Thüringen:Mit Alkoholverbot und Gelächter gegen Neonazis

Participants arrive for one of Germany's biggest right-wing music festivals in Themar

Danach wurde vieles anders: das rechsextreme Festival im Sommer 2017 in Themar.

(Foto: REUTERS)

Thüringens Regierung hat lange gehofft, rechtsextreme Netzwerke würden sich von selbst erledigen. Erst ein Rock-Festival mit Tausenden Rechten rüttelte die Verantwortlichen wach.

Von Antonie Rietzschel, Themar

Es ist heiß im Schützenhaus. Vor der Bühne springen Menschen auf und ab, getrieben vom Schlagzeug und den Gitarren. Schweiß läuft über knallrote Gesichter. Ein Konzert im südthüringischen Themar. Eigentlich verheißt das nichts Gutes: Denn "Konzert in Themar" erinnert viele an den Juli 2017, als 6000 Rechtsextreme vor der Stadt ein zweitägiges Neonazi-Festival feierten, mit Bands wie Stahlgewitter oder Blutzeugen. Hitlergruß und "Sieg-Heil"-Rufe schafften es bis in die "Tagesschau".

Und die Nazis kamen seitdem immer wieder. Zu "Rock für Identität", zu den "Tagen der nationalen Bewegung". Ihr Grölen lag über den Straßen von Themar. Nun, Mitte Oktober, ist es wieder laut in der thüringischen Stadt. "Es geht los, es geht los heute Nacht." Das klingt wie eine Drohung. Aber diesmal müssen die Einwohner keine Neonazi-Schlagzeilen fürchten. Denn die Stimme gehört Monchi, dem Sänger von Feine Sahne Fischfilet. Die Band ist aus ihrer Heimatstadt Rostock angereist, um Themar einen neuen Sound zu verpassen. "Dieser Abend wird nicht die Welt verändern", sagt Monchi auf der Bühne. "Aber vielleicht kann er euch ein bisschen Kraft geben."

Die Punkband Feine Sahne Fischfilet spielt in Themar

Feine Sahne Fischfilet spielten im Schützenhaus in Themar.

(Foto: dpa)

Feine Sahne Fischfilet sind hier als Mutmacher für die 300 Menschen, die vor der Bühne tanzen. Mehr hatten im Saal des Schützenhauses keinen Platz. Sie kommen aus Themar, aber auch aus Suhl, Apolda, Kirchheim, Mattstedt. Aus Orten, die sich dauernd im Protestmodus befinden. Weil dort seit Jahren Neonazis aufmarschieren.

Politik und Behörden schauten lange Weg. In der Hoffnung, dass sich das Problem von selbst erledigt. Das galt besonders für die CDU als langjähriger Regierungspartei. Doch selbst die vor vier Jahren gewählte rot-rot-grüne Landesregierung änderte ihre Strategie erst nach der bundesweiten Aufregung um das riesige Neonazi-Festival. Themar galt im Sommer 2017 als Symbol des Versagens. Heute ist die Stadt ein Modellprojekt für den Kampf gegen rechtsextreme Großveranstaltungen. Das liegt nicht zuletzt an dem Durchhaltevermögen vieler Initiativen. Aber auch an dem Engagement von Innenminister Georg Maier.

Schnitzel für 8,88 Euro

Als der SPD-Politiker im August 2017 das Amt übernahm, erklärte er den Kampf gegen Rechtsextremismus zur Chefsache. Maier lud Landräte zu Veranstaltungen ein, die über zentrale rechtsextreme Akteure aufklärten. Der Innenminister versuchte zu sensibilisieren, wo bisher Gleichgültigkeit oder sogar Sympathien herrschte. "Das sind doch nette junge Leute. Die räumen sogar ihren Müll weg." Solche Sätze hat Maier oft gehört.

Juristen begannen die Landkreise zu beraten. Anfangs suchten sie nach Möglichkeiten, die Veranstaltungen zu verbieten. In Themar fanden sie auf Privatgelände statt. Auf einer Wiese, die der Neonazi Tommy Frenck gepachtet hat. Frenck nennen sie in der Region "Schnitzel-Hitler", weil er an speziellen Tagen, wie Hitlers Geburtstag, in seinem Gasthof in Kloster Veßra Schnitzel für 8,88 Euro verkauft. Die 8 steht in rechtsextremen Kreisen für den achten Buchstaben im Alphabet: HH. "Heil Hitler".

Die Veranstaltungen auf seiner Wiese werden stets als politische Versammlungen angemeldet. Damit sind sie vom Versammlungsrecht geschützt, trotz Eintrittsgeld und Bierausschank. Das Landratsamt in Hildburghausen argumentierte mit dem Naturschutz, als es ein für Juni 2018 geplantes Festival in Themar untersagte. Durch die Veranstaltung würden brütende Vögel gestört. Doch die NPD zog vor Gericht und gewann. 2200 Rechtsextreme reisten an, weit mehr als angemeldet.

Absage in Magdala

Angespornt vom Erfolg planten Rechtsextreme weitere Festivals in Thüringen. In immer kürzeren Abständen. So sollte im August 2018 die Neuauflage des Festivals "Rock gegen Überfremdung" in Mattstedt stattfinden. Sicherheitsbehörden rechneten mit bis zu 5000 Besuchern. Das Dorf rüstete sich für den Ausnahmezustand. Doch das Konzert platzte wegen der komplizierten Besitzverhältnisse des angemieteten Geländes. Teile des 14 000 Quadratmeter großen Areals gehören dem Bund. Das Innenministerium erteilte für die Flächen ein Nutzungsverbot. Die Gemeinde verwehrte den Veranstaltern den Zugang.

Kurz darauf musste auch ein Konzert in Magdala abgesagt werden. Die Gemeinde sperrte den einzigen Zugangsweg zum Festivalgelände für Fahrzeuge. Die Veranstalter wichen auf den Marktplatz in Apolda aus. 700 Rechtsextreme kamen dort an einem Samstag zusammen. Die Versammlung dauerte gerade mal eine Stunde. Als Neonazis Flaschen und Steine warfen, löste die Polizei die Veranstaltung auf.

Doch weil sich Gemeinden und Engagierte nicht auf den Zufall und die Stümperhaftigkeit von Neonazis bei der Suche von Veranstaltungsorten verlassen wollen, hat der Innenminister im April 2019 eine Taskforce gegründet. Die Expertengruppe aus Juristen, Vertretern von Sicherheits- und Versammlungsbehörden berät die Landkreise aber auch zivilgesellschaftliche Initiativen. Das Ziel: Die Neonazis so lange zu nerven, bis ihnen die Lust auf die Feierei im großen Stil vergeht.

Unterbrechungen und Absagen

Die erste Bewährungsprobe folgte Anfang Juli 2019, als die NPD in Themar wieder zu einem zweitägigen Festival einlud. Die Versammlungsbehörde versuchte es diesmal nicht mit einem Verbot, sondern erteilte strikte Auflagen: Am Freitag war auf dem Gelände nur Bier mit niedrigem Alkoholgehalt erlaubt. Für den Samstag wurde Alkohol ganz untersagt. Die Polizei beschlagnahmte 16 Bierfässer und 188 Sixpacks. Die Tankstelle neben dem Festivalgelände machten die Beamten zu ihrem Hauptquartier. Deshalb gab es auch dort kein Bier für Neonazis.

Das auf diese Weise trockengelegte Konzert musste zudem zweimal unterbrochen werden. Eine der auftretenden Bands spielte einen Song, der auf dem Index steht. Eine andere verstieß gegen Auflagen, weil sie Lieder sang, die vorab nicht angemeldet waren.

Die Gegenproteste, einst geprägt von Mahngängen und Friedensgebeten, formierten sich diesmal an zwei Seiten des Festivalgeländes. Auf dem Weg zum Festivalgelände schallte den Neonazis hämisches Gelächter entgegen, abgespielt aus Lautsprecherboxen. Die Nazis wurden zur Lachnummer.

Aus Wut kündigte die NPD für Mitte September ein weiteres Konzert an: "Wann Rechtsrock gespielt wird, bestimmen wir und nicht der Innenminister!", so die großspurige Ankündigung der Veranstalter. Doch dann gab es diverse Absagen aus den eigenen Reihen. Eine russische Band durfte nicht nach Deutschland einreisen. Zwei Bands blieben übrig. Die Veranstaltung wurde verlegt. In den Gasthof von Tommy Frenck in Kloster Veßra. Es kamen gerade mal 150 Besucher. An der Gegenkundgebung nahmen 190 Menschen teil - ein Erfolg.

Langjährige Beobachter der rechtsextremen Szene loben das Vorgehen des Innenministeriums. Der Szene gehen durch Absagen wichtige Einnahmen verloren. Gleichzeitig ist aber die Zahl solcher Großveranstaltungen gering im Vergleich zu sonstigen rechtsextremen Aktivitäten in Thüringen.

Einflussreiche Neonazis wie der NPD-Kader Thorsten Heise oder Tommy Frenck besitzen eigene Immobilien. In ganz Thüringen gibt es 16 Objekte, die Platz bieten für regelmäßige Treffen, etwa Liederabende. Die Zahl solcher sehr viel kleineren Musik-Veranstaltungen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. 32 Liederabende zählte die Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) im Jahr 2017. Im Jahr darauf waren es sogar 45. Die Teilnehmerzahlen schwankten zwischen 14 und 230.

Klage vorm Verfassungsgericht

Die rechtsextreme Szene ist ständig auf der Suche nach neuen Veranstaltungsorten. Die Landesregierung versucht auch da anzusetzen. Als Frenck in Kloster Veßra eine alte Villa ersteigerte, fanden Juristen des Justizministeriums einen Formfehler. Die Deutsche Bahn AG legte Beschwerde gegen den Kauf ein, weil ihre Zuggleise an der Grundstücksgrenze verlaufen. Als direkter Nachbar hätte sie in das Verfahren eingebunden werden müssen. Das Amtsgericht stoppte den Verkauf. Mittlerweile ist auch die Existenz von Frencks "Goldenem Löwen" bedroht. Szenebeobachtern zufolge hat er über Mittelsmänner einen Gasthof in Haselbach, nahe Schleusingen gekauft. Selbst wenn er Kloster Veßra verlassen muss, würde sich das Problem nur verlagern.

Der Kampf gegen die Neonazis, er geht also weiter. Auch für die vielen Engagierten in Thüringen. Das Konzert mit Feine Sahne Fischfilet in Themar ist da nur eine Verschnaufpause vor der nächsten Etappe. Noch in diesem Jahr wollen die Initiativen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um endgültig klären zu lassen, ob Neonazifestivals und kleinere Konzerte, wie sie in Themar stattfinden, tatsächlich vom Versammlungsrecht gedeckt sind. Doch an diesem Abend im Schützenhaus geht es nur ums Feiern. Monchi singt: "Wir bilden Ketten. Solange es brennt. Ich werde immer daran denken, wie schön es zusammen mit dir ist!" Es ist eine Hymne auf das Zusammenstehen. Egal was passiert. Es ist eine Hymne für Themar. Und plötzlich rinnen nicht nur der Schweiß, sondern auch Tränen.

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