Die meisten jungen Menschen leiden an der sogenannten Speisekartenangst. Das hat eine britische Studie festgestellt. Auch Untersuchungen aus den USA legen nahe, dass immer mehr Menschen zögern, ein Restaurant zu betreten, geschweige denn darin zu essen. Viele haben offenbar mit Schweißausbrüchen zu kämpfen, wenn sie eine Bestellung aufgeben sollen. Woran mag das liegen?

Vielleicht an der mangelnden Übung? Menschen, die daran gewöhnt sind, jedes Bedürfnis digital zu verwalten, die also alles, was sie brauchen, im Netz mustern und bestellen, erleben im Restaurant den Rückfall in eine längst überwunden geglaubte bühnenhafte Fleischlichkeit; sie müssen eine unterkomplexe Theaterrolle spielen, nämlich die des hungrigen Auftraggebers, der vom Gegenüber eine Dienstleistung fordert. Sie sollen einen anderen konfrontativ in Marsch setzen: "Das Steak, bitte medium. Und Pommes statt der Ofenkartoffel." Und sie müssen, Stichwort Pampigkeit, mit dessen Widerwillen rechnen. An der sozialen Front. Denn genau das ist ein Restaurant. Der Kellner hat einen Frontberuf, und der Gast ist ein Frontbesucher. Während man sich am Bildschirm in Ruhe entscheidet und beim meditativen Toilettengang die Kaufentscheidung revidieren kann, sind wir im Restaurant zum punktgenauen Wollen gezwungen. Zeige dich dem Dienstleistenden, räusper, als entschlossener Gast. Ein Vorgang, der dazu geeignet ist, alle Beteiligten zu beschämen. Den Bestellenden, weil er öffentlich etwas will, braucht, also abhängig ist; den Kellner, weil er einen Befehl entgegennimmt, also ebenfalls abhängig ist.

Da wir aber inzwischen gewohnt sind, unsere Befehle und Beschwerden, unseren Zorn und unsere Unterwürfigkeit an Bildschirmen abzuladen beziehungsweise zerschellen zu lassen, zeigen wir uns im Restaurant überfordert: von der Nichtlöschbarkeit aller Vorgänge. Und von dem Zwang, die erbärmliche Rolle – Gast oder Kellner – durchzuhalten, die uns der Ort der Handlung aufzwingt. (Weshalb viele Restaurants bereits auf direkten Kontakt zwischen Gästen und Angestellten verzichten und den Bestellvorgang mittels Display, gewissermaßen netzanonym, abwickeln.)

Aus alldem ergibt sich eine zentrale, die Zukunft unserer Gattung betreffende Frage: Welche Folgen wird die Speisekartenangst für die Partnerwahl haben? Sie spielt sich ja einerseits immer häufiger im Internet ab. Andererseits geht sie oft im Restaurant in die entscheidende Phase. Wird die Menschheit langfristig an diesem Widerspruch scheitern? Darüber muss jetzt dringend geforscht werden.