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RECHT / VORBEUGUNGSHAFT Solche Zicken

aus DER SPIEGEL 51/1968

Vor 33 Jahren verabschiedeten die Nationalsozialisten in Berlin ein Gesetz, wonach ein Verdächtiger verhaftet werden konnte, wenn »er die Freiheit zu neuen strafbaren Handlungen mißbrauchen werde oder wenn es mit Rücksicht auf die Schwere der Tat und die durch sie hervorgerufene Erregung der Öffentlichkeit nicht erträglich wäre, den Angeschuldigten in Freiheit zu lassen«. Unbequeme Bürger sollten unschädlich gemacht werden.

Letzte Woche brachten Sozial- und Christdemokraten in Bonn einen Gesetzentwurf ein, wonach ein Verdächtiger in »Vorbeugungshaft« genommen werden kann, wenn »bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß der Beschuldigte vor rechtskräftiger Aburteilung ein weiteres Verbrechen oder Vergehen gleicher oder ähnlicher Art begehen werde«. Daß unbequeme Bürger unschädlich gemacht werden sollen, scheint nicht ausgeschlossen.

Und bevor noch der Gesetzentwurf vors Bonner Plenum gekommen ist, stärkt einer der Koalitionspartner solchen Verdacht: Der CSU ist der Entwurfstext, der einem Rechtsstaat schlecht ansteht, zu milde geraten.

Während der SPD-Entwurf, dem sich die Unions-Fraktion binnen Tagesfrist anschloß, eine Vorbeugungshaft nur bei bestimmten Vergehen und Verbrechen und auch nur dann vorsieht, »wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens neun Monaten zu erwarten ist«, plädieren die Bayern für eine vorbeugende Verhaftung bei allen Vergehen und Verbrechen und auch schon dann, wenn eine Tat voraussichtlich nur mit sechs Monaten geahndet wird.

Ausgelöst wurde die sozialdemokratische Schöpfung im Oktober durch ein Hearing vor dem Innenausschuß des Bundestages, in dem die Landesinnenminister beklagten, daß einschlägig vorbestrafte Delinquenten bei neuen Straftaten nach geltendem Recht immer wieder auf freien Fuß gesetzt werden müßten, wenn sie einen festen Wohnsitz haben. Bald danach machte sich der Ausschuß an die Abfassung eines neuen Haftrechts.

Um aber einem allzu vorbeugenden Haftrecht vorzubeugen, ging der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Hirsch mit Unterstützung des »Arbeitskreises Rechtswesen« seiner Fraktion daran, einen eigenen Text zu erarbeiten -- denn »wer weiß, was denen sonst eingefallen wäre«. Hirsch glaubt, Schlimmeres verhindert zu haben, indem er in seinen Gesetzentwurf Kautelen einbaute.

So soll eine Vorbeugungshaft unzulässig sein, wenn Landfriedensbruch, Aufruhr oder Auflauf in Rede stehen -- Straftatbestände, nach denen durchweg studentische Protestaktionen abgeurteilt werden. Nach dem Hirsch-Plan gilt die neue Haftordnung für Mörder und Sittlichkeitsverbrecher, aber auch für kleine Diebe und Rocker, denen schwere Körperverletzung vorgeworfen wird.

Solche Täter dürfen dann vorbeugend eingesperrt werden, wenn sie verdächtig sind, »wiederholt ein die öffentliche Sicherheit und Ordnung empfindlich beeinträchtigendes Verbrechen oder Vergehen« begangen zu haben. Zudem müssen »bestimmte Tatsachen« für eine neue Straftat sprechen, und »die drohende Gefahr« darf »anders nicht abgewendet werden« können.

Was freilich »bestimmte Tatsachen« sind und ob wirklich alle Mittel, der mutmaßlichen Gefahr zu begegnen, ausgeschöpft wurden, könnten deutsche Richter nach Gutdünken bestimmen. Die »Frankfurter Rundschau« sieht die Folgen so: »Vorbeugungshaft, das ist Schutzhaft.«

Solche Sorge erscheint nicht unbegründet. Denn mit welcher Zielsetzung auch immer die Gesetzesschöpfer ihren Entwurf gefertigt haben mögen: Wenn ein Demonstrant auch nur verdächtig ist, zweimal an einer Straßenaktion teilgenommen und dabei nicht nur leichte Körperverletzung begangen zu haben, könnte er vorsorglich eingesperrt werden. Und falls die Vorstellungen der CSU in Bonn Gefallen finden, könnten künftig die Scharen der Apo auf dem Rechtsweg leicht gelichtet werden.

Der rheinland-pfälzische Justizminister Fritz Schneider (FDP) beschwört denn auch alte Zeiten: »Gestern waren es die Sittlichkeitsverbrecher, die man in Vorbeugungshaft steckte, morgen sind es Berufsdiebe, Schläger, Autoknacker und notorische Betrüger. Und wenn man das ausdehnt, kommt man schließlich gar noch dazu, auch jemanden, der den Bundeskanzler schlägt, in Vorbeugungshaft zu nehmen. Dann gerät man ganz nahe an die Schutzhaft.«

Sogar NPD-Chef Adolf von Thadden hält den Gesetzentwurf der Bonner Koalitionsparteien für eine Fehlleistung. Thadden: »Wir würden solche Zicken nicht machen.«

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