Kyjiw im Februar 2025. Kurz vor dem dritten Jahrestag der russischen Invasion. Wir sind unterwegs mit Ksenia. Vor drei Jahren arbeitete sie noch als Floristin, hatte gerade das stressige Geschäft zum Valentinstag hinter sich gebracht. Der Krieg hat alles verändert.
Ksenija:
Heute ist Valentinstag. Ein Tag, an dem ich vielleicht eine Menge Blumensträuße binden würde. Aber stattdessen habe ich unsere Namen auf Drohnen geschrieben. Auf die Valentinskarten für die Besatzer. Heute gibt es keine Blumen. Diese Acht-Zoll-Drohne trägt anderthalb Kilo, eine Zehn-Zoll-Drohne trägt dreieinhalb Kilo und diese Dreizehn-Zoll-Drohne bringt Süßigkeiten von fünf bis sechs Kilo ins Ziel.
Mit »Süßigkeiten« sind Sprengsätze gemeint, die erst kurz vor dem Einsatz angebracht werden. Zu hunderten und tausenden bauen Freiwillige wie Ksenija und ihr Team Drohnen zusammen und schicken sie an die Front, wo sie sich auf russische Panzer, Fahrzeuge und andere Waffensysteme stürzen. Es ist ihr Beitrag zur Verteidigung ihres Landes. Finanziert wird er aus Spenden.
Sascha:
Ich kann nicht sagen, dass ich diesen Prozess wirklich genieße. Ich genieße nur den Gedanken, dass es die Richtigen trifft. Ja, das ist meine Hauptmotivation, denn ich kann nicht gut schlafen, wenn ich weiß, dass ich nicht genug beigetragen habe. Aber jetzt schlafe ich sehr gut.
Die Videos von erfolgreichen Einsätzen schicken befreundete Soldaten von der Front zurück an die Freiwilligen in Kyjiw.
Ksenija:
Eine Drohne kostet 320 Euro oder 415 Euro, je nach Größe. Aber ein Panzer kostet etwa drei bis vier Millionen Euro. Stell dir vor, wie viele Ziele wir treffen – kleine, große und sogar Panzer. Für mich ist es alles dasselbe. Ich sehe das Video, es hat funktioniert. Alles explodiert. Okay, großartig. Nächste Drohne.
Wenn wir eine neue Lieferung vorbereiten, dann kaufe ich die Komponenten ein und wir versammeln hier viele Freiwillige. Jeder hilft uns – von 15-jährigen Mädchen bis zu einem 79-jährigen Mann, der die Besatzung in Melitopol überlebt hat. Seine Hände zittern, sodass er nur die Rahmen zusammenbauen, aber die Drohnen nicht löten kann. Und dann ist dieser ganze Raum voller Freiwilliger – es ist wirklich wie eine große Gemeinschaft.
Kamikazedrohnen sind zu einer wichtigen Waffe der ukrainischen Armee geworden. Sie sorgen nach Ansicht westlicher Militärexperten inzwischen für bis zu zwei Drittel der russischen Verluste an Kriegsgerät. Aber der Drohnenkrieg verläuft in unterschiedlichen Richtungen – und das nicht nur an der Front. Fast jede Nacht greift die russische Luftwaffe die Hauptstadt Kyjiw unter anderem mit sogenannten Shahed-Drohnen iranischer Bauart an. Sie tragen bis zu 60kg Sprengstoff und können große Zerstörungen anrichten.
Die Shaheds aufzuhalten ist Aufgabe der Flugabwehr der ukrainischen Streitkräfte. Doch das reicht nicht. Deshalb werden sie von Freiwilligenverbänden wie den "Hexen von Butscha" unterstützt, einer Zivilschutztruppe, die zu 90% aus Frauen besteht. Im Norden von Kyjiw sind sie ständig im Einsatz, um die feindlichen Drohnen vom Himmel zu holen.
Puma:
Jede Nacht, jede Nacht ist jemand von uns hier draußen. 24 Stunden Dienst und dann drei Tage Pause. Ich habe sogar zwei Jobs – ich arbeite als Sicherheitskraft. Nach meiner Nachtschicht hier bei den Hexen gehe ich dann direkt zu meiner eigentlichen Arbeit.
Der Kampf gegen die Shaheds ist nicht ungefährlich, vor allem wenn die abgeschossenen Flugkörper in der Nähe abstürzen. Zwischen den Einsätzen trainieren die »Hexen von Butscha«. Es sind keine ausgebildeten Soldatinnen, sondern normale Berufstätige. Der Krieg hat sie zu Kämpferinnen gemacht. Ihr Maschinengewehr ist uralt, es war schon im zweiten Weltkrieg im Einsatz. Verbunden mit einem Wärmebildgerät und einem Tablet hat es sich aber als wirksame Waffe erwiesen – mit einer erstaunlich hoher Abschussquote.
Puma:
Unser Kollektiv basiert auf Freundschaft – eine für alle, alle für eine. Nach der Arbeit treffen wir uns manchmal oder rufen einander an. Wir sind sehr, sehr freundschaftlich miteinander.
Valkyria, eine Tierärztin aus der Nähe von Butscha, instruiert gerade neue Rekrutinnen.
Walkirija:
Ich habe hier auch Besatzung erlebt. Durch unser Dorf sind die ganzen Panzerkolonnen der Russen gefahren, in Richtung Butscha und nach Irpin. Als ich hörte, dass sie hier auch Frauen suchen, habe ich mich sofort gemeldet und bin jetzt seit sieben Monaten hier.
Valkyria hat sich an den Umgang mit der Waffe mittlerweile gewöhnt. Bei den Neulingen ist das anders. Nach dem Training ruhen sich die Kämpferinnen in der Bereitschaftsbaracke aus. Die russische Invasion hat alles verändert – auch die Rolle der Frauen in Gesellschaft und Familie.
Akula:
Ich habe einen kleinen Sohn. Eigentlich wollte ich auch zur Armee gehen, aber ich habe mich dagegen entschieden. Hier kann ich gleichzeitig nützlich sein kann und auch zu Hause Zeit verbringen. In der Armee könnte ich meinen Sohn gar nicht mehr sehen.
Walkirija:
Meine Kinder sind richtig stolz: "Mama, bist du das??" Sie sehen mich jetzt aus einer ganz anderen Perspektive. Ich war sonst immer zu Hause, oft in der Küche. Alle Entscheidungen wurden von den Männern getroffen. Und hier habe ich die Entscheidung getroffen, ohne sie zu fragen. "Okay, Kinder, jetzt ändert sich alles zu Hause. Jetzt haltet ihr den Haushalt, ich gehe kämpfen! Dieses Jahr hat ziemlich schlecht angefangen. Und jetzt werde ich gleich weinen. Dieses Jahr ist Roman gestorben. Er ist mit meinem Sohn aufgewachsen. Seit dem Kindergarten kannten wir ihn. Deshalb ist jetzt alles ziemlich schwer für mich. Jetzt ist bald der dritte Jahrestag des Krieges und es sind schon so viele Menschen gestorben, die ich kenne. Ich habe keine großen Erwartungen an dieses Jahr, aber es bringt uns immerhin ein Jahr näher an unseren Sieg.
Akula:
Auch viele meiner Freunde sind gestorben. Aus meinem Freundeskreis. Richtig viele.
Walkirija:
Selbst wenn es einen Waffenstillstand gäbe – wir würden nicht mehr existieren. Es gibt doch schon Listen mit all unseren Namen, alle die gekämpft haben. Wir alle, inklusive unserer Familien, wären niemals sicher genug.
Walkirija:
Ach, lass sie die Tränen doch sehen. Wir haben doch keine andere Wahl. Einfach keine andere Wahl!
Zurück in Ksenijas Werkstatt in Kiew: Die Freiwilligen verpacken eine frische Ladung präparierter Drohnen für die Front.
Ksenija:
Wir könnten eigentlich 300 bis 400 Drohnen pro Monat bauen. Also viermal mehr als jetzt. Aber wir bekommen nicht genug Spenden dafür.
Zusammen mit von Kindern gemalten Bildern geht die Sendung mit der ganz normalen Post auf den Weg zu den kämpfenden Truppen. Die schicken schon 48 Stunden später eine Dankesbotschaft auf Instagram. Und dann geht der Alltag weiter. In einem Krieg, der jetzt schon drei Jahre dauert.