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Passives Radar Deutsche Techniker sollen US-Kampfjet enttarnt haben

Das Passivradarsystem eines deutschen Herstellers hat den US-Kampfflieger F-35 mehr als hundert Kilometer lang verfolgt. Dabei sollte der Jet eigentlich für Radarsysteme unsichtbar sein.
Luftüberlegenheit am Boden: Auf der Luftfahrtmesse ILA im April 2018 flogen die F-35 nicht

Luftüberlegenheit am Boden: Auf der Luftfahrtmesse ILA im April 2018 flogen die F-35 nicht

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Zur Sicherheit leerte man die Tanks auf dem mehr als 9000 Kilometer langen Trip immer nur bis zur Hälfte, damit der Treibstoff auch ganz sicher nicht ausging: Als Pilot Andrew "Dojo" Olson und ein Kollege mit zwei Kampfflugzeugen des Typs F-35A "Lightning II" von der Luke Air Force Base im US-Bundesstaat Arizona nach Berlin flogen, wurden die Tarnkappen-Jets nicht weniger als zehn Mal in der Luft aufgetankt. Es war mit elf Stunden und 24 Minuten der längste Non-Stop-Flug der Maschinen.

Der Rekordeinsatz fand im April vergangenen Jahres statt. Die Bundesregierung überlegte damals, wie man die alten "Tornados" der Luftwaffe am besten ersetzen sollte. Neben dem "Eurofighter" standen etwa Boeings F-15 und F-18 zur Auswahl. Und eben die F-35 von Lockheed Martin. Der US-Hersteller wollte seinen Fighter der fünften Generation bestmöglich präsentieren und schickte deswegen gleich zwei Exemplare zur Luftfahrtausstellung ILA in die deutsche Hauptstadt.

Am Flugprogramm der Messe nahmen die beiden Maschinen dann allerdings nicht teil, zur Überraschung der Gäste. Während der Eurofighter oder die in Schweden gebaute Saab JAS 39 "Gripen" an den Ausstellungstagen mit ohrenbetäubendem Lärm durch den Himmel über Schönefeld bretterten, standen die beiden F-35 still am Boden herum.

Teuerstes Rüstungsprogramm der Geschichte

In den Messehallen ging damals das Gerücht, das liege an einem Überwachungssystem, das der deutsche Rüstungstechnikhersteller Hensoldt, vor einigen Jahren aus dem Airbus-Konzern abgespalten, auf der Messe präsentierte. Damit sei es möglich, die US-Jets am Himmel zu verfolgen. Dabei war deren Quasi-Unsichtbarkeit fürs gegnerische Radar einer der entscheidenden Gründe für das US-Militär, auf die F-35 zu setzen. Mehr als 2700 Maschinen wollen die verschiedenen Teilstreitkräfte anschaffen. Es ist mit Gesamtkosten von 1,5 Billionen Dollar das teuerste Rüstungsprogramm der Geschichte.

Auch wenn sich Deutschland am Ende gegen die F-35 als "Tornado"-Nachfolger entschied, setzen zahlreiche andere Staaten wie Großbritannien, Australien, Israel und Polen auf den US-Jet. Doch womöglich ist dieser doch nicht ganz so unsichtbar wie die Werbeversprechen des Herstellers in Aussicht stellen. Inzwischen scheint klar: An dem Messegerücht war damals wohl etwas dran.

Hensoldt sei es mit seinem Passivradarsystem "Twinvis" tatsächlich gelungen, die Jets am Himmel zu verfolgen, berichtet gerade das US-Magazin "Defense News" . Der Coup sei geglückt, als die Maschinen die Luftfahrtschau wieder verlassen hätten. Das Unternehmen bestätigte den Bericht auf SPIEGEL-Nachfrage.

Hensoldt-Mitarbeiter hatten sich demnach auf einem Pferdehof vor den Toren Berlins eingemietet. Von dort aus habe das Team die F-35 im Abflug beobachtet. Das in einem Fahrzeug untergebrachte Radarsystem habe die Flugzeuge für insgesamt 150 Kilometer am Himmel verfolgen können, so "Defense News".

Kein aktiver Suchstrahl

Durch ihre spezielle Form und Oberflächenstruktur soll die F-35 - wie andere sogenannte Stealth- oder Tarnkappenflugzeuge auch - im Prinzip unsichtbar sein. Man muss sich das Ganze so vorstellen: Wenn ein klassisches Radarsystem Flugzeuge im Himmel orten will, sendet es einen kräftigen Suchstrahl aus. An der Maschine wird dieser reflektiert, das Echo lässt sich auffangen und auswerten. So lassen sich Position, Kurs und Geschwindigkeit des Zielobjekts berechnen.

Tarnkappenflieger aber streuen den Radarstrahl so, dass so gut wie nichts mehr davon zum Ausgangspunkt des Suchstrahls zurückgelangt - eigentlich.

Das Hensoldt-System "Twinvis" gehört aber zu einer anderen Klasse von Geräten. Bei diesen passiven Radarlösungen, der italienische Hersteller Leonardo hat zum Beispiel das "Aulos"-System im Angebot, wird kein aktiver Suchstrahl ausgesandt. Stattdessen kommen elektromagnetische Wellen zum Einsatz, die sowieso schon in der Atmosphäre vorkommen: Sie stammen zum Beispiel von Antennen, die Radioprogramme über UKW, DAB und DAB+ verbreiten, außerdem vom digitalen Antennenfernsehen DVB-T und DVB-T2.

Objekte, die sich durch die Atmosphäre bewegen, werden von diesen Wellen gewissermaßen umspült. Dabei entstehen Echos, die sich mit Antennen an anderer Stelle auffangen und anschließend auswerten lassen. Im Gegensatz zum klassischen Radar stehen Sender und Empfänger nun nicht mehr an derselben Stelle, Fachleute sprechen von bi- oder multistatischen Systemen. Sender ist die kräftige Radio- oder Fernsehantenne, Empfänger das Passivradarsystem.

Komplizierte Berechnungen nötig

Die nötigen Berechnungen beim Empfänger sind kompliziert: Es gilt aus zahllosen Reflexionen in der Umgebung die richtigen herauszufiltern, die von sich bewegenden Flugzeugen verursacht werden. Doch dank billiger Rechenkraft und optimierten Algorithmen gelingt das seit einigen Jahren im Grundsatz ganz gut.

Das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik in Wachtberg hat zusammen mit einem Industriepartner zum Beispiel ein System entwickelt, das für Windräder genutzt wird. Die roten Warnlichter an deren Spitze gehen dank des Passivradars "Parasol" nachts dann nur noch an, wenn tatsächlich ein Flugzeug in der Nähe ist. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat die Lösung für die Umgebungsüberwachung von Windparks inzwischen zugelassen.

Auch "Twinvis" lasse sich für die Überwachung des zivilen Flugverkehrs nutzen, so Hersteller Hensoldt. Bei einer Messkampagne an vier Standorten habe man bereits den Flugverkehr über Süddeutschland erfassen und in Echtzeit verfolgen können.

Besonders elegant an Passivradarsystemen für den militärischen Einsatz ist, dass man sich als Lauscher nicht verrät. Weil keine Strahlung ausgesendet wird, weiß der Pilot im Cockpit des ausgespähten Jets nicht einmal, dass er gerade überwacht wird. In der Praxis setzt ein erfolgreicher Einsatz solch eines Systems allerdings voraus, dass es starke Rundfunk und Fernsehsender in der betroffenen Gegend gibt. Existieren diese nicht oder sind sie durch vorherige gezielte Angriffe lahmgelegt worden, hat auch das Passivradar Probleme.

"Geeignet, um Stealth-Plattformen zu detektieren"

Die elektromagnetischen Wellen, die für Passivradarsysteme genutzt werden, haben eine besonders niedrige Frequenz und im Gegenzug eine große Wellenlänge. Und das bedeutet, dass an einem Flugzeugrumpf eben doch ein Radarecho entsteht - selbst wenn das eigentlich durch spezielle Formen ausgeschlossen sein sollte. "Passivradar ist aufgrund der zugrundeliegenden Technologie sehr geeignet, um Stealth-Plattformen zu detektieren", sagt auch Joachim Schranzhofer von Hensoldt im Gespräch mit dem SPIEGEL.

Was allerdings auch zur Wahrheit gehört: Die beiden F-35, die Pilot Olson und sein Kollege flogen, waren mit speziellen Radarreflektoren ausgestattet. Diese sollten dafür sorgen, dass die beiden Jets auf friedlicher Mission bei der Luftraumüberwachung auf jeden Fall sichtbar sind. Das ist eine übliche Praxis in solchen Situationen.

Ist das womöglich auch die einfache Erklärung dafür, dass das Hensoldt-System die Maschinen sehen konnte? Zwei vom SPIEGEL kontaktierte Radar-Experten bezweifeln dies unabhängig voneinander. Sie halten die "Twinvis"-Erfolgsmeldung für durchaus plausibel und verweisen darauf, dass die Radarreflektoren im Wesentlichen nur bei aktiven Radarsystemen mehr Sichtbarkeit bringen. Das Passivradar hätte den Vorzeigejet also tatsächlich ein Stück weit enttarnt.

Zusammengefasst: Die US-Kampfjets F-35 gelten eigentlich als nicht aufspürbar. Nun sollen die Flugzeuge doch enttarnt worden sein - von einem Passivradarsystem eines deutschen Herstellers. Der Clou: Statt selbst einen Suchstrahl auszusenden, nutzen die Systeme elektromagnetische Wellen, beispielsweise von Fernsehantennen, die ohnehin durch die Luft flirren. Dadurch verrät sich das Flugzeug, die Beobachter hinterlassen dagegen keine Spuren.