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Agrareform

© dpa

Landwirtschaft: Experten fordern weltweite Agrarrevolution

Seit drei Jahren basteln internationale Experten am Weltagrarbericht, jetzt ist er erschienen - und ist hochaktuell, denn weltweit sind Hunger-Unruhen ausgebrochen. Ende März waren Reis und Getreide doppelt so teuer wie im Jahr zuvor. Die Empfehlung der Experten: Herkömmliche Produktionsweisen und ein Ende übermäßiger Agrarsubventionen. Deutschland hat noch nicht unterschrieben.

Im Kampf gegen Hunger und Armut ist die Antwort der Experten ein "Zurück zu den Wurzeln". Der "Weltagrarrat" - ein UN-Projekt ähnlich dem Weltklimarat - fordert in einem Expertenbericht die Rückbesinnung der globalen Landwirtschaft auf bewährte Traditionen. Herkömmliche Produktionsweisen, angestammtes Saatgut, natürliche Dünger: Was die Wissenschaftler vorschlagen, klingt zunächst rückwärtsgewandt und kommt dennoch einer radikalen globalen Agrarreform gleich. Das Argument der Forscher: Die kapitalintensive Industrieproduktion unserer Nahrungsmittel in ihrer jetzigen Form zerstört Böden, Wasser und Artenvielfalt, trägt zum Klimawandel bei und nutzt einseitig den reichen Ländern.

Drei Jahre lang hatten gut 400 Experten an dem Agrarbericht mit dem sperrigen mit dem sperrigen Namen IAASTD (International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development) gearbeitet, unterstützt von namhaften internationalen Organisationen von der Weltbank bis zur Wissenschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der UNESCO. Zwar dreht sich die Preisspirale auf den Weltmärkten für Nahrungsmittel seit längerem nach oben. Dennoch haben die Ereignisse der jüngsten Zeit der Arbeit des Weltagrarrates eine ungeahnte Brisanz verliehen. Wegen der teuren Lebensmittel kam es in armen Ländern zu Plünderungen und Gewalt, Dutzende Staaten haben Exportsperren verhängt oder lassen staatliche Vorräte von der Armee bewachen.

Weg von der Massenproduktion

Dass die moderne Landwirtschaft, angefangen vor gut fünf Jahrzehnten, einen "signifikanten Anstieg" in der Nahrungsmittelproduktion mit sich gebracht hat, erkennen die Experten uneingeschränkt an. "Aber die Vorteile sind ungleich verteilt und haben einen zunehmend unannehmbaren Preis, den Kleinbauern, Arbeiter, ländliche Gegenden und die Umwelt bezahlen müssen", heißt es.

IAASTD-Direktor Robert Watson warnte, das Hauptaugenmerk der globalen Agrarwirtschaft dürfe nicht mehr allein auf der Massenproduktion liegen, die zu einem "immer zerstörteren und geteilteren Planeten" führe. Dies sei zwar "keine neue Botschaft". "Aber es ist eine Botschaft, die in einigen Teilen der Welt nicht ausreichend gehört worden ist", sagte Watson.

Die Experten plädieren für die Schaffung neuer Rahmenbedingungen, die die ausreichende Produktion mit dem Schutz von Wasser, Boden, Wäldern oder der Artenvielfalt vereinen. "Wir müssen mehr produzieren, aber vor allem anders", sagte Guilhem Calvo von der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). "Der Status quo ist keine Option." Mehr Produktivität und Nachhaltigkeit seien zwar "widersprüchliche Ziele". Sie könnten aber durch entsprechende Technologien und Kenntnisse "unter einen Hut gebracht werden". Das Hauptaugenmerk der Agrarforschung müsse auf die Kleinbauern in den Entwicklungsländern gerichtet sein, die für einen Großteil der globalen Nahrungsmittelproduktion verantwortlich seien.

Kritik am Welthandelssystem

Hart ins Gericht gehen die Autoren darüber hinaus mit dem Welthandelssystem und den massiven Agrarsubventionen in Europa und Amerika, mit denen die armen Länder nicht mithalten können. "Die ärmsten Entwicklungsländer verlieren in den meisten Liberalisierungs-Szenarien unter dem Strich", sagt Weltagrarrats-Chef Robert Watson, Chef-Wissenschaftler im britischen Umweltministerium.

Die Europäische Union hat nach Ansicht der Forscher schon einen Schritt in die richtige Richtung getan. Mit der Agrarreform hatten die Europäer im Jahr 2003 beschlossen, den Landwirten - bis auf wenige Ausnahmen - keine direkt an die Produktionsmenge gekoppelten Fördermittel mehr zu zahlen. Stattdessen haben die Bauern heute Umweltauflagen einzuhalten und sich um Tierschutz und Landschaftspflege zu kümmern. Sie erhalten für stillgelegte oder weniger intensiv bewirtschaftete Flächen Geld. Die Anreize für den Umweltschutz müssten nun noch verstärkt werden, forderte Co-Autorin Marianne Lefort vom Pariser Institut für Biowissenschaften AgroParisTech.

Ob und was der Weltagrarbericht tatsächlich bewirken wird, ist offen. Immerhin 64 Länder haben den Report unterzeichnet, darunter EU-Länder wie Frankreich und Polen, Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien und Entwicklungsländer wie Uganda. Die Bundesregierung hatte am Dienstag Mühe zu erklären, warum Deutschland nicht zu den Unterzeichnern zählt. Geht es nach Professor Watson, stößt der Expertenrat aber auch in Europas größter Volkswirtschaft nicht auf taube Ohren. "Wenn die an der Macht jetzt bereit sind, ihn zu hören, können wir auf eine gerechtere Politik hoffen, die die Interessen der Armen berücksichtigt. (nim/dpa)

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