Hella von Sinnen und ihre Liebe zu Comics

Auch deutsche Zeichner wagen sich an Legenden

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Die Entertainerin Hella von Sinnen auf der Kölner Comic-Messe
Die Fernsehmoderatorin und Komikerin Hella von Sinnen gerät bei vielen Comics ins Schwärmen. © N.Kubelkax Future Image/imago
Hella von Sinnen im Gespräch mit Ute Welty  · 03.08.2019
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Im Netz moderiert die Entertainerin Hella von Sinnen den ComicTalk, eine Art literarisches Quartett für Comics. Sie ist nicht nur eine Kennerin des Genres, sondern liebt und bewundert auch die Vielfalt der unterschiedlichen Künstler.
Ute Welty: Die ganze Woche über haben wir uns mit Comics beschäftigt, den Werdegang beschrieben – von der Schundliteratur zur Hochkultur –, wir haben den Superhelden auf den Zahn gefühlt und wir haben Asterix und Obelix zum 60. gratuliert. Täte ich das bei Hella von Sinnen, käme der Glückwunsch reichlich spät, denn die Moderatorin und Entertainerin hat bereits im Februar genullt. Zu ihrem 60. wollte sie sich ein eigenes Comic schenken – mit ihr selber als Hauptfigur. Das hat bislang nicht so richtig geklappt.
Hella von Sinnen: Das Problem ist, ich habe erst mal mit 30 Jahren eine Autobiographie geschrieben, jetzt bin ich 60. Ich habe prinzipiell nicht so ein richtiges Bedürfnis, den Menschen aus meinem Leben zu erzählen. Aber wenn ich jetzt den Clou bekomme und denke, ja gut, ein paar Geschichten könntest du noch mal rauslassen.
Dann hatte ich die Idee, bestimmte Anekdoten oder Situation aus meinem Leben oder Situationen von sehr unterschiedlichen Comic-Künstlern zeichnen zu lassen, weil ich durch die letzten Jahre, durch die Arbeit am ComicTalk und auch meine Co-Moderation in Erlangen beim Max-und-Moritz-Preis so tolle Künstler kennengelernt habe, die ich sehr bewundere. Ich dachte, das wäre eine schöne Mischung.
Hella von Sinnen und Dirk Bach bei der Premiere von Sunshine Barry und die Discowürmer im Gloria - Kino in Stuttgart.
Hella von Sinnen und Dirk Bach verband eine langjährige Freundschaft bis zu dessen Tod 2012. © Eventpress Stollberg/picture alliance
Welty: Mir würden Sie eine große Freude bereiten, weil ich mir dann ein genaues Bild machen könnte von der WG, die Sie über die Jahre mit Dirk Bach unterhalten haben. Mit dem haben Sie ja so vieles geteilt, den Beruf, die Berufung, die Liebe zum gleichen Geschlecht – und eben auch das Faible zum Comic.
von Sinnen: Ja, das ist wohl wahr. Alleine die Zeit wäre natürlich ein tolles Sujet für Ralf König. Das finde ich auch spannend, und da brüte ich auch dran herum, du hast ja bestimmte Geschichten oder Anekdoten erlebt, wo du denkst, das kann eigentlich nur der Flix malen oder das kann nur der König malen. Dann ist es vielleicht gerade spannend, das von einer ganzen anderen Zielrichtung her interpretieren zu lassen wie zum Beispiel so ein Minimalismus von Nicolas Mahler. Das wird sehr aufwendig, da muss ich mich wirklich mal dransetzen.

Ralf Königs schwule Comics

Welty: Wo Sie gerade den Namen Ralf König erwähnt haben, den Vater des schwulen Comics. Haben Comics auch etwas getan für Lebensmodelle, die nicht heterosexuell orientiert sind?
von Sinnen: Tja, das kann ich Ihnen jetzt so nicht sagen. Ich weiß, dass es gerade bei den Mangaka, bei den Manga-Künstlern, gibt es eigene Sparten wie Boys Love und Girls Love. Dieses Thema scheint, in der Popkultur angekommen zu sein. Und da sind wohl anscheinend die Hemmschwellen nicht mehr so groß. Dass der Ralf König damals für uns alle eine Offenbarung war, das ist schon so.
Dirk Bach und ich, wir haben gedacht, das sehen wir jetzt nicht, wir liebten eh Comics, und dann hat er aus unserer Welt gemalt. Man darf aber auch nicht verkennen, was Ralf König für ein großartiger Künstler ist. Da geht es nicht nur um irgendeinen Lebensentwurf, sondern die ganze Dynamik, die er in seinen Geschichten hat, sein unglaublicher Humor, das ist einfach beeindruckend. Er hat nicht umsonst letztens in Erlangen für sein Werk den Lebenspreis bekommen. Wir haben uns natürlich gefreut. Inwieweit jetzt heterosexuelle Männer oder Eltern oder wer auch immer das gelesen haben und gedacht haben, ach ja, guck mal, Menschen wie du und ich, das mag ich nicht zu beurteilen.

Lernen aus Comics

Welty: Aber ist das vielleicht überhaupt der Trick des Comics, dass diese Kunstform eine gewisse Leichtigkeit hat, auch wenn es um schwere und schwierige Themen geht?
von Sinnen: Der Comic kann schon sehr viel. Ich bin zum Beispiel auch eine riesige Fanin von Guy Delisle, diesem französischen Zeichner, dessen Gattin bei Ärzte ohne Grenzen arbeitet. Er ist immer mitgereist und hat Reiseberichte geschrieben, gemalt, erzählt. Das war über Pjöngjang und Shenzhen und Birma – und auch Aufzeichnungen aus Jerusalem. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, nach der Lektüre dieser Bücher wusste ich mehr von der Stimmung, vom Klima, von den Menschen aus den Ländern, als wenn ich hier einen dreiviertelstündigen Dokumentationsfilm gesehen hätte. Das ist schon beeindruckend, was Comic kann.
Die Fernsehmoderatorin und Komikerin Hella von Sinnen bei ihrem Comic-Talk im Internet.   
Der ComicTalk der Entertainerin Hella von Sinnen ist im Internet erfolgreich und lockt viele Fans an. © Karin Tornatzky
Welty: Sie erleben das auch im ComicTalk, eine Art literarisches Quartett für Comics, welche Trends können Sie erkennen, was die Comicszene zurzeit angeht?
von Sinnen: Erst mal dürfen deutsche Zeichner sich an Legenden wagen, der Mawil durfte jetzt Lucky Luke malen, da habe ich erst gedacht, wow, mit Mawils Stil, wie soll das gehen – und das funktionierte wunderbar.
Welty: Inwieweit hat das gut funktioniert?
von Sinnen: Weil er alles bedient, was so ein Lucky-Luke-Comic immer mitgebracht hat. Dann einen ganz neuen Humor und eine Köstlichkeit reingebracht hat, die ist schon beeindruckend. Da kann man einfach noch mal sehen, was Mawil kann, und man kann aber auch sehen, dass die Lucky-Luke-Geschichten nicht wirklich auserzählt sind – beziehungsweise man dachte ja, sie wären irgendwie auserzählt, man hätte alles schon gelesen.
Und die ganzen letzten Lucky Lukes, das ist ein bisschen eine Entwicklung wie bei den neueren Asterix und Obelix. Da ist sehr schön Leben eingehaucht worden. Aber auch was die Superhelden anbetrifft wie Batman zum Beispiel, da lassen die auch europäische Künstler ran mit ihrem eigenen Stil, und ich finde, das tut denen sehr gut.

Absage vom WDR

Welty: Der ComicTalk läuft online über verschiedene Ausspielkanäle. Tut sich Deutschland immer noch ein bisschen schwerer als andere mit Comics?
von Sinnen: Ich fürchte ehrlich gesagt ja. Ich war zum Beispiel der Meinung, dass hier unser Westdeutscher Rundfunk, der WDR, den wir hier vor Ort haben, der hat außer der Sendung "Westart" meines Erachtens nicht eine kulturelle Sendung. Dann habe ich eine E-Mail an die jetzige Unterhaltungschefin geschrieben und habe gesagt, sie sollen sich doch mal die Sendung angucken, das wäre doch was, dieses literarische Quartett für Comics, weil das viel Jugend bindet, weil vermehrt junge Leute Comics lesen – und das einfach eine gut gemachte Sendung ist.
Dann bekam ich zurück, das wäre genau richtig im Internet und der WDR wäre da kein Forum für. Das verstehe ich nicht, also auch 3sat oder Arte, weil ich merke ja, dass der Comic immer mehr auch im Feuilleton angekommen ist. Ich sehe auch in einer Sendung wie "Kulturzeit" öfter Besprechungen über Graphic Novels – da hat sich anscheinend wirklich etwas getan, dass die neunte Kunst ernster genommen wird. Deswegen kann ich nicht richtig verstehen, warum nicht ein Fernsehsender sagt, die Sendung gibt es schon, die kostet uns nichts, wir zeichnen das auf und senden das. Also ich kann das nicht verstehen.
Welty: Es gibt die Graphic Novels, es gibt Manga, es gibt die belgischen Klassiker. Gibt es auch eine Comic-Richtung, die Ihnen so gar nicht liegt?
von Sinnen: Also mit den Mangas zum Beispiel, das ist sehr unterschiedlich. Wenn da die Jungs immer alle aussehen wie Bill Kaulitz, dann ist das nicht so mein Sujet. Ich kann tatsächlich nicht so viel mit anfangen mit pubertierenden Kindern, die sich ineinander verlieben.

Der Lieblingscomic

Welty: Was ist Ihr liebster Comic?
von Sinnen: Ich habe im Moment tatsächlich einen ganz fetten absoluten Lieblingscomic, den ich im ComicTalk kennenlernen durfte. Da ist der erste Band erschienen, eine große, fette Schwarte – und das heißt "Am liebsten mag ich Monster" von Emil Ferris, das ist eine Frau aus Amerika. Das ist großartig, so etwas habe ich überhaupt noch nie gelesen. Da waren wir uns auch einig, Helene Bockhorst war auch mit in dem Panel, wo wir das besprochen haben, wir waren fassungslos vor Begeisterung, das ist ganz, ganz toll.
Welty: Warum?
von Sinnen: Das ist eine gute Frage. Warum liebe ich auch immer noch Batman und Superman? Ich mag auch Superhelden, ich mag vor allem die Funnies alle immer noch sehr gerne, Peanuts und Garfield und Hägar und so. Und dann habe ich auch über meine Arbeit Calvin & Hobbes kennengelernt, da bin ich ein Riesenfan von und bin froh, dass der Flix in seiner Kunst diesen Charme auch so rüberbringen kann. Aber dieses, ich kann das kaum beschreiben, den müssen Sie gelesen haben.
Da ist so viel drin, das ist so großartig gezeichnet und so spannend. Es ist einfach großartig. Ich finde das ganz schwierig, den zu beschreiben. Kann man so ohne Weiteres ein tolles Bild beschreiben von Picasso oder Miró oder wem auch immer, was eine große Wirkung auf dich hinterlässt. Irgendwie ist es schwierig, ich bin ja auch jetzt keine Kunsthistorikerin oder eine Literaturpäpstin oder Comicpäpstin, dass ich das jetzt besonders klug wie Dennis Scheck beschreiben könnte. Ich weiß einfach nur, dass ich es liebe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Emil Ferris: "Am liebsten mag ich Monster"
Panini Comics, Modena 2018
429 Seiten, 39 Euro

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