Evident unzureichender Regelbedarf nach dem SGB II für die Jahre 2021 und 2022?LSG NRW, L 12 AS 668/23 u. L 12 AS 741/23

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Ist der allen Leistungsempfängern nach dem SGB II bzw. SGB XII zustehende Regelbedarf für die Jahre 2021 und 2022 noch verfassungsgemäß?

Der Unterzeichnende vertritt seit längerer Zeit die Ansicht, dass die Regelsätze nicht mehr den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen und evident unzureichend sind.

In zwei Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen unter den Aktenzeichen L 12 AS 741/23 (Regelbedarf 2021 und L 12 AS 668/23 (Regelbedarf 2022) wird nunmehr durch das Landessozialgericht geprüft, ob die Regelsätze noch ausreichend bemessen sind.

Für den Unterzeichnenden ergibt sich der evident unzureichende Regelbedarf bereits aus der Inflationsquote für das gesamte Jahr 2021 in Höhe von 3,1 % und alleine für die Monate März 2022 in Höhe von 7,3 % zu März 2021, April 2022 in Höhe von 7,4 % zu April 2021 und im Mai 2022 in Höhe von 7,9 % zu Mai 2021 und im Juni 2022 in Höhe von 7,6 % zu Juni 2021 und im Juli 2022 in Höhe von 7,5 % zu Juli 2021 und im August 2022 in Höhe von 7,9 % zu August 2021 und im September 2022 in Höhe von 10,00 % zu September 2021 und im Oktober 2022 in Höhe von 10,4 % zu Oktober 2021 und im November 2022 in Höhe von 10,00 % zu November 2021 und im Dezember 2022 in Höhe von 8,6 % zu Dezember 2021 und im Januar 2023 in Höhe von 8,7 % zu Januar 2022.


Auch die exorbitant gestiegenen Energiepreise von 22,5 % für Privathaushalte verdeutlicht den evident unzureichenden Regelbedarf sowie die hohe Inflationsquote für das gesamte Jahr 2022 in Höhe von 7,9 %.


Insofern führt der erhebliche Anstieg der Inflation spätestens seit März 2022 bedingt durch die kumulierten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und des Ukraine-Krieges inzwischen zu einer offensichtlichen und erheblichen Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, und eine zeitnahe vom BVerfG geforderte Reaktion des Gesetzgebers (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, juris Rn. 144) ist gerade nicht erfolgt.


Ob die bisherigen Regelbedarfsstufen 3–6 noch die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllen, ist umstritten (vgl. beispielhaft zuletzt die Diskussion zwischen Bund und Ländern im Rahmen des RBEG 2021; hierzu zB die Stellungnahme des Bundesrats v. 9.10.2020, BR-Drs. 486/20 sowie die Entschließung v. 27.11.2020, BR-Drs. 654/20, vgl. BeckOK SozR/Harich, 67. Ed. 1.12.2022, SGB II § 72 Rn. 2.


Auch das Bundessozialgericht hat in dem Verfahren B 4 AS 36/23 einem Beschwerdeführer einer Nichtzulassungsbeschwerde PKH bewilligt.


In dem Verfahren geht es um die Rechtmäßigkeit der Pauschale von SGB II Empfängern in der Pandemiezeit in Höhe von 150,00 €, die bewilligt worden sind.


Auch nach dem geschlossenen Tarifabschluss für 2,5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen vom 22.04.2023 mit einem vereinbarten Inflationsausgleich von 3.000,00 € und mindestens 340,00 € mehr Lohn, bei dem es sich laut Handelsblatt vom 24.04.2023 um den teuersten Tarifabschluss aller Zeiten handelt, ist von einem evident unzureichenden Regelbedarf auszugehen.


Denn es handelt sich bei der Vereinbarung um die größte Tarifsteigerung der Nachkriegsgeschichte und ist verbunden mit einer durchschnittlichen Lohnsteigerung von rund 11 Prozent, bei den unteren Entgeltgruppen sogar bis zu 16,9 Prozent.


Diese Entgeltsteigerung bestätigt den evident unzureichenden Regelbedarf, weil die erfolgten marginalen Erhöhungen in keinem Verhältnis zur jetzt beschlossenen Lohnerhöhung der unteren Entgeltgruppen steht.


Zusammengefasst gibt es triftige Gründe, die Höhe des Regelsatzes für die Jahre 2021 und 2021 als evident unzureichend anzusehen.


Unter Verweis auf die laufenden Verfahren vor dem LSG NRW unter den Aktenzeichen L 12 AS 668/23 und L 12 AS 741/23 sollte gegen die Bewilligungsbescheide des Jobcenters und der Grundsicherung Widerspruch eingelegt werden und laufende Klageverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der beiden Verfahren ruhend gestellt werden, was auch in ersten Fällen erfolgt ist.


Insofern kann jedem Leistungsberechtigten nur angeraten werden, gegen die aktuellen Bewilligungsbescheide vorzugehen und die Beratung eines auf dem Gebiet des Sozialrechts tätigen Rechtsanwaltes in Anspruch zu nehmen.



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