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Comic "Die Alten Knacker": Der Greis ist heiß

Foto: Lupano & Cauuet/ Splitter

Rentner-Comic "Die alten Knacker" Altes Eisen, rostfrei

Keine Witzfiguren, sondern vom Leben geformte Menschen: Die Serie "Die alten Knacker" setzt auf Unterhaltung mit greisen Hauptdarstellern - und macht dabei viel richtig.
Zum Autor

Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg als Sohn einer Deutschen und eines 1956 geflohenen Ungarn geboren. Er studierte Geschichte und Politik und wurde dann Journalist. 2012 veröffentlichte er den satirischen Roman "Er ist wieder da", von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Auch sein zweiter Roman "Die Hungrigen und die Satten" schaffte es auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Für den SPIEGEL schreibt er über Comics und Graphic Novels.

Man kriegt's einfach nicht aus dem System: Diesen Gedanken, dass etwas nicht gut sein kann, weil es so kommerziell aussieht und sich dann auch noch exzellent verkauft. Kurz: Ich bin eher zufällig auf "Die alten Knacker" gestoßen. Aus eigenem Antrieb hab ich nicht reingeguckt, weil: Ich fand den Namen doof, das Cover blöd, und so sehr ich "Harold and Maude" mag, so sehr hab ich mir ausgerechnet, was in den "Alten Knackern" vermutlich für idiotische Furzwitze drin sein müssen. Nach fünf Bänden muss ich sagen: falsch gelegen. Nicht völlig, denn die "Alten Knacker" sind kein pures Gold - aber es finden sich erstaunlich viele Nuggets.

Zentrale Figuren sind die drei Herren Antoine, Pierre und Emile. Zeichner Paul Cauuet karikiert sie eigenwillig, aber nicht lächerlich, mit uncharmanten Bäuchlein, mit Körperhaltungen, die einem das Leben mit den Jahren reindrückt, mit franquin-typischen Händen und Gesten. Die drei kennen sich seit ihren Jugendtagen aus einem Dorf in Frankreich. Emile, Ex-Seemann, wohnt in einem Heim, Antoine genießt seinen Ruhestand im Dorf, Anarchist Pierre lebt inzwischen in Paris und organisiert dort die Aktionen einer Gruppe von greisen Aktivisten.

Und, okay, gleich am Anfang fährt Pierre derart rücksichtslos mit dem Auto zur Trauerfeier von Antoines Frau, dass man humoristisch das Schlimmste befürchtet. Aber Szenarist Wilfried Lupano nutzt die Alterswitze nur als Einstiegshilfe. Sehr schnell führen Antoine, Emile und Pierre aber erfreulich normale Gespräche, und hier kommt das erste große Goldstück.

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Comic "Die Alten Knacker": Der Greis ist heiß

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In häufigen, eindringlichen Rückblenden nehmen Lupano und Cauuet ihren Figuren die Skurrilität des Alters: Antoine war ein gut aussehender, überzeugter Gewerkschafter, und die verstorbene Lucette ein gewitzter Feger mit eigenem Marionettentheater. Pierre trauert Bonny nach, seiner großen Liebe. Emile fuhr zur See und tauchte mit seinen Freunden nach Schätzen. Und plötzlich, nach der Rückkehr in die Gegenwart, sind die Greise nicht mehr stur oder verschroben, verhutzelt oder verbittert: Sie sind keine Klischees, keine Witzfiguren, sie sind vom Leben geformte Menschen.

Impulsgeberin vieler dieser Entdeckungen ist Sophie, Antoines Enkelin. Sie ist schwanger und keiner kennt den Vater. Sophie hat sich entschlossen, Omas Marionettentheater zu übernehmen, sie bleibt im Dorf und stolpert notgedrungen über viele alte Freundschaften und Fehden - das nächste Goldstück.

Es fällt schwer, nicht auf Parallelen im eigenen Leben zu stoßen

Kaum etwas davon ist überlebensgroß, hinter vielen Geheimnissen stecken alte Kränkungen, Enttäuschungen, Missverständnisse, wenig davon erschien in dem Moment, in dem es geschah, so groß wie es später sein wird. Es fällt schwer, beim Lesen da nicht auf Parallelen im eigenen Leben zu stoßen. Doch bevor man in tiefe Melancholie stürzt, gibt's Goldstück Nummer drei.

Die Aktionen von Pierrots Querulantentruppe sind abgedreht, aber sie sind denkbar und einfallsreich. Nörgelnd und sehbehindert sprengen sie politische Empfänge und Versammlungen, übergießen Pestizid-Aktionäre mit Honig, setzen sich für Flüchtlinge ein und gegen Steuerparadiese.

Lupano greift eine Menge aktueller Themen auf, nutzt sie clever und keineswegs nur einseitig: Eine der schönsten Zumutungen ist das Wiedersehen des Anarchisten Pierre mit einer ehemals von ihm betreuten Schülerin. Sie hat ihren Platz in der Gesellschaft gefunden - ausgerechnet als Polizistin.

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Lupano, Wilfrid, Cauuet, Paul

Die Alten Knacker. Band 1: Die übrig bleiben

Verlag: Splitter-Verlag
Seitenzahl: 64
Für 17,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

20.04.2024 02.29 Uhr

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Ein ganz eigenes Goldstück ist die Panelauswahl und -ausstattung: Lupano/Cauuet haben nicht nur eine beeindruckende Vielzahl von Perspektiven im Portfolio, sie spendieren vielen Szenen kleine Nebenhandlungen, Räume und Wohnungen sind so detailreich ausgestattet, dass man sie beinahe riechen kann. Und es sagt ja auch allerhand über die Protagonisten aus, ob sie zum Kaffeekochen eine Kapselmaschine nutzen oder die angelaufene, achteckige Aluminiumkanne. Nein, wirklich wahr: Wer nörgeln will, muss lange suchen.

Tatsächlich findet sich ein einziges handfestes Manko: die unglaublich hohe Dichte an belastbaren, flexiblen, raffinierten Senioren. So sehr es stimmt, dass 70 Jahre die neuen 60 sind und altes Eisen oft sehr rostfrei ist, so sehr müssten einem auch - gerade wenn man richtig viele Senioren zeigt - deutlich mehr Menschen begegnen, die das Tempo nicht mehr mitgehen können. Obwohl die Welt von Antoine, Pierre und Emile durchaus möglich ist - so richtig wahrscheinlich ist sie nicht.