SGB-II-Leis­tun­gen: An­ge­mes­sen­heit eines Ei­gen­heims darf von ak­tu­el­ler Be­woh­ner­zahl ab­hän­gen
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Dass im Rah­men der Prü­fung eines An­spruchs auf SGB-II-Leis­tun­gen bei selbst be­wohn­tem Wohn­ei­gen­tum die an­ge­mes­se­ne Größe von der ak­tu­el­len Be­woh­ner­zahl ab­hängt, ist mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar. Dies hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ent­schie­den. El­tern aus­ge­zo­ge­ner Kin­der wür­den nicht dis­kri­mi­niert, wenn sich da­durch die an­ge­mes­se­ne Wohn­flä­che re­du­zie­re. Die Vor­schrift setze das Be­darfs­de­ckungs­prin­zip um, wo­nach im Sys­tem der Grund­si­che­rung staat­li­che Leis­tun­gen all­ge­mein nach­ran­gig ge­währt wer­den.

SGB-II-Leis­tun­gen wegen zu gro­ßen Ei­gen­heims nach Aus­zug der Kin­der ab­ge­lehnt

Ein Ehe­paar be­wohnt ein gut 144 Qua­drat­me­ter gro­ßes Ei­gen­heim al­lein, seit auch das letz­te ihrer sechs Kin­der aus­ge­zo­gen ist. Die Ehe­frau be­an­trag­te zu­schuss­wei­se SGB-II-Leis­tun­gen. Das Job­cen­ter lehn­te den An­trag ab. Es ver­wies auf das Haus als Ver­mö­gen, das auch ver­wert­bar sei, weil es auf­grund sei­ner Größe kein Schon­ver­mö­gen im Sinn des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II sei. Nach die­ser Re­ge­lung ist selbst ge­nutz­tes Wohn­ei­gen­tum bei der Be­dürf­tig­keits­prü­fung bei einem Bezug von Grund­si­che­rungs­leis­tun­gen ge­schützt, wenn es eine "an­ge­mes­se­ne Größe" hat. Die an­ge­mes­se­ne Größe eines Hau­ses hängt nach der Recht­spre­chung des BSG von der An­zahl der dort le­ben­den Per­so­nen ab. Bei einem Zwei-Per­so­nen-Haus­halt sind da­nach 90 Qua­drat­me­ter an­ge­mes­sen. Nach § 12 Abs. 3 Satz SGB II sind für die An­ge­mes­sen­heit die Le­bens­um­stän­de wäh­rend des Leis­tungs­be­zugs ma­ß­geb­lich. Das mit der Klage der Frau be­fass­te So­zi­al­ge­richt hielt § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 i. V. m. Satz 2 SGB II für ver­fas­sungs­wid­rig. Es ver­trat die An­sicht, die Re­ge­lung dis­kri­mi­nie­re Fa­mi­li­en, indem sie das Wohn­ei­gen­tum von El­tern in ihrer ak­tu­el­len Le­bens­si­tua­ti­on nur des­halb nicht schüt­ze, weil sie in einer vor­an­ge­gan­ge­nen Le­bens­pha­se Kin­der be­treut hät­ten, für die sie grö­ße­ren Wohn­raum hät­ten vor­hal­ten müs­sen.

BVerfG: Ma­ß­geb­lich­keit ak­tu­el­ler Be­woh­ner­zahl nicht zu be­an­stan­den

Das BVerfG hat ent­schie­den, dass die Re­ge­lung mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar ist. Nicht zu be­rück­sich­ti­gen, ob in dem ak­tu­ell zu groß be­mes­se­nen Wohn­ei­gen­tum einst Kin­der er­zo­gen wor­den seien, ent­spre­che dem all­ge­mei­nen Sys­tem der Grund­si­che­rung, staat­li­che Leis­tun­gen nach­ran­gig zu ge­wäh­ren. Den ge­gen­wär­ti­gen Be­darf als Be­zugs­punkt staat­li­cher Trans­fer­leis­tun­gen zu wäh­len, ver­fol­ge einen ver­fas­sungs­recht­lich le­gi­ti­men Zweck. Für die Frage der an­ge­mes­se­nen Größe von Wohn­raum auf die ak­tu­el­le Be­woh­ner­zahl ab­zu­stel­len, sei zur Rea­li­sie­rung des Be­darfs­de­ckungs­prin­zips auch im ver­fas­sungs­recht­li­chen Sinn ge­eig­net und er­for­der­lich und die dar­aus für El­tern aus­ge­zo­ge­ner Kin­der re­sul­tie­ren­de Un­gleich­heit stehe zu dem Re­ge­lungs­zweck nicht außer Ver­hält­nis. Denn auch der so­zia­le Rechts­staat sei dar­auf an­ge­wie­sen, dass Mit­tel der All­ge­mein­heit, die zur Hilfe für deren be­dürf­ti­ge Mit­glie­der be­stimmt seien, nur in Fäl­len in An­spruch ge­nom­men wer­den, in denen ak­tu­ell Be­dürf­tig­keit vor­lie­ge. Auf der an­de­ren Seite wür­den den Be­trof­fe­nen hier nicht Leis­tun­gen ver­wehrt, die sie zur Exis­tenz­si­che­rung be­nö­tig­ten. Denn sie ver­fü­gen über Wohn­ei­gen­tum, das sie ein­set­zen und damit ihren Be­darf selbst si­chern könn­ten.

BVerfG, Beschluss vom 28.04.2022 - 1 BvL 12/20

Redaktion beck-aktuell, 2. Juni 2022.

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