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Was Au-pairs erleben Die Gastmutter verlangte Frühstück ans Bett

Tausende junge Menschen arbeiten in Deutschland als Au-pair. Doch was, wenn sie von ihren Gasteltern schikaniert und ausgebeutet werden?
Klägerin Karki

Klägerin Karki

Foto: Lemrich / DER SPIEGEL
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Deepa Karki kam im Dezember 2015 als Au-pair nach Deutschland. Die Nepalesin wollte die deutsche Sprache und Kultur kennenlernen und als Gegenleistung halbtags auf die Kinder der Familie aufpassen. Auch auf leichte Hausarbeiten war sie eingestellt - aber nicht auf das, was sie tatsächlich erwartete.

"Ich musste das ganze Haus putzen und von morgens bis meist spät in die Nacht auf die drei Kinder aufpassen", sagt die 25-Jährige langsam, aber in klarem Deutsch. Immer wieder habe sie der Gastmutter morgens das Frühstück ans Bett bringen müssen. Bei jeder Unachtsamkeit sei diese ausgeflippt. Lange suchte sich Karki keine Hilfe. Auch deshalb, so erzählt sie, weil ihr die Familie bei ihrer Ankunft den Pass abgenommen und ihr bei jeder Gelegenheit gedroht habe, sie zurück nach Nepal zu schicken.

Rund 13.000 Au-pairs sind 2016 nach Deutschland gereist, meist handelt es sich um junge Frauen aus dem europäischen Ausland. Viele stammen aber auch aus visumpflichtigen Ländern, vor allem aus der Ukraine und Georgien, gefolgt von Nepal. Dort mussten sie oft Vermittlungsgebühren bezahlen, um eine der begehrten Stellen zu erhalten, manchmal mehrere Tausend Euro.

Umso schmerzlicher ist es, wenn sie sich mit ihren Gastfamilien überwerfen und im schlimmsten Fall sogar den Aufenthalt abbrechen müssen. Zahlen über solche Vorkommnisse gibt es nicht. Einträge bei Selbsthilfegruppen in sozialen Netzwerken zeigen aber, dass Deepa Karki kein Einzelfall ist. "Abgesehen davon, dass ich viel mehr arbeite, als ich sollte, ignorieren die Eltern mich während Unterhaltungen. Die Mutter schreit mich jedes Mal an, wenn die Kinder Fehler machen. Ich darf auch niemanden mit nach Hause bringen", schreibt eine Elvira.

Eine Erin schildert, wie ihre Gastfamilie sie an einem Besuch bei einer Freundin habe hindern wollen: "Sie haben mir die SIM-Karte und die Haustürschlüssel abgenommen. Ich wusste, dass sie versuchten, mich einzusperren." Mit der ursprünglichen Bedeutung von "au pair", französisch für "auf Gegenseitigkeit", haben die dort beschriebenen Fälle wenig zu tun.

Ein Au-pair sollte laut Bundesagentur für Arbeit maximal 30 Stunden die Woche arbeiten. Außerdem steht ihm ein monatliches Taschengeld von 260 Euro sowie die Teilnahme an einem Sprachkurs zu, an dem sich die Gastfamilie mit 50 Euro monatlich beteiligen sollte.

Susanne Flegel, 56, und Marita Grammatopoulos, 57, wissen, dass die Praxis oft anders aussieht. Weil sie ständig Notrufe erhielten, gründeten die beiden Agenturbetreiberinnen den Verein Au-pair-Hilfe e.V. "Meist geht es darum, dass die Familien die vereinbarten Richtlinien nicht einhalten", sagt Grammatopoulos. Es komme aber auch vor, dass Au-pairs eingesperrt oder sexuell missbraucht würden.

Deepa Karki hatte von einem Kontakt aus Nepal den Tipp bekommen, sich bei den beiden zu melden. Weil die Gastfamilie die junge Frau gegen ihren Willen festhielt, alarmierten Grammatopoulos und Flegel die Polizei. Zwei Beamte holten das Mädchen schließlich ab. Die Gastfamilie bestreitet alle Vorwürfe. Den Pass habe sie nur aus Sorge um das Wohlergehen des Mädchens einbehalten.

Grammatopoulos und Flegel glauben, dass solche Missstände auf die Fehlorganisation des Au-pair-Wesens in Deutschland zurückzuführen sind. Wenn etwas schiefläuft, ist die deutsche Agentur der betroffenen Au-pairs der erste Ansprechpartner. Die wird allerdings in den meisten Fällen von der Gastfamilie bezahlt, die Vermittlung kostet 350 bis 550 Euro.

2002 wurde im Rahmen der Arbeitsmarktreformen die Lizenzpflicht für Au-pair-Agenturen abgeschafft; jeder, der einen Gewerbeschein besitzt, kann seither eine solche betreiben. Über 200 sind derzeit allein im Onlineverzeichnis Au-pair-agenturen.de aufgeführt, darunter auch Onlineplattformen wie Aupairworld.com oder Aupair.com, auf denen sich Gastfamilie und Au-pair finden können, ähnlich wie auf einer Dating-Website.

Helferinnen Flegel, Grammatopoulos

Helferinnen Flegel, Grammatopoulos

Foto: Lemrich / DER SPIEGEL

Die meisten Probleme gebe es bei der Onlinevermittlung, sagt Judith Liehr, da schrieben die Leute, was ihnen so passe. Liehr ist Vorsitzende von Au-Pair Society e.V., einem Zusammenschluss von Agenturen, der sich nach eigener Aussage für die Verbesserung des Au-pair-Wesens in Deutschland einsetzt. Traditionelle Agenturen, sagt sie, achteten hingegen darauf, dass Familie und Au-pair harmonieren, und dienten als Ansprechpartner in Problemsituationen.

"Es gibt Familien und Au-pairs, die wollen selbst entscheiden - ohne zwischengeschaltete Agentur", widerspricht Ann-Kristin Cohrs, Geschäftsführerin von Aupairworld. "Bei uns gibt es eine größere Auswahl und die Möglichkeit, dass Familie und Au-pair direkt miteinander in Kontakt treten." Auch traditionelle Agenturen könnten nicht garantieren, dass Familie und Au-pair zusammenpassten.

Um Orientierung bei der Vielzahl unterschiedlicher Agenturen und Plattformen zu bieten, finanzierte das Familienministerium ab 2004 die Gütegemeinschaft Au-pair - offenbar als Reaktion auf den Suizid eines rumänischen Mädchens, das sich Ende 2002 nach monatelanger Misshandlung durch die Gastfamilie erhängt hatte.

Die Hauptaufgabe der Gemeinschaft besteht darin, Agenturen nach festgelegten Kriterien und auf freiwilliger Basis zu prüfen. Laut Gütegemeinschaft würden unseriöse Agenturen die Prüfung, bei der ein unabhängiger Gutachter die Dokumente der Agentur sichte, nicht bestehen. Susanne Flegel hält das Verfahren für eine Farce. Die Prüfer kündigten ihren Besuch vorher an und blätterten dann bloß durch die Ordner. "Viele zertifizierte Kollegen arbeiten grenzwertig", sagt sie. "Das Siegel ist kein Qualitätsmerkmal, es ist ein Deckmantel." Vor sechs Jahren trat sie deshalb mit ihrer eigenen Agentur aus der Gütegemeinschaft aus. Etwas später lief auch die Finanzierung durch das Ministerium aus. Seitdem müssen Agenturen die Prüfungen selbst bezahlen und einen jährlichen Mitgliedsbeitrag beisteuern.

Foto: DER SPIEGEL

Das Ende der staatlichen Regulierung hat eine Lücke hinterlassen, die bis heute nicht geschlossen ist. So ist ein junger Mensch, der als Au-pair nach Deutschland kommt, heute darauf angewiesen, eine nette Gastfamilie zu finden oder eine Agentur, die sich bei Problemen für Au-pair und Familie gleichermaßen einsetzt. Beides ist Glückssache.

Rein rechtlich handelt es sich beim Au-pair in aller Regel nicht um ein Arbeits-, sondern "um ein Betreuungsverhältnis besonderer Art", erklärt Thomas Durchlaub, Vorsitzender des deutschen Anwaltsinstituts und Arbeitsrechtsexperte. "Es gibt Rechtsunsicherheiten auf beiden Seiten." Familie und Au-pair haben häufig beinahe gegensätzliche Vorstellungen. Die eine Seite wünscht eine Unterstützung im Haushalt, die andere erwartet Familienzugehörigkeit und Kulturaustausch.

Die Agenturen versprächen jeder Gruppe, was sie hören wollte, meint Caterina Rohde-Abuba, Soziologin an der Universität Bielefeld. Das bedeute nicht zwangsläufig, dass der Aufenthalt nicht für beide Seiten bereichernd ausfalle. Allerdings könnte der Wunsch der Familienzugehörigkeit schnell ein Abhängigkeitsverhältnis schaffen, das den Prinzipien der sogenannten moralischen Ökonomie folgt: Im Gegenzug für seine Arbeit im Haushalt und die Kinderbetreuung versucht das Au-pair Wertschätzung und Zuneigung der Gastfamilie zu erlangen. Hinzu kommt, dass keiner der involvierten Akteure zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn den Bestimmungen nicht nachgekommen wird. Dennoch ist das Au-pair im Nachteil: Die Familie kann es im Notfall nach Hause schicken, da der Aufenthaltstitel an die Beschäftigung der im Vertrag genannten Familie gebunden ist.

Üblich ist, dass bei einem Familienwechsel zwei Wochen Karenzzeit bestehen, bevor der Aufenthaltstitel erlischt. Weil es sich dabei aber nicht um ein Gesetz handelt, ist keine Behörde verpflichtet, diese Karenzzeit zu gewähren. Das war auch bei Karki der Fall. Nachdem sie ihre Gastfamilie verlassen hatte, entzog ihr die Ausländerbehörde Lübeck die Aufenthaltserlaubnis. Das Au-pair ging mit Unterstützung von Grammatopoulos und Flegel vor Gericht. Ein Jahr und vier Monate dauerte es, bis das Oberverwaltungsgericht Lübeck entschied, dass sie bleiben kann. So lange durfte sie nicht als Au-pair arbeiten.

Ein Blick in die Niederlande zeigt, wie es besser laufen könnte: 2013 wurden dort die Lizenzierung von Au-pair-Agenturen und die Agenturpflicht wiedereingeführt. Seitdem habe sich die Zahl der Agenturen drastisch reduziert, erzählt Ellen Heesen-Hiemstra, 53, von der niederländischen Dachorganisation Bonapa. "Aber auch die Problemfälle sind zurückgegangen." Das liege unter anderem daran, dass die Agenturen seither für Missstände haftbar seien. Bei Fehlverhalten könnten auf einen Betreiber Strafen von mehreren Tausend Euro zukommen.

Das sei nicht immer fair, da Agenturen auch für Fehlverhalten in der Familie verantwortlich gemacht würden. "Das ist eine Menge Druck für die Betreiber." Dennoch müsse der Fokus zuallererst auf dem Schutz der Au-pairs liegen.

Deepa Karki hatte diesen Schutz nicht. Ihre Probleme ihrer deutschen Agentur zu melden, sei für sie keine Option gewesen, sagt sie. Die Gastfamilie habe ihr erklärt, die Agentur werde ohnehin den Aussagen der Familie glauben.

Auf Nachfrage bestreitet die Agenturinhaberin zunächst, die junge Frau überhaupt gekannt zu haben. Nach Vorlage des von ihr unterschriebenen Vertrags reagiert sie ungehalten und behauptet, nichts von den Vorfällen gewusst zu haben. Grammatopoulos und Flegel bezeichnet sie abwertend als "Mütterchen Teresa", die anderen Agenturen ihre Au-pairs wegnähmen.

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