Von den etwa 400 deutschen Gesundheitsämtern haben 38 beim Robert Koch-Institut (RKI) Überlastung angezeigt. Fast jedes zehnte Amt stößt damit – mit Stand vom 30. Oktober – entweder aktuell an Kapazitätsgrenzen oder rechnet innerhalb der nächsten Tage damit. Nach Angaben des RKI lagen am 20. Oktober 22 solcher Anzeigen vor, die sich je nach Überlastungsgrad in drei Kategorien gliedern.

Die Engpässe bei den Gesundheitsämtern betreffen die Nachverfolgung von Kontaktpersonen, zum Teil auch das Ausbruchsmanagement oder andere Aufgaben des Infektionsschutzes. Wenn den Gesundheitsämtern das Personal für den Infektionsschutz fehlt, sind sie verpflichtet, dies den Landesbehörden zu melden. Die Länder wiederum melden dies an das RKI weiter. Das Institut kann keine Angaben zu spezifischen Kreisen oder Städten machen.

Die Überlastung vieler Gesundheitsämter in Deutschland ergab auch eine Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Demnach haben beispielsweise in Baden-Württemberg aktuell ein Drittel aller Gesundheitsämter Überlastung gemeldet. Mehr als die Hälfte der dortigen Gesundheitsämter hätten Hilfe durch die Bundeswehr beantragt.

Die Zeitung hat nach eigenen Angaben alle Landesgesundheitsministerien zur Lage der Gesundheitsämter befragt. Demnach nehmen in Rheinland-Pfalz "nahezu alle Gesundheitsämter" Hilfe durch andere Landesbedienstete in Anspruch, weil sie es allein nicht mehr schaffen. Die Hälfte der zwölf Berliner Gesundheitsämter könne nur noch verzögert Fälle bearbeiten, die andere Hälfte gar "stark verzögert".

Unterstützung von der Bundeswehr

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin hat an diesem Sonntag als letztes der zwölf Bezirksämter entschieden, für Coronavirus-Testungen künftig auf medizinisches Personal der Bundeswehr zurückzugreifen. Seit Wochen hatte der grün-links-alternativ geprägte Bezirk keine Hilfe dieser Art zugelassen – obwohl die Infektionszahlen dort zu den höchsten der Hauptstadt gehören.

Dem Bericht der FAS zufolge werden in Thüringen sechs von 22 Gesundheitsämtern von der Bundeswehr unterstützt. Sachsen-Anhalt meldet demnach "Probleme in mehreren Gesundheitsämtern".

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte der FAS, um die Pandemie einzudämmen, "bleibt die Kontaktnachverfolgung ganz zentral". Werde auf diese verzichtet, "würden wir ein Stück weit vor dem Virus kapitulieren". Einen derartigen Strategiewechsel könne er nicht befürworten.

Positiv Getestete in Berlin sollen ihre Kontakte selbst informieren

Wo Gesundheitsämter wegen besonders hoher Infektionszahlen nicht mehr alle Kontakte zeitnah nachverfolgen könnten, müssten vorübergehend Prioritäten gesetzt werden. "Das heißt, sich auf bestimmte Schwerpunkte von Kontakten zu konzentrieren, zum Beispiel auf das Personal von Krankenhäusern oder Pflegeheimen", sagte Dedy. Er appellierte an die Bürgerinnen und Bürger, sich bei Verdacht auf eine Ansteckung mit dem Coronavirus oder einem positiven Testergebnis sofort selbst in Quarantäne zu begeben. "Niemand muss dafür auf den Anruf vom Gesundheitsamt warten."

Die vollständige Kontaktnachverfolgung gilt als zentrales Element in der Pandemiebekämpfung. Das RKI hatte die Überforderungen einiger Gesundheitsämter bereits am 22. Oktober als "ernst und besorgniserregend" bezeichnet. Sie müssten jede Anstrengung aufrechterhalten und dürften nicht aufgeben. In Berlin werden inzwischen Positiv-Fälle in Risikogruppen zuerst nachverfolgt. Andere Bürger sind gebeten worden, bei einem Positiv-Test sofort in Quarantäne zu gehen und ihren Kontakten zunächst selbst Bescheid zu sagen. Das Amt meldete sich dann später.

Das RKI hatte am Samstag innerhalb eines Tages mehr als 19.000 Neuinfektionen gemeldet. Ab dem 2. November gilt für vier Wochen ein Lockdown light und damit starke Einschränkungen im öffentlichen Leben. Damit soll die zweite Welle der Pandemie gebrochen werden. Ziel ist es vor allem, ausreichend Kapazitäten auf den Intensivstationen zu bewahren.