-Aaaaah, und sie übergaben die Figur dann an DC…-

Nö, erst Anfang der 70er kaufte der damalige DC-Chef und Comic-Legend-Forever Carmine Infantino für seinen Verlag die Rechte am „Big Red Cheese“ (-He, das wollten wir doch nicht mehr sagen).
Wir kommen an diesen Punkt zurück, aber jetzt erst mal ein kleines…

Intermezzo: Woher kommt denn Marvelman?

Tatsächlich war Captain Marvel nicht nur in Amerika sehr beliebt, die Figur konnte in viele Länder verkauft werden und die Hefte liefen dort ziemlich erfolgreich. Als Fawcett die Veröffentlichung von „Captain Marvel“ einstellte und der Nachschub ausblieb, reagierten die Verantwortlichen in den einzelnen Ländern. In Belgien begann man bereits vorher eigene Comics zu machen, so gab es im Magazin „Bravo“ z. B. neue Storys zu Captain Marvel, jr. gezeichnet von einem gewissen Al Uderzo, der später einen gewissen „Asterix“ ko-kreieren sollte.

Cover „Marvelman #35“

In England versuchte man so wenig wie möglich das Publikum damit zu konfrontieren, dass es sich eigentlich ausgeMarvelt hat. Dazu entwickelte der Zeichner Mick Anglo die Figur Marvelman, die äußerlich dem Original-Captain nachempfunden wurde und auch eine sehr ähnliche Hintergrundgeschichte verpasst bekam. Und auch wie der Captain bekam Marvelman Sidekicks an die Seite gestellt. Auch Marvelman erwies sich als Erfolg und wurde wiederum in andere Länder weiterlizenziert. Doch auch für Marvelman hieß es 1960 aufgrund schlechter werdender Geschäfte: Feierabend…

…zunächst. Denn Anfang der 80er wurde in England ein neues Comicmagazin namens „Warrior“ aus der Taufe gehoben. Dez Skinn, ein ehemaliger Marvel-Mitarbeiter, wollte in seinem neuen Heft auch Marvelman, eine seiner Lieblingsfiguren, wiederbeleben. Er übergab sie an den damals noch eher unbekannten Alan Moore und den Zeichner Garry Leach. Moore wollte Marvelman aber nicht nur einfach wiederbeleben, er wollte einen neuen Ansatz finden, einen, der in die neue Zeit der 80er passt. Einen, der eher an eine Geschichte erinnert, die er ebenfalls für „Warrior“ schrieb, „V for Vendetta“ – düster, pessimistisch, gewalttätig und anspruchsvoll. Er brach mit dem Mythos der farbigen, guten Superhelden und gehörte damit zu jenen, die die Superheldencomics zum „Dark Age of Comics“ revolutionierten. Nach Moores Abgang von den Serie, die, um Querelen mit dem Marvel-Verlag zu entgehen, in „Miracleman“ umbenannt wurde, übernahm Neil Gaiman, inzwischen auch eine Autorenlegende, die Arbeiten an der Geschichte, die er aber wegen des Bankrott des Verlages nicht fertigstellen konnte. Todd McFarlane, Image-Gründer und Spawn-Erfinder, kaufte „Miracleman“ (dachte er zumindest) und führte ihn in seine „Spawn“-Comics ein. Nicht so gut darauf zu sprechen war wiederum Neil Gaiman, der ebenfalls Rechte an Miracleman geltend machen wollte und dafür sogar eine eigene Firma gründete, um gegen McFarlane vorzugehen. Hier könnte man wieder ewig und drei Tage über das Urheber- und Markenrecht philosophieren. Am Ende war es aber so, dass Mick Anglo niemals seine Rechte an Marvel-Miracle-Man verkauft hatte und so Marvel Comics, mit dem Segen von Gaiman, die Rechte an M***-man abkauften und Gaiman nun nach Jahren seine Geschichte abschließen kann.

Zurück zu den echten Captains…

Das Marvel-Wunder

Marvel gab es natürlich schon im goldenen Zeitalter der Superheldencomics, in den 40ern, damals aber noch unter dem Namen Timely, später hießen sie dann Atlas. Es gab zwar bereits eine Heftreihe namens „Marvel Comics“ im Verlag, aber viel Bedeutung hatte der Name ansonsten für sie nicht. Als Stan Lee mit vielen anderen Kreativen wie Steve Ditko, Jack Kirby, John Romita usw. neues Leben in das siechende Unternehmen brachte, wurde der Verlag allerdings bereits Marvel genannt. Zunächst noch unmerklich (wer findet das winzige Verlagslogo auf dem „Fantastic Four“-1-Heft?), dann aber zunehmend. Marvel an sich wurde zu DER wichtigen Marke im Comicheldensektor und keiner sollte ihnen das streitig machen. Aber da gab es doch noch diese Figur gleichen Namens, die zwar nicht mehr veröffentlicht wurde, die aber doch jeden Moment plötzlich wieder in Erscheinung treten konnte.

Cover „Captain Marvel #1“ (1968)

Und da sind wir wieder, Urheber- und Markenrechte – nicht sehr einfach. Marvel wollte alles, was irgendwie Marvel heißen könnte, bei sich haben. Und so veröffentlichte Marvel 1968 die erste Ausgabe ihres eigenen „Captain Marvel“, von Stan Lee und Gene Colan. Damals noch ein Typ, ein Alienkrieger der Kree, der ähnliche Kräfte hatte wie, na klar, Superman. Damit hatte Marvel das Markenrecht für den Titel „Captain Marvel“, und um das zu behalten, mussten sie in hoher Frequenz Comics des Captains veröffentlichen. Wir haben hier also eine Heftserie, die nicht wirklich aus einem kreativen Impuls entstanden ist, sondern lediglich, um einen juristischen Vorteil zu bekommen. Kein Wunder, dass diese Serie nicht unbedingt oberste Priorität bei den Kreativen und Lesern besaß. Tatsächlich waren die Verkaufszahlen nicht berauschend. Aber da war eben noch diese andere Figur gleichen Namens und die gehörte dann auch noch plötzlich zu Erzrivalen DC. Hätte Marvel aufgehört, unter dem Namen „Captain Marvel“ Comics zu veröffentlichen, dann hätte DC jederzeit unter dem Firmennamen des Hauptkonkurrenten eine Heftserie starten können. Und so zog der Marvel-Verlag das durch. Von 1968-1979 als fortlaufende Serie, dann die große Geschichte „Der Tod von Captain Marvel“ vom großen Jim Starlin. Auch dieser Superheldentod hielt nicht lange, denn es gab – natürlich – neue Captain Marvels, die sofort einsprangen. Miniserien, Oneshots, Untold Tales, Death, Life, Reborn… darunter auch wirklich großartige Sachen, die man unbedingt gelesen haben sollte, wie der angesprochene Tod des Captains von Jim Starlin, die Serie von Peter David und natürlich die Comics des aktuellen Captains, Carol Danvers, die man nun auch im Film bestaunen wird, hervorragend geschrieben von Kelly Sue DeConnick.

Cover „Shazam #1“ (1973)

Und wieder zurück zu DC

DC kaufte also „Captain Marvel“ von Fawcett und damit hatten sie nun den „Big Red… jaja… ich sag’s nicht“ im Verlag. Aber eine Serie mit dem Namen war wegen Marvels Markenrecht nicht möglich. Und so erschien 1973 SHAZAM! Nr. 1 mit dem „Original Captain Marvel“ als Untertitel (welcher sofort von Marvel mit einer Abmahnung bedacht wurde). Witzigerweise wird der Captain auf dem Cover sogar präsentiert von Superman, welcher der Figur vor Jahren noch so viel Ärger bereitete. Die Wiederkehr des echten Captain Marvels war allerdings schon ein Riesending in der damaligen Zeit. Tatsächlich war es kein Reboot, wie wir es heute kennen und wie Marvel es gefühlt jährlich durchzieht. Der Bösewicht Dr. Sivana (den wir im „Shazam“-Film sehen werden) hat nämlich den Captain und seine Familie für 20 Jahre in einer Art Kraftfeld gefangen gehalten. Gezeichnet wurden die neuen Comics wie zu den Anfangszeiten von C.C. Beck, doch das war ein Problem. Es waren nicht nur 20 Jahre in der Story vergangen, auch in der Welt der Comics hatte sich viel verändert. Die Geschichten wurden realistischer und düsterer. Der Roadtrip Green Arrows und Lanterns veränderte das Bild der Comics. Die Kinder, die einst Comics lasen, waren nun Studenten oder Erwachsene und hatten andere Anforderungen an Superhelden-Storys als Jahre zuvor. Der Hype des ersten Heftes verpuffte und die Reihe wurde schnell wieder eingestellt. Der Captain blieb aber natürlich DC erhalten. Er trat bei „Superman“ auf, bei der „Justice League“ und so weiter. Auch eigene Storys bekam der Captain wieder, angepasst an den modernen Zeitgeist: The New Beginning, Power of Shazam, er bekam eine eigene Fernsehserie (die erste Nicht-Trickserie der eigentlichen Animations-Schmiede Filmation) und wurde mehr und mehr zu einem wichtigen und essentiellen Teil des DC Universum.

Zum New-52-Reboot (wieder dieses Wort…) im Jahr 2012 wurde bei DC dann doch mal der Namensschnitt gemacht. Geoff Johns und Gary Frank erzählten als Rückseitencomic der „Justice League“-Hefte eine neue Captain-Marvel-Geschichte, nur hieß er nun nicht mehr so. „Shazam“ war nicht mehr nur Titel und Kampfschrei des Helden, es war nun auch sein offizieller Name.

Und das, liebe Kinder, war die Geschichte der zwei Captains, zwei Mann gehen rein, eine Frau kommt raus (und einer hat sich nen neuen Namen gegeben). Beide landen nun auf der großen Leinwand in Big-Budget-Filmen, die beiden Figuren noch mal eine ganz neue popkulturelle Bedeutung geben und diese ganze Abhandlung nur zu einem Vorgeschmack machen könnte, auf das was noch kommt. Superman mit der Trickreihe der Fleischers, der Fernsehshow und natürlich dem Reeves-Film, Batman mit der Adam-West-Serie, den Burton- und Nolan-Kinofilmen, Iron Man mit Downey Jr. – sie alle haben im weltweiten Bewusstsein durch den Sprung auf die Leinwand einen gewaltigen Wachstumsschub erhalten, und genau das könnte mit unseren beiden hier auch passieren – einem 80-Jährigen, der mal der Größte von allen war und dann zu einem Spielball von Gerichten und Auseinandersetzungen wurde, und einer etwas jüngeren Dame, die es eigentlich nur gibt, weil ein Verlag seinen Namen schützen wollte. Und so ein Gespann sieht man wahrlich nicht jeden Tag im Kino.

Eine Filmkritik zu „Captain Marvel“ findet sich hier.

Michael Hochhaus ist Comicfan seit er denken und Pestalozzi-Büchlein mit Asterix lesen konnte. Inzwischen arbeitet er in der Filmabteilung von Koch Media und schreibt so selten wie möglich Texte über sein Lieblingsmedium.