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Ideen DER KAMPF UM DIE BESTEN

Ein Tabu zerbricht: Die Eliten, lange als reaktionär verpönt, werden wieder hofiert. Der Ruf nach mehr Führung erklingt überall, ob in Politik oder Industrie. Doch kann die Avantgarde von Geist und Geld die Erwartungen erfüllen? Linke wie Rechte wollen neue Eliten fördern - Kritiker sehen darin eine Gefahr für die Demokratie.
aus DER SPIEGEL 24/1995

Der akademische Nachwuchs residiert standesgemäß in einem Schloß. In der Mensa der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel sitzen Dozenten und Studenten unter schweren Kronleuchtern. Der Ton ist familiär: »Ingo, ich denke, Sie müssen bedenken . . . Freya, Sie irren, die Klausuren waren immer so schwer.«

Das Wort führt der Herr Professor: »Wir verwenden das Etikett Elite nicht«, erklärt Georg H. Küster, 58, Volkswirt und Dekan an der ebenso feinen wie kleinen Privatuniversität (780 Studenten). »Aber«, so schränkt er mit einem süffisanten Lächeln ein, »natürlich widersprechen wir nicht, wenn andere uns zur Elite zählen.«

Das sehen die Studenten genauso. »Vielleicht sind wir wirklich ''ne Elite, würde mich freuen«, bekennt Rolf Zarnekow, 23, BWL-Student im vierten Semester. 8000 Mark pro Semester muß er für den Studienplatz berappen. Geht das so einfach? »Wissen Sie, die meisten hier stammen doch eher aus betuchteren Verhältnissen.«

Ein Murren erhebt sich unter den Kommilitonen. Studentensprecher Ingo Hupach, 28, sieht sich gefordert: »Wenn schon Elite, dann aber nur in fachlicher Hinsicht.« Und was unterscheidet einen EBS-Absolventen vom Normalstudenten? »Wir nehmen hier ein höheres Maß an sozialer Kompetenz mit, auch an internationaler Erfahrung.«

Schöner hätte es Professor Küster auch nicht sagen können. Stolz erzählt der Volkswirt von den Praxis-Projekten seiner Studenten, vom Austausch mit Universitäten in aller Welt. »Ich denke«, erklärt er bedächtig, »daß wir mit dem einzigartigen Design unserer Hochschule ein Produkt herstellen, das in dieser Gesellschaft sehr gefragt ist.«

Ein Produkt? Also doch Elite? Küsters Blick schweift kurz über die Weinberge zum Rhein, dann hat er die passende Formel parat: »Die hochkomplexen Strukturen von heute müssen einfach eine Elite haben.«

Wer würde ihm da widersprechen? Quer durch alle Parteien und Verbände, in Wirtschaft, Wissenschaft und selbst in den Kirchen hallt derzeit der Ruf nach einer neuen Elite, nach intellektueller Spitzenklasse.

Kongresse diskutieren Wege der »Elitebildung«, Soziologen halten Seminare zur »Elitetheorie«, clevere Medienmacher entdecken die »Info-Elite«, Unternehmer gründen eine Stiftung für den »Kampf um die Eliten« - ein Begriff hat Konjunktur.

»Die soziale Marktwirtschaft braucht wieder Leistungseliten«, fordert Kanzler Helmut Kohl, und er denkt dabei an »Leute, die sich was zutrauen und zu Risiken bereit sind«. Außenminister Klaus Kinkel glaubt gar, daß die »Zukunft der Nation« entscheidend »vom Engagement ihrer Leistungseliten« abhänge. Wer sie nicht pflege, dem drohe der »Abstieg in die Kreisklasse«.

Auch SPD-Vordenker Peter Glotz möchte das »Erstklassige systematisch und gezielt fördern«. Diese Gesellschaft komme nicht umhin, »zwischen Exzellentem, Durchschnittlichem und Schlechtem zu unterscheiden«. Der Sozialdemokrat gibt die Devise aus: »Wir können Spitzenbegabungen fördern; aber wir müssen wollen.«

Zusammen mit dem Ruf nach der neuen Elite erklingt zumeist ein ebenso lautes Lamento über den Zustand der gegenwärtigen Führung.

»Planlose Eliten« etwa sehen Glotz, Rita Süssmuth sowie der Diplomat Konrad Seitz überall am Werk. In einem gemeinsamen Manifest gingen die drei Politiker selbstkritisch mit der eigenen Zunft ins Gericht: An den Schalthebeln der Macht säßen nur »Manager«, keine »Visionäre«.

Innovationsmangel, Sozialgedusel und schlichten Provinzialismus hat das Wirtschaftsblatt Capital unter den Industriekapitänen ausgemacht. Günter Oggers Bestseller »Nieten in Nadelstreifen« überzieht die deutschen Spitzenmanager mit Hohn und Spott, auch im internationalen Vergleich: »Die Herren haben schlicht verschlafen.«

Klagen auch im Feuilleton: Ein Dirigent, der einem deutschen Orchester erkläre: »Ihr sollt die Besten sein«, stoße auf Unverständnis, berichtet Christoph von Dohnanyi, 65. Diese Gesellschaft, so urteilte der Stardirigent in der Wochenpost, »ist eine antielitäre, die Elite nur da akzeptiert, wo sie populär wird«, im Sport also oder im Showbusiness.

Dohnanyi mag polemisieren, im Grunde jedoch ist ihm allseits Zustimmung gewiß. Nach dem Zweiten Weltkrieg, _(* Oben: 1994 mit Staatspräsident ) _(Francois Mitterrand beim 200. ) _(Gründungstag der Ecole polytechnique; ) _(unten: im St. John''s College. )

so erklärt der Soziologe Ralf Dahrendorf, 66, sei in Deutschland die gewachsene »monopolistische Elitestruktur« zerbrochen, der übriggebliebenen, zersplitterten »Elite wider Willen« fehle das Selbstbewußtsein, also auch die nötige schöpferische Kraft.

Dahrendorfs Kollege Erwin Scheuch, 67, meint wohl dasselbe, wenn er vom »Kartell des gehobenen Mittelmaßes« spricht, das sich in den Führungspositionen breitgemacht habe. Scheuchs Kritik allerdings ist weniger Analyse denn Ausdruck des grassierenden Unbehagens an der politischen Elite.

Längst hat dieses Unbehagen die Politiker selbst ergriffen. Parlamente, in denen vor allem Beamte sitzen, Parteien, in denen allein Funktionäre den Ton angeben - dieses Bild erschreckt selbst jene, die dafür verantwortlich zeichnen.

Gefragt sind nun Seiteneinsteiger, Politiker also, die auch ohne die parteiinterne Ochsentour in Ämter und Würden kommen. Im Vorfeld der letzten Bundestagswahl gelang es jedoch nur der PDS, prominente Außenseiter zu Kandidaten zu machen; die Autoren Gerhard Zwerenz und Stefan Heym zogen auf dem Ticket der SED-Nachfolgepartei sogar ins Parlament ein.

Heyms Gegenkandidat Wolfgang Thierse (SPD) bat vergebens um Beistand von Schriftstellern und Künstlern. Erfolglos blieb auch der Liberale Klaus Kinkel mit seinem Appell an die Intellektuellen, in den Parteien mitzuarbeiten, »um das zu beheben, was sie mit Recht beklagen: das Absinken der Politik vom geistigen Anspruch zum bloßen machttechnischen Management«.

Erfolgreiche Unternehmer wechseln schon gar nicht in die Niederungen des politischen Alltags. Das reichlich verklausulierte Angebot Edzard Reuters, nach seinem Abgang bei Daimler-Benz noch für ein paar Jahre Berlin zu regieren, bestätigte nur die triste Regel.

Anders als in den USA, wo stets ein Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik stattfindet, grenzen sich diese Sphären in Deutschland gegenseitig voneinander ab - übrigens seit Jahrzehnten. Bereits 1909 klagte der liberale Reichstagsabgeordnete Friedrich Naumann, »daß die größten organisatorischen Talente des Deutschtums nicht in die politische Arbeit hineingehen«.

Tatsächlich erklingt der Ruf nach Eliten immer dann, wenn sich die politische Kultur in Orientierungsnöten befindet. Das war in der Spätzeit des wilhelminischen Kaiserreichs so, das galt für die letzten Jahre der sozial-liberalen Koalition um 1980, das gilt von der Wiedervereinigung bis heute.

Daß dieser Ruf zwischenzeitlich auch immer wieder verstummt, erklärt sich mit dem miserablen Image, das dem Begriff Elite spätestens seit 1968 anhaftet. Damals begeisterten sich viele Intellektuelle für Basisdemokratie und Solidarität. Es gehe einfach nicht mehr an, lautete die verbreitete These, Menschen nach ihrem gesellschaftlichen Wert zu sortieren, zu »diskriminieren« - und sei es als Elite.

»Elite mag man in Gottes Namen sein; niemals darf man als solche sich fühlen«, mahnte der Philosoph Theodor W. Adorno, ein Säulenheiliger der 68er. Allein schon der Begriff, ursprünglich vom lateinischen Wort eligere (auslesen) abgeleitet und vor etwa 200 Jahren aus dem Französischen entlehnt, weckte böse Erinnerungen an den Klassenstaat des 19. Jahrhunderts, an die blutige Herrschaft wirklicher oder angeblicher Eliten in Faschismus und Stalinismus.

Ab sofort sollte nur noch kritisches, demokratisches Bewußtsein in den neuen Gesamtschulen und Gesamthochschulen eingeübt werden. »Chancengleichheit« hieß die Parole; Minderheiten von Könnern oder Lenkern waren zumindest als Idee verpönt.

Wer dieses Tabu brach, lief Gefahr, Leistungsfetischist und Rechtsausleger, ja Anwalt des verachteten »Establishments« gescholten zu werden. Noch 1985 riefen, aus Anlaß eines Konstanzer Symposiums zur Förderung von Hochbegabten, aufgebrachte Studenten in Sprechchören: »Weg mit dem Elitedreck«.

Klüngel, Arroganz, Auslese, autoritäre Herrschaft - diese Assoziationen bleiben vorerst im kollektiven Bewußtsein mit dem Wort Elite verbunden.

Andererseits ist die Vorstellung von einer Staat und Gesellschaft dominierenden Elite sehr viel älter als der so beschädigte Begriff.

So wünschte schon der griechische Philosoph Platon für seinen Idealstaat eine Regierung aus intellektuellen Aristokraten. Der Sage nach versuchte der Denker sogar, Siziliens Herrscher die Idee von den Philosophen als Königen schmackhaft zu machen - ohne Erfolg allerdings.

Niccolo Machiavelli, der 1513 seinen idealen »Fürsten« beschrieb, nannte das Wesen des Elitären kurz »virtu« - die seltene Führertugend, Macht im rechten Augenblick sinnvoll zu nutzen.

Fortgesetzt wurden Machiavellis Überlegungen von italienischen Soziologen der Jahrhundertwende: von Gaetano Mosca etwa, der marxistische Klassenlosigkeit zum Hirngespinst erklärte und in der herrschenden, der »politischen Klasse« die klügsten Mitbürger versammelt sehen wollte. Oder Vilfredo Pareto: Der gelernte Ingenieur entwickelte das bis heute beliebte Schema vom ewigen Kreislauf der Eliten - neue, produktive Führungsschichten verdrängen die alten, abgewirtschafteten.

Belege für diese Theorie lassen sich auch aus der jüngsten Geschichte anführen, der Erfolg der Grünen etwa, ihr Aufstieg vom Kuriosum zur etablierten Partei. Oder die Auflösung der DDR-Nomenklatura, ausgerechnet jener Führungskader also, die von der Eliteidee deutlich mehr überzeugt waren als die meisten Politiker im Westen.

Das elitäre Selbstverständnis der von oben selektierten Führungsclique haben sozialistisch Regierte allerdings nie so recht nachvollziehen können. »Wir sprachen immer nur von Funktionären«, berichtet Wolfgang Thierse, 51, einst Literarhistoriker an der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften. Und der Sozialdemokrat weiß: »Funktionär, das ist ungefähr der Gegenbegriff zu Elite.«

Thierses Polemik zeigt, wie unscharf das Etikett Elite eigentlich ist. Tatsächlich kursieren im öffentlichen Bewußtsein eine ganze Reihe zum Teil widersprüchlicher Vorstellungen. So ist je nach Anlaß die Rede von einer Macht- oder Positionselite, also den Inhabern hoher Ämter und Würden, von der Leistungs-, Bildungs- und Forschungselite oder gar der geistigen Elite. Zu letzterer dürfen sich im Grunde all jene rechnen, die das Publikum mit Thesen und Debatten versorgen oder öffentlich als »Experten« auftreten - selbst Leitartikler und Talkshowgrößen.

Fest steht allein, daß es Eliten gibt - und daß sie sich ständig regenerieren. Leistung und Aufgabe sind in ihnen eng verknüpft. Wer in einer Führungsfunktion steht, aber in seiner Leistung nachläßt, verliert, wenn schon nicht sein Amt, so doch zumindest den Status Elite - theoretisch jedenfalls.

»Elite in Deutschland«, meint etwa der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping, »wird man nicht allein durch den Geldbeutel, sondern durch die Verbindung aus Können, Leistung und Selbstbewußtsein.«

Streiten ließe sich allerdings darum, auf wen diese Beschreibung zutrifft: Jürgen Burckhardt, 59, Geschäftsführer der Bonner Friedrich-Ebert-Stiftung, will sogar den »hochqualifizierten Meister eines Großunternehmens, der innovative Ideen entwickelt«, zur Elite zählen. Dasselbe gelte für »die Oberschwester, die nach Ruanda fährt, um dort Hilfe zu leisten«. Von »Elite«, so Burckhardt, »sollte man nur sprechen, wenn jemand aktive Verantwortung für die Demokratie übernimmt«.

Ob ein derartig offenes Elitekonzept nun überzeugt oder nicht: Verhindern läßt sich die Bildung von Eliten ohnehin nicht. »Wir haben es mit einem Phänomen zu tun«, meint der münstersche Soziologe Sven Papcke, 55, »das wirkt, ungeachtet dessen, ob das den einen recht ist oder den anderen nicht.« Eliten, so Papcke, entwickelten sich in allen bisher bekannten Gesellschaftsformen.

Eliten neigen allerdings dazu, sich in Kasten abzuschließen und dadurch den Austausch mit Andersdenkenden und Außenseitern zu erschweren. Nach diesem Muster treten zum Beispiel akademische Verbindungen auf, die höchst effektive Seilschaften, gerade in Politik und Wirtschaft, unterhalten. Protegiert wird dort nicht fachliche Qualifikation, sondern bloß die Zugehörigkeit zum eigenen Verein.

Offensichtlich werden diese Beharrungskräfte vor allem in den Führungsetagen großer Unternehmen. Neuere Handbücher der Betriebswirtschaftslehre preisen den Unternehmensführer als Moderator an, als Mann oder Frau mit Visionen und Teamgeist. Die Realität aber hält damit nicht Schritt: »Die meisten Wirtschaftsbosse gerieren sich immer noch als die großen Alleskönner, nie zeigen sie Fehler oder Schwächen.« So jedenfalls urteilt der Essener Unternehmensberater Freimut Hinsch, 49.

Die Zeit der autoritären Patriarchen sei jedoch längst vorbei, beteuert Hinsch. Wer sich nicht die Kompetenz und Kreativität seiner Mitarbeiter zu eigen machen könne, habe schon verloren. Hinsch berät Vorstände und Geschäftsführer in allen Führungsfragen: »Wenn einer sagt, er habe alles voll im Griff, dann ist genau das hochgradig unwahrscheinlich.«

Unternehmensführer, die den Maximen von Hinsch und anderen Beratern Folge leisten, gehen aber ein großes Risiko ein: Wer auf Seilschaften verzichtet, wer allein die Besten fördert, läuft Gefahr, bei nächster Gelegenheit von jemandem ausgestochen zu werden, der sich skrupellos der klassischen Mittel des Machterwerbs bedient.

Demokratische Eliten, die sich nicht abschließen, sondern ständig erneuern, entbehren zudem jene Aura, von der die traditionellen Führungsschichten aus Aristokratie, Militär und Großbürgertum zehren. Und es fehlt ihnen auch an Stabilität. »Möglicherweise sind homogene Eliten wirksamere Träger des Wandels als pluralistische Eliten«, spekuliert der Soziologe und britische Lord Ralf Dahrendorf.

Der liberale Ökonom mag an die bewährten britischen Eliteschulen und -universitäten gedacht haben, an Eton, Oxford und Cambridge. Seit mehr als zwei Jahrzehnten aber zeichnen sich die Nachteile dieser auf ein paar Colleges beschränkten Eliterekrutierung ab. Das britische Bildungssystem lieferte eine zu geringe Zahl kompetenter Ingenieure und Manager für das in einer schweren Strukturkrise steckende Land.

Viele neue Universitäten wurden deswegen gegründet, sei es in Manchester, Bristol oder Lancaster - Hochschulen, die in ihren Leistungen inzwischen den Standard von Oxford und Cambridge erreicht und zum Teil schon überschritten haben.

Auch in Frankreich haben die alten Eliten einen schweren Stand: Der Weg in die Spitzen von Regierung, Bürokratie und Industrie führt - nach zahllosen Aufnahmeprüfungen ("concours") mit rigoroser Benotung - durch die Grandes Ecoles, etwa die Ecole polytechnique oder die Ecole nationale d''administration (Ena). Wer eine Grande Ecole mit gutem Examen verläßt, hat für den Rest seines Berufslebens ausgesorgt.

Doch die Edelbürokraten genießen inzwischen ein denkbar schlechtes Ansehen. Wann immer in den vergangenen Jahren ein spektakulärer Crash hingelegt wurde: Die feinen Herren von den Grandes Ecoles waren dabei. Der Fehler steckt in den Köpfen der Karriere-Bürokraten selbst: Die in zähester Paukerei erworbenen Super-Diplome machen die Herren in der Regel arrogant - und leichtsinnig.

»Wir brauchen keine Ena«, erklärt denn auch Hans Schill, 61, Personalchef im Bonner Wirtschaftsministerium. Der Ministerialdirektor kritisiert besonders die »extrem hohen Anforderungen« für die Zulassung zu den französischen Eliteinstituten: »Das System ist im Grunde ganz auf die Pariser Oberschicht zugeschnitten.« Damit seien »breite Bevölkerungsschichten ausgeschlossen«. Die Bundesrepublik, lobt der Personalexperte, stehe mit ihrer »föderalen Vielfalt« insgesamt besser da: »Wir haben nur noch die Aufgabe, aus den vielen Guten die Besten auszuwählen.«

Diese Aufgabe ist allerdings schwierig genug. An den Universitäten versuchen sich gleich neun Begabtenförderungswerke, also die Stiftungen der Parteien, die Gewerkschaften und Kirchen sowie die Studienstiftung des deutschen Volkes daran. Die Kriterien sind überall ähnlich: Wer ein Stipendium will, muß »überdurchschnittliche Begabung« und »soziale Verantwortung« nachweisen. Etwa 15 000 Studenten und Doktoranden werden derzeit gefördert - nicht eben viel bei einer Gesamtzahl von 1,9 Millionen Studenten.

Gerade die Geförderten verwahren sich jedoch gegen das Eliteimage: »Für die Studenten, die in Begabtenförderungswerke aufgenommen werden, ist es ein riesiges Problem, als Elite von morgen angesehen zu werden«, sagt Lothar Schmidt, 29, Student an der Uni Witten/Herdecke und Stipendiat des Evangelischen Studienwerks.

Schmidt beschreibt ein wohl typisch deutsches Phänomen: Je qualifizierter der akademische Nachwuchs sei, desto mehr neige er dazu, in kritischer Distanz zur Gesellschaft zu verharren. Schmidt: »Man lernt sehr viel schneller, zu kritisieren, und ist hilflos, wenn man Verantwortung übernehmen soll.«

Nicht so an der Uni Witten/Herdecke. Die private Hochschule, so schwärmt der angehende Wirtschaftswissenschaftler, »macht die Menschen unternehmerischer, zupackender«. Tatsächlich verlangt die Uni nicht nur Berufserfahrung für die Zulassung zum Studium, sie fördert auch den Kontakt zur außerakademischen Realität, durch Praktika und Auslandssemester.

Die außergewöhnlichen Anstrengungen in der Ausbildung sind freilich auch außerordentlich teuer. Schon muß der Staat der Privat-Uni mit Zuschüssen helfen, die Einführung von Studiengebühren steht unmittelbar bevor. Damit gilt für Witten/Herdecke derselbe Einwand wie für die EBS in Oestrich-Winkel oder das Eliteinternat Schloß Salem: Die Qualität dieser Institute ist unbestritten, doch allgemein zugänglich sind sie nicht. Wer hohe Schul- und Studiengebühren erhebt, kann nicht von einem Modell demokratischer Elitebildung sprechen.

Und schon gar nicht von einem Konzept, das sich bald flächendeckend ausbreiten werde. Denn die Industrie, Hauptsponsor der kleinen Privat-Unis, hält sich nach wie vor bedeckt. Offenbar ist der Leidensdruck noch zu gering, das Niveau der staatlichen Unis also zu hoch, um in Deutschland amerikanische Verhältnisse entstehen zu lassen.

Die privaten Elite-Unis der sogenannten Ivy League, sei es Harvard, Princeton oder Yale, verdanken ihren hohen Standard ohnehin einer in Europa längst vergessenen Tradition: dem Mäzenatentum. Wer in den USA etwas auf sich hält - und es sich vor allem auch leisten kann -, stiftet Teile seines Vermögens einer der angesehenen privaten Universitäten.

Keine Nation, kein Bildungssystem der Welt kann eine mit so vielen Nobelpreisen geschmückte Elite vorweisen wie die Vereinigten Staaten. Paul A. Samuelson, der 1970 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, sieht allerdings auch die Schattenseiten dieses erfolgreichen Modells, ein öffentliches Schulwesen nämlich, dessen »Verfall« bereits »gefährlich« weit vorangeschritten ist.

Im übrigen erreichen auch viele Provinz-Colleges nicht einmal den Standard deutscher Gymnasien. Da fehlt es an Geld, an akademischer Tradition, an einer einheitlichen Qualitätskontrolle.

Und dennoch: Spektakuläre Höchstleistungen zählen nicht zu den Stärken des deutschen Bildungssystems. In Wirtschaft und Wissenschaft sind deswegen in den vergangenen Jahren diverse Institutionen geschaffen worden, die sich der Förderung von Eliten verschrieben haben: Großunternehmen gründeten sogenannte Assessment Center zur Auswahl des Führungsnachwuchses; an den Unis entstanden mehr als 200 Graduiertenkollegs, in denen Doktoranden gemeinsam forschen.

Eine kleine, aber rührige Lobby kämpft zudem für die Förderung der sogenannten Hochbegabten. Besondere Schulen, ja Kindergärten bemühen sich um diese Klientel. Und immer steckt das Ziel Elite dahinter: »Überdurchschnittlich begabte Kinder sind der ideale Führungsnachwuchs für jedes Land«, behauptet etwa der Bochumer Verein Hochbegabtenförderung.

Ob sich IQ-Tests zur Auswahl von Hochbegabten eignen, scheint allerdings fragwürdig. Und ob der Erwählte dann auch noch zur Elite vorstößt, bleibt pure Spekulation. »Einen künftigen Meistergewichtheber mag man vielleicht schon im Kindergarten entdecken«, meint der Münchner Biologe Hubert Markl, 56, »einen künftigen Meisterdenker wohl kaum.«

Vorschnelles Filtern und Aussieben wäre also fatal. Wer Eliten will, soll sie fördern, soll Leistungen fordern und honorieren. Vorschläge dafür gibt es zuhauf, die drei wichtigsten lauten so: *___Die Qualität des Abiturs muß gewahrt werden: Seit ____der Öffnung des Schulsystems um 1970 ist die Zahl der ____Gymnasiasten pro Jahrgang auf über 35 Prozent gestiegen ____- erkauft wurde der Fortschritt vielfach auf Kosten des ____Leistungsniveaus. *___Das Universitätsstudium muß geteilt werden: Der ____Massenandrang an den Hochschulen macht das Studium ____mancherorts zur Farce - eine Übernahme des ____angelsächsischen Modells von Grund- und Aufbaustudium ____würde vielen Studenten einen früheren Einstieg in den ____Beruf erlauben. *___Die Europäische Union muß internationale Eliten ____bilden: Der weltweite Wettbewerb um Ressourcen und ____Märkte zwingt zur Zusammenarbeit - eine europäische ____Verwaltungsakademie oder ein europäisches ____Wissenschaftskolleg könnten zum Kristallisationskern ____solcher Eliten werden.

Viel wäre schon gewonnen, wenn sich nur ein unverkrampfter Umgang mit der Eliteidee durchsetzen, wenn der Begriff weniger polarisieren würde. Die Einsicht, daß eine demokratische Gesellschaft Macher und Könner braucht, sollte so umstritten nicht sein.

»Die richtig verstandene Demokratie muß das Mittel zur Züchtung der Besten sein«, schrieb bereits 1927 Heinrich Mann, ein jedes reaktionären Gedankens unverdächtiger Demokrat. Und in dem ihm eigenen Pathos fuhr er fort: »Seinen Adel braucht jeder Staat. Dieser aber will nicht den ein für allemal verankerten in Geburt und Besitz, er will die immer wieder erneuerte Aristokratie derer, die sich auszeichnen für die Nation.« Y

»Den künftigen Denker entdeckt man nicht im Kindergarten«

* Oben: 1994 mit Staatspräsident Francois Mitterrand beim 200.Gründungstag der Ecole polytechnique; unten: im St. John''s College.

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