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Bio-Ukraine – mit Durchhaltewillen Richtung Europa!

bioPress-Korrespondent Peter Jossi im Gespräch mit Taras Vysotskyi

Bio-Ukraine – mit Durchhaltewillen Richtung Europa!

Trotz des anhaltenden russischen Krieges liefern ukrainische Bio-Unternehmen ihre Produkte weiterhin erfolgreich in die EU. bioPress hat Taras Vysotskyi, den ersten stellvertretenden ukrainischen Landwirtschaftsminister, zu den Hintergründen dieser Erfolgsgeschichte befragt.

bioPress: Herr Vysotskyi, können Sie uns bitte sagen, wie es den Unternehmen gelingt, ihre Produkte zu exportieren?

Taras Vysotskyi: Seit zwei Jahren, inmitten eines umfassenden Krieges mit dem russischen Aggressor, hat die Ukraine unter schwierigen Bedingungen die Ernährungssicherheit im eigenen Land und weltweit gewährleistet.

  • © Matias Boehm
Erster stellvertretender ukrainischer Landwirtschaftsminister Taras Vysotskyi

Der ukrainische Öko-Sektor ist auch vor dem Hintergrund des Krieges in vollem Umfang tätig, sieht sich aber bestimmten Herausforderungen und Bedrohungen gegenüber. Dazu gehören in erster Linie der eingeschränkte Zugang zu Landressourcen, die vor dem Krieg für die ökologische Erzeugung genutzt wurden, insbesondere in den Regionen Cherson und Saporischschja, wo die Bio-Anbaufläche um 52 Prozent bzw. 27 Prozent zurückgegangen ist, die Zerstörung der Infrastruktur, die Unterbrechung der Lieferketten, logistische Probleme, Probleme beim Export aufgrund der Blockade der Seehäfen. Dazu kommt der Mangel an Arbeitskräften aufgrund der Evakuierung, Probleme bei der Bezahlung von Produkten und Dienstleistungen sowie Probleme mit Strom, Wasser und Internetdiensten.

Eine Reihe ausländischer Zertifizierungsstellen, die ukrainische Hersteller nach ausländischen Normen zertifizieren, haben sich geweigert, die Ukraine zu besuchen, um ihre Zertifizierung zu erneuern. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass die Zahl der Marktteilnehmer zurückgegangen ist, weil sie nicht mehr in der Lage waren, ihre Tätigkeit auszuüben, oder weil sie nicht mehr über das nötige Einkommen verfügten, um die Kosten für die Fortsetzung der ökologischen Erzeugung zu decken.

Gleichzeitig baut die Ukraine dank der Unterstützung internationaler Partner weiterhin Logistikrouten für die Lieferung ukrainischer Agrar- und Lebensmittelprodukte, einschließlich ökologischer Erzeugnisse, in andere Länder auf. Die Probleme beim Export ukrainischer Agrarprodukte sind allen Landwirten gemeinsam, auch den Öko-Erzeugern. Die Bio-Exporteure müssen aber zusätzlich sicherstellen, dass sie die besonderen Anforderungen erfüllen, die in den Bio-Standards für den Transport von Bio-Produkten festgelegt sind. Insbesondere betrifft dies die gleichzeitige Beförderung unverpackter ökologischer und nicht-ökologischer Erzeugnisse, einschließlich Umstellungserzeugnissen. Diese ist nur dann zulässig, wenn geeignete Maßnahmen getroffen werden, um eine Vermischung von ökologischen und nicht-ökologischen Erzeugnissen beziehungsweise verschiedener Bio-Qualitäten zu verhindern.

bioPress: Hat sich in puncto Export im letzten Jahr etwas geändert?

Vysotskyi: Was die Ausfuhren betrifft, so werden Getreide und Ölsaaten sowie deren Verarbeitungserzeugnisse hauptsächlich auf dem Wasserweg exportiert – entweder über die Häfen von Odesa, wo dank des Militärs und der Regierung ein Anstieg der Mengen zu verzeichnen ist, oder über die Donau. Auf sie entfallen etwa 78 Prozent aller Sendungen, jeweils etwa 35 bis 40 Prozent.

Die meisten Produkte mit hohem Mehrwert werden über die Landgrenze exportiert. In diesem Fall erfolgt die Ausfuhr entweder auf der Schiene, was 17 Prozent der Sendungen ausmacht, oder auf der Straße, was bis zu fünf Prozent ausmacht. Auch hier gibt es gewisse Probleme aufgrund des komplizierten Grenzübergangs, da die Exporteure dieser Produkte eine längere Route durch Rumänien, Ungarn oder die Slowakei nehmen müssen. Das dauert länger, ist teurer und führt auch zu langen Warteschlangen an diesen Punkten. Außerdem erhöhen sich dadurch die Endkosten der Produkte. Und nun besteht die Gefahr, dass die Aktivitäten der Exporteure am Rande der Rentabilität stehen oder sogar unrentabel werden. Da die ukrainischen Exporteure jedoch einen zuverlässigen Ruf haben müssen, erfüllen sie ihre langfristigen Verträge, denn es hat lange gedauert, bis sie sich entwickelt haben. Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, dass der Export ukrainischer Agrarprodukte keinen Einfluss auf die Preissituation ähnlicher Produkte in den europäischen Ländern hat, da das Liefervolumen nicht so groß ist.

bioPress: Die Ukraine ist auf dem Weg in die EU. Ist der ökologische Landbau gut darauf vorbereitet? Was erwarten Sie von den EU-Behörden?

Vysotskyi: Erwähnenswert ist, dass der Ausschuss für internationalen Handel des Europäischen Parlaments (INTA) dank der aktiven Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten, den europäischen Institutionen und den Abgeordneten des Europäischen Parlaments den Vorschlag der Europäischen Kommission unterstützt hat, den zollfreien Handel mit der Ukraine ohne Änderungen um ein weiteres Jahr zu verlängern. Zuvor hatten die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten im Rahmen des Ausschusses der Ständigen Vertreter (AStV) dieselbe Entscheidung gebilligt. Auch wenn es eine Herausforderung ist, die EU-Agrarpolitik zu gestalten, so ist die Unterstützung des Europäischen Parlaments für uns politisch wichtig und zeigt die Solidarität mit der Ukraine.

Trotz der Probleme bei den Exporten lag die Ukraine im Jahr 2022 bei der Lieferung von Bioprodukten nach Europa weltweit auf Platz 3 von 125 Ländern. So wurden im Jahr 2022 219.000 Tonnen ukrainischer Bioprodukte in die EU importiert. Die wichtigsten Gruppen von Bio-Exporten sind Getreide und Ölsaaten, Sojabohnen, Honig, Gemüse und Obst sowie deren Verarbeitungsprodukte, einschließlich ökologischer Futtermittel.

Im Jahr 2023 sind mehr als 85 Prozent der ukrainischen Bio-Betriebe weiterhin tätig, einschließlich derjenigen, die ihre Tätigkeit in den ersten Kriegsmonaten eingestellt hatten. In diesem Jahr gibt es also zahlreiche Erfolgsgeschichten, die man als ‚von der Verzweiflung zum Erfolg‘ bezeichnen kann. Gleichzeitig bleibt der Biosektor eine der Prioritäten der ukrainischen Agrarpolitik, was auf eine weitere Entwicklung hoffen lässt, auch dank der starken Unterstützung durch internationale Partner. Die Ausfuhr ökologischer Erzeugnisse in Übereinstimmung mit den etablierten Lieferketten, auch in Kriegszeiten, zu Handelspartnern in den EU-Ländern, sichert die Kontinuität der Bio-Erzeugung, insbesondere für Verarbeiter von Bio-Erzeugnissen, zu deren Hauptlieferanten die Ukraine gehört.

bioPress: Welche konkreten Änderungen bestehen bezüglich der ukrainischen Gesetzgebungsverfahren zum ökologischen Landbau?

Vysotskyi: Bis 2023 wurde die Produktion ukrainischer Bioprodukte nur von ausländischen Zertifizierungsstellen zertifiziert, hauptsächlich nach dem Standard, der der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates und dem NOP (USA) entspricht.

  • © Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau (COA Ukraine)
Seit 2023 sind erste ukrainische Zertifizierungsstellen akkreditiert.

Im Jahr 2023 hat die Ukraine die Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau aktiv umgesetzt. So schloss die Nationale Akkreditierungsstelle der Ukraine im Mai 2023 die Akkreditierung der ersten Zertifizierungsstelle im Bereich der ökologischen Erzeugung bzw. des Inverkehrbringens von Erzeugnissen erfolgreich ab, was den Beginn der Zertifizierung der Bio-Erzeugung gemäß den Anforderungen der ukrainischen Gesetzgebung und die Einführung staatlicher Register für Zertifizierungsstellen und Betreiber ermöglichte.

Dieser Prozess wurde dadurch beschleunigt, dass das ukrainische Bio-Gesetz vorsieht, dass eine Zertifizierungsstelle die Dauer der im Gesetz vorgesehenen Umstellungszeit für ein Unternehmen, das ihrer Kontrolle als ausländische Zertifizierungsstelle untersteht, verkürzen kann – und zwar um den Zeitraum, in dem das Unternehmen bereits nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union ökologisch produziert hat.

Die im Ministerium für Agrarpolitik eingerichtete Arbeitsgruppe für den ökologischen Landbau arbeitet derzeit an einer neuen Fassung des Biogesetzes, das die Bestimmungen der neuen EU-Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau umsetzen wird. Wir sind entschlossen, diesen Gesetzesentwurf bis Ende dieses Jahres der Werchowna Rada, dem Parlament der Ukraine, vorzulegen, da seine Verabschiedung die ukrainische Gesetzgebung nicht nur näher an das EU-Recht in diesem Bereich heranführen, sondern auch als gleichwertig mit diesem anerkannt werden kann.

bioPress: Wie viele Unternehmen in der Ukraine sind derzeit nach der EU-Öko-Verordnung zertifiziert?

Vysotskyi: Laut des vom Ministerium für Agrarpolitik durchgeführten Monitorings durch eine Umfrage bei ausländischen Zertifizierungsstellen, die die ökologische Erzeugung und den Verkehr mit Bio-Erzeugnissen in der Ukraine zertifiziert haben, waren im Jahr 2022 acht ausländische Zertifizierungsstellen auf dem ukrainischen Markt tätig, und die Zahl der von diesen Stellen zertifizierten Unternehmen betrug 462.

bioPress: Wie viele Unternehmen haben bereits Zertifikate nach dem neuen ukrainischen Gesetz über ökologische Produktion erhalten?

Vysotskyi: Bis heute umfasst das Register etwa 180 Unternehmen, von denen die meisten landwirtschaftliche Erzeuger sind, und seit September letzten Jahres sind in ukrainischen Supermärkten Bioprodukte mit dem ukrainischen Bio-Logo erhältlich.

Am 23. September 2023 feierte die Ukraine gemeinsam mit der EU den Bio-Tag, und mit Unterstützung des Ministeriums für Agrarpolitik wurden verschiedene Veranstaltungen abgehalten, um bei den ukrainischen Verbrauchern für Bioprodukte zu werben.

Die Arbeiten zur Entwicklung des ukrainischen Biosektors werden ständig fortgesetzt. Es ist erwähnenswert, dass die Ukraine im Februar 2024 auf der Biofach, der jährlich in Nürnberg stattfindenden internationalen und größten Bio-Messe in Europa, gut vertreten war.

Mit anderen Worten: Der ukrainische Bio-Sektor bewegt sich recht zuversichtlich auf den gemeinsamen europäischen Bio-Markt zu.

 

Das Interview wurde vermittelt und übersetzt durch das Projekt ‚Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau‘

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