Arbeitsplatz mit Laptop
© Andrew Neel

Berufliche Technologienutzung in der Freizeit: Erhöhte Flexibilität oder zusätzliche Belastung?

Julia Iser, Universität Mannheim

Spätestens seit Beginn der Corona-Krise arbeiten viele Berufstätige vermehrt im Home Office. Auch ArbeitnehmerInnen, die vorher ausschließlich vor Ort gearbeitet haben, arbeiteten zumindest zeitweise von Zuhause aus (Diem & Nezik, 2020). Dadurch haben einige nun auch erstmals außerhalb des eigentlichen Arbeitsplatzes Zugang zu mobilen Technologien, die für berufliche Zwecke eingesetzt werden können. Anforderungen an die ständige Erreichbarkeit von ArbeitnehmerInnen ist allerdings ein Thema, das auch schon vor der Corona-Pandemie vielfach in der Gesellschaft diskutiert und von der Forschung betrachtet wurde. Die Möglichkeit, beruflichen Anforderungen auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit nachgehen zu können, bietet Chancen für die Flexibilität der Arbeit. Mobile Technologien ermöglichen es, dass ungeplante oder spontan auftretende Angelegenheiten zeitnah geklärt werden können. Zudem ist es für manche Berufstätige beispielsweise möglich, die Arbeit früher zu verlassen, um privaten Belangen nachzugehen, da unvollendete Arbeitsaufgaben auch noch am Abend fertiggestellt werden können. Trotz dieser vielfältigen Vorteile bestehen auch Risiken. Durch die ständige Verfügbarkeit kann es dazu kommen, dass ArbeitnehmerInnen sich gar nicht mehr von ihrem Beruf lösen können, weil die Arbeit allgegenwärtig ist. Am Abend eine Mail beantworten oder am Wochenende noch schnell eine Präsentation fertig stellen – das sind Phänomene, die ohne mobile Technologien nicht möglich wären. Durch diese Ausdehnung der Arbeitszeit kann beispielsweise die Erholung von der Arbeit eingeschränkt werden (z.B. Barber & Jenkins, 2014) und mehr Stress entstehen. Doch welche Forschungsergebnisse gibt es hierzu bereits?

In einem Überblick über die aktuelle Forschungsliteratur konnte Svenja Schlachter mit ihren Kollegen hierzu ein interessantes Paradox identifizieren (Schlachter et al., 2018): In einigen Studien berichteten Berufstätige von einer besseren Balance zwischen Arbeit und Privatleben (work-life-balance). Da durch digitale Technologien sowohl privaten Belangen während der Arbeitszeit nachgegangen werden kann, als auch Arbeitsaufgaben in der Freizeit erledigt werden können, empfinden die Teilnehmer mehr Flexibilität und Kontrolle. Dadurch sind z.B. ein höheres Wohlbefinden und mehr Zufriedenheit mit der Arbeit möglich. In anderen Studien gaben ArbeitnehmerInnen jedoch an, dass durch häufige Anrufe in der Freizeit und die Erwartung von außen, Mails zeitnah beantwortet zu bekommen, ihre Flexibilität und Kontrolle eingeschränkt ist. Dadurch können beispielsweise wichtige Erholungsprozesse behindert werden und es kann zu geringerem Wohlbefinden kommen. Bisher gibt es zu dieser Forschungsdebatte noch kein abschließendes Ergebnis; es gibt jedoch bisher mehr Studien, die die negativen Auswirkungen von Technologienutzung auf das Wohlbefinden belegen. Die Häufigkeit von Studien alleine ist jedoch kein verlässlicher Beleg. Daher wurden in neueren Studien Faktoren untersucht, die erklären können, ob es durch die berufliche Technologienutzung in der Freizeit eher zu eingeschränktem oder gesteigertem Wohlbefinden kommt. Ein wichtiger Aspekt scheint hier zu sein, ob die Berufstätigen den Eindruck haben, dass sie kontrollieren können, ob und wie sie die Technologie für die Arbeit verwenden. Wichtig ist dabei die Frage, ob die ArbeitnehmerInnen selbst Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben setzen können. Das heißt, können sie eigenständig entscheiden, ob sie Arbeit und Privates strikt trennen oder ob sie die Lebensbereiche integrieren und miteinander verbinden? Die Integration oder Trennung dieser beiden Lebensbereiche gestalten Berufstätige im Allgemeinen unterschiedlich, teilweise in Abhängigkeit von der persönlichen Präferenz. Während manche Personen das berufliche Smartphone immer griffbereit haben und Mails direkt beantworten, gibt es andere Personen, die ihr Smartphone rigoros ausschalten. Natürlich gibt es auf diesem Kontinuum der persönlichen Präferenz auch Menschen, die sich zwischen diesen beiden Extremen ansiedeln würden.

Wie sich diese persönliche Präferenz der Berufstätigen auf die berufliche Technologienutzung in der Freizeit auswirkt und wie sie mit Erschöpfung zusammenhängt, hat Piszczek (2017) in einer Studie untersucht. Hier konnte gezeigt werden, dass ein Zusammenhang von Technologienutzung in der Freizeit und Kontrollempfinden für die Personen besteht, die es bevorzugen, Arbeit und Privatleben ineinander zu integrieren. Durch das höhere Kontrollempfinden fühlen sich diese Befragten dann auch weniger erschöpft. Für Personen, die eine Präferenz für die Trennung von Arbeit und Privatleben angegeben haben, konnte kein Zusammenhang zwischen Technologienutzung in der Freizeit und Kontrollempfinden gefunden werden. Der Autor der Studie vermutete hier, dass diese Personen eher durch externe Faktoren wie Erwartungen des Arbeitgebers dazu verleitet werden, Technologien für berufliche Zwecke in der Freizeit zu verwenden. Auch zu Aspekten aus dem Umfeld der Individuen macht die Studie eine Aussage: Wenn die ArbeitnehmerInnen das Gefühl hatten, dass der Arbeitgeber die Nutzung der Technologie in der Freizeit erwartet, verwenden Berufstätige im Allgemeinen eher Technologien in der Freizeit für berufliche Zwecke. Dies geschieht unabhängig von der persönlichen Präferenz. Obwohl Personen mit der Präferenz, die Lebensbereiche zu trennen, insgesamt eher seltener Technologien in der Freizeit für die Arbeit nutzen, gibt es auch unter diesen Personen einen Zusammenhang zwischen Erwartungen des Arbeitgebers und beruflicher Technologienutzung in der Freizeit. Die Technologienutzung führt für die Personen mit einer Präferenz für die Trennung der Lebensbereiche dann eher zu einer höheren Erschöpfung. Der Autor empfiehlt daher, dass Unternehmen weder die Technologienutzung in der Freizeit fordern, noch diese komplett verbieten sollten. Stattdessen solle der Arbeitgeber die Erwartung zur Technologienutzung geringhalten und die ArbeitnehmerInnen basierend auf ihrer persönlichen Präferenz selbst entscheiden lassen.

Trotz dieser interessanten Forschungserkenntnisse bleiben auf dem Gebiet der beruflichen Technologienutzung noch viele Forschungsfragen offen. In unserem Forschungsprojekt „Digitale Technologien im Grenzbereich zwischen Berufsarbeit und anderen Lebensbereichen: Autonomie und Anforderungen an das Boundary Management“, das im Forschungsverbund digilog@bw angesiedelt ist, beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Berufstätige die Grenzen zwischen der Arbeit und anderen Lebensbereichen gestalten. Dabei wollen wir insbesondere wissen, wie sie Gebrauch von ihrer Autonomie machen. Zu diesem Zweck führen wir derzeit eine Tagebuchstudie durch. Die Studie besteht aus einer Willkommensbefragung (ca. 45 Minuten) und einer zweiwöchigen Intensivphase mit täglichen Kurzbefragungen. Als Dank für Ihre Teilnahme erhalten Sie bis zu 25€. Sollten Sie an einer Teilnahme interessiert sein, finden Sie unter dem folgenden Link weitere Informationen und können sich zur Studie anmelden: https://www.soscisurvey.de/digilog2021/?r=sovhl22

 

Referenzen

Barber, L. K., & Jenkins, J. S. (2014). Creating Technological Boundaries to Protect Bedtime: Examining Work–Home Boundary Management, Psychological Detachment and Sleep. Stress and Health, 30(3), 259–264. https://doi.org/10.1002/smi.2536

Diem, V., & Nezik, A.-K. (2020, 13. März). Homeoffice: Deutschland allein Zuhaus. Die Zeit. https://www.zeit.de/2020/12/coronavirus-homeoffice-zwang-arbeitsbedingungen-unternehmen-epidemie

Piszczek, M. M. (2017). Boundary control and controlled boundaries: Organizational expectations for technology use at the work–family interface. Journal of Organizational Behavior, 38(4), 592–611. https://doi.org/10.1002/job.2153

Schlachter, S., McDowall, A., Cropley, M., & Inceoglu, I. (2018). Voluntary Work-related Technology Use during Non-work Time: A Narrative Synthesis of Empirical Research and Research Agenda. International Journal of Management Reviews, 20(4), 825–846. https://doi.org/10.1111/ijmr.12165

Partner

Gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg aus
Mitteln der Landesdigitalisierungsstrategie digital@bw.