Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 3 / 57

»MORGENTHAU-PLAN IM QUADRAT«

aus DER SPIEGEL 10/1967

SPIEGEL: Finden Sie, daß die Bundesregierung sich richtig verhält, wenn sie sich bemüht, den Atom-Sperrvertrag für Deutschland annehmbar zu machen?

ADENAUER: Ich bin der Auffassung, daß man etwas zu spät erkannt hat, was da wirklich dahintersteckt. Ich bin weiter der Auffassung, daß man zu ruhig darauf reagiert hat -- auch die Presse. Man soll zwar dann und wann in der Politik Ruhe haben, aber doch nicht zu häufig. Ich finde diese ganze Sache ungeheuerlich. Das ist wirklich der Morgenthau-Plan im Quadrat.

SPIEGEL: Halten Sie es überhaupt für möglich, den Vertrag so zu ändern, daß eine deutsche Unterschrift geleistet werden kann?

ADENAUER: Aus meiner politischen Erfahrung habe ich die Überzeugung gewonnen, daß das Wort richtig ist: »Wenn man dem Teufel den kleinen Finger gibt, dann nimmt er die ganze Hand.« Wenn schon ein so unmöglicher Vertrag gemacht wird, dann sollten wir sagen, das machen wir nicht mit. Und dann sollten doch die Amerikaner und die Russen, die das ausgehandelt haben, was anderes vorschlagen.

SPIEGEL: Sollte sich die Bundesregierung also gar nicht darum bemühen, den Vertrag in diplomatischen Verhandlungen zu modifizieren?

ADENAUER: Ob man den Entwurf von vornherein völlig ablehnt oder nur auf den Teil mit den atomaren Sprengstoffen beschränkt, das ist eine Frage der Taktik. Ich bin ja auch ganz damit einverstanden, daß Atomwaffen nicht weitergegeben werden sollten. Aber was sonst noch alles in dem Vertrag drinsteht, das ist ganz schrecklich.

SPIEGEL: Was ist so schrecklich daran?

ADENAUER: Was dahintersteckt ist, daß die deutsche Wirtschaft konkurrenzunfähig gemacht werden kann. Dieser Vertrag würde eine Not bei uns zur Folge haben und eine Bewegung nach links. Und wem das nützen würde, das -will ich Ihnen sagen: den Kommunisten und der SED. Das wollen die Russen, und die Amerikaner scheinen· es nicht zu merken.

SPIEGEL: Und daß zu heftige Proteste gegen den Vertragsabschluß der extremen -Rechten nützen würden -- das befürchten Sie nicht?

ADENAUER: Sehen Sie mal, es gibt für einen- russischen Staatsmann doch nur einen Weg, die Sowjet-Union stärker zu machen als andere Staaten: wenn es ihm nämlich gelingt, die Länder Westeuropas, besonders Frankreich und Deutschland, mit ihrem Industrie-Potential und mit- ihren Menschen ins russische Kielwasser zu bringen. Wenn das gelingt das habe ich schon 1955 nach meinem Besuch in Moskau mal prüfen lassen -, dann wäre Sowjetrußland stärker als die Vereinigten Staaten, politisch stärker, wirtschaftlich stärker und auch militärisch stärker.

SPIEGEL: Und stärker als China.

ADENAUER: Natürlich. Chruschtschow hat mich schon 1955 in Moskau dreimal darauf angesprochen, daß wir ihm gegen die Chinesen helfen sollen. Er hat wörtlich gesagt: »Wir werden nicht fertig mit Rotchina.« Er hat natürlich auch gesagt, wir sollen ihm gegen die Amerikaner helfen.

SPIEGEL: Haben Sie bei Ihrem Gespräch mit de Gaulle am letzten Montag in Paris den Eindruck gewonnen, daß die Bonner Unterschrift unter einen Atom-Sperrvertrag das deutsch-französische Verhältnis von neuem belasten würde?

ADENAUER: Ich bin bei de Gaulle gewesen, nicht im offiziellen Auftrag. Sie wissen ja, de Gaulle und ich haben lange Jahre eine gemeinschaftliche Politik betrieben. Die ist dann unter der Ära Erhard-Schröder stillgelegt worden. Ich habe de Gaulle, als er im Sommer bei mir war, schon gesagt, daß im Herbst eine Änderung eintreten würde.

SPIEGEL: Die Änderung ist ja nun eingetreten. Ist der General jetzt wieder mit Bonn zufrieden?

ADENAUER: Ich habe den Eindruck, daß de Gaulle unsere Politik durchaus versteht.

SPIEGEL: Sie sind zweimal bei Bundeskanzler Kiesinger gewesen, vor und nach Ihrer letzten Reise. Haben Sie bei ihm für Ihren Standpunkt Billigung oder wenigstens Verständnis gefunden?

ADENAUER: Herr Kiesinger war bei mir, am Dienstag. Er wollte hören, wie ich nach meiner Reise die Dinge beurteile. Ich glaube, daß ich bei Herrn Kiesinger durchaus Verständnis gefunden habe.

SPIEGEL: Werden Sie Ihren Widerstand gegen eine deutsche Unterschrift unter den Atom-Sperrvertrag fortsetzen?

ADENAUER: Selbstverständlich. In solchen Lebensfragen des deutschen Volkes äußere ich frei meine Ansicht.

SPIEGEL: Glauben Sie nicht, daß eventuell die Koalition dadurch gefährdet wird?

ADENAUER: Nein! Warum denn? Ich bin fest davon überzeugt, daß die deutsche Sozialdemokratie die Absicht der Russen, uns wirtschaftlich zu deklassieren, begriffen hat.

SPIEGEL: Es sieht aber so aus, als leisteten Teile der Unionsparteien härteren Widerstand gegen eine Unterschrift als die SPD.

ADENAUER: Also, ich bin durchaus der Ansicht, daß die Union 24 Stunden zu spät aufgestanden ist. Und die Sozialdemokraten stehen vielleicht 48 Stunden zu spät auf. Aber sie werden schon noch aufstehen.

SPIEGEL: Es ist ja auch eine sehr komplizierte Materie.

ADENAUER: Da können Sie mal sehen, warum es so -- nötig ist, daß man die Politik einfach darstellt.

Zur Ausgabe
Artikel 3 / 57