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Der lange Marsch des Bodo Ramelow

Mit Karl Marx in die Thüringer Staatskanzlei: der Linke-Politiker Bodo Ramelow will Deutschlands erster linker Ministerpräsident werden Mit Karl Marx in die Thüringer Staatskanzlei: der Linke-Politiker Bodo Ramelow will Deutschlands erster linker Ministerpräsident werden
Mit Karl Marx in die Thüringer Staatskanzlei: der Linke-Politiker Bodo Ramelow will Deutschlands erster linker Ministerpräsident werden
Quelle: Candy Welz
Im September wird in Thüringen gewählt. Bodo Ramelow könnte dann der erste linke Ministerpräsident Deutschlands werden. Dafür tut der gebürtige Niedersachse fast alles. Ein Besuch in Erfurt.

Es passiert jetzt öfter, dass ihn die Leute scherzhaft mit „Herr Ministerpräsident“ begrüßen. Bodo Ramelow antwortet dann immer: „In Lauerstellung.“ Er klingt dabei halb geschmeichelt, halb selbstgewiss. Zehn Jahre hat er auf dieses Ziel hingearbeitet. Im Herbst wird sich entscheiden, ob Ramelow der erste linke Ministerpräsident Deutschlands wird. Oder ob sein großer Traum endgültig zerplatzt. Es ist der Wahlkampf seines Lebens.

Wie nah die Macht für ihn ist, kann man schon am Eingang des Erfurter Landtags erkennen. Auf dem Schild, das den Weg zu den Fraktionen weist, steht die CDU an oberster Stelle. Dann kommt die Linke – vor der SPD und den Grünen. Bei den vergangenen drei Landtagswahlen ist die Linke immer die zweitstärkste Kraft hinter der Union geworden. Seit Bodo Ramelow sie führt.

Der 58-Jährige mit den jungenhaften Zügen empfängt in seinem Büro. Er trägt einen dunkelblauen Anzug und einen kleinen roten Anstecker in Keilform im Revers, ein ursprünglich von dem russischen Künstler El Lissitzky stammendes Symbol, das die Linkspartei bei ihrer Gründung zum Erkennungszeichen erkoren hat. Früher haben die Genossen in Berlin manchmal über seine schlecht sitzenden Anzüge gelästert.

Den Ohrring hat er abgelegt

Doch diese sind Vergangenheit, wie sein Ohrring und der dicke Fingerring. Letzteren hat ihm seine dritte Frau ausgeredet, eine Italienerin, die Ramelow 2006 geheiratet hat. Auch sonst gibt sich Ramelow ganz präsidial. Am Morgen hat er eine Seniorenkonferenz mit dem Verweis auf die dramatischen Folgen des demografischen Wandels in Thüringen eröffnet. 35 junge Leute verließen pro Tag das Land, ein „Aderlass“, den man stoppen müsse.

Das klang schon wie ein Ministerpräsident. Als solcher würde er neben einer großen Verwaltungsreform das Konzept der sozialen Stadt vorantreiben und die soziale Bindungsfunktion im ländlichen Raum stärken, um den Trend der Abwanderung umzukehren, sagt Ramelow. „Wir liegen in der Mitte Europas, unsere Verwaltung könnte eine Million zusätzliche Einwohner verkraften.“ Stattdessen gebe es Orte wie Ziegenrück, wo jedes vierte Haus zum Verkauf steht. Was er nicht sagt: Das trifft nur für die ländlichen Gebiete zu. Insgesamt steht Thüringen nicht schlecht da. Die Arbeitslosenquote liegt bei verhältnismäßig niedrigen 8,5 Prozent. Im Vergleich: In Mecklenburg-Vorpommern sind es 12,5 Prozent.

In Thüringen „wie ein Heiliger“ empfangen

Ramelow ist nicht aus Thüringen weggegangen, er ist gekommen – und geblieben. 1990 wurde er, der Gewerkschaftsfunktionär aus Niedersachsen, gebeten, in Thüringen die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen aufzubauen. „Wie ein Heiliger“ sei er damals empfangen worden, sagt Ramelow. Er, der sich zuvor alles in seinem Leben hatte hart erkämpfen müssen. Thüringen habe viele seiner „Wunden aus Westdeutschland“ geheilt, wird Ramelow später in einem anderen Zusammenhang sagen.

Es geht um seinen Wiedereintritt in die Kirche, die der getaufte Protestant in Niedersachsen verlassen hatte. Als Ramelow in der Bundespartei noch jemand war, hat seine demonstrative Frömmigkeit viele Genossen genervt. Tatsächlich ist sie ein Schlüssel, um Ramelow und seine Liebe zu Thüringen zu verstehen. In beiden Fällen geht es um das Gefühl, so akzeptiert zu werden, wie man ist.

Zur PDS kam er 1999. Der damalige Landesvorsitzende hatte den Gewerkschafter gefragt, ob er sich nicht vorstellen könne, in die Politik zu gehen. Ramelow konnte. Er wurde auf Anhieb in den Landtag und zum stellvertretenden Vorsitzenden der PDS-Fraktion gewählt. Die verunsicherten Genossen waren froh, dass sie jemanden hatten, der wusste, wohin er wollte. Und das wusste Ramelow: nach oben. Nur in seiner Kirchengemeinde, da blieb am Sonntag nach seinem PDS-Beitritt seine Bankreihe leer.

Seine Legasthenie wurde erst mit 19 erkannt

Eigentlich ist einer wie er ein typischer Fall für die SPD. Aufgewachsen in armen Verhältnissen, jüngstes von vier Kindern, der Vater starb früh, die Mutter musste nachts in der Großküche eines Hotels arbeiten, um die Familie durchzubringen. Die Schule beendete er zunächst mit einem Hauptschulabschluss. Er sei „hoch intelligent, aber stinkend faul“, bescheinigten ihm die Lehrer. Zuhause setzte es Prügel für die schlechten schriftlichen Noten.

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In Wirklichkeit ist Ramelow Legastheniker. Aber die Lese-Rechtschreib-Schwäche wurde erst erkannt, als er mit 19 einen zweiten Anlauf auf der Berufsaufbauschule wagt. „Ich hatte eine totale Schreibblockade, konnte nicht einmal mehr meine üblichen Hieroglyphen schreiben.“ Er ging zur Lehrerin, die ihn zum Schulpsychologen schickte. Der diagnostizierte Legasthenie.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Ramelow schon eine Lehre bei Karstadt als Lebensmittelkaufmann abgeschlossen, als Bester seines Bezirks. Und er hatte gelernt, dass das Leben ein Kampf war. Aber auch, dass er Menschen überzeugen kann. Als er als Lehrling in die Gewerkschaft eintrat, brachte er gleich ein paar neue Mitglieder mit. Er verehrte Willy Brandt, verachtete aber einige der örtlichen SPD-Funktionäre. Die hätten „den Gewerkschaften in den Hintern getreten“ und die Berufsverbote schön geredet, gegen die er kämpfte, sagt Ramelow. Und so wurde 1999 ausgerechnet die PDS seine erste und einzige politische Liebe.

„Immer sind hier nur die Russen die Bösen“

Hat er kein Problem damit gehabt, dass es sich um die SED-Nachfolgepartei handelte? Das sei schon eine Überlegung gewesen, sagt Ramelow beim Kaffee. Dann verweist er auf die Gründungsformel der PDS vom „Bruch mit dem Stalinismus“. Das sei nicht nur der Bruch mit einem Begriff, sondern mit einem Terrorregime gewesen. Dass einer seiner engsten Mitarbeiter im Landtag jahrelang IM für die Staatssicherheit war, stört ihn nicht.

Dieser habe sich auch öffentlich seiner Vergangenheit gestellt. Auch mit der pro-russischen Haltung seiner Partei hat er keine Schwierigkeiten. Im Gegenteil: „Immer sind hier nur die Russen die Bösen“, sagt er. Nato und EU hätten mit ihrer Ukraine-Politik die territorialen Grenzen Russlands in Frage gestellt. „Wie lange hätten sich das wohl die Amerikaner gefallen lassen?“. Deutschland, sagt Ramelow, hätte sich in der Ukraine-Krise diplomatischer gegenüber Russland verhalten müssen: „Immerhin sind die Russen vor 24 Jahren ohne einen einzigen Schuss hier abgezogen.“

Einmal hat er in einem Interview gesagt, die DDR sei für ihn kein Rechtsstaat, aber auch kein „Unrechtstaat“. Das gab Ärger. Wenn man ihn darauf anspricht, explodiert Ramelow. „Es gibt dieses Wort nicht in der Rechtsdebatte“, sagt er sehr laut. „In der DDR wurde schreiendes Unrecht begangen, aber ich weigere mich, diesen politischen Kampfbegriff aus dem Kalten Krieg zu benutzen.“ Die SED habe sich und damit leider auch die DDR nie als Demokratie verstanden, behauptet Ramelow. Schließlich habe sie ihre Leitungsfunktion ja selbst als „Diktatur der Arbeiterklasse“ bezeichnet. Der Westen habe sich nie für den anderen Teil Deutschlands interessiert, und wenn nur, um mit ihm Geschäfte zu machen. Dann spricht Ramelow von den Quelle-und Neckermann-Schreibmaschinen, die allesamt in der DDR hergestellt wurden. Und davon, dass er mit Stasi-Opfern befreundet sei.

Seine Herkunft aus dem Westen nutzt er als Joker. Wenn ihn ein Gesprächspartner freundlich darauf hinweist, dass er den Namen eines thüringischen Dorfes falsch ausspricht, dann lächelt er verschmitzt. „Ich bin ja Wessi.“ Ein Wessi ist er auch, wenn es um die Vergangenheit seiner Partei geht. „Ich habe auf der Fettseite gelebt“, formuliert es Ramelow: „Ich habe hier nicht das Recht, mir hier Maßstäbe auszudenken, wie es in der DDR gewesen sein könnte oder wie ich mich verhalten hätte.“

Die Rolle des Ziehsohnes liegt ihm nicht

Als die PDS beschloss, mit Hilfe der WASG eine gesamtdeutsche Partei zu werden, da brauchte sie Leute wie Ramelow. Er wurde Wahlkampfleiter, Mitglied des Bundesvorstands und 2005 Bundestagsabgeordneter. In seinem Büro steht ein Bild, das einen deutlich jüngeren Ramelow mit Gregor Gysi zeigt. Gysi tätschelt ihm die Wange. Auf dem Foto schmiegt sich Ramelow in die Geste wie in die Hand eines Vaters. Der Eindruck täuscht: Die Rolle des Sohnes lag ihm nicht.

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Auch auf Bundesebene wollte er mehr. Gleichzeitig legte er sich mit allen an. Mit Oskar Lafontaine, der keinen Widerspruch duldete, hat er sich einmal so angebrüllt, dass dieser tagelang nicht mit ihm sprach. Der Bitte Gysis, sich bei Lafontaine zu entschuldigen, kam er nicht nach. Aber auch andere Genossen waren von seiner selbstbewussten, aufbrausenden Art genervt. Als es dann darum ging, was für ihn die Perspektive in der Bundespartei sei, erhielt er keine Antwort. Da ist er nach Erfurt zurückgegangen.

Hier ist Ramelow der leutselige Oppositionsführer, der fast jeden kennt. Wenn Ramelow durch den Landtag oder die Stadt geht, bleibt er immer wieder zum Plausch stehen. Zu jedem seiner Gesprächspartner kann er eine Anekdote erzählen. Ein Erbe seiner Legasthenie: Weil er nicht schreiben konnte, hat sich Ramelow immer viel gemerkt. Die Leutseligkeit ist nur eine Facette. Fast jeder, der mit ihm enger zusammenarbeitet, ist von ihm schon einmal angeschrien worden. „Aber nach zehn Minuten ist alles wieder vergessen“, sagt einer.

Bereits bei der Landtagswahl 2004 hatte der Linke-Politiker frech plakatiert „Bodo Ramelow will Ministerpräsident werden“. Eine Provokation, denn die CDU hatte unter ihrem Ministerpräsidenten Dieter Althaus die unangefochtene Alleinherrschaft. Aber 2009 wäre es dann wirklich fast dazu gekommen. Die CDU hatte unter Althaus in Folge seines dramatischen Skiunfalls entscheidend Stimmen eingebüßt, die Linke hatte zugelegt.

Zwischen CDU und SPD kriselt es

So verzweifelt wollte Ramelow mitregieren, dass er bereit war, den Ministerpräsidentenposten der SPD zu überlassen. Das fanden in den eigenen Reihen viele falsch, auch Gregor Gysi. Die SPD entschied sich trotzdem für die Union, von der sie dafür mit der Hälfte aller Ministerposten belohnt wurde. Und Ramelow, der während der Koalitionsverhandlungen regelrecht aufgeblüht war, verschwand wieder in den Niederungen der Opposition.

Diesmal ist alles anders: Zwischen CDU und SPD kriselt es seit Monaten. Am Tag nach dem Treffen mit Ramelow werden die Landeszeitungen berichten, dass SPD-Chef Christoph Matschie der Ministerpräsidentin Wortbruch vorwirft. Sie hatte das im Koalitionsvertrag vereinbarte Bildungsurlaubsgesetz wieder fallen lassen, weil die Wirtschaft nicht mitziehen wollte. Seine eigene Partei hat Ramelow seit zwei Jahren auf die Rolle des Regierens eingenordet. Die Frage, ob man nicht besser in der Opposition bleiben sollte, sei vom Tisch, behauptet er.

Und dann ist da noch die Bundes-SPD. Die erlebt gerade, dass sie zwar reihenweise Projekte wie den Mindestlohn durchsetzt, aber davon nicht profitieren kann. Rot-Rot-Grün könnte für sie der einzige Weg sein, einer dauerhaften Zwangsehe mit der Union zu entgehen. In Berlin geht das Gerücht, einer aus der SPD-Spitze habe Ramelow schon im Gespräch versichert, dass man einem rot-roten Bündnis in Thüringen keine Steine in den Weg legen werde. Wenn man ihn danach fragt, setzt er ein Pokerface auf. Er könne das weder dementieren noch bestätigen, sagt er dann nur. Allerdings haben die Thüringer Sozialdemokraten noch nie viel auf das gegeben, was ihre Bundesspitze wollte.

Träume von der rot-rot-grünen Mehrheit

Noch ist nichts entschieden. Viel wird davon abhängen, ob die AFD in den Landtag kommt. In den Umfragen liegt sie bei fünf Prozent. Und davon, ob die Grünen nicht lieber mit der CDU koalieren. Die CDU flirtet sicherheitshalber schon mal mit ihnen. Auch die SPD, die der große Wahlverlierer werden dürfte, könnte sich am Ende für eine Fortsetzung der großen Koalition entscheiden. Ramelow gibt sich dennoch zuversichtlich.

„Im Landtag gibt es eine reformorientierte Mehrheit – und die ist rot-rot-grün“, sagt er. „Wenn wir vom Wähler einen klaren Auftrag bekomme, will ich diese auch zusammenbringen.“ Von SPD und den Grünen habe er inhaltlich immer wieder dazu „positive Signale“ erhalten. Im März war Ramelow gesichtet worden, als er sich in einem Restaurant mit der sozialdemokratischen Spitzenkandidatin Heike Taubert und Grünen-Fraktionschefin Anja Siegesmund traf.

Auch verbal tut er alles, um den Weg zu bereiten. Man habe 2009 bei den Sondierungsgesprächen selbst Fehler gemacht, sagt er. Etwa, dass man mit einer stasibelasteten Kollegin in die Verhandlungen gegangen sei. Denn auch wenn „die Ina“ ihre Akte offen gelegt habe, so habe das doch die Grünen verstört. Eines wird Ramelow nicht mehr tun: „Ich werde der SPD kein zweites Mal das Amt des Ministerpräsidenten anbieten, wenn wir mehr Wählerstimmen einbringen.“Aber sonst, das wird klar, ist er bereit, sehr weit zu gehen, um sich seinen Traum von der Macht zu erfüllen.

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