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Cartoonist Guillermo Mordillo: Vater aller Knollennasen

Foto: HERBERT PFARRHOFER/ EPA

Zum Tod von Mordillo Schwarze Gedanken, knallbunt

Traurig, absurd - und doch massentauglich: Der Argentinier Guillermo Mordillo errichtete ein Cartoon-Imperium mit scheinbar banalen Figuren. Ich habe ihn lange unterschätzt.
Zum Autor

Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg als Sohn einer Deutschen und eines 1956 geflohenen Ungarn geboren. Er studierte Geschichte und Politik und wurde dann Journalist. 2012 veröffentlichte er den satirischen Roman "Er ist wieder da", von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Auch sein zweiter Roman "Die Hungrigen und die Satten" schaffte es auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Für den SPIEGEL schreibt er über Comics und Graphic Novels.

Tja. Mordillo. Ein echter Fan war ich eigentlich nie. Aber je mehr ich drüber nachdenke, desto weniger war der gebürtige Argentinier einer, der mich als Fan nötig gehabt hätte.

Vor 35, vor 40 Jahren war er einfach überall, wie Coca-Cola und Starbucks. Mit Mordillo verbinde ich Dutzende immer gleiche Situationen: Ich bin zwischen 15 und 18, ich bin irgendwo eingeladen und schlurfe durch die Innenstadt auf der ratlosen Suche nach einem Mitbringsel. Und in meiner Erinnerung ist alles, absolut alles in den Regalen von Mordillo. Jedenfalls alles, was kein Schlumpf ist.

Trotzdem war Mordillos Cartoonweltreich keines der inhaltlichen und geschmacklichen Terrorregime vom Schlage einer Diddlmaus. Ich habe letztlich zwar nie zu einem Puzzle, Bildband, Poster oder einer Geschenkkarte von Mordillo gegriffen, aber ich hielt sie auf meiner Geschenksuche immer für eine beruhigende, solide Rückzugsposition. Wenn ich nichts anderes gefunden hätte, wäre Mordillo auf jeden Fall akzeptabel gewesen, mehr als nur eine Notlösung, und das für sehr viele Gelegenheiten.

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Cartoonist Guillermo Mordillo: Vater aller Knollennasen

Foto: HERBERT PFARRHOFER/ EPA

Eigentlich ein kleines Wunder, aber wenn man sich Mordillos Arbeiten heute mit 30, 40 Jahren Abstand ansieht, ist es das auch wieder nicht: Natürlich lieferte Mordillo jahrzehntelang eine schier grenzenlose Verkäuflichkeit - aber zugleich auch wesentlich mehr als einfach nur irgendwelche Witzchen mit niedlichen Figuren.

Bunte Stummfilmwelt

Was hat dieser Mordillo eigentlich gezeichnet? Figuren, männlich und weiblich, klein, pummelig, rundlich, mit kugeligen Augen und einer ebenso kugeligen, gigantischen Nase, hinter der die Augen eigentlich gar nichts mehr sehen konnten. Manchmal gab's Pointen in kurzen Strips aus drei oder vier Panels, übereinander, es soll ja ein Poster füllen. Manchmal nur in einem Cartoon.

Die Figuren reden nie, es ist eine bunte Stummfilmwelt, weltweit ohne Übersetzung einsetzbar, und weil die Figuren auch in den absurdesten Situationen nie das Gesicht verziehen, kommt man nicht umhin, an den großartigen Buster Keaton zu denken. Genau das ist auch das Verblüffende an Mordillo: Er nutzte erstaunlich viele Stilmittel, die normalerweise mit einem Erfolg am Massenmarkt nicht so recht vereinbar sind.

Der Mann auf dem Golfplatz etwa. Ein Wimmelbild mit Hunderten von Zuschauern, Postern, Kameras, Journalisten, die sich nur auf einen Moment konzentrieren: Wie ein Mann sich anschickt, einen Golfball in ein wenige Zentimeter entferntes Loch zu spielen. Gigantische Aufmerksamkeit richtet sich auf ein winziges Event, das könnte auch von Sempé stammen. Aber bei dem würde keiner ein Poster draus machen.

Oder der Fußball im Meer: Ein seltsamer Fußballplatz auf einem hohen Felsen, der Platz nimmt die ganze Oberfläche des Felsens sein, es gibt nicht mal Zuschauer, und der Ball ist, natürlich, runtergefallen, er treibt unerreichbar zig Meter tiefer am Fuß der Steilwände, die Spieler sehen konsterniert nach unten, manche haben sich zum Warten hingesetzt, sie werden wohl lange sitzen. Und so absurd die Situation ist, so grauenhaft ist das Szenario, dieser ganze Fußballfelsen ist so völlig ungeeignet zum Spiel - selbst wenn der Ball jemals wieder hochkommen sollte, steht felsenfest, dass er in einer Minute wieder weg ist. Man kann das lustig finden, aber eigentlich ist das in seiner Aussichtslosigkeit mindestens auch genauso entsetzlich.

Guillermo Mordillo

Guillermo Mordillo

Foto: Mordillo Foundation/ Rubinstein,

Man findet Ähnliches in den "Schwarzen Gedanken" von André Franquin, aber Mordillo hat es zum Puzzle- und Postermaterial gemacht. Das wäre weniger überraschend, wenn Mordillo die Schwärze auf ein Mindestmaß reduziert hätte, aber diesen Vorwurf kann man ihm nicht machen: Wer etwa seine zahlreichen Hochhauscartoons betrachtet, sieht zwar immer wieder Momente der Hoffnung, etwa bei dem Männchen, das stoisch einen gigantischen Baum auf einem Hochhaus gießt, dessen Wurzeln durch die unteren Etagen wuchern. Aber rund um das Hochhaus stehen zehn, zwanzig, Hunderte andere Hochhäuser, und da wächst eben - nichts. Da wird auch nichts mehr wachsen, das bleibt so furchtbar, wie es ist, und wenn eines Tages das Männchen nicht mehr gießen sollte, dann... du lieber Himmel, man will sich's gar nicht ausmalen.

Eine stille Träne für "Charlie Hebdo"

Aber Mordillo machte Puzzle- und Postermaterial draus. Und ich hab ihn dafür munter weiter unterschätzt. Jaja, kann man mitbringen, wenn man nichts Besseres findet.

Nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" hat Mordillo einen Cartoon gezeichnet . Ein Clown mit einem gigantischen Bleistift, an dessen Spitze ein Trauerflor hängt. Der Clown hat im Gedenken und in kollegialer Anerkennung den Hut abgenommen, er heult nicht laut herum, aber er weint eine stille Träne.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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