Installation eines Wasserstofftanks bei einem Brennstoffzellenfahrzeug von Toyota. (Bild: Tomohiro Ohsumi / Bloomberg)

Installation eines Wasserstofftanks bei einem Brennstoffzellenfahrzeug von Toyota. (Bild: Tomohiro Ohsumi / Bloomberg)

Japan will die Wasserstoffmacht der Welt werden

Die asiatische Wirtschaftsnation wirbt mit viel Geld und politischer Initiative global für Wasserstoff als Klimaretter. Dabei verbindet Japan Umwelt- und traditionelle Industriepolitik.

Martin Kölling, Tokio
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An einer Wasserstofftankstelle in Yokohama wird Japans Klimastrategie zum Kino. Dort, wo bei normalen Tankstellen nur der Tankwart sitzt, haben die Betreiber ein kleines Ausstellungszentrum aufgebaut. In der kleinen Lobby wird gezeigt, wie eine Brennstoffzelle in einem Auto aus Wasserstoff Strom gewinnt und aus dem Auspuff nur Wasserdampf entweicht.

Im Hinterzimmer präsentiert der globale Technikkonzern Panasonic in einem Video seine neueste Idee, mit Wasserstoff als Energiespeicher das Klima zu retten. Weisse Wolken treiben da über blauem Himmel. Doch bald schiebt sich Panasonics Hauptdarsteller auf den Schirm: ein unscheinbarer, mehr als mannshoher grauer Kasten. Es handelt sich dabei um die weltweit erste Brennstoffzelle für Eigenheime, die den Wasserstoff nicht wie in den bisherigen handelsüblichen Modellen aus Gas abspaltet, sondern gleich aus reinem Wasserstoff dezentral Strom und Heisswasser erzeugt. Für Panasonics zuständigen Manager Norihiko Kawamura ist das Gerät kein Muster ohne Wert. «Wir stehen am Anbruch der Wasserstoffgesellschaft», sagt er mit Überzeugung. Dabei wird das Unternehmen von einem geradezu olympischen Ehrgeiz beseelt. Bereits in zwei Jahren soll die neue Brennstoffzelle mit einem ersten Grossprojekt auf den Markt kommen: Beim Umbau des Athletendorfes der Tokioter Sommerspiele solle ein Teil der 4000 Wohnungen eigene Brennstoffzellen erhalten – und das gesamte Wohnviertel zusätzlich einen Brennstoffzellenpark mit 30 Kilowatt Leistung.

Nationale Strategie

Panasonics Plan ist in Japan kein Einzelfall, sondern Teil einer nationalen Kraftanstrengung. Als eines der ersten Länder der Welt fügte Japans Regierung im Jahr 2017 die bestehenden Wasserstoffprojekte seiner Auto- und Technikkonzerne in eine nationale Wasserstoffstrategie zusammen. Und die Ziele sind ambitioniert: Bereits bis im Jahr 2030 will das Land eine globale Lieferkette und daheim einen grossen Markt für Wasserstoff aufbauen. 800 000 Brennstoffzellenautos und 5,3 Mio. Brennstoffzellen für Eigenheime sehen die staatlichen Planer vor.

Der Ehrgeiz ist für Wirtschaftsprofessor Jörg Raupach von der japanischen Ritsumeikan-Universität nicht das einzig Bemerkenswerte an Japans Strategie. «Mein Eindruck ist, dass Wasserstoff hier in Japan weniger als Klimaschutz, sondern eher als klassische Innovations-, Technologie- und Wachstumspolitik positioniert wird», sagt der Professor, der auch Geschäftsführer eines kleinen Netzwerkes für die ersten japanischen Stadtwerke ist. Bei erneuerbaren Energien wie Solarzellen habe Japan seinen früheren Vorsprung verspielt, meint Raupach. Die Wasserstoffbewegung wolle Japan deshalb dominieren, weiss er aus berufener Quelle. Japans Ministerpräsident Shinzo Abe macht kein Geheimnis daraus, dass ihm nicht nur das Wohl des Planeten am Herzen liegt, sondern auch das der eigenen Wirtschaft. Japan müsse disruptive Technologien entwickeln, um wie von der Regierung geplant bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80% zu senken, sagte Abe beispielsweise in einer Regierungserklärung im Januar dem Volk aufs Neue: «Japan wird die Führung in epochalen Innovationen wie der Verwirklichung der Wasserstoffgesellschaft übernehmen, indem wir einen positiven Kreislauf aus Umweltschutz und Wachstum schaffen.»

Für einige Kritiker klingen seine Worte zwar hohl. Die drei Institute, die im Internet den «Climate Action Tracker» betreiben, kanzelten Abes Klimaplan als «höchst unzureichend» ab. Für 2030 peilt Japans Regierung nur einen Anteil von 22 bis 24% für erneuerbare Energien an. Stattdessen setzt das Land für die Stromerzeugung auf Atomkraft und Kohle. Selbst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts will Abe noch Kohle verfeuern. Laut den Experten führt er damit derzeit sein Land auf einen Pfad, der die Erdtemperatur um drei bis vier Grad in die Höhe treiben würde. Damit läge Japan weit über dem Ziel, die Erderwärmung auf zwei, geschweige denn 1,5 Grad zu beschränken, wie es das Pariser Klimaschutzabkommen fordert.

Doch Japans Regierungschef Abe lässt sich von solcher Kritik nicht verunsichern. Aus Sicht der Regierung handelt es sich bei seinem Plan weder politisch noch finanziell und erst recht nicht technologisch um Worthülsen, sondern um einen anderen Ansatz. Dies macht Abes starker wirtschaftspolitischer Arm deutlich, das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti).

Staatliche Anschubfinanzierung

Diesen Mittwoch begann ein zweitägiger Konferenzmarathon, mit dem Abe die globale Initiative beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ergreifen will. Mehr als tausend Minister, Unternehmer und Experten vor allem aus Asien, Australien und Russland besprechen in Tokio drei grosse Themen: erstens die globalen Regeln für die Herstellung und den Vertrieb von Flüssiggas, zweitens Strategien für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft als Lieferant und drittens die Technologien zum Einfangen, Speichern und Verarbeiten von Kohlendioxid (CCS).

Für die Japaner seien diese Fragen eng verzahnt, macht Toshiyuki Shirai deutlich, der Abteilungsleiter für neue Systeme in der Meti-Behörde für Naturressourcen und Energie. Viele Wasserstofftechnologien stünden noch am Anfang, gibt er zu. Besonders die grossindustrielle Wasserstoffherstellung ist weit von der Vision entfernt, das häufigste Element im Universum mit dem Strom erneuerbarer Energiequellen kohlendioxidfrei durch Elektrolyse aus Wasser abzuspalten. Die Technik für diesen «grünen» Wasserstoff gibt es zwar, aber bisher nur im Kleinen. Grosse Mengen Wasserstoff werden bis anhin entweder als Beiprodukt in der Chemie- und Stahlindustrie produziert, oder sie wurden aus fossilen Brennstoffen wie Braunkohle oder Erdgas abgespalten.

Doch Japan will nicht klimapolitisch ideale Technologie warten. Stattdessen setzt die Regierung seit Jahren auf eine andere Idee: «Wir wollen durch Subventionen dabei helfen, einen Markt zu schaffen», erklärt Meti-Mann Shirai.

Weg von fossilen Brennstoffen

Das Kalkül dabei ist klar: Erst wenn Firmen damit Geld verdienen können, investieren sie auch in die Innovation, vergrössern so den Markt und lösen damit langfristig auch die Kernfrage schneller, die bisher die Meinungen über Wasserstoff gespalten hat: Wie umweltfreundlich ist der flüchtige Hoffnungsträger überhaupt? Zwar gilt Wasserstoff vielen Experten wegen seines flexiblen Einsatzes als Grundstoff für Brennstoffzellen und als Feuerquelle als unentbehrlich, um die Menschheit langfristig nicht nur im Verkehr, sondern in allen Produktions- und Lebensbereichen von fossilen Brennstoffen abzunabeln.

Wie das im Idealfall dezentral auch in anderen Bereichen geht, zeigt ein japanisches Pilotprojekt auf der Insel Hokkaido. Dort wird mit überschüssiger Sonnenenergie Wasser kohlendioxidfrei in Wasser- und Sauerstoff gespalten. Der Wasserstoff wird gespeichert und dann in speziellen Gaskartuschen zu einem Badehaus transportiert, wo er mit einer Brennstoffzelle Erdgas als Heizmittel ersetzt. Auf diese Weise könnte ein transportfähiger, brennbarer Speicher überall fossile Brennstoffe ablösen.

Doch Experten kreiden dieser Traumvision klimapolitisch nicht nur an, dass derzeit bei der Wasserstofferzeugung in aller Regel Kohlendioxid freigesetzt wird. Und die «grüne», kohlendioxidfreie Herstellung gilt einigen Kritikern als klimapolitische Krücke. Denn sie halten den Energieverlust beim Kreislauf aus Erzeugung und erneuter Stromgewinnung aus Wasserstoff für zu hoch.

Glaubenskrieg

Warum aber den verschwenderischen Umweg über Brennstoffzellen gehen, wenn man Akkus gleich mit erneuerbaren Energien laden kann?, monieren Kritiker. Der Streit um die Antwort gleicht dann oft einem Glaubenskrieg, bei dem die Fronten weltweit quer durch die Regierungen laufen. Das deutsche Transportministerium will schon länger Brennstoffzellenautos fördern. Das nationale Umweltministerium setzt hingegen kurzfristig eher auf reine Elektroautos. Denn es will die Kohlendioxidemissionen im Transportwesen schon jetzt senken und nicht erst dann, wenn grüner Wasserstoff irgendwann einmal marktreif wäre. Die Japaner hoffen nun darauf, durch einen grossen Markt für «dreckigen» Wasserstoff letztlich den Umstieg auf ökologischer produzierten Wasserstoff zu beschleunigen. In etwas abgewandelter Form macht das Beispiel staatlicher Förderung nun Schule: Das deutsche Wirtschaftsministerium wie auch Österreich haben die Förderung grüner Wasserstoffproduktion angekündigt. Und auch China will eine Wasserstoffindustrie aufbauen.

Die Hoffnung auf den Markt ist dabei kein reines Hirngespinst. «Es handelt sich vielmehr um eine bewährte japanische Industriepolitik», meint der deutsche Energie- und Japan-Experte Raupach. Der Staat hilft bei der Schaffung neuer Märkte daheim, um den globalen Konzernen technologisch einen Vorsprung im weltweiten Wettbewerb zu sichern. Beim Thema Brennstoffzelle hat das Land diese Strategie nahezu idealtypisch umgesetzt. Finanziell wurde der Staat früh aktiv. Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey machte der Anteil von Japan 2016 allein 40% der weltweit in die Förderung von Wasserstoff geflossenen 850 Mio. $ aus. Technologisch stand dabei ausnahmsweise nicht die Autoindustrie an vorderster Front, sondern die Hersteller von Brennstoffzellen für Einfamilienhäuser. «Ene-Farm» werden die Geräte in Japan genannt, die die städtischen Gasversorger zusammen mit Technikkonzernen entwickelt haben.

Schon vor zehn Jahren brachte Panasonic das erste Modell auf den Markt, das Erdgas als Wasserstofflieferant verwendete. Seither wurden mehr als 300 000 dieser miniaturisierten Blockheizkraftwerke verkauft. Die technische Entwicklung ist in Japan dabei schon so weit fortgeschritten, dass das Geschäft nun «komplett unabhängig von staatlichen Kaufhilfen» sei, sagt Panasonics Experte Kawamura. In diesem Jahr liefen die einst hohen Subventionen aus. Den technologischen Vorsprung sucht Japans Marktführer nun für die Expansion ins Ausland zu nutzen. Als ersten Markt hat das Unternehmen dabei Deutschland angepeilt. Bereits 2013 schlossen die Japaner eine Kooperation mit dem Boiler-Hersteller Viessmann. Inzwischen verkauft das Duo Brennstoffzellen für deutsche Hauseigentümer. Andere Länder sollen folgen.

Zuerst das Haus, dann das Auto

Die Autoindustrie ist das zweite Wirkungsfeld von Abes Wasserstoffvision. Im Jahr 2014 nahm der japanischen Automobilhersteller Toyota den Mirai ins Sortiment auf, das erste als Grossserie geplante Modell mit einer Brennstoffzelle. Zwei Jahre später folgte Konkurrent Honda mit dem Clarity. Und während Renault-Partner Nissan derzeit auf Elektroautos setzt, fahren Toyota und Honda weiterhin mehrgleisig und forcieren nicht nur ihre Elektroautostrategien. Toyota hat überdies angekündigt, die Produktionskapazitäten von Brennstoffzellen Anfang der kommenden Dekade auf 30 000 Stück pro Jahr zu erhöhen. Eine zweite Generation des Mirai-Brennstoffzellenauto befindet sich in der Entwicklung. Ausserdem hat der Autobauer den Brennstoffzellenbus Sora entwickelt, der im kommenden Jahr während der Olympischen Sommerspiele in Tokio Werbung für die Wasserstoffnation Japan machen soll.

Und noch ein Plan von Toyota ist ganz in Abes industriepolitischem Sinn: Der Automobilhersteller versucht seine Technik gleich doppelt zu versilbern, zum einen mit dem Verkauf von Autos, zum anderen durch den Verkauf von Batterien, Elektromotoren und Brennstoffzellentechnik an die Rivalen. Das wachsende finanzielle Interesse schlägt sich auch in einem gesteigerten Engagement der Industrie nieder. Toyota und Honda sowie diverse Technik- und Energiekonzerne des Landes gründeten das Unternehmen Japan H2 Mobility. Mit ihm sollen der Bau von Wasserstofftankstellen und eine preiswerte Wasserstofferzeugung gefördert werden. Auch auf globaler Bühne wurden die japanischen Autohersteller aktiv. 2017 lancierten sie am Weltwirtschaftsforum in Davos den globalen Wasserstoffrat, der weltweit bei Regierungen für den Wasserstoff wirbt. Und Abe trommelt kräftig mit: Die Olympischen Sommerspiele hat er schon zur Werbebühne für Hightech made in Japan umgewandelt. Und in diesem Jahr hat er als Präsident der G-20, dem Klub der zwanzig einflussreichsten Industrie- und Schwellenländer, das Thema Wasserstoff prominent auf die Tagesordnung gesetzt.

Solche Anstrengungen werden in Zukunft noch wichtiger werden. «Japan hat sich mit Wasserstoff ein grosses Ziel gesetzt», lautet das Fazit von Raupach. Er habe zwar weiterhin seine Zweifel, ob Abes Vision auch eine wirkliche Energiestrategie darstelle. Doch niemand dürfe Japans Willen unterschätzen, die beschlossenen Pläne in die Realität umzusetzen, meint der Experte. «Die machen das», ist er überzeugt.

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