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„Charlie Hebdo“: Ein Anschlag, der die Kunst weiter bedroht

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Paris, 9. Januar 2015.
Paris, 9. Januar 2015. © afp

Der Anschlag auf die Redaktion der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ hat auch die Rolle der Kunstfreiheit verändert.

Es war eine Szene wie aus einem Pulp-Fiction-Krimi. Am Vormittag des 7. Januar 2015 verschafften sich zwei maskierte Männer gewaltsam Zugang zu den Redaktionsräumen der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, deren Mitarbeiter gerade ihre Konferenz abhielten. Ohne zu zögern eröffneten die Brüder Said und Cherif Kouachi das Feuer und töteten elf Menschen, darunter einen Polizisten, der zum Personenschutz für den Chefredakteur und Herausgeber Stephane Charbonnier (Charb) abgestellt war, der sich ebenfalls unter den Opfern befand. Die Kaltblütigkeit der Angreifer wurde durch deren dilettantisches Vorgehen konterkariert. Sie hatten sich zunächst in der Adresse geirrt und waren vor Archivräumen in der Rue Nicolas-Appert 6 gelandet, die Redaktion befand sich nebenan in der Hausnummer 10.

In der langen Kette islamistisch motivierter Terrorakte offenbarte die Mordattacke vor genau fünf Jahren in Paris die ganze Schutzlosigkeit gegenüber den symbolisch aufgeladenen Gewaltexzessen fanatisch-enthemmter Einzeltäter. In Paris war man keineswegs unvorbereitet. Die Gefahr islamistischer Anschläge war allgegenwärtig, polizeiliche und militärische Schutzvorkehrungen prägten das Stadtbild, zum Beispiel zu den großen Pferderennen in Vincennes oder Longchamp. Die scheinbar angstlos agierende Zeitschrift „Charlie Hebdo“, deren Redaktionsräume zwischen den Plätzen Republique und Bastille zentral gelegen sind, galt als mögliches Angriffsziel. Und doch schien es eine abstrakte Vorstellung zu sein, ein wenig kokettierte man bei „Charlie Hebdo“ sogar mit der Gefahr.

„Charlie Hebdo“: 

Einige im Blatt erschienene Arbeiten können als böse Vorahnung gedeutet werden. Die gleich nach dem Attentat berühmt gewordene Formel „Je suis Charlie“ klingt heute wie eine nachträgliche Solidarisierung. Mit ihrem Mut blieben die Kollegen des Blattes allein, und ein wenig wollten sie das wohl auch.

„Charlie Hebdo“ gehörte zu den wenigen Medien, die nach 2005 das Wagnis eingegangen waren, die umstrittenen Mohammed-Karikaturen der dänischen Tageszeitung „Jyllands Posten“ nachzudrucken. Die Unterstützung der dänischen Kollegen war eine professionelle Selbstverständlichkeit. Nachdem 2011 eine weitere Mohammed-Zeichnung auf der Titelseite von „Charlie Hebdo“ erschienen war, wurde noch am Tag der Veröffentlichung ein Brandanschlag auf das Blatt verübt.

„Charlie Hebdo“: Wie der Angriff von einem anderen Stern

Fünf Jahre später erscheinen diese nüchternen Fakten eines angekündigten Massakers wie das hilflose Eingeständnis der Wehrlosigkeit. Um die Meinungs- und Kunstfreiheit ausüben zu können, davon waren die Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“ überzeugt, mussten sie immer wieder an die Grenzen des guten Geschmacks und darüber hinaus gehen. Wahrscheinlich hätten sie es so pathetisch gar nicht formuliert. In kindlicher Begeisterung strichelten und zeichneten sie und kombinierten das Entstandene mit Sprechblasen und kurzen Texten, immer auch in dem Bewusstsein, die großen Gefühle mit dem Harmlosen zu verknüpfen. Comics, Witzbilder und Satire entstehen aus genauer Beobachtungsgabe, filigranem Feinsinn und zupackender Grobheit. Bescheidenheit und Rücksichtnahme gehören in der Regel nicht zu dieser Kunstform.

Die mörderische Auslöschung der Redaktion, der nur wenige Mitarbeiter durch Abwesenheit oder glückliche Fügung entkamen, erfolgte wie der Angriff von einem anderen Stern, angetrieben durch eine verbrecherische, in sich wenig konsistente Ideologie.

Die Schutzlosigkeit der Opfer aber war nicht zuletzt begleitet von gesellschaftlicher Verzagtheit. Das ungenierte Treiben von „Charlie Hebdo“ war früh scharf kritisiert worden, für viele war das Blatt vor allem lästig. Oft genug sei es das Ziel eines Witzes, Menschen zu verletzen, schrieb eine Autorin in der Zeitschrift „The European“ noch nach dem Attentat, „damit kann ich mich schlicht nicht identifizieren.“ War „Charlie Hebdo“ nicht tatsächlich entschieden zu weit gegangen? Wäre in Zeiten aufgeheizter Emotionen nicht mehr Zurückhaltung geboten?

Ganz ähnlich hatte man bereits 2005 nach der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen gefragt, die in mehreren islamischen Ländern Krawalle ausgelöst hatten und denen schließlich mehr als 100 Menschen zum Opfer gefallen waren. Einer der Urheber der Zeichnungen ist der heute 84-jährige dänische Karikaturist Kurt Westergaard. Von ihm stammt die Darstellung des Propheten Mohammed mit einer im Turban versteckten Bombe. Angesichts Westergaards flüchtig hingeworfenem Blatt war nicht nur Gläubigen das Lachen vergangen. Zur ethisch inspirierten Kritik an der Zeichnung gesellten sich ästhetische Urteile. Es sei doch einfach nur schlechte Kunst, befanden vermeintliche Kenner. Letztlich aber wirkte der religiöse Furor eindringlicher als spitzfindige Kunstkritik. Im Jahr 2011 entkam Westergaard nur knapp einem Axtattentat.

„Charlie Hebdo“: Wie ist der Zustand von Kunst- und Meinungsfreiheit?

Zur Erinnerung an das Massaker bei „Charlie Hebdo“, an das sich der Angriff eines weiteren Täters auf einen jüdischen Supermarkt im Südosten von Paris anschloss, gehört unbedingt auch die Frage nach dem aktuellen Zustand von Kunst- und Meinungsfreiheit. Sie wird gern als unverzichtbarer zivilisatorischer Wert beschworen, aber wie die Geschichten von „Charlie Hebdo“ und Kurt Westergaard zeigen, allzu häufig einer Rhetorik der Relativierung unterworfen. Und tatsächlich fällt es ja schwer, die Contenance zu bewahren, wenn Politaktivisten wie das Zentrum für Politische Schönheit gerade eine selbstgefällige und saturierte Inanspruchnahme der Kunstfreiheit zum Thema ihres unberechenbaren Treibens im öffentlichen Raum machen. Die Freiheit der Kunst bewährt sich nicht zuletzt durch die Fähigkeit, das Unerträgliche zu imaginieren, um diesem in der Wirklichkeit begegnen zu können.

Einer der Überlebenden des Anschlags auf „Charlie Hebdo“ war der Journalist Philippe Lançon. Er war am Morgen des 7. Januar 2015 in der Redaktion und diskutierte mit den Kollegen der Zeitschrift über den gerade erschienenen Roman „Submission“ von Michel Houellebecq. Man war sich nicht einig über das provozierend islam- und gesellschaftskritische Buch, das den Titel der aktuellen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ zierte. Am Widerstreit der Meinungen waren die Brüder Kouachi nicht interessiert, als sie die Redaktion stürmten.

Philippe Lançon wurde schwer verletzt, zwei Jahre später veröffentlichte er sein Buch „Der Fetzen“ (auf Deutsch bei Klett-Cotta), in dem er die Wiederherstellung seines zerstörten Kiefers schildert und zugleich eine sensible Rekonstruktion der Ereignisse unternimmt. Es ist kein Buch der Anklage, sondern der ambitionierte Versuch, verstehen zu wollen. „Ich ärgere mich immer über Schriftsteller“, schreibt Lançon, „die angeblich jeden Satz so schreiben, als wäre es der letzte. Damit wird dem Werk zu viel Bedeutung zugemessen, oder dem Leben zu wenig. Ich wusste nicht, dass ich durch das Attentat jede Minute so erleben würde, als wäre es die letzte Zeile: Möglichst wenig zu vergessen, wird wesentlich, wenn man dem Erlebten plötzlich fremd gegenübersteht, wenn man sich überall selbst abhandenzukommen scheint.“

Bei der Lektüre von Lançons Buch kann man erfahren, dass die Erinnerung an den Anschlag mehr ist als ein Kalenderblatt. Fünf Jahre danach käme es also darauf an, die Morde nicht nur als eine weitere schlimme Nachricht aus einer schrecklichen und gewalttätigen Welt zu verbuchen. Vielmehr stellt sich ganz ausdrücklich die Frage, ob die Ermordung der Künstler nicht auch als Einschüchterung wirksam war und wie sie als Zurichtung der Kunstfreiheit fortwirkt.

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