Von semantischen Kampfansagen bis zu zehn konkreten Vorschlägen der Caritas, wie man Energiearmut verhindern kann

Die Überschrift des Artikels klingt zupackend: Berliner Senat sagt Energiearmut den Kampf an. Aber das, was man dann erfährt, steht in ziemlichen Widerspruch zu der markigen Ankündigung: Im Berliner Abgeordnetenhaus hat man sich mit jenen beschäftigt, die ange­sichts der Infla­ti­on und galop­pie­ren­den Ener­gie­kos­ten kom­plett auf der Stre­cke zu blei­ben dro­hen: den von Armut betrof­fe­nen Men­schen in der Stadt. Auslöser der Debatte war ein Antrag der oppositionellen CDU: „Infla­ti­on trifft die Ber­li­ner. Senat schraubt Gebüh­ren hoch, ver­gisst aber Rent­ner und Stu­den­ten bei der Ener­gie­kos­ten­pau­scha­le“. »War­um der rot-grün-rote Senat für die auf Bun­des­ebe­ne beschlos­se­ne und für ganz Deutsch­land gel­ten­de Ener­gie­kos­ten­pau­scha­le bezie­hungs­wei­se deren Aus­nah­men ver­ant­wort­lich gemacht wer­den soll­te, blieb an die­ser Stel­le das Geheim­nis« der CDU-Fraktion.

»So wirr zusam­men­ge­wür­felt der Antrags­ti­tel wirk­te, so zusam­men­ge­wür­felt wirk­ten dann auch im Gan­zen die von den ein­zel­nen Frak­tio­nen vor­ge­brach­ten For­de­run­gen und Vor­schlä­ge, wie ins­be­son­de­re von Ener­gie­ar­mut betrof­fe­nen Ber­li­nern gehol­fen wer­den kann«, berichtet Rainer Rutz.

»Die CDU … gei­ßel­te bei­spiels­wei­se die Erhö­hung der Park­ge­büh­ren zum kom­men­den Jahr, auf die sich der Senat Mit­te Mai ver­stän­digt hat­te. Und über­haupt plä­dier­te der CDU-Abge­ord­ne­te Björn Woh­lert für ein »Abga­ben- und Gebüh­ren­mo­ra­to­ri­um«. AfD-Lan­des- und Frak­ti­ons­chefin Kris­tin Brin­ker stimm­te gewohnt the­men­ab­sti­nent einen Jubel­ge­sang auf die Kern­ener­gie an. Der sozi­al­po­li­ti­sche Spre­cher der FDP-Frak­ti­on, Tobi­as Bausch­ke, lob­te wie­der­um die ver­meint­li­chen Seg­nun­gen der Ampel-Regie­rung im Bund und ver­damm­te »die kata­stro­pha­le Stadt­ent­wick­lungs­po­li­tik« des Senats.«

Das scheint jetzt mit Blick auf die zunehmende Energiearmut nicht wirklich zielführend zu sein. Und die Vertreter der in Berlin regierenden Parteien? »So for­der­te Tay­l­an Kurt, Spre­cher für Sozi­al­po­li­tik und Armuts­be­kämp­fung der Grü­nen-Frak­ti­on, für Haus­hal­te, die die Rech­nun­gen nicht bezah­len kön­nen, »ein Mora­to­ri­um für Strom- und Gas­sper­ren«. Ähn­li­ches hat­te es bereits wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie gege­ben. Nie­mand in Ber­lin dür­fe »mit hohen Strom­rech­nun­gen allein­ge­las­sen wer­den«, sag­te Kurt. Die stell­ver­tre­ten­de Lan­des­chefin der Links­par­tei, San­dra Brun­ner, brach­te zudem einen Ener­gie­preis­de­ckel ins Spiel.« Auch das lässt einen nun wirklich nicht überzeugt zurück.

Energiearmut verhindern – aber wie? Zehn Vorschläge des Caritasverbandes

Vielleicht kommt die Rettung aus einem der kirchlichen Wohlfahrtsverbände? »Stark gestiegene Energiepreise treffen insbesondere arme Haushalt, die anteilsmäßig viel für Heizung, Strom und Mobilität ausgeben. Der Deutsche Caritasverband hat zehn Vorschläge herausgearbeitet, um Energiearmut vorzubeugen.« Die Politik, teilt uns der Verband mit, müsse drei Dimensionen beachten, um angemessen zu reagieren angesichts eines auch langfristig zu erwartenden Anstiegs der Energiepreise:

1.) Für Personen, die im Grundsicherungsbezug sind, müssen die steigenden Energiepreise bei der Bemessung des Regelbedarfs dauerhaft ausreichend berücksichtigt werden. Die Regelsätze müssen angepasst werden. Das gilt auch für das Wohngeld oder den BAFÖG.

2.) Angesichts der sprunghaften Energiekostensteigerungen braucht es auskömmliche Übergangslösungen, z.B. in Form von gezielten Entlastungspakten, weil die Veränderung der Berechnungsmechanismen und deren gesetzliche Änderung Zeit brauchen. Auch Menschen, die keine Sozialleistungen beziehen, aber niedrige Einkommen haben, brauchen eine Entlastung.

3.) Die klimapolitisch gebotene höhere Bepreisung des CO2-Verbrauchs muss kompensiert werden, damit die finanzielle Last der Klimapolitik nicht von denen getragen wird, die schon jetzt durch die Klimakrise überproportional betroffen sind.

Die Caritas fordert zur Linderung von Energiearmut ein Maßnahmepaket, das diese drei Dimensionen gezielt adressiert. Und dazu haben die dieses Papier veröffentlicht:

➔ Deutscher Caritasverband (2022): Energiearmut verhindern- aber wie? Zehn Vorschläge, Freiburg, 07.06.2022

Dem Papier kann man zuerst einmal einige Hintergrundinformationen zum Thema „Energiearmut“ entnehmen: »Energiearmut, also die Schwierigkeit, den eigenen Energiebedarf ausreichend decken zu können bzw. wegen überproportionaler Energieausgaben hilfebedürftig zu werden, ist kein neues Phänomen. Je nach Definition und zugrundeliegenden Indikatoren schwanken die Zahlen der von Energiearmut betroffenen Menschen in Deutschland im Jahr 2011 zwischen 3,3 Mio. Personen (4,1 Prozent der Bevölkerung) und 24 Mio. Menschen, was fast einem Drittel der Bevölkerung entspricht.« Und mit Blick auf die aktuellen Kostensteigerungen: »Bisher betrugen die Ausgaben für Wärme im unteren Einkommensdezil 6 Prozent, bei einer Verdoppelung der Kosten würde der Anteil auf 12 Prozent des Einkommens anwachsen – Ausgabensteigerungen, die für diese Haushalte nicht zu leisten sind. Dies geht, wie wir nicht zuletzt aus unserer jahrelangen Beratungsarbeit im Stromsparcheck wissen, häufig einher mit einem schlechten Energiestandard der Wohngebäude, in denen einkommensarme Haushalte Wohnungen finden und wenig energieeffizienten Haushaltsgeräten. Aus armutspolitischer Sicht besteht schon seit langem Handlungsbedarf, auch weil der Stromanteil in den Regelsätzen der Grundsicherung viel zu niedrig ist.«

»Rund 26 Prozent der Haushalte in den 77 deutschen Großstädten zahlten bereits vor der Energiepreissteigerung schon mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Warmmiete, fast 12 Prozent mussten über 50 Prozent des Einkommens für Wohnen ausgeben.«

Und welche zehn Vorschläge werden nun in die Diskussion eingebracht?

1.) Zielgenauere Ausrichtung von Hilfeprogrammen kurzfristige Entlastungspakete der Bundesregierung: Es wird darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung zwei kurzfristig wirkende Entlastungspakete beschlossen hat, dass die Caritas darüber hinaus „nachhaltig wirkende Entlastungen mit einer deutlicher ausgestalteten sozialen Staffelung der Maßnahmen“ fordert. Die Einkommensbeihilfen für einkommensschwache Haushalte werden zwar begrüßt, aber angesichts der zu erwartenden Dauerhaftigkeit der Energiepreissteigerungen sei die Ausgestaltung als Einmalzahlung bzw. Maßnahme mit kurzer Fristigkeit ungenügend. Eine finanzielle Unterstützung aller Haushalte wird abgelehnt. »Notwendig ist eine gezielte Entlastung der unteren Einkommensgruppen mittels einkommensbezogener Maßnahmen.«

2.) Klimageld: »Mittel- und langfristig sind klimapolitisch induzierte Energiekostensteigerungen abzufedern, die mit dem Steuerungsinstrument der CO2-Bepreisung einhergehen. Der Deutsche Caritasverband setzt sich dafür ein, die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an alle Bürgerinnen und Bürger zurückzuzahlen. Dieses Klimageld soll eine soziale Ausgleichsfunktion haben.« Und wie soll das funktionieren? Jeder Bürger soll »unabhängig von der Belastung durch die CO2-Steuer mindestens einen gleich hohen Grundbetrag erhalten.« Bei der Ausgestaltung des im Koalitionsvertrag der Bundesregierung grundsätzlich vereinbarten Klimageldes »müssen Möglichkeiten gesucht werden, dass ärmere Menschen im Rahmen eines weitergehenden sozialen Ausgleichs mehr davon haben. Dazu sollte zusätzlich zur Unterwerfung des Klimageldes unter die Einkommenssteuerpflicht auch der Weg eines sozial gestaffelten Klimageldes geprüft werden. Das Klimageld darf auf jeden Fall nicht auf Transferleistungen angerechnet werden.«

3.) Sanierungsquote erhöhen und Modernisierungsumlage reformieren: Niedrigeinkommensbezieher leben häufiger in Wohnungen mit einem schlechten energetischen Zustand (alte Gebäude, schlecht isoliert, alte Heizanlagen mit Nachtspeicheröfen und Ölheizungen) mit entsprechendem Energiebedarf. Der Caritasverband »fordert daher eine deutliche Erhöhung der Sanierungsquote.« Damit energetische Sanierungen nicht zu starken Mietsteigerungen und damit zu Verdrängung führen, ist die Modernisierungsumlage zu reformieren. Momentan dürfen acht Prozent der Sanierungskosten zeitlich unbefristet auf die Mieter umgelegt werden. Hier lautet der Vorschlag: »Die Umlage sollte begrenzt werden auf den Betrag, der nach der Sanierung durch geringere Energiekosten tatsächlich eingespart wird.«

4.) Regelbedarf verbessern: Der Anteil für Strom im Regelbedarf der Grundsicherung ist deutlich zu niedrig – er müsste sich am tatsächlichen Verbrauch der Grundsicherungsempfänger orientieren. »Der Gesetzgeber ist aufgefordert, unverzüglich auf die offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der inflations- und energiepolitisch bedingten Preisentwicklung und der Fortschreibung der Regelbedarfe zu reagieren. Die Verdopplung der Einmalzahlung auf insgesamt 200 Euro im Rahmen des Maßnahmenpakets des Bundes zum Umgang mit den hohen Energiekosten hilft nur kurzfristig und kann eine zeitnahe Anpassung der Regelbedarfe nicht ersetzen.«

5.) Heizkostenübernahme sicherstellen und Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft in der Grundsicherung neu regeln: Im Rahmen der Grundsicherungsleistungen werden die tatsächlichen Heizkosten übernommen, sofern sie angemessen sind. »Das muss auch gelten, wenn die Abschlagszahlungen und Nachforderungen aufgrund der Preissteigerungen deutlich höher ausfallen. Es darf nicht dazu kommen, dass Nachforderungen aus dem Regelbedarf gezahlt werden müssen und damit das Existenzminimum nicht mehr gedeckt ist.«

6.) Ausbau regenerativer Energien sowie Senkung des Energieverbrauchs: Nach Meinung des Caritasverbandes braucht es Förderprogramme zur gezielten Integration einkommensarmer Haushalte in den Ausbau regenerativer Energien. »Mieterstrommodelle sind attraktiv und bürokratiearm zu gestalten.«

7.) Wohngeld besser ausgestalten und bewerben: »Das Wohngeld als zielgenaues Leistungssystem für einkommensschwache Haushalte über der Grundsicherungsgrenze muss noch in diesem Jahr reformiert und neben einer einzuführenden Klimakomponente zusätzlich um eine Heizkostenkomponente ergänzt werden, die es 2009/2010 bei ebenfalls stark steigenden Preisen schon einmal gab. Die Klimakomponente stellt sicher, dass im Falle einer energetischen Sanierung der Mietwohnung die Obergrenzen für die anerkannte Miete entsprechend angepasst werden. Andernfalls droht der Wohnungsverlust aufgrund einer Sanierung. Auch die Stromkosten müssen durch eine Stromkostenkomponente besser abgebildet werden.«

8.) Individuelle Energieberatung für einkommensarme Haushalte stärken: »Energiearmut ist häufig ein Zusammenspiel aus prekären Wohnverhältnissen, niedrigem Einkommen, schlechter Bildung, soziokulturellen Gewohnheiten und weiteren zum Teil sehr individuellen Faktoren. Hier braucht es eine individuelle Beratung, die für Haushalte unterhalb der Pfändungsfreigrenze kostenlos sein muss.« Man kann auf Erfahrungen zurückgreifen: »Die Erfahrungen der Stromspar-Check-Projekte zeigen, dass es gelingen kann, durch niedrigschwellige Angebote signifikante Einsparerfolge in der Größenordnung von ca. 15 Prozent des Jahresverbrauchs für Energie und Wasser zu erzielen.«

9.) Strom- und Gassperren abschaffen: »Strom- und Gassperren in Privathaushalten sollten untersagt werden, da die Versorgung mit Energie existenziell ist, eine Unterbrechung ein geregeltes Leben unmöglich macht und Notlagen weiter verschärft.«

10.) ÖPNV stärken und vergünstigen: »Die Caritas fordert den deutlichen Ausbau eines attraktiven ÖPNV-Angebots, bei dem unter- schiedliche Verkehrsmittel gut verschränkt, niedrigschwellig und kostengünstig nutzbar sind. Die Verbesserung der Infrastruktur ist klimapolitisch dringend notwendig und kommt auch in sozialpolitischer Hinsicht denjenigen zugute, die sich z.B. gar kein Auto leisten können … Der Deutsche Caritasverband fordert ein kostenloses ÖPNV-Ticket für alle Menschen mit geringem Einkommen sowie das 365 Euro-Ticket für alle anderen Bevölkerungsgruppen und einen barrierefreien Ausbau des ÖPNV gerade auch im ländlichen Raum.«