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DIE WELT

Bundeskanzler Schröder attackiert die EU-Kommission

CDU äußert Kritik, CSU zeigt Verständnis

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat der EU-Kommission vorgeworfen, einseitig und ohne Rücksicht auf Deutschland vorzugehen. Während die CDU den Kanzler dafür heftig kritisierte, kamen von der CSU verständnisvolle Töne. Schröder haben "den Finger auf einen wunden Punkt gelegt", sagte der CSU-Europaexperte Gerd Müller der WELT.

Er wolle "der Kommission nicht das Recht abstreiten zu sagen, was sie für richtig hält", sagte Schröder der Wochenzeitung "Die Zeit". "Ich finde nur, dass die öffentlichen Erklärungen in letzter Zeit reichlich einseitig sind und dass sie Sensibilität für die spezifisch deutschen Verhältnisse gelegentlich vermissen lassen." Konkret wandte der Kanzler sich gegen Kommissionspläne zur Wettbewerbs- und Liberalisierungspolitik.

Mit Blick auf die geplante Übernahmerichtlinie bekräftigte Schröder seine Forderung, die Industriestruktur in Deutschland auch im Interesse Europas zu erhalten und zu pflegen. In Anspielung auf den Status der Bundesrepublik als größter Nettozahler der Europäischen Union sagte er: "Das gilt auch vor dem Hintergrund der deutschen Leistungen: Eine Kuh, die man so kräftig melkt und die gute Milch gibt, muss man gelegentlich auch mal streicheln." Die von der EU geplante Richtlinie könnte nationale Barrieren gegen Firmenübernahmen innerhalb der Union aufheben. Betroffen wäre davon unter anderem Volkswagen.

Zur Liberalisierungspolitik der Kommission sagte Schröder, in Brüssel werde "zu sehr entlang theoretischer ordnungspolitischer Vorgaben gearbeitet". Wenn EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti Deutschland vorwerfe, es gehe mit der Liberalisierung nicht schnell genug voran, könne er nur sagen: "Unsere Energiemärkte sind weit gehend liberalisiert. Da hat der eine oder andere Partner in Europa noch gewaltigen Nachholbedarf." Die geplante Freigabe des Energiesektors wird derzeit von Frankreich blockiert, wie der französische Finanzminister Laurent Fabius am Dienstag selbst sagte.

Müller sagte, er teile in diesem Punkt die Einschätzung des Bundeskanzlers. "Die Liberalisierungspolitik der EU-Kommission ist vielfach ein Hebel und ein Angriff auf gewachsene deutsche Strukturen", sagte Müller. Dabei würden gewachsene Strukturen über Bord geworfen. Besonders werde dies im ländlichen Raum deutlich, zum Beispiel bei den Angriffen aus Brüssel auf die Wasserversorgung, die Post und die Sparkassenstrukturen. Durch die Liberalisierung der EU werde die Gleichwertigkeit der Versorgung der Bevölkerung infrage gestellt. "Diese Entwicklung kann nicht zum Gestaltungsprinzip in Europa gemacht werden", so Müller.

Dagegen sagte der CDU-Europaexperte Friedbert Pflüger, es sei zwar völlig legitim und notwendig, deutsche Interessen in Brüssel zu vertreten, aber die Bundesrepublik habe in der EU zu wenig Gewicht. Es gebe zu wenig gutes deutsches Personal, das schon vor Zustandekommen einer Richtlinie auf deren Inhalt Einfluss nehmen könne. Schröder lasse die Dinge schleifen und beschwere sich nachher mit populistischen Sprüchen. "Deutsches Gewicht kriegt man nicht mit Muskelspiel", sagte Pflüger.

Kritik an der EU ist für Schröder nichts Neues. Schon als Ministerpräsident, aber auch als junger Kanzler hatte er Unmut über die Brüsseler Bürokraten geäußert. In Brüssel selbst, bei der Kommission, sieht man die Schröderschen Anwürfe eher gelassen. Bei allen "Entscheidungen sind wir sensibel genug", sagte ein Kommissionssprecher. Als "Hüterin der Verträge" versehe die Kommission ihre Arbeit. Soweit die offiziellen Stellungnahmen. Hinter vorgehaltener Hand aber geht man in der Kommission einen Schritt weiter: "Auf dieses Niveau lassen wir uns nicht herab", heißt es dann. Das Misstrauen gegen die EU hat Schröder wohl nie richtig abgelegt. Schon im Dezember 1998 bezichtigte er Brüssel, das "gute deutsche Geld zu verbraten". rtr/mdl./hl

„Wer melkt, muss streicheln“

Berlin – In einem Beitrag für die heute erscheinende Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erneut starke Kritik an der Brüsseler EU-Kommission geübt. Wir dokumentieren Auszüge:

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„Ich will der Kommission nicht das Recht abstreiten zu sagen, was sie für richtig hält. Ich finde nur, dass die öffentlichen Erklärungen in letzter Zeit reichlich einseitig sind und dass sie Sensibilität für die spezifischen deutschen Verhältnisse gelegentlich vermissen lassen.“

„In Brüssel muss man zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland eine Industriestruktur hat, die zu erhalten und zu pflegen auch im Interesse Europas ist. Das gilt auch vor dem Hintergrund der deutschen Leistungen: Eine Kuh, die man so kräftig melkt und die gute Milch gibt, muss man gelegentlich auch mal streicheln.“

„Ich glaube, dass in Brüssel zu sehr entlang theoretischer ordnungspolitischer Vorgaben gearbeitet wird. Der Wettbewerbskommissar Monti zum Beispiel wirft Deutschland vor, bei uns ginge die Liberalisierung nicht schnell genug voran. Da kann ich nur sagen: Unsere Energiemärkte zum Beispiel sind sehr weit gehend liberalisiert. Da hat der eine oder andere Partner in Europa noch gewaltigen Nachholbedarf.“

„Gelegentliche Differenzen mit einzelnen Kommissaren, vielleicht auch mit der Kommission insgesamt, bedeuten nicht, dass man weniger europafreundlich ist. Im Gegenteil. Nicht ausgetragene Konflikte machen über kurz oder lang auch Europa politische Schwierigkeiten.“

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