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Deutsche Aufrüstung: Als die Atombomben-Träume platzten

Foto: Das Bundesarchiv/Berretty

Deutsche Aufrüstung Als die Atombomben-Träume platzten

Angestachelt vom nuklearen Wettrüsten der USA und UdSSR schmiedete Konrad Adenauer in den Fünfzigern einen gewagten Plan: Auch die BRD sollte zur Atommacht werden. Für seine Idee wagte der Bundeskanzler ein riskantes Manöver - er ließ sich auf ein doppeltes Spiel mit zwei Westmächten ein.
Von Jakob Kraft

Die Russen haben einen Satelliten ins All geschossen! Die Nachricht ließ die gesamte westliche Welt am 4. Oktober 1957 erstarren. Dass nun eine kleine piepsende Kugel namens Sputnik im All ihre Kreise zog, signalisierte: Die Zeiten der nuklearen Überlegenheit der Amerikaner waren vorbei. Dank ihrer innovativen Raketentechnik waren die Sowjets nun theoretisch in der Lage, jeden Ort auf der Welt zu bombardieren – auch das Territorium der USA. Die wenige Jahre zuvor von US-Präsident Dwight Eisenhower ausgegebene "New-Look-Politik", die vorsah, jede russische Aggression mit einem nuklearen Gegenschlag zu parieren, verlor erheblich an Glaubwürdigkeit. Die Sowjets saßen am längeren Hebel.

Für Bundeskanzler Konrad Adenauer schien der so genannte "Sputnikschock" zu bestätigen, was er angesichts der russischen Rüstungserfolge schon seit längerem befürchtet hatte: Auf den nuklearen Schutz der Amerikaner konnte sich Deutschland nicht verlassen. Bereits im Herbst 1956 hatte er im Kreise seiner Vertrauten geäußert, es sei unerträglich, dass "zwei große Staaten in der Welt allein im Besitz von nuklearen Waffen sind und damit das Schicksal aller Völker dieser Erde in der Hand haben". In der Kabinettsitzung am 19. Dezember 1956 offenbarte er schließlich, dass er es aus sicherheitspolitischen Gründen für ratsam halte, sich unabhängig zu machen und selbst "nukleare Waffen in der Bundesrepublik herzustellen".

Adenauer wollte selbst zuschlagen können - und sich ganz nebenbei den Status als Atommacht mit internationalem politischem Gewicht sichern. Die Idee hatte nur einen Haken: Deutschland hatte zwei Jahre zuvor in den Pariser Verträgen zugesichert, keine Atomwaffen zu produzieren. Legal ließ sich sein wahnwitziger Atomtraum also nicht umsetzen. Unerwartete Unterstützung bekam er von der französischen Regierung, die ebenfalls an der nuklearen Glaubhaftigkeit der USA zweifelte und sich sicherheitspolitisch unabhängig machen wollte. Bei einem Treffen in Adenauers Privathaus am 16. November 1957 machte der Staatssekretär im französischen Außenministerium Maurice Faure Adenauer ein verlockendes Angebot: Deutschland und Frankreich könnten zusammen mit Italien, das auch schon sein Interesse bekundet hätte, Atomwaffen entwickeln und produzieren – natürlich unter strikter Geheimhaltung.

Doppeltes Spiel

Eine Woche später unterzeichneten die drei Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, Paolo Taviani und Jacques Chaban-Delmas ein entsprechendes Geheimprotokoll zur gemeinsamen Entwicklung und Produktion von atomaren Trägersystemen und Waffen, wobei der deutsche Beitrag lediglich als Beteiligung an einem "europäischen Institut für Flugkörper" deklariert wurde. Die Waffen selbst sollten auf französischem Boden entwickelt und gebaut werden. Alles schien zu passen. Die Bundesrepublik hielt sich dank dieses Tricks offiziell an die Pariser Verträge und würde trotzdem über kurz oder lang über taktische Atomwaffen verfügen. Doch nur wenige Monate später platzte der Traum von der nuklearen Unabhängigkeit.

Parallel zu den geheimen Gesprächen mit Frankreich und Italien verhandelte Adenauer ganz offiziell mit den USA über eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Hintergrund waren Überlegungen innerhalb der Nato, wonach zur effektiveren Verteidigung in Deutschland Depots von amerikanischen Atomsprengköpfen stationiert werden sollten. Der Plan sah vor, dass die USA die Sprengköpfe stellen und kontrollieren und Deutschland die Trägersysteme liefert.

Den USA ging es vor allem darum, die Deutschen stärker in die nukleare Verteidigungsstrategie der Nato einzubinden – ohne ihnen die Kernwaffen direkt zu überlassen. Wieder spielten die Kosten eine Rolle. Lieferte Deutschland die Trägersysteme, würde der Verteidigungshaushalt der Amerikaner spürbar entlastet. Als "nukleare Teilhabe" Deutschlands ging dieses Konzept in die Geschichte ein. Weil Adenauer eine Teilhabe aber nicht reichte, fädelte er zusätzlich das Geschäft mit den Franzosen ein – und spielte damit letztlich ein doppeltes Spiel.

Geplatzte Atomträume

Seine Haltung zur Atomwaffenfrage offenbarte Adenauer auf einer Pressekonferenz im April 1957, nachdem die Gedankenspiele der Nato bekannt geworden waren: "Unterscheiden sie doch die taktischen und die großen atomaren Waffen. Die taktischen Waffen sind nichts weiter als eine Weiterentwicklung der Artillerie." Er ahnte nicht, welche Lawine der Empörung er dadurch lostreten würde. Der lautstarke öffentliche Protest zwang ihn schließlich dazu, das Atomthema erst einmal auszusparen. Doch kaum hatte sich die Lage etwas beruhigt, peitschte er das mit den USA erarbeitete Konzept der "nuklearen Teilhabe" gegen alle innenpolitischen Widerstände durch. Am 25. März 1958 beschloss der Bundestag die atomare Bewaffnung der Bundeswehr.

Mit all seinem politischen Geschick hatte Adenauer den Weg für die atomare Bewaffnung der Bundeswehr geebnet und gleichzeitig die geheimen Rüstungsverhandlungen mit seinen neuen Partnern vorangetrieben. Am 8. April 1958 unterzeichneten Chaban-Delmas, Taviani und Strauß in Rom das konkrete Rüstungsabkommen. Um einen Eklat angesichts des deutschen Alleingangs zu vermeiden, weihte der erfahrene Taktiker schließlich sogar US-Außenminister John Foster Dulles in die trinationalen Rüstungspläne ein. Dulles schlug daraufhin vor, die Initiative auf Großbritannien und die USA auszuweiten und eine Art Atompool zu gründen – so hoffte er, die nuklearen Ambitionen der Europäer kontrollieren zu können.

Umgesetzt wurden all diese Pläne allerdings nicht mehr, weil der wichtigste Rüstungspartner Frankreich ausfiel. Die Algerienkrise, der Indochina-Krieg, die Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft – Regierungschef Felix Gaillard hatte das Land in eine tiefe Staatskrise gesteuert, die er nicht mehr bewältigen konnte. Als Retter in der Not übernahm schließlich der alte Kriegsveteran General Charles de Gaulles die Regierungsgeschäfte. Das Abkommen mit Deutschland kassierte de Gaulle sofort. Er wollte keine Kooperation. Frankreich sollte selbstständig Atomwaffen bauen.

Starfighter statt Mirage

Für Adenauer und Strauß bedeutete de Gaulles Entscheidung das endgültige Aus ihrer hochtrabenden Atomträume. Ihnen blieb lediglich die "nukleare Teilhabe", die ihnen die Amerikaner zugestanden. Was der für seine atomaren Ambitionen bekannte Strauß davon hielt, offenbarte er ganz unverblümt in seinen Erinnerungen: "Da lässt man den kleinen Kasperl mit der Kindertrompete neben der Militärmusik herlaufen und ihn glauben, er sei der Tambourmajor."

Trotzdem machte sich Strauß pflichtbewusst an die Beschaffung der von den Amerikanern geforderten Trägersysteme. Im Herbst 1958 bestellte er bei der kalifornischen Rüstungsschmiede Lockheed den "Starfighter" F-104, einen Jagdbomber, der mit den atomaren Sprengköpfen bestückt werden konnte. Fünf Geschwader wurden neu aufgestellt und mit US-Bomben des Typs Mk-28 ausgestattet. In jedem deutschen Fliegerhorst quartierten die Amerikaner eine Spezialeinheit ein, die die Waffen bewachte und im Verteidigungsfall auch scharf zu schalten hatte.

Bis zu de Gaulles Absage hatte Strauß mit der "Mirage III" des französischen Herstellers Daussault Aviation geliebäugelt, obwohl die Bundeswehr aus technischen Gründen ganz klar den Starfighter favorisierte. "Nicht zuletzt deshalb, weil es mir unlogisch erschien, dass wir uns von den Franzosen die Kernwaffen und von den Amerikanern die Flugzeuge verschafften", schrieb er in seinen Erinnerungen. Dass er sich letzten Endes doch für den "Starfighter" entschied, erschien dann doch wie ein kleiner Racheakt an den Franzosen.

Adenauer gab indes die Hoffnung, dass die Bundesrepublik irgendwann zur Atommacht aufsteigen würde, nie auf. Für ihn blieb es ein wichtiges Instrument, um im Konzert der Großmächte als ebenbürtiger Partner mitzuspielen. Als die Regierung Kiesinger 1967 den Atomwaffensperrvertrag unterschrieb, empörte er sich lautstark über das Papier, das er schließlich als "Morgenthau-Plan im Quadrat" abtat. Der Morgenthau-Plan aus dem Jahr 1944 sah vor, Deutschland in ein reines Agrarland umzuwandeln und komplett zu deindustrialisieren. Doch dieser wurde nie umgesetzt.