Postapokalypse und Machotum

„Hombre“ dokumentiert den wütenden Willen des historischen Underground-Comics zum Verstoß gegen bürgerliche Geschmacksnormen; der französischen Comic „Negalyod“ inszeniert die definitive Klimakatastrophe auf originelle Weise

José Ortiz’ in „Hombre“ gern genutztes Italo-Western-Zitat der verschwitzten, stoppelbärtigen Visage Foto: All Verlag

Von Christoph Haas

Science-Fiction und Western sind miteinander verwandt. Beide kreisen sie um die Fantasie vom Aufbruch ins Unbekannte, in unerforschte Weiten. Die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation – im realen wie im psychischen Sinne – ist der magische Ort des Western, und nicht umsonst wird im Amerikanischen der Weltraum gerne als „the last frontier“ bezeichnet. Aber auch in Geschichten, die auf der Erde spielen, können die beiden Genres sich nahe kommen – dann nämlich, wenn von der Postapokalypse erzählt wird, von einem Leben nach dem Weltuntergang.

In dem französischen Comic „Negalyod“ hat die definitive Klimakatastrophe stattgefunden. Das Gebiet, das früher einmal die USA waren, ist zu einer ausgedehnten Wüste geworden, in der teils wilde, teils von den Menschen als Nutztiere gehaltene Dinosaurier leben. Hier ist der junge „Cowboy“ Jarri zu Hause. Als von einem Fahrzeug, mit dem Regen provoziert werden soll, alle Tiere seiner Herde durch Blitzschläge getötet werden, beschließt Jarri, in die Stadt zu reisen, um sich an den anonymen Mächtigen, die dort über das rare Gut Wasser herrschen, zu rächen.

Besonders originell ist die Dystopie, die Vincent Perriot entwirft, nicht. Schön ist aber, wie viel Zeit er sich lässt, um seine Handlung zu entwickeln. Auch dass am Ende nicht einfach ein böser Gewaltherrscher gestürzt wird, sondern einiges offen, ambivalent bleibt, ist eine gute Idee. Um die Natur- und Stadtlandschaften in ihrem Unterschied von majestätischer Leere und wimmelnder Fülle zur Geltung kommen zu lassen, arbeitet Perriot gerne mit sehr großen Panels oder sogar ganzseitigen Bildern. In Folgen von kleinen, quadratischen Panels porträtiert er dagegen die Figuren, mit denen Jarri und seine Freundin Korienzé auf elektronische Weise kommunizieren.

Erheblich grober gestrickt ist die spanische Serie „Hombre“, die im Original von 1981 bis 1994 erschienen ist. Der erste Band der insgesamt dreibändigen Gesamtausgabe enthält drei albenlange Abenteuer und eine Kurzgeschichte. Stark ist der pointierte Einstieg auf der ersten Seite. Drei querformatige Panels zeigen die Silhouette derselben Großstadt, aber in ganz unterschiedlichem Zustand: vor, während und nach der Apokalypse. In den Erlebnissen des einsamen Helden Hombre wechseln die Schauplätze dann vom weiten Land in einen atomar verseuchten Dschungel, von der Küste eines Meeres in eine halb wieder aufgebaute Stadt. Stets aber geht es um das Überleben in einer Welt, in der der Mensch dem Menschen zur Bestie geworden ist.

„Hombre“ ist ein bunt zusammengeflickter Comic. Das brutale, mit reichlich Sex versetzte italienische Horrorkino der Siebziger, Achtziger dient ihm ebenso als Vorbild wie der wütende Wille der Underground-Comics zum Verstoß gegen bürgerliche Geschmacksnormen. Wiederholt wird zudem die Ikonografie des Italo-Western zitiert: Männer mit verschwitzten, stoppelbärtigen Visagen tragen Ponchos und gekreuzte Patronengurte; der stoisch Zigarillo rauchende Hombre ist nicht nur das ins Groteske übersteigerte Traumbild eines mediterranen Machos, sondern auch wie die Clint-Eastwood-Figur in Sergio Leones „Dollar“-Trilogie ein Fremder ohne Namen.

Verantwortlich für „Hombre“ sind zwei inzwischen verstorbene Routiniers, die in mehreren Ländern und Genres tätig waren. Antonio Segura hat auch für die in Italien seit Jahrzehnten immens populäre Western-Serie „Tex“ geschrieben. José Ortiz war, wie sein Landsmann Antonio Hernández Palacios („El Cid“, „Mac Coy“), ein Liebhaber von Kontrasten und Schraffuren, die seine Zeichnungen sehr plastisch wirken lassen. Am deutlichsten wird dies in der schwarz-weiß abgedruckten Kurzgeschichte: In ihrem ursprünglichen Zustand sind Ortiz’Blätter viel subtiler und aufregender, als es die etwas aufdringliche Kolorierung sonst erkennen lässt.

Vincent Perriot (Text und Zeichnungen): „Negalyod“. Aus dem Französischen von Marcel Le Comte. Carlsen Verlag, Hamburg 2019, 208 Seiten, 28 Euro

Antonio Segura (Text), José Ortiz (Zeichnungen): Hombre Gesamtausgabe, Band 1. Aus dem Spanischen von Swantje Baumgart. All Verlag, Wipperfürth 2018, 200 Seiten, 34,80 Euro.