Eine Studie in Smaragdgrün

Eine Studie in Smaragdgrün
Eine Studie in Smaragdgrün
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Marcel Scharrenbroich
8101

Comic-Couch Rezension vonMai 2020

Story

Gaiman streut viele falsche Fährten und überrascht immer wieder. Spannend und unvorhersehbar. Einen großen Pluspunkt gibt es für den ausführlichen und erklärenden Bonusteil!

Zeichnung

Leider muss ich sagen, dass da mehr drin gewesen wäre. Von Albuquerque bin ich besseres gewohnt, was hauptsächlich den fehlenden Details und Hintergründen geschuldet ist.

Ph'nglui mglw'nafh Sherlock L'ondon wgah'nagl fhtagn *

„Mein Name ist Henry Camberley. Sie haben sicher von mir gehört.“

Nnnnnnnein? Nicht wirklich… aber das ausführliche Glossar am Ende von „Eine Studie in Smaragdgrün“ schafft diesbezüglich Abhilfe. Generell ist dieses erklärende Stichwortsammlung Gold wert und soll sich noch als sehr wichtig erweisen… aber darauf kommen wir später zu sprechen.

Die Geschichte beginnt mit einem Kriegsveteranen, der nach seinem Afghanistan-Einsatz verwundet ins viktorianische London zurückkehrt. So… wenn es nicht schon beim Titel geklingelt hat, der sich offensichtlich an dem Kriminalroman „Eine Studie in Scharlachrot“ orientiert, in welchem erstmals ein gewisser Sherlock Holmes auftauchte, dann sollte doch der (nicht sonderlich gut) versteckte „Sherlock“-Hinweis in der Überschrift und nicht zuletzt die bekannte Watson-Rückkehr eindeutig und unmissverständlich klarmachen, dass wir es hier mit einer Story über Sir Arthur Conan Doyles Meisterdetektiv zu tun haben, oder? Vollkommen richtig… und auch komplett falsch. Ha! Genau SO hab ich auch geguckt… aber schauen wir weiter: Ein Bekannter des Veteranen vermittelt ihm einen Kontakt, der ebenfalls auf der Suche nach einem Mitbewohner ist. Obwohl komplett gegensätzlich, beschließen der Soldat und der leicht exzentrisch wirkende Junggeselle mit dem Auge für Kleinigkeiten eine gemeinsame Bleibe zu beziehen. In der Baker Street (klingelingeling!).

Obwohl der eher verschlossene Ex-Soldat nicht wirklich erpicht darauf ist zu wissen, womit der neue Mitbewohner seinen Lebensunterhalt bestreitet, soll er es schon bald erfahren. Spätestens, als unangekündigter Besuch vor der Tür steht. Inspector Lestrade von Scotland Yard. Nun erfährt der Afghanistan-Rückkehrer, dass sein neuer bester Freund ein beratender Detektiv ist und nicht zum ersten Mal die Arbeit der lokalen Polizei unterstützt. Dass die Spürnase einiges auf dem Kasten hat, hatte sie schon beim ersten Kennenlernen unter Beweis gestellt, also erübrigt es sich auch fast, dass Lestrade mit Einzelheiten aufwarten muss, um den beiden den richtigen Weg zu weisen. Nur so viel: Es handelt sich um eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung.

Ihre Droschke führt sie durchs zwielichtige St. Giles. Einen Bezirk Londons, den wir wohl als sozialen Brennpunkt bezeichnen würden. Also einen Ort, den man nach Einbruch der Dunkelheit nur noch mit Ritterrüstung und Raketenwerfer durchqueren sollte. Halt machen sie dann vor einer schäbigen Absteige in Shoreditch. Siffig, heruntergekommen und so gallig, wie die giftgrüne Flüssigkeit, die das Zimmer in der ersten Etage großflächig verziert… den Tatort. Eine grüne Lache in der Mitte des Raumes. Selbst die Wände schimmern smaragdgrün, ob des Schlachtfests, welches hier stattgefunden haben muss. Ein genauer Blick auf das Opfer bleibt uns verwehrt. Doch können wir uns anhand des großzügig verteilten Lebenssaftes lebhaft vorstellen, wie der Täter hier gewütet haben muss. Eine farbige Botschaft hinterließ er ebenfalls noch. An der Wand prangt in grasgrün-blutigen Lettern das Wort RACHE.

Dass es sich hier nicht um einen „normalen“ Leichnam handelt, wird selbst einem Laien schnell klar. Das Opfer war von königlichem Geblüt. Franz Drago von Böhmen… ein persönlicher Gast und zudem der Neffe von Königin Victoria. Und da man eine Einladung des Königshauses nicht abschlägt, machen der ehemalige Scharfschütze und der Detektiv sich auf zum Palast. Dort treffen sie auf Victoria Gloriana, die sich vor siebenhundert Jahren, nach ihrem Sieg über die Menschen, selber krönte und großes Interesse daran hat, den Mörder ihres Neffen aufzuspüren…

Crossover der kosmischen Art

DAS muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: H. P. Lovecraft trifft auf Sir Arthur Conan Doyle… orchestriert von Neil Gaiman. Da treffen im wahrsten Sinne WELTEN aufeinander. Auf der einen Seite Lovecrafts Cthulhu-Mythos, jener kosmischer Schrecken, der von den Großen Alten handelt, die seit Anbeginn der Zeit auf unserer Erde verweilen und vom US-Autor August Derleth noch weiter geformt und weitergesponnen wurden, und auf der anderen Seite Sherlock Holmes. Der Detektiv mit dem siebten Sinn, der mit detailgenauer Beobachtungsgabe die kniffeligsten Fälle durch Scharfsinn und Deduktion zu lösen vermag. Jedoch treten in „Eine Studie in Smaragdgrün“ weder Cthulhu noch Holmes persönlich in Erscheinung.

Damit eine Story aber trotzdem das beste aus beiden Welten bieten kann, bedarf es schon eines Autoren wie Neil Gaiman, der mit „Ein gutes Omen“, „Niemalsland“, „Sternwanderer“, „Coraline“ oder „American Gods“ bereits phantastische Stoffe schuf, die es zum Teil sogar auf die große Leinwand oder den heimischen Bildschirm schafften. Außerdem ist er im Comic-Bereich für die legendäre „Sandman“-Saga verantwortlich und textete mehrfach erfolgreich für MARVEL („1602“, „Eternals“), DC („Batman: Was wurde aus dem Dunklen Ritter?“) und deren Imprint Vertigo („Hellblazer“, „Die Bücher der Magie“) sowie Dark Horse („Harlequin Valentine“, „How to Talk to Girls at Parties“). Gaiman spielt nämlich mit den Inhalten beider Welten. Er nimmt hier etwas heraus, dreht und wendet es, jongliert ein wenig damit und fügt es dann an einem anderen Platz wieder ein.

Ich gebe zu, dass meine Erwartung bei einer Lovecraft/Doyle/Gaiman-Kombo astronomisch hoch wahr… und ich nach dem ersten Lese-Durchgang zwar nicht enttäuscht, aber etwas ernüchtert zurückblieb. Dann las ich das bereits angesprochene Glossar, da für mich viele Fragen offenblieben. Ich kann also nicht sagen, dass mir die Story, die Gaiman zuerst in Textform (kann auf dessen Homepage im PDF-Format kostenlos bezogen werden!) in dem Anthologie-Band „Schatten über Baker Street – Mörderjagd in Lovecrafts Welten“ (Bastei-Lübbe) im Jahr 2005 zum Besten gab, komplett am Arsch vorbeiging… mitnichten, meine Damen und Herren! Vielmehr war ich angefixt. Wollte wissen, wo Neil Gaiman mit den Inhalten der legendären Schriftsteller experimentiert hat. Und ich bekam Antworten. Also las ich „Eine Studie in Smaragdgrün“ mit den neugewonnenen Erkenntnissen erneut (es sind nur 92 Seiten inkl. Bonusteil… so what?) und habe es nicht bereut. Erst jetzt fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren… Da hat sich wirklich jemand – also Mr. Gaiman – Gedanken gemacht und sich mit der Materie – beziehungsweise den MateriEN – auseinandergesetzt. Kein Abklatsch und keine Parodie… sondern eine Verbeugung vor dem Schaffen beider Schriftsteller.

Der (schöne) Schein trügt…

Auf den ersten Blick fangen die Zeichnungen von Eisner Award-Preisträger Rafael Albuquerque die Stimmung des viktorianischen Londons gut ein. Dies liegt aber zu einem großen Teil an den atmosphärischen Farben von Dave Stewart, der auch schon die „Black Hammer“-Reihe mit seinen Kolorierungen veredelt. Der Brasilianer Albuquerque arbeitete schon für alle namhaften Verlage und trat in letzter Zeit hauptsächlich durch die beiden Image-Reihen „Huck“ und „Prodigy.“, aus der Feder von Mark Millar, in Erscheinung. Sein Charakter-Design ist auch durchaus gelungen und sein Stil ist ebenfalls durchaus gefällig. Es stört allerdings, dass die Protagonisten den Großteil der Panels einnehmen. Hintergründe werden oft nur angedeutet, obwohl gerade ein solches Setting für jeden Künstler ein idealer Ort zum Austoben sein müsste. Bisweilen verzichtet Albuquerque sogar ganz auf das, was sich hinter den Charakteren abspielt und lässt sie fast schon im luftleeren Raum schweben… also vor einer weißen Wand. Da ist es fast schon gnädig, wenn verwaschene Farben einen eintönigen Hintergrund simulieren. Schade, denn da wäre viel mehr machbar gewesen.

Großes Lob gibt es für den umfangreichen Bonusteil, angefangen mit einem mehrseitigen Sketchbook. Im Anschluss folgt ein doppelseitiger Kommentar von Anne M. Pillsworth, einer US-Autorin von Romanen und Kurzgeschichten, und das informative Glossar von Jens R. Nielsen, durch das ich gleich zweimal in den Genuss dieser Geschichte kam. Das Hardcover aus dem Dantes Verlag ist sehr gut verarbeitet und lässt auch von der Druckqualität keine Wünsche offen.

Fazit:

Im Schnitt bleibt „Eine Studie in Smaragdgrün“ auch in Comic-Form ein sehr lesenswertes (wenn auch verschachteltes) Crossover. Es spielt zwar nicht ganz in der „Liga“ wie Alan Moores „außergewöhnliche Gentlemen“, kann aber sowohl Freunde von H. P. Lovecrafts Schauergeschichten als auch Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes gleichermaßen unterhalten.

 

* inspiriert durch „Ph'nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtagn / In seinem Haus zu R'lyeh wartet der tote Cthulhu träumend“ (Quelle: Paperback-Ausgabe des „Necronomicon“… passt in jede Tasche.)

Eine Studie in Smaragdgrün

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