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Sascha Lobo

Russische Propaganda Mit welchen Strategien Putin die EU zerstören will

Sascha Lobo
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Russland geht es nicht nur darum, die Ukraine zu vernichten. Putins Propaganda-Apparat versucht auch in Ländern wie Deutschland die liberale Demokratie zu schwächen: durch Beeinflussung der öffentlichen Debatte.
Wladimir Putin: Seine Propagandatruppen mischen in vielen Debatten mit

Wladimir Putin: Seine Propagandatruppen mischen in vielen Debatten mit

Foto: MAXIM SHEMETOV / REUTERS

Die Radikalisierung der »Querdenker« und Impfgegner nimmt immer extremere Ausmaße an. Und dabei geht es nicht nur um den harten, gewaltbereiten Kern. Auch die Mitläufer*innen – allem voran in den sozialen Medien – befinden sich in einer selbst beschleunigenden Alarmspirale. Die häufiger geäußerte Hoffnung, dass mit der Zeit eine gewisse Entspannung käme, hat sich bei einem substanziellen Teil der Corona-Extremisten nicht bewahrheitet, im Gegenteil. Einer der Gründe dafür ist absichtsvolle Propaganda.

Auftritt Angela Merkel. Die Frau, die offenbar schon alles vorher wusste, und Deutschland irgendwie trotzdem in eine tiefe Abhängigkeit von Russland geführt hat. Im Juni dieses Jahres erklärt sie, dass sie bereits nach der Annexion der Krim gewarnt habe, dass Putin die EU zerstören wolle . Es bleibt vermutlich Merkels ewiges Geheimnis, warum sie mit diesem Wissen Deutschland in eine spektakuläre, tiefe, toxische Abhängigkeit von Putins Gas, Öl und Kohle hineinregiert hat.

Interessanter aber ist zu Merkels zutreffender Feststellung über Putin, wie genau dieser die EU zerstören will. Ein wesentliches Element dafür ist Propaganda, schließlich war Putin KGB-Agent, und destruktive Kommunikation stets eine Spezialität dieses Hauses. Es gibt eindeutige Nachweise dafür, dass Putins Propaganda-Apparat liberale Demokratien schwächen möchte, indem er zum Beispiel rechte und rechtsextreme Kräfte stärkt und auch Erzählungen verbreiten lässt. Es gibt aber auch deutliche Hinweise darauf, dass Impfkritik und »Querdenker« in ähnlicher Weise befeuert, verstärkt und gelenkt werden. Viele Telegram-Kanäle, die während der Pandemie »Querdenker«-Inhalte verbreiteten, sind pünktlich zum russischen Überfall auf die Ukraine umgeschwenkt auf offene Putin-Unterstützung. Rechte Erzählungen passen zu beiden Themenkomplexen.

Am einfachsten erkennbar ist die Verbindung bei Twitter-Accounts, weil die meist offen einsehbar im Netz liegen. In den vergangenen Tagen ist auf Twitter der Hashtag #IchbereuedieImpfung viele Zehntausende Male verbreitet worden und war längere Zeit auf Platz eins der deutschen »Trending Topics«, also der meistbesprochenen Themen. Beinahe lustig waren die vielen offensichtlichen »Querdenken«-Accounts, die bisher damit prahlten, nicht geimpft zu sein. Die jetzt aber schon wundersame Geschichten erzählten, warum sie die Impfung bereuen würden.

Rechte, prorussische und »Querdenker«-Propaganda vereinigt in einem Account

Eine Journalistin sah sich den Hashtag genauer an  und entdeckte etwas höchst Interessantes. Der Hashtag #IchbereuedieImpfung wurde von einem Account ins Leben gerufen, der im März 2022 eröffnet wurde, eine Deutschlandflagge und eine russische Flagge mit dem Handschlag-Emoji im Namen trägt und zeitweise antiwestliche Verschwörungstheorien in seinem »Biografie«-Feld hatte. Rechte, prorussische und »Querdenker«-Propaganda vereinigt in einem Account, der wenige Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine erstellt wurde.

Bei denen, die unironisch unter #IchbereuedieImpfung twittern, handelt sich um Leute, die oft eine Verzerrungsblindheit mitbringen. So nennt man eine kognitive Verzerrung, die die Wahrnehmung von Menschen beeinflusst. Das bedeutet, sie sind im festen Glauben, unbeeinflusst zu urteilen. In Wahrheit sind viele von ihnen auf Putin-Propaganda hereingefallen. Die massenhafte Radikalisierung jenseits der Realität soll die Demokratie schwächen, und das klappt bis zu einem gewissen Grad auch.

Die EU zu schwächen stärkt nach Putins Lesart Russland. Und zugleich wirkt die Inszenierung einer katastrophalen Lage der EU als Abschreckung nach innen. Viele Menschen in Russland sind davon überzeugt, dass in der EU Gewalt auf den Straßen herrscht und Teile gar in Anarchie versinken. Mit dieser Botschaft soll der Bevölkerung die Armut, die Korruption, die staatliche Gängelei und allgemeine Unfreiheit in Russland attraktiver erscheinen.

Eine Stärke der liberalen Demokratie in eine Schwäche verwandeln

Eine Putin’sche Zerstörungsstrategie ist, eine Stärke der liberalen Demokratie in eine Schwäche zu verwandeln, nämlich öffentliche Debatten. Diese Diskussionen sind ein essenzieller Bestandteil einer Demokratie, sie dienen zum Beispiel als Korrektiv zwischen den Wahlen. Durch die Kombination aus redaktionellen und sozialen Medien sind öffentliche Debatten inzwischen extrem machtvoll, sie können einen öffentlichen Druck erzeugen, auf den die Politik reagieren muss.

Aber Debatten lassen sich manipulieren, und das haben Putins Propagandatruppen in vielen europäischen Ländern getan, zum Beispiel in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Österreich. Bezahlte russische Trollfabriken, die eigentlich Propagandawerke sind, haben den Auftrag, zum Beispiel über Inhalte in sozialen Medien und Kommentare unter Beiträgen redaktioneller Medien Einfluss zu nehmen.

Die Manipulation der Öffentlichkeit funktioniert vergleichsweise einfach. Zuerst wird ein Themenfeld identifiziert, das emotionale, unversöhnliche Kontroversen ermöglicht, am besten auf Basis von Ressentiments, Vorurteilen und Ängsten. Deshalb erreicht Putins Propaganda oft den rechten oder rechtsoffenen Rand der Gesellschaft, wo Ressentiments besonders stark vorhanden sind. Auch bei den Coronaprotesten waren von Anfang an Rechte tonangebend. Abgesehen davon war Putins Politik zwischen Medienkontrolle, Oppositionsunterdrückung, Rassismus, Misogynie und LGBTIQ-Feindlichkeit ohnehin strukturell rechtsradikal, bevor sie spätestens mit dem Überfall auf die Ukraine zum offenen, imperialen Faschismus wurde .

Ist das Themenfeld identifiziert, werden zur Verfestigung der Ressentiments Ängste gezielt geschürt, weil Angst und Hass eng miteinander verwoben sind. Dafür eignen sich vor allem »Fake News«. Einer der besten Mechanismen für diesen Zweck ist die gezielte Verbindung von Empathie und Wut. So war es schon bei der Debatte über Geflüchtete nach 2015, wo viele »Fake News« ein plakativ unschuldiges Opfer und eindeutig nach rassistischem Wutpotenzial ausgewählte Täter miteinander verbanden. Und bei den »Querdenkern« ist es ebenso, deshalb ist ständig von armen Kindern (Empathie) mit schlimmsten Impfschäden die Rede, die ihnen von skrupellosen Ärzten (Wut) angetan wurden.

Gerade hat sich eine junge Impfärztin in Österreich wahrscheinlich selbst getötet, weil sie genau diesem radikalisierten Furor , dem massenhaften Mobbing und der Bedrohung durch »Querdenker« nicht mehr Stand halten konnte. Auch Behördenversagen hat wohl eine Rolle gespielt.

Es braucht Fürsprecher*innen im jeweiligen Land

Damit Putins Propaganda in den verschiedenen Bereichen aber zielgerichtet wirkt, braucht sie im jeweiligen Land Fürsprecher*innen. Ganz vorn arbeitet dabei natürlich Gerhard Schröder mit. Aber diese Fürsprecher*innen sind viel breiter aufgestellt. Es geht um Multiplikator*innen in sozialen Medien, Politiker*innen vor allem von AfD, Linkspartei und Teilen der SPD, sowie möglichst prominente, also reichweitenstarke Personen, die in der Debatte eines Landes gehört werden, fast egal, was sie sagen. Denn allein mit unter Pseudonym verfassten SPIEGEL.de-Forumskommentaren und Tweets von guenter2314235 (7 Follower) lässt sich eine Debatte nur schwer kapern.

Die Putin’sche Propaganda bietet Erzählungen zu aktuellen Ereignissen an, die sich offenbar verführerisch leicht nacherzählen lassen. Konkret kann das dazu führen, dass Politiker*innen wie Sahra Wagenknecht (Die Linke) und der AfD-nahe Max Otte beinahe zeitgleich und vor allem beinahe wortgleich twittern  wie am Anfang März dieses Jahres.

Sahra Wagenknecht schrieb: »Hauptforderungen von Putin für Kriegsende sind offenbar Entmilitarisierung & Neutralität der #Ukraine. Es wäre ein schwerer Fehler, wenn dt. & fr. Regierung auf dieser Grundlage nicht Gespräche zum Stopp der Eskalation & Blutvergießens unterstützen würden«

Max Otte schrieb: »Die Hauptforderungen von #Putin sind anscheinend eine strikte Neutralität und Entmilitarisierung der #Ukraine. Es bleibt ein unrechtmäßiger Angriffskrieg, aber es wäre ein schwerer Fehler, auf dieser Basis keine Verhandlungen zu führen.«

Auch wenn es so wirken mag, muss das nicht einmal eine Querfront-Verschwörung sein, denn tatsächlich sieht Ideologie von außen oft aus wie eine Art Verschwörung. Und die Grundlage der Pro-Putin-Ideologie ist die Bereitschaft zur Ausblendung der Realität. Das hat Sahra Wagenknecht jüngst mit einem erneuten Tweet bewiesen, in dem sie an jeder Wirklichkeit vorbei schrieb, es handele sich um einen »wahnsinnigen Krieg gegen Russland«. Es ist kein Zufall, dass Wagenknecht zuvor schon mit impfskeptischen und »Querdenker«-fischenden Äußerungen aufgefallen ist und auffällig häufig von rechten, AfD- und »Querdenker«-nahen Accounts gefeiert wird.

Die Radikalisierung der »Querdenker«, die mit gewalttätigen Aktionen einhergeht, hängt nicht nur mit der Vermischung mit der rechten Szene zusammen. Sie ist auch das Ergebnis gezielter Propaganda eines faschistoiden Terrorstaats, der nicht nur die Ukraine, sondern auch die EU zerstören und vernichten will. Denn Putins Russland ist inzwischen genau das.