Eisbohrkerne

Die Luft früherer Jahrtausende und Jahrhunderttausende kann in den im Eis eingeschlossenen Luftbläschen analysiert werden.

Eisige Klimakalender

Bis zu einer Million Jahre zurück reichen die Klimakalender im Eis der inneren Antarktis, mehr als 100.000 Jahre im Inlandeis Grönlands und auch in den Gletschern der Hochgebirge der Erde kann sich alte Klimainformation erhalten – sogar in hochgelegenen tropischen und subtropischen Gletschern Afrikas und Südamerikas. Klimainformation ist in den stabilen Isotopen des Eises selbst gespeichert. Die Zusammensetzung der Luft früherer Jahrtausende und Jahrhunderttausende kann in den im Eis eingeschlossenen „fossilen“ Luftbläschen analysiert werden.

Beinahe eine Million Jahre zurück liefert uns das Verhältnis von schweren und leichten Isotopen des Sauerstoffs (16O/18O, H/D bzw. Wasserstoff zu Deuterium) Informationen über die Temperatur. Entscheidend ist dabei, dass beim Vorgang der Verdunstung des Ozeanwassers, also beim Phasenübergang von flüssig zu gasförmig, die Isotopen der Bestandteile des Moleküls Wasser (H2O), also 18O bzw. D gegenüber den „normalen“ Atomen 16O bzw. H, je nach der Temperatur des Ozeanwassers unterschiedlich schnell in die gasförmige Phase übergehen. Isotopenphysiker sprechen von temperaturabhängiger Defraktionierung.

Klima aus der Eismatrix

Der Wasserdampf in der Atmosphäre hat also ein isotopisches Temperatursignal aufgeprägt, das man durch weltumspannende Messungen unter heutigen Verhältnissen kennt. Die Isotope sind stabil und zeigen keinen radioaktiven Zerfall.

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Abb. 1: Links: Bohrbeginn im antarktischen Inlandeis, wo der Kalender bis zu einer Million Jahre zurückreicht (Kipfstuhl S., Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung). Rechts: Blick auf die an der steilen Abbruchsstelle freigelegten Jahresschichten des alpinen Eisbohr-Eldorados Colle Gnifetti in der Gipfelzone des Monte Rosa, wo der Klimakalender wahrscheinlich 10.000 Jahre zurückreicht (Wagenbach D., Institut für Umweltphysik, Universität Heidelberg).

 

In Gebieten, wo Niederschlag ausschließlich in Form von Schnee fällt und nach seiner Ablagerung auch nie auftaut – also in der Antarktis, Grönland und flächenmäßig viel kleineren hochgelegenen Gebirgsgletschern – sammeln sich somit Kalender mit diesem isotopischen Temperatursignal an. Die Eisschichten müssen (im Inlandeis mehrere Kilometer tief) angebohrt und in umweltphysikalischen Isotopenlabors analysiert werden, um die historische Entwicklung der Temperaturschwankungen der Klimavergangenheit zu liefern. Hierin liegt viel Detailarbeit in der Berücksichtigung der Eisdynamik bei der Altersbestimmung des „Eiskalenders“. Auch die Nachvollziehung der Transportwege und der Vorgänge bei der Niederschlagsbildung ist notwendig.

Treibhausgase aus Gasbläschen

Rund eine halbe Million Jahre zurück ist die Zusammensetzung der früheren Atmosphäre durch eine fantastische Leistung moderner Analysetechnik bekannt: Sogar der Gehalt von Spurengasen wie Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und anderen Treibhausgasen lässt sich in den kleinen Luftbläschen, die im Eis der Antarktis und Grönlands eingeschlossen sind, feststellen. In diesen kalten Inlandeisgebieten findet kein Antauen und Wiedergefrieren der Schneeoberfläche statt. Der Schnee, welcher Jahr für Jahr dort fällt, wird lediglich durch sein eigenes Gewicht mit zunehmender Tiefe immer mehr zusammengepresst, bis so durch trockene Metamorphose (ohne den störenden Einfluss durch Flüssigwasser) Gletschereis entsteht. Dadurch wird nach vielen Jahren die Luft endgültig im Eis eingeschlossen.

In einem der dafür besonders geeigneten Tiefbohrkerne im Inlandeis der Antarktis, der im europäischen EPICA-Projekts erarbeitet wurde (European Project for Ice Coring in Antarctica), konnten auf diese Art und Weise der CO2- und der CH4-Gehalt in den Luftbläschen bis 700.000 Jahre zurück bestimmt werden. Man muss sich das vor Augen halten: In den sehr geringen Luftmengen, die im Eis eingefangen sind, werden Spurengase gemessen, die in Mengen von 300 (bei CO2) bzw. sogar von weniger als einem Molekül (bei CH4) pro Million Luftmolekülen vorhanden sind. Und in diesen Schichten hat man nirgends einen CO2-Gehalt von mehr als 300 Millionstel gefunden.

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Abb. 2: Schematische Darstellung des Prozesses der Schneemetamorphose in einer polaren Schneedecke (blau Luft, weiß Schnee bzw. Eis) (Hondoh 2000).

 

„Eisalter ist nicht gleich Gasalter“ ist eine der Binsenweisheiten unter Eiskern-Fachleuten. Warum ist das so? Es dauert sehr lange, bis bei der Schneemetamorphose die Luftbläschen im Eis der Polargebiete völlig abgeschlossen sind (Abb. 2). Bei den dortigen Klimaverhältnissen kann zunächst die Luft in der Schneedecke recht frei zirkulieren und es mischen sich somit die späteren Luftproben Jahrhunderte bis Jahrtausende hindurch, bis in Tiefen von typischerweise 100 m eine Schneedichte von 820 kg/m³ erreicht ist, bei der die Luftbläschen vollkommen abgeschlossen sind.

Verschwommenes Gasalter

Die Gasproben in den tiefen Eisbohrkernen liefern somit langjährige Mittelwerte und könnten einen schnellen Temperaturanstieg, wie er zurzeit vor sich geht, gar nicht erfassen. Der jüngste Punkt auf der berühmten CO2-Kurve aus den antarktischen Tiefbohrkernen Vostok und EPICA in Abbildung 3 ist sicherheitshalber mit mehr als 2000 Jahren vor heute angegeben. Das bedeutet nicht, dass das Eis, in dem sich die Luftblasen befinden, schlecht datierbar wäre, sondern nur dass die im fixen Eisgerüst beweglichen Gase weniger exakt greifbar sind.

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Abb. 3: Die beiden zurzeit längsten Temperatur- und CO2-Zeitreihen aus dem Inlandeis der Antarktis kombiniert aus Messdaten von Eisbohrkernen an den Bohrstellen Vostok und Dome C (Jouzel u.a. 2007, Petit u.a. 1999, Siegenthaler u.a. 2005, EPICA 2004).

 

Literatur:

EPICA community members (2004): Eight glacial cycles from an Antarctic ice core. Nature 429, 623–628, doi:10.1038/nature02599

Hondoh T. (Hg.) (2000): Physics of ice core records. Sapporo: Hokkaido University Press, 459 Seiten, ISBN 978-4-8329-0282-4

IPCC (2021): Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S.L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, In press, doi:10.1017/9781009157896.

Jouzel J., Masson-Delmotte V., Cattani O., Dreyfus G., Falourd S., Hoffmann G., Minster B., Nouet J., Barnola J.M., Chappellaz J., Fischer H., Gallet J.C., Johnsen S., Leuenberger M., Loulergue L., Lüthi D., Oerter H., Parrenin F., Raisbeck G., Raynaud D., Schilt A., Schwander J., Selmo E., Souchez R., Spahni R., Stauffer B., Steffensen J.P., Stenni B., Stocker T.F., Tison J.L., Werner M., Wolff E.W. (2007): Orbital and millennial Antarctic climate variability over the past 800,000 years. Science 317, 793–797, doi:10.1126/science.1141038

Petit J.R., Jouzel J., Raynaud D., Barkov N.I., Barnola J.M., Basile I., Bender M., Chappellaz J., Davis J., Delaygue G., Delmotte M., Kotlyakov V.M., Legrand M., Lipenkov V., Lorius C., Pépin L., Ritz C., Saltzman E., Stievenard M. (1999): Climate and atmospheric history of the past 420,000 years from the Vostok ice core, Antarctica. Nature 399, 429–436, doi:10.1038/20859

Siegenthaler U., Stocker T.F., Monnin E., Lüthi D., Schwander J., Stauffer B., Raynaud D., Barnola J.M., Fischer H., Masson-Delmotte V., Jouzel J. (2005): Stable carbon cycle-climate relationship during the late pleistocene. Science 310: 1313–1317, doi:10.1126/science.1120130

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