Mittwoch, 12. Januar 2022

BGH erkennt Wegfall der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags bei pandemiebedingter Schließung des Geschäfts an

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Der für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs  (BGH) hat heute entschieden, dass bei pandemiebedingter Schließung eines Geschäfts die Geschäftsgrundlage für den gewerblichen Mietvertrag schwer gestört ist. In dem konkreten Fall hatte die Beklagte von der Klägerin Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemietet. Aufgrund der Corona-Pandemie erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt am 18. und am 20. März 2020 Allgemeinverfügungen, aufgrund derer die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen musste. Infolge der behördlich angeordneten Betriebsschließung zahlte die Beklagte für den Monat April 2020 keine Miete.

In erster Instanz hatte das Landgericht Chemnitz hat die Beklagte zur Zahlung der Miete für den Monat April 2020 in Höhe von 7.854,00 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Dresden die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von 3.720,09 € verurteilt. Zur Begründung hatte das OLG angeführt, infolge des Auftretens der COVID-19-Pandemie und der staatlichen Schließungsanordnung auf Grundlage der Allgemeinverfügungen sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten, die eine Anpassung des Vertrags dahin gebiete, dass die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte reduziert werde.

Der BGH hat das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. In seiner Pressemitteilung zur Entscheidung erläutert der BGH, im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolge, habe der Mieter gewerblich genutzter Räume grundsätzlich einen Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB. Dies gelte unabhängig von der neuen gesetzlichen Regelung (Art. 240 § 2 EGBGB), mit der der Gesetzgeber für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30. September 2022 das Kündigungsrecht des Vermieters beschränkt habe.

Die behördliche Schließung der Geschäfte stelle keinen Mangel der Mietsache, wohl aber eine Störung der Geschäftsgrundlage dar. Betroffen sei die sogenannte große Geschäftsgrundlage. Darunter verstehe man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien sei durch die erlassene Allgemeinverfügungen zur Schließung des Geschäftslokals in der Zeit vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schwerwiegend gestört worden.

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtige jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlange die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könne. Dies sei hier der Fall, weil die Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinausgehe. Durch die COVID-19-Pandemie habe sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst werde. Das damit verbundene Risiko könne regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen könne. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar sei, bedürfe auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Eine pauschale Betrachtungsweise werde den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht.

Deshalb komme die vom OLG vorgenommene Vertragsanpassung, wonach ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabzusetzen sei, nicht in Betracht. Es bedürfe vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung sei, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden seien. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen sei. Es könne auch zu berücksichtigen sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen habe oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

Die Vertragsanpassung dürfe jedenfalls nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen. Deshalb seien bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt habe. Dabei können auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, müssten hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht bleiben, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreiche. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich seien bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Das OLG muss nunmehr prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

Die Entscheidung des BGH ist nachvollziehbar und im Hinblick auf die Interessen beider Parteien auch ausgewogen. Gleichwohl wird sie in der Praxis die Erledigung der streitigen Fälle weiter verzögern. Deshalb sind Vermieter wie Mieter in solchen Fällen gut beraten, eine einvernehmliche Lösung unter Beachtung diese Grundsätze herbeizuführen.


Verfasst von: markt-intern Verlag | Kommentare (1)

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#1 Leserkommentar
von Olaf Weber, 12.01.2022 11:51

<p>https://www.facebook.com/olaf.weber.94/posts/450570083135694<br /> <br /> Ich sehe das Urteil mit gemischten Gefühlen. In der Tat stellt der BGH auf einen Ausgleich zwischen Vermieter und Mieter ab, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände. Grundsätzlich ist das begrüßenswert. Andererseits sind beide Parteien Verlierer in dieser Situation, auch jetzt nach der Entscheidung. Sie müssen sich den entstandenen 'Schaden' irgendwie 'gerecht' aufteilen, was einen Heidenaufwand für die jeweilige Dokumentation der Parteien bedeutet.<br /> <br /> Letztendlich wirkt sich der BGH-Entscheid mit Schwerpunkt auf der Einzelfallprüfung auf sämtliche Mietvertragsverhältnisse aus, nicht nur jene mit gewerblichen Mietern. Die schon so entstehenden Verfahren werden in die Zehntausende gehen und sich mit ausdrücklicher Gutheißung des BGHs bis ins Sanktnimmerlein ziehen. Ob das der Sache in den meisten Fällen gerecht wird? Ich glaube eher nicht.<br /> <br /> Es ist bedauerlich, dass der eigentliche Urheber der Störung der Vertragsbeziehungen, die Bundes- wie Landesregierungen, in dem Urteil gänzlich außen vor blieb, unabhängig davon, ob man die vielen Maßnahmenkataloge für angemessen oder überschießend halten will.</p>

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