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Wirtschaft Sieben-Jahres-Haushalt

EU heißt: Am Ende zahlt immer Deutschland

Ausweitung des Haushalts könnte für Deutschland teuer werden

Der EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger macht Druck. Bei dem EU-Gipfel im Juni müsse es zu den wichtigen Punkten Vorentscheidungen oder Kursvorgaben geben, fordert Oettinger. Doch sein Vorschlag der Ausweitung des Haushaltes, könnte für Deutschland teuer werden.

Quelle: WELT/ Laura Fritsch

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Der nächste EU-Siebenjahreshaushalt für die Jahre 2021 bis 2027 droht Deutschland teuer zu stehen zu kommen.
  • Ein Grund ist die von EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger vorgeschlagene grundsätzliche Ausweitung des Haushalts.
  • Außerdem erheben andere Staaten, allen voran Frankreich, zum Ärger von Deutschland immer mehr Ansprüche an Berlin.

Die deutsche Elf hatte bei der WM 2018 bekanntlich das alte Gary-Lineker-Bonmot entzaubert: Fußball sei, wenn 22 Männer dem Ball hinterherjagen, „und am Ende gewinnen immer die Deutschen“, definierte der britische Ex-Kicker vor fast zwei Jahrzehnten. Stimmt nur leider nicht.

Eine andere Überzeugung hingegen, die ebenfalls die Rolle der Vorzeige-Deutschen betrifft, könnte sich schon bald einmal mehr als wahr erweisen: Wenn Brüssel mehr Geld braucht, appelliert es an das Verantwortungsbewusstsein aller Hauptstädte – und am Ende zahlen immer die Deutschen.

Der nächste Siebenjahreshaushalt für die Jahre 2021 bis 2027, über den in der kommenden Woche die Staats- und Regierungschefs beim Brüsseler EU-Gipfel diskutieren wollen, droht Deutschland teuer zu stehen zu kommen. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.

Einer davon ist die von EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger vorgeschlagene grundsätzliche Ausweitung des Haushalts: Bisher hatte das Budget für sieben Jahre – in Brüssel-Sprache „mehrjähriger Finanzrahmen“ (MFR) genannt – ein Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU ausgemacht. Künftig sollen es 1,114 Prozent sein, also fast 1300 Milliarden Euro.

Diese Anhebung allein könnte Deutschland als größtem Netto-Zahler der EU zusätzliche Ausgaben von zwölf Milliarden Euro im Jahr bescheren. In Berlin, wo zeitweise sogar die Zahl von 15 Milliarden Euro gehandelt wurde, herrscht darüber Unmut.

Berlin sei zwar bereit, mehr zu bezahlen, aber mehr als zehn Milliarden Euro obendrauf seien nicht drin, hieß es im vergangenen Jahr klar und eindeutig aus dem Bundesfinanzministerium. Und seither hat sich die Situation sogar noch verschärft. Denn im vergangenen Jahr war Berlin noch von einem deutlich höheren Wirtschaftswachstum ausgegangen.

Berlin soll mehr zahlen und weniger bekommen

Außerdem erheben andere Staaten, allen voran Frankreich, zum Ärger von Deutschland immer mehr Ansprüche an Berlin. So hatte der französische Finanzminister Bruno Le Maire gefordert, dass sich einige Staaten bei dem geplanten Euro-Zonen-Budget stärker als andere engagieren sollten, um die EU-Währung und Konjunktur zu stabilisieren. Wen er damit meinte, war eindeutig: vor allem die deutschen Nachbarn.

Zugleich will Brüssel aber an dem, was ins Land zurückfließt, kürzen. Das gilt unter anderem für Bauern. Zwar sind die Verhandlungen über die künftige Agrarpolitik noch nicht abgeschlossen. Aber in Berlin kursieren Szenarien, nach denen deutschen Bauern künftig nur noch 41 statt wie bisher 44,1 Milliarden Euro an Zuschüssen zukommen werden.

Rückgänge wird es zudem bei den Regionalfonds geben, was sich im Osten und im Ruhrgebiet schmerzhaft bemerkbar machen dürfte. Statt bisher 19,2 Milliarden Euro an Strukturfördermitteln soll Deutschland nur noch 17,7 Milliarden Euro erhalten, hatte die für Regionalpolitik zuständige EU-Kommissarin Corina Cretu in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ angekündigt.

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Oettinger, der jetzt in Brüssel noch einmal Druck auf die Verhandlungen zum MFR machen wollte, ist dennoch zuversichtlich, dass die Deutschen am Ende tiefer in die Tasche greifen werden: In der Schlussphase der Verhandlungen werde sich die Bundesregierung bestimmt an ihre im Koalitionsvertrag festgehaltenen Versprechungen erinnern, diese noch einmal genau nachlesen und dann „Zugeständnisse“ beim mehrjährigen EU-Budget machen, so Oettinger.

Soll heißen: Wenn es am Ende noch irgendwo hakt, sich irgendein Land querstellt oder im Gegenzug für sein Ja zum Finanzrahmen eine Ausnahmeregelung fordert, dann dürfte es wohl Deutschland sein, das in die Lücke springt. Dafür spricht tatsächlich einiges – vor allem der Terminplan.

Im vergangenen Mai, als er seinen Vorschlag für das Zahlenwerk vorstellte, hatte Oettinger auf ein baldiges Abnicken durch EU-Rat und Parlament gehofft. Doch danach sieht es ganz und gar nicht aus. Das liegt unter anderem daran, dass Österreich sich von Beginn an gegen den geplanten Haushalt gestellt hatte.

Wien gehört zu den Gegnern der Ausweitung des Budgets

Wien gehörte wie auch die Niederlande zu den Gegnern einer Ausweitung des Haushalts und verweigerte daher in seiner EU-Ratspräsidentschaft, das Thema voranzutreiben. Diese Zeit fehlt nun. Auch stecken zentrale Themen wie die Agrarförderung noch ganz in den Anfängen.

Daher wird der MFR wohl kaum mehr in diesem Jahr verabschiedet – und die Verhandlungsführung fällt damit zwangsläufig in die Hände von Deutschland und vermutlich von Angela Merkel, sollte die Kanzlerin dann noch im Amt sein.

Eine Ratspräsidentschaft ist aber gezwungen, zu vermitteln und eigene Interessen zurückzustellen. Das umso mehr, als die Verhandlungen komplexer und komplizierter werden dürfte als je zuvor. Der Kampf um Milliarden aus dem EU-Topf wird ohnehin schon so erbittert geführt wie kein anderer in der EU.

Schon beim letzten MFR 2014 bis 2020 waren sich die Mitgliedstaaten erst in allerletzter Minute einig geworden – so spät sogar, dass Forschungsprojekte, Bauern, Infrastrukturvorhaben und Studenten teilweise vorübergehend ohne Geld dastanden, weil die Planungen erst verzögert fertig wurden. Und dieses Mal ist die Lage noch verzwickter. Die Brexit-Lücke muss ausgeglichen, neue Aufgaben wie der Grenzschutz müssen gestemmt werden.

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Zugleich haben die inneren Spannungen massiv zugenommen, und auch im EU-Parlament ist die Lage schwieriger geworden, seit die beiden großen Fraktionen keine gemeinsame Mehrheit mehr haben. „Die heikle Gemengelage macht Verlauf und Ergebnisse des Aushandlungsprozesses schwerer vorhersehbar und die Akteure weniger berechenbar“, analysiert der Europaexperte Peter Becker in einer aktuellen Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

„Wegen der zunehmenden Unsicherheit wächst bei allen Beteiligten die Erwartung, dass Deutschland eine ausgleichende Rolle spielen wird.“ Viele Länder erhofften sich, dass Deutschland als stärkste Volkswirtschaft und größter Nettozahler zusätzliche Ressourcen aufbringen werde, um einen Konsens über den neuen MFR zu ermöglichen. Deshalb benötige die Bundesregierung „klare und feste Vorstellungen, auf welchen Feldern sie EU-Politiken modernisieren sowie weiter europäisieren und vergemeinschaften will“.

Doch von diesen klaren Vorstellungen ist die zerstrittene Regierungskoalition weit entfernt. Das gilt nicht zuletzt bei Fragen nach einer Haltung zu künftigen Eigenmitteln, wie sie sich Brüssel und Haushaltskommissar Oettinger zur Mitfinanzierung des EU-Haushalts wünschen.

So hatte sich die EU-Kommission für die Einführung einer Plastiksteuer ausgesprochen – und dafür von SPD-Umweltministerin Svenja Schulze sofort eine Abfuhr erhalten. Plastik, so Schulze, sei schließlich oft vernünftig eingesetzt: „Im Krankenhaus will niemand Glasspritzen.“

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