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Geflüchtete ziehen nun dort ein: Drama um Berliner Seniorenheim - beim Rauswurf weinten die alten Menschen
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FOCUS online/Wochit Drama um Berliner Seniorenheim - beim Rauswurf weinten die alten Menschen
  • FOCUS-online-Reporter (Berlin)

Die Umwandlung eines Berliner Pflegeheims in ein Flüchtlingsheim verunsichert auch die Bewohner eines angrenzenden Wohnstifts. Bei der Räumung der Einrichtung, deren Bewohner teils an Atemgeräten hängen, flossen bereits Tränen. Unterdessen wächst der Unmut über den Vorsteher des Paul Gerhardt Stifts.

Die Umwandlung des Berliner Altenpflegeheims „Wohnen & Pflege Schillerpark“ in eine Unterkunft für Flüchtlinge sorgt immer mehr für Unmut in Pflege- und Wohneinrichtungen für Senioren auf dem Stiftsgelände. Bei dem Pflegeheim im Bezirk Wedding, dessen einst 110 Bewohner verschiedenster Pflegestufen nun schon bis Ende dieses Jahres ihre Wohnungen per Kündigung räumen müssen, handelt es sich um eine Einrichtung der Johannisstift Diakonie (JSD). Eigentümer ist das Paul Gerhardt Stift (PGS), das das Gebäude an das Johannesstift 2006 ursprünglich für 25 Jahre vermietet hatte.

Erste Flüchtlinge in noch nicht geräumtes Senioren-Pflegeheim eingezogen

„Bei den Räumungen sind unter den Betroffenen, denen gekündigt wurde, schon Tränen geflossen. Tagelang standen Container vor dem Gebäude, die Möbel sind einfach weggeworfen worden“, berichtet der Angehörige eines Bewohners des direkt an das Pflegeheim grenzenden Wohnstift, der vom Paul Gerhard Stift selbst betrieben wird, gegenüber FOCUS online. Etwa der Hälfte der Bewohner war nach Angaben des JSD schon zum Jahresende 2022 gekündigt worden. Die andere Hälfte muss die Wohnungen bis Ende 2023 räumen. Inzwischen sind in den beiden oberen Etagen die ersten Flüchtlinge eingezogen.

Berlin: „Das Paul Gerhard Stift hat Eigenbedarf angemeldet“

Bei den Absprachen zur Nutzungsänderung, die sich Angaben von Mitarbeitern des Johannesstifts zufolge „über Jahre hingezogen haben“, ist es offenbar zu heftigen Verwerfungen zwischen den beiden Kirchenstiften gekommen. Während Pfarrer Martin von Essen, Stiftsvorsteher des Paul Gerhard Stifts, in einer Stellungnahme vom 16. November Mitarbeiter und Bewohner der Johannisstift Diakonie glauben machen wollte, die Schließung des Pflegeheims sei „auf Bitten der Johannesstift Diakonie“ zustande gekommen, behaupten Angehörige des JSD genau das Gegenteil. „Das Paul Gerhardt Stift hat 2021 Eigenbedarf angemeldet“, erklärte JSD-Sprecherin Lilian Rimkus FOCUS online.

Der Grund allerdings, weswegen das JSD Ende 2021 in einer Vereinbarung einer vorzeitigen Aufhebung der Mietverträge zugestimmt habe, seien „unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der nach den Miet- und Pachtverträgen vereinbarten Pachtzinserhöhungen“ gewesen, umschrieb Rimkus am Montagabend in einer Erklärung die tiefen Meinungsverschiedenheiten.

Als der Versuch, Bewohner und Mitarbeiter komplett in ein anderes Haus zu überführen, scheiterte, habe man sich beim JSD im vergangenen Jahr dann dazu entschlossen, den Senioren schon bis Ende 2023 zu kündigen. Denn eine langfristige Planung des Heimbetriebs, so das Argument, sei weder für Bewohner noch für Mitarbeiter möglich gewesen. Mehrere Bewohner hätten zudem schon von sich aus eine neue Unterbringung gesucht, so Rimkus zu FOCUS online.

Kirchenstift pfeift auf schwerwiegende Folgen für pflegebedürftige Senioren und löst Drama aus

Bizarr mutet an, dass der Verbleib von pflegebedürftigen Senioren, die ihren verdienten Lebensabend in Ruhe und Würde genießen wollten, ganz offenbar am Streit zweier Einrichtungen der evangelischen Kirche um Pachtzinsen gescheitert ist und am Ende die Senioren vor die Tür gesetzt wurden und werden. Wobei an diesem Punkt vollkommen unerheblich ist, wer da als Nachmieter vorgesehen war oder auch nicht, ist doch der karitative Gedanke Hauptanliegen der Kirchenstifte.

Man muss weder Arzt noch Pfleger sein, um nachvollziehen zu können, dass die betagten Bewohner, von denen einige schon an Atemgeräten hängen, samt ihrer Angehörigen eine Kündigung viel schwerer verkraften als andere Mieter. Solche Plätze sind überall extrem schwer zu finden. Und wer einen für seine Angehörigen gefunden hat, geht davon aus, diesen Platz bis zum Tod der Angehörigen nicht mehr zu verlieren.

Dass bei dem Streit um den Weiterbetrieb des Pflegeheims beim Paul Gerhard Stift offensichtlich darauf gepfiffen wurde, ist auch den Bewohnern des direkt an das JSD-Pflegeheim angrenzenden Wohnstifts des PGS nicht verborgen geblieben. Dies habe sich deutlich gezeigt, als am 1. Februar PGS-Vorsteher von Essen beim „Mittwochkaffee“ in dem von ihm verwalteten Wohnstift auftauchte, „wohl um die Wogen zu glätten“, ist aus den Reihen der Angehörigen zu vernehmen.

Von Essen, so der Informant, der anonym bleiben möchte, sei dies jedoch nicht gelungen. „Er hat sich ziemlich viele kritische Fragen anhören müssen, diverse Beschwerden über die Schließung. Die Verzweiflung der Bewohner ist aber an ihm abgeperlt wie Wasser“, so der Angehörige. Und auch bei dieser Gelegenheit soll PGS-Vorsteher von Essen behauptet haben, die Mietverträge seien vom Johannisstift aufgekündigt worden - ohne allerdings zu erwähnen, dass die Pachtzinsen seinem Stift ganz offenbar nicht ausreichten, wie die JSD-Sprecherin mitgeteilt hatte.

Flüchtlingsheime lukrativer als Pflegeheime

Die schriftliche Stellungnahme an Mitarbeiter und Bewohner des JSD-Heims vom 16. November hatte von Essen mit dem Satz beendet: „Die Entscheidung zur Umnutzung wurde nach dem vorzeitig geänderten Vertrag getroffen.“ Der Pfarrer, der bis 2018 zugleich auch noch Vorsteher der JSD war, wollte damit offenbar jeden Eindruck zerstreuen, dass er mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Bezug auf die Schließung des Pflegeheims spekuliert haben könnte.

Mehrere zum Teil hochrangige Mitarbeiter verschiedenster Berliner Kirchengremien bestätigen unter vorgehaltener Hand, dass es in klerikalen Kreisen allgemein bekannt sei, dass Flüchtlingsheime wegen solider Landeszuschüsse deutlich lukrativer seien als extrem kostenintensive Pflegeheime.

Paul Gerhardt Stift bleibt klärende Antworten schuldig

Eine Anfrage von FOCUS online an Stiftsvorsteher von Essen vergangenen Freitag, den Grund für den Eigenbedarf zu nennen, den er laut JSD schon im Jahr 2021 angemeldet haben soll - und zwar vor der ersten drastischen Verkürzung des Pachtvertrages, ließ er mit Verweis auf die Stellungnahme vom 16. November unbeantwortet.

Der Vorsteher des Paul-Gerhard-Stifts, Martin von Essen, hat am Dienstag erklärt, dass die Umnutzung des Pflegeheims „keine wirtschaftliche Entscheidung“ gewesen sei, sondern auf „bestehende Strukturen sowie den Bedarfen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten“ zurückgehe. Über den Grund für die ursprünglich geplante Eigennutzung, die das PGS laut JSD bereits 2021 angekündigt hatte, schweigt Stiftsvorsteher von Essen jedoch weiter.

Martin Matz (SPD), der von 2018 bis 2021 Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Soziales war und bei der peinlichen Wahlwiederholung gerade wieder einen Abgeordnetensitz zurückergatterte, wollte sich wegen laufender Sitzungsverpflichtungen am Montag gegenüber FOCUS online nicht zu dem Vorgang äußern - und verwies zurück an Pressestelle und Vorstand des PGS. Was aus einem Grund ebenfalls kurios ist - denn Matz ist auch Vorsitzender des Kuratoriums des Paul Gerhardt Stifts - und damit oberster Kontrolleur der Geschäfte von PGS-Chef von Essen.

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