Aus goldenen Zeiten

© 2019 Les Editions Albert René / Goscinny – Uderzo

Es ist mehr als ein einfaches Fundstück. Es ist ein regelrechtes Artefakt, das Egmont Ehapa da ausgegraben hat: Wie der Verlag kürzlich bekanntgab, wird im Herbst „Der Goldene Hinkelstein“ als Sonderband neu aufgelegt. Das kaum bekannte Asterix-Abenteuer gab es bislang nicht auf Deutsch, es wurde in Frankreich 1967 als Schallplatte mit Begleitheft veröffentlicht.

„Der Goldene Hinkelstein“ ist eine illustrierte Geschichte, kein waschechter Comic. Dennoch elektrisiert die Nachricht die Asterix-Fans – denn die Story stammt aus der absoluten Hochphase des Schaffens der Asterix-Väter René Goscinny und Albert Uderzo. Die 60er waren das erste Asterix-Jahrzehnt, damals zauberten Goscinnys Feder und Uderzos Zeichenstift unvergessene Klassiker wie „Asterix und Kleopatra“, „Asterix als Gladiator“, „Die goldene Sichel“ und wie sie alle heißen aufs Papier, zunächst wurden die Geschichten in der französischen Jugendzeitschrift „Pilote“ portionsweise veröffentlicht.

Aus dem Goldenen-Hinkelstein-Jahr 1967 stammt auch „Asterix als Legionär“, zumindest in Frankreich, in Deutschland erschienen die Bände ja mit einigen Jahren Verzögerung und teils auch in geänderter Reihenfolge. Wir erinnern uns an den Plot von „Asterix als Legionär“: Obelix verliebt sich, natürlich äußerst unglücklich, in seine Traumfrau Falbala. Dennoch reisen die beiden Gallier nach Afrika, um Falbalas Verlobten Tragicomix zurückzubringen, wobei sie so nebenbei Cäsar zum Sieg über Scipio verhelfen. Ehrensache.

Da liegt sie also, die Messlatte: Die Ansprüche an die Wiederauflage von „Der Goldene Hinkelstein“ sind groß, viele Fans hoffen darauf, dank des neuen alten Bandes noch einmal das echte und ursprüngliche Asterix-Gefühl erleben zu dürfen. Selbiges fand nämlich spätestens ab 1977 ein abruptes Ende. Damals starb René Goscinny mit 51 Jahren. Das letzte Album, an dem beide Künstler gemeinsam arbeiteten, war „Asterix bei den Belgiern“. Uderzo musste es am Ende ohne seinen Mitstreiter fertigstellen. Der Zeichner machte danach allein weiter, schrieb Geschichten zunächst selbst, später folgten Didier Conrad (Zeichnungen) und Jean-Yves Ferri (Text) als neues Künstler-Gespann.

Asterix®- Obelix®- Idefix® / © 2019 Les Editions Albert Rene / Goscinny – Uderzo

Bislang erblickten auch dank ihnen 38 Asterix-und-Obelix-Bände das Licht der Welt, hinzu kommen Kurzgeschichten und natürlich etliche Real- und Animationsverfilmungen. Den besonderen Witz und Charme der ersten 24 „Asterixe“ erreichten die nachfolgenden Alben nach Meinung vieler Rezensenten und Fans allerdings nicht mehr.

Sie speisten sich aus dem gemeinsamen Schaffen der beiden Originalkünstler, wie der Comicexperte Christof Ruoss erläutert. „Es war die Zusammenarbeit der beiden, und auch ihre enge Freundschaft, die die Asterixbände in den 60er und frühen 70er Jahren zu so etwas Besonderem machten“, bewertet er die Arbeit von René Goscinny und Albert Uderzo. Der Comicexperte Ruoss ist ein langjähriger Kenner der europäischen Szene, leitet heute die Agentur Comicon und ist selbst Zeichner und Autor. „Die beiden haben gemeinsam eine besondere Energie entwickelt“, sagt er.

Nur dank dieser Symbiose sei die spezielle asterix-typische Situationskomik entstanden. Goscinny ersann die Plots, Wortspiele, Anspielungen, die Uderzo dann punktgenau in die Bilder umsetzte und die oft binnen weniger Panels vollkommen humoristisch eskalierten (quasi wie Obelix, den ein ums andere Mal aus dem Nichts heraus die Wut erfasst). „Als Zeichner machte Albert Uderzo wohl einzigartig, dass er es verstand, all das, was wir bis heute an den frankobelgischen Stilistiken so schätzen, mit einer dynamischen Weichheit in seinem Pinsel-Ink-Stil zu verbinden“, sagt Ruoss. Diese Dynamik und Weichheit seien zur damaligen Zeit auf dem amerikanischen Animationsmarkt vorzufinden gewesen, wertet er. „Die Modernität, welche sich aus dieser perfekten Synthese ergab, hat bis heute kaum nachgelassen und wirkt immer noch up-to-date“, so Ruoss weiter.

Anekdoten und Szenen aus den frühen und mittleren Asterix-Jahren haben sich dank ihrer erzählerischen und zeichnerischen Energie auch weit über die Comic-Szene hinaus in das popkulturelle Gedächtnis ganzer Generationen gegraben. Das Asterix-Latein der gefallenen Würfel und todgeweihten Gladiatoren gehört dazu, die Nase der Sphinx, das Antreten der Römer in Reih und Glied zur Weinprobe, der Passierschein A 38 (der aus dem Film „Asterix erobert Rom“ stammt). Zum Thema Sprache und Anspielungen schiebt Christof Ruoss noch einen weiteren, weniger bekannten Aspekt der Asterix-Historie ein: Übersetzt hat die frühen Bände Gudrun Penndorf. „Viele Sprüche und geflügelten Worte, welche sich unsere Generation oft bis heute noch augenzwinkernd erzählt, sind eindeutig ihr Verdienst“, betont Ruoss.

Ebenfalls typisch Asterix, aber nicht unumstritten, ist übrigens auch die Verballhornung (vermeintlicher) kultureller Eigenschaften der antiken wie auch modernen Gesellschaften. Oft sind Figuren in Asterix eher Stereotype als Individuen. Zeitweise funktioniert das noch charmant, man denke an die heißes-Wasser-und-später-Tee-trinkenden Briten und ihre „Lasst uns schütteln die Hände“-Redeweise. Zuweilen langten die Künstler aber auch – freundlich ausgedrückt – kräftig daneben bei ihrer Darstellung von Nationalitäten und Kulturen. Zumal dann, wenn sie nicht-europäische Kulturkreise einbauten. Bekanntestes Negativ-Beispiel ist sicherlich die rassistische Darstellung des Piraten im Ausguck.

Albert Uderzo selbst verstarb erst im März dieses Jahres. Natürlich gab es in mehreren großen Medien Nachrufe auf den Zeichner. Es sagt aber viel über die besondere Bedeutung von Uderzo und Goscinny als Künstlergespann aus, dass bei Bekanntwerden des neuen Ehapa-Fundes die Mainstream-Medienlandschaft erst recht regelrecht explodierte und binnen Minuten die Meldung aus dem Verlag heraus die Nachrichtenportale überflutete. Comics schaffen selten eine so große Breite in den Medien. „Goscinny und Uderzo waren wohl so etwas wie das Duo Lennon und McCartney des frankobelgischen Comics“, sagt Christof Ruoss. Der Fund des Goldenen Hinkelsteins müsste sich demnach für Comicfreunde etwa so anfühlen, wie es Musikfans erginge, wenn alte Aufnahmen der Beatles gefunden und remastered würden.

In „Der Goldene Hinkelstein“ geht es übrigens um einen Gesangswettbewerb, an dem der Barde Troubadix teilnehmen will. Und, natürlich, müssen Asterix und Obelix ihn begleiten und gewiss ordentlich römische Legionäre verdreschen. Ehrensache. Der Verlag verspricht den „für René Goscinny typischen Witz und Esprit“ und den „meisterhaften und unverwechselbaren Pinselstrich Albert Uderzos“. Die Geschichte sei noch unter Aufsicht Uderzos von seinen treuesten Mitarbeitern restauriert worden.

Ab dem 21. Oktober werden die Asterix-Liebhaber – es ist der weltweite Erscheinungstag – sehen können, ob die Versprechen erfüllt werden und sich die Geschichte mit den anderen Werken Uderzos und Goscinnys messen lassen kann. Und: wie sie sich mit dem Jahr 2020 verträgt.

Peter Michael Meuer, Jahrgang 1981, arbeitet als Journalist und Tageszeitungsredakteur im Stuttgarter Raum und war auch schon als Redakteur und Comic-Autor für den Blue-Ocean-Verlag tätig. Ehrenamtlich ist er bei der Phantastischen Akademie mit dabei, die jährlich auf der Leipziger Buchmesse den Literaturpreis Seraph verleiht.