Der lange Abschied von Jugoslawien – Gespräch mit Peter Handke über den Untergang des Vielvölkerstaates und seine umstrittene Parteinahme für Serbien

Martin Meyer und Andreas Breitenstein
Drucken
Peter Handke in seinem Garten, nachdem bekannt geworden ist, dass er den Literaturnobelpreis des Jahres 2019 erhält. (Bild: François Mori / AP)

Peter Handke in seinem Garten, nachdem bekannt geworden ist, dass er den Literaturnobelpreis des Jahres 2019 erhält. (Bild: François Mori / AP)

Mit der Unabhängigkeitserklärung Montenegros vor drei Wochen ist das Vielvölkerexperiment Jugoslawien endgültig zu Ende gegangen. Die Geschichte der jugoslawischen Auflösungskriege 1991 bis 1999 ist noch nicht zu Ende geschrieben – zu vielfältig sind die Gründe, die zum blutigen Zerfall des jugoslawischen Staates führten. Der österreichische Schriftsteller Peter Handke hat seit 1996 dezidiert für die serbische Seite Partei ergriffen aus der Ansicht heraus, dass den Serben in unzulässiger Weise Schuld zugesprochen werde.

Die massgebliche Mitverantwortung des serbischen Nationalismus bestreitend, übte sich Handke mehr und mehr in der Verteidigung des Regimes von Slobodan Milosevic. Mit der Affäre um den verweigerten Heine-Preis der Stadt Düsseldorf ist Handke in den vergangenen Wochen einmal mehr in die Schlagzeilen geraten. Martin Meyer und Andreas Breitenstein besuchten den Dichter an seinem Wohnsitz bei Paris, um mit ihm noch einmal grundsätzlich über Fakten, Wahrnehmungen und Perspektiven in Sachen Ex-Jugoslawien zu sprechen.

Peter Handke, wir leben in «interessanten» Zeiten. Es gibt polemische Kontroversen und Diskussionen um den Heine-Preis, der Ihnen erst zu- und dann wieder abgesprochen wurde. Nun haben Sie selbst auf den Preis verzichtet. Wie erleben Sie diese Dinge?

Wäre ich ein anderer als der Betroffene, würde ich das mit Emotionen, je nachdem mit Schadenfreude oder Empörung, Zorn oder Genugtuung wahrnehmen. Aber da ich selber der Betroffene bin, bin ich dazu unfähig. Ich bin ruhig, und es kommt mir vor, als hauste ich im Zentrum eines Papiersturms.

Der Aufruhr muss Sie doch als politischer Autor, der Sie auch sind, beschäftigen. Oder gelingt es, das völlig auf Distanz zu halten?

Ich möchte es nicht auf Distanz halten. Ich bin in dem Sinn kein Distanzmensch. Ich bin ein Berührungsgestalter - ich werde berührt und möchte berühren. Distanz ist sehr wichtig, was die Literatur betrifft. Der richtige Abstand zu den Menschen: wo bin ich zu weit weg, wo bin ich zu nah.

Natürlich bin ich beteiligt. Ich möchte, dass es weitergeht. Ich möchte, dass sich etwas öffnet, deswegen habe ich diesen klärenden Artikel in «Libération» geschrieben, in der Hoffnung, dass man zurückkomme auf das, was ich wirklich geschrieben habe. Dass man vielleicht nicht nur das, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, sondern meine Art zu schreiben, meinen Blick, meinen Rhythmus, auf sich wirken lässt. Mir schien, es könnte eine Art Diskussion über das jugoslawische Problem stattfinden, eine Diskussion, die vorher so nicht möglich war.

Weshalb nicht?

Die Mauern wurden in Bezug auf die jugoslawische Frage sofort gezogen. Es gab gleich welche, die wussten: So und so ist die Lage, und so muss man darüber reden. Man kann nur das und das sagen und nur auf die journalistische Weise. Mittlerweile ist ein anderes Sprechen in Gang gekommen, eines, das nicht mehr ganz verloren gehen kann.

Hat sich das Verständnis der serbischen Rolle in den jugoslawischen Zerfallskriegen geändert, seit Sie 1995 erstmals Partei ergriffen haben?

Das ist eine tragische Sache. Serbien ist das verlorenste Land Europas. Man kann nicht sagen, das Volk sei schuld an dem, was geschehen ist. Dadurch, dass man diese Geschichte sofort der Schwarz-Weiss-Logik unterworfen hat, ist meiner Ansicht nach etwas geschehen, was noch nie so schlimm war. Es gab und gibt anderes Schlimmes, aber in dieser Weise, in dieser grammatikalisch-sprachlichen Weise ist es noch nie so schlimm zugegangen: dass Journalisten meinen, Geschichte schreiben zu dürfen. So dass man mir immer vorwirft, indem ich anders schreibe, wolle ich die Geschichte neu schreiben. Ich habe immer gedacht, Historiker schrieben die Geschichte, was ja auch schon fragwürdig genug ist.

Muss man nicht, um das Thema Jugoslawien zu verstehen, weit zurückgehen in die Geschichte? Sich fragen, wie das überhaupt entstanden ist und wo die ursprünglichen Konstellationen dessen lagen, was sich später daraus ergab?

Bis wohin soll man zurückgehen? Sie können, wie die Slowenen das gemacht haben, zurückgehen bis auf zweihundert vor Christus und sagen, wir sind keine Slawen, sondern Illyrer, und deswegen brauchen wir Jugoslawien nicht. Geschichte kann man für alles benützen. Ich für meine Person lasse Jugoslawien II – nach Jugoslawien I, das 1918 entstand und mit dem Einmarsch der Deutschen 1941 sein Ende fand – mit der Partisanenarmee Titos beginnen. Von 1941 bis 1945 war Jugoslawien das von den Nazis geknechtete Land, das sich als erstes fast selber befreit hat. Die Jugoslawen können wirklich stolz sein auf ihr zweites Jugoslawien.

Und das erste, das Königreich Jugoslawien?

Jugoslawien war ein sehr kompliziertes Land. Man sagt, Jugoslawien war von Anfang an künstlich. Zu Unrecht, denn was ist künstlich? Jeder Staat ist von Anfang an künstlich. Ein Enthusiasmus wie jener der Völker Jugoslawiens 1918 nach dem Ersten Weltkrieg, der unglaubliche Verluste gebracht hatte, ist nicht künstlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen noch grösseren Enthusiasmus für Jugoslawien, dadurch, dass man sich selber befreit hatte.

Hinzu kam, dass Jugoslawien auch nach 1945 einen eigenen politischen Weg beschritt. Die Bewegung der Blockfreien war sowohl gegen den stalinistischen Kommunismus als auch gegen den amerikanischen «Imperialismus» gerichtet. Sowie aber die Wirtschaft nicht mehr ging in Jugoslawien, war alles verloren. Wenn die Wirtschaft nicht funktioniert, treten überall Nationalismen hervor. Brutal und aggressiv. Jedes Land sucht nur seinen Vorteil.

Ist es nicht zu einfach, den Zweiten Weltkrieg im Balkan auf einen Befreiungskrieg zu reduzieren? Er war in hohem Masse auch ein Bürgerkrieg, in dem alle gegen alle kämpften: Ustascha (kroatische Faschisten), Tschetniks (serbische Königstreue), kommunistische Partisanen, bosnische Muslime, Deutsche, Italiener . . . Historisch wurde das Morden in den eigenen Reihen nach 1945 nie bewältigt.

Die Partisanen waren in ganz Jugoslawien, das muss man sehen. Sie waren auch in Slowenien, Mazedonien, Bosnien, Kroatien und Serbien. Die Partisanen, das war Jugoslawien.

Aber es war natürlich zunächst einmal eine Anti-Bewegung. Ein Befreiungskrieg richtet sich ja immer gegen etwas.

Gegen die deutsche Besatzung. Die Tschetniks waren eine serbische Befreiungsbewegung und die Partisanen eine jugoslawische.

Tatsache ist doch aber auch, dass in diesem Kampf sehr viele interne Rechnungen beglichen wurden von vor dem Krieg. Von den 1,7 Millionen jugoslawischen Kriegsopfern wurde rund die Hälfte von anderen Jugoslawen umgebracht. Denken Sie nur an die Auslieferung der slowenischen Heimatarmee an Titos Partisanen durch die Engländer im Frühling 1945. 12 000 Männer, die in Österreich Zuflucht gesucht hatten, wurden damals in den Tod geschickt. 20 000 Kroaten erging es in Bleiburg nicht anders. Sie wurden gleich erschossen oder starben auf Todesmärschen.

Das ist eine furchtbare Geschichte. Aber es ist doch klar: Das war die Rache an denen, die mit Hitler und Mussolini paktiert hatten, die ungeheure Greuel begangen hatten. Sie wurden dann aus Rache getötet.

Diese Verbrechen wurden im Tito-Staat tabuisiert, und Partisanen konnten nur «Helden» gewesen sein. Im kollektiven Unterbewusstsein aber lebte der Geist der Rache und des Bösen fort. Er konnte, nachdem die eiserne Klammer des Kommunismus weggefallen war, durch Propaganda und Provokation leicht wiedererweckt werden.

Nein, nein. Es war die Hitler-Armee, die auf dem Balkan beispiellos gewütet hat. Die Deutschen hatten die Nationalisten benützt, um zu morden. Das war das Schlaue an den Nazis. Sie vermieden es, sich die Finger schmutzig zu machen. Für mich ist klar: Die Rache war Rache. Ich als Schriftsteller kann nicht sagen, ich bin für Rache, aber so muss es gesehen werden.

Als Schriftsteller stehen Sie für das Gegenteil von Rache.

Man kann Rache nicht verstehen, aber man kann beschreiben, woher sie kommt. Aber man darf nicht beide Seiten gleichstellen, die Partisanen waren wirklich Freiheitskämpfer. Menschen, die für Jugoslawien gekämpft haben.

Die Wiedergeburt Jugoslawiens nach dem Zweiten Weltkrieg verdankt sich also zunächst wesentlich einer Abwehrenergie. Kann eine solche genügen, einen Vielvölkerstaat in die Zukunft zu tragen?

Es war nicht allein das. Die Abwehrenergie kam mehr aus dem Enthusiasmus für Jugoslawien. Für ein über das Königtum hinausgehendes Jugoslawien, wie es auch immer aussehen mochte. Das war Jugoslawien-Energie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie je sterben wird, ob man das Nostalgie nennt oder nicht.

Was ist denn später genau schiefgelaufen?

Die Wirtschaft ist schiefgelaufen.

Anders gesagt: das System?

Das jugoslawische System war im Gegensatz zum Kommunismus im Ostblock mit seinem Modell der Selbstbestimmung oder Selbstregulierung der Unternehmen ein utopisches System, das freilich nur funktionieren konnte, solange zwischen den Staaten der Welt die Ein- und Ausfuhr rund lief. Der Fall der Berliner Mauer machte Jugoslawien zum Verlierer.

Die Transformation des Bundesstaates in einen Staatenbund hätte die Lösung sein können.

Ja, nur kein Bürgerkrieg.

Die westlichen Staaten reagierten zunächst hilflos auf den Krieg.

Die Ahnungslosigkeit vieler westlicher Staaten kommt aus einer gewissen langen Dauer, welche die Geschichte bestimmt. Dies alles kommt von Sarajevo 1914 her. Wie die islamischen Staaten sich verhalten haben zum Zerfall Jugoslawiens, kommt von der langen Dauer der türkischen Herrschaft her. Die longue durée entscheidet in vielen kritischen Momenten, das scheint Geschichtsgesetz zu sein - ein grausames. Es gibt eine Urfeindschaft zwischen den Völkern, die zum Vorschein kommt in gewissen Momenten. Aber wenn die Wirtschaft nicht mehr funktioniert . . . Gott bewahre uns davor. Ich liebe Wirtschaft. Das ist für mich auch ein Teil der menschlichen Bewegung. Sie belebt, sie befreit und erweitert. Zumindest als Möglichkeit. Ob es in der Wirklichkeit funktioniert, ist eine andere Frage.

Wenn Jugoslawien an der Wirtschaft scheiterte, wo war denn der Zündfunke, der das System zur Explosion brachte?

Es gab viele Kroaten, Slowenen und Bosnier, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus politischen Gründen ausser Landes flüchteten und die das Vermögen besassen, die Dinge ins Rollen zu bringen. Ob in Milwaukee oder Buenos Aires – sie warteten darauf, dass eine Schwäche entstehe in Jugoslawien, sie wollten nicht im Ausland sterben. Das Resultat ist heute offensichtlich: Slowenien, Kroatien und Bosnien besitzen rechtsgerichtete Regierungen. Überall haben sie ihre Staaten errichtet.

Warum konnten sich diese Feindschaften über so lange Zeit halten?

Das ist Balkan. Hätte Jugoslawien als System weiter funktioniert, als umgreifender Staat, wäre das verdampft. Ich kann nur immer auf die Wirtschaft zurückkommen. Der Untergang Jugoslawiens war nicht zuletzt eine self fulfilling prophecy. In den zehn Jahren nach Titos Tod wurde überall nur gehämmert: Jugoslawien wird zerfallen. Aber gerade damals habe ich einen unerhörten Enthusiasmus für Jugoslawien erlebt.

Wie reagierte die Regierung in Belgrad auf die Drohung des Zerfalls?

Serbien war das einzige Land, das mit dem Zerfall Jugoslawiens nur verlieren konnte. Es war das Land, das in fast allen anderen Republiken grosse Minderheiten besass. In Kroatien lebten eine Million Serben, in Bosnien waren es über dreissig Prozent. Deswegen war Milosevic bis zuletzt gegen den Zerfall Jugoslawiens - im Gegensatz zu den Kroaten und Slowenen. Wie hätten die Serben reagieren sollen? In Kroatien regierte der fürchterliche Antisemit Tudjman – leider weiss hierzulande kaum einer, was für bösartige Dummheiten er geschrieben hat. Und in Bosnien-Herzegowina wollte Izetbegovic einen islamischen Gottesstaat errichten.

Selbst wenn die Muslime dies gewollt hätten, was wir bezweifeln, wären sie dazu nicht in der Lage gewesen. Die Muslime wollten den gesamtbosnischen Staat erhalten. Die jugoslawische Volksarmee und die Kommunistische Partei Jugoslawiens waren serbisch dominiert. Das Problem war doch generell, dass, wer in Kroatien oder Slowenien gegen den kommunistischen Machtapparat Demokratie einforderte, sich automatisch gegen Serbien wandte.

Das ist nicht wahr. Tudjman hat eine Verfassung durchgepeitscht, welche die Serben Kroatiens zur Minderheit und damit zu einem Staatsvolk zweiten Ranges machte. Das ist doch Krieg, oder? Was sollten die Serben machen? Ich selber hätte keinen Krieg angefangen. Aber es ist doch klar, dass Krieg losging unter dem physikalischen Gesetz von Stoss und Gegenstoss.

Die Schwierigkeit war doch, dass Jugoslawien gleichzeitig den totalen wirtschaftlichen und politischen Systemwechsel hätte bewerkstelligen müssen. Daran ist man auch in der Sowjetunion gescheitert.

Der wirtschaftliche Systemwechsel wäre gekommen. Milosevic war lange in Amerika, er war im Grunde Bankier und Jurist. Seine Art von Sozialismus war ein Sozialismus, der sich für den Markt entschieden hatte. Man soll nicht alles verteufeln. Und lassen Sie die Sowjetunion aus dem Spiel. Jugoslawien ist Jugoslawien.

Milosevic und die Seinen haben politisch das Ihre dazu beigetragen, dass sich nationalistische Gefühle verselbständigten und entfesselten.

Slobodan Milosevic wollte mit letzter Kraft Jugoslawien erhalten. Haben Sie von ihm je eine Erklärung gelesen, was mit der nationalistischen Hetze Tudjmans oder Izetbegovics zu vergleichen wäre? Nie. Er hat nie etwas geschrieben, nie etwas gesagt. Es gibt diese Rede von 1989 auf dem Amselfeld zum 600-Jahr-Jubiläum der serbischen Niederlage gegen die Türken, wo er sagte, dass sich die Serben wieder im Kampfe befänden und Kämpfe bevorstünden. Dies grossserbisch auszudeuten, finde ich eine böswillige Interpretation. Er sagte, es stünden andere Kämpfe bevor – und nicht neue. Ohnehin ist das die einzige Stelle, wo man diskutieren kann, was damit gemeint war. Ich bin überzeugt, dass er nicht an Krieg dachte.

Dennoch sind der serbische Nationalismus und die Idee Grossserbiens ein kriegstreibender Faktor geworden. Im Dienste der Idee Grossserbiens wurden, zumal in Bosnien, im grossen Stil ethnische Säuberungen durchgeführt.

Wo gibt es einen Befehl von Milosevic? Wie kann man ihn mit Srebrenica zusammenbringen? Ich weiss es nicht. Im Übrigen war Milosevic kein Diktator, sondern ein Autokrat, der ein semi- autoritäres Regime ausübte. Die Presse war frei, aber das Fernsehen war staatlich. Ich habe keine Meinung zu Milosevic. Keine. Ich kann ihn weder gut noch schlecht finden. Ich möchte ihn nicht mit Hitler oder Ceausescu oder Saddam Hussein vergleichen, ich finde das falsch. Milosevic als den grossen Bösewicht der Kriege auf dem Balkan hinzustellen, verkürzt die Sache.

Es war Ihnen gewiss bewusst, dass es eine Provokation darstellen würde, zu seiner Beerdigung zu fahren und eine Rede zu halten.

Ich kenne Milosevics Heimatstadt Pozarevac gut, es ist eine schöne Stadt am Fluss Morava. Dass der «Le Monde»-Korrespondent es eine «seelenlose» Stadt nannte, war für mich mit ein Grund, zum Begräbnis zu fahren. Wohl war mir etwas seltsam zumute. Aber ich habe gedacht, ich möchte dies sehen. Ich war ein Jahr vorher bei Milosevic im Gefängnis und bekam einen Anruf von seiner Familie, ob ich nicht dabei sein möchte. Da habe ich gedacht, nein, das ist eine Tortur. Dann aber habe ich die Zeitungen gelesen, den Hass auf einen Mann, der gerade gestorben war.

Einen Grundantrieb Ihres Serbien-Engagements bilden die Medien, deren Berichterstattung Sie als massiv verzerrend empfinden.

Es ist die Sprache. Dass man so nicht schreiben darf über Jugoslawien. Dass die Sprache mit einem Schlag verkommen ist. Es gibt journalistische Artikel, bei denen mir das Herz aufgeht oder die den Geist befeuern, aber da ist etwas Furchtbares geschehen. Ich habe, als ich meine «Winterliche Reise» schrieb, Serbien unter dem Embargo erlebt, wie ich es nicht kannte. Später hat man sich lustig gemacht, dass ich schreibe, wie die Nudeln am Markt von Belgrad «andersgelb» sind. Sie sind es wirklich. Es ist das Land, das solches erzählt.

Um aufs Haager Kriegsverbrechertribunal zu kommen: Sie haben ihm als Ganzem die Legitimität abgesprochen.

Nein, nur in Bezug auf Milosevic. In den Gerichtssälen, wo es um die konkreten Kriegsverbrechen geht, wird gute Aufklärungs- und juristische Arbeit geleistet. Aber im Prozess gegen Milosevic wurden viele Fehler begangen aus Voreingenommenheit. Ich hätte mir gewünscht, dass der Prozess in Serbien stattgefunden hätte. Izetbegovic und Tudjman sind leider tot, ihnen hätte man auch den Prozess machen müssen.

Sie haben sich über Richter aus Korea und Jamaica mokiert. Es mag sein, dass diese keine Strafrechtler waren, aber vielleicht hatten sie dafür einen ausgeprägten gesunden Menschenverstand.

Das kann sein. Einverstanden. Der Koreaner war auch der Einzige, der, als die zwei andern Richter Milosevic das Selbstverteidigungsrecht aberkennen wollten, sich dagegen aussprach. Dadurch konnte er sich weiter selber verteidigen.

Verstehen Sie, dass man Ihnen solche Abqualifizierungen übel nimmt?

Ich bin trotzdem überzeugt: Es geht nicht, dass ein Zivilrechtler aus Korea in balkanischen Angelegenheiten Recht spricht. Dazu muss man den Balkan kennen. Meinetwegen: gesunder Menschenverstand. Jedenfalls ist da ein Problem.

Das heisst aber auch, dass Sie dem Gericht in Den Haag eine produktive Wirkung zuschreiben.

Ja, gewiss. Ich glaubte, das deutlich gemacht zu haben. Das Balkan-Problem ist doch, dass die Ortskapos entscheidend sind. Man denkt immer an das Hitler-System, aber das ist eine falsche Parallelität. Es war nicht so, dass die Dinge zentral gelenkt wurden.

Wenn Mladic und Karadzic nach Den Haag ausgeliefert würden, würden Sie das unterstützen?

Ich fände es nicht unbedenklich, weil sie dermassen vorverurteilt sind. Man müsste ihre Schuld beweisen. Ich selbst würde gerne wissen, worin die Anklage gegen Mladic genau besteht. Auch, warum er nach dem Fall Srebrenicas Frauen und Kinder in die Busse hat steigen lassen und dann verschwunden ist für ein paar Tage. Aber natürlich: Der Prozess muss stattfinden. Und wenn Mladic das getan hat, dessen er beschuldigt wird, muss er verurteilt werden.

Die Beweislage in Sachen Srebrenica scheint uns ziemlich klar zu sein.

Es gab dreissig bis vierzig serbische Dörfer um Srebrenica, in denen die muslimische Miliz bei ihren Ausfällen aus dem Kessel gewütet hat. Was nicht heisst, dass das, was nach der Einnahme Srebrenicas im Juli 1995 passierte, zu rechtfertigen ist. Es ist eine grausige Geschichte, was die Serben da gemacht haben, serbische Paramilitärs, die von jenseits der Drina kamen. Es ist fürchterlich, eine ewige Schande.

Sie haben zur Erklärung des Massakers von Srebrenica jenes von Kravica ins Feld geführt, wo muslimische Kämpfer rund fünfzig Leute umbrachten, darunter etwa ein Drittel Zivilisten. So schrecklich dies war, der systematische Mord an Tausenden von muslimischen Männern lässt sich damit nicht vergleichen. Das Morden von Srebrenica war eine logistische Grosstat. Es ist nicht leicht, Abertausende umzubringen innerhalb von wenigen Tagen.

Das ist richtig. Scheusslich. Nur: Heute ist das Wort «relativieren» ein Schimpfwort geworden. Ich relativiere. Ich sage, «Srebrenica» war blinde, böse Rache dafür, dass während dreier Jahre über tausend Serben rund um Srebrenica gemordet wurden.

Niemand bestreitet das Verbrechen von Kravica. Doch wirkt Ihre Rache-These verharmlosend. Rache ist angesiedelt auf der affektiven Ebene, aber das Massaker von Srebrenica musste allein schon von der Grösse her System haben. Vielleicht wäre es besser, den Begriff Hass zu benutzen.

Da haben Sie nicht Unrecht. Hass ist etwas, was ich in Kosovo erlebt habe. Ich habe dort einmal Serben gefragt, warum sie die zwei Millionen Albaner so hassen. Nein, wir sind wütend, haben sie mir gesagt, dass all dies geschehen ist, nachdem wir die Albaner umworben haben, damit sie nur ja bei Jugoslawien bleiben. Anders bei den Albanern. Ich habe das in den Dörfern erlebt, diesen kümmerlichen, entsetzlich traurigen serbischen Enklavendörfern, die wir mit dem Bus aufsuchten. Einen Moment lang ist es noch lustig, wenn ein Stein gegen den Bus knallt, der kyrillisch angeschrieben ist. Aber wenn das alle zehn Minuten geschieht, ist es nicht mehr so harmlos. Das ist Hass.

Woher kommt dieser Hass?

Das weiss ich nicht. Fragen Sie nicht mich. Man will ihn ja auch nicht wahrnehmen.

Sie sagten, die Kosovo-Albaner seien umworben worden. Es war aber Milosevic, der 1989 die aus der Tito-Zeit stammende Autonomie der Kosovo- Albaner innerhalb Serbiens kappte. Die Aversion der jugoslawischen Teilrepubliken gegenüber Belgrad hatte er damit zusätzlich geschürt und die Absetzungsdynamik beschleunigt. Die serbische Repression in Kosovo und auch in der Vojvodina war Wasser auf die Mühlen der Nationalisten in Kroatien und Slowenien.

Die Serben sind ein grosszügiges Volk, ich bitte, das zu glauben. Nirgendwo in Europa haben so viele Minderheiten so freizügig leben können wie in Serbien.

In der Endphase Jugoslawiens hat Milosevic auch da die Schrauben angezogen.

Das ist nicht wahr. Es ist tragisch: zwei Millionen Kosovo-Albaner. Da war für die Kosovo-Serben schon demografisch nichts zu machen. Die Albaner hatten den Serben das Land abgekauft, den Serben blieb nur noch die Angst. Darum hat es mich so beeindruckt, als ich 1996 in Pristina war. Aus manchen Fenstern in der Stadtmitte hingen Transparente in kyrillischer Schrift: «Wir sind nicht allein.» Diese Serben waren total umzingelt.

Eine Folge des serbischen Massakers in der Uno-Schutzzone Srebrenica, das quasi unter den Augen der Weltöffentlichkeit geschah, war die Nato-Bombardierung Serbiens. Man befürchtete, dass sich Ähnliches in Kosovo wiederholen würde.

In Kosovo gab es das sogenannte Massaker von Racak. Ein Journalist von «Le Monde» fand aber heraus, dass vieles daran Inszenierung war – er wurde dann von der Redaktion in Paris kaltgestellt. Racak war der Auslöser für den Nato-Krieg am 24. März 1999. Glauben Sie aber, dass die albanischen Massen wirklich aus Angst geflüchtet sind? Wenn man Krieg führt, muss man schlau sein. Die Albaner waren schlau. Die serbischen Truppen, rund 5000 Soldaten, waren gar nicht in der Lage, zwei Millionen Kosovo-Albaner zu vertreiben.

Wie wäre es denn sonst möglich gewesen, den Konflikt zu stoppen?

Fragen Sie Gerhard Schröder, Tony Blair, Javier Solana oder Wesley Clark.

Wir haben nie verstanden, warum Sie sich, wenn Sie für Serbien Partei ergreifen, nicht mit der demokratischen Opposition solidarisiert haben. Das wäre eine vernünftige Verbindung gewesen.

Welche demokratische Opposition? Es gibt keine Demokratie mehr.

Milosevic, den Sie stets verteidigen, war doch der Autokrat, der die Opposition unterdrückte und Wahlen zu fälschen versuchte.

Was meinen Sie? Ich sei Anhänger der Diktatur – oder was? Ein Kommunist?

Es gibt also Gemeinsamkeiten mit der Opposition.

Die autokratische Herrschaft, das war nicht er. Milosevic war nicht einmal Autokrat im strengen Sinn. Er hat alle die Schwindlergruppen um ihn herum einfach nicht in der Hand gehabt. Viele in seiner Partei wollten ihre Pfründen retten, als die Wahlen verloren waren.

Sich gegen ein solches System zu wehren, ist völlig legitim.

Es war ein seltsames Sichwehren. Es handelt sich inzwischen doch vielerorts um Soros-Demokraten. Will heissen: Die von aussen gesponserte Demokratie ist für mich keine richtige Demokratie – sie muss wirklich aus dem Volk kommen. Man kann die Demokratie nicht finanzieren, wie man sie auch nicht exportieren kann.

Wenn die Demokratie aus dem Volk kommt, hat sie dann in Serbien eine Zukunft?

Es gibt keine andere Zukunft als die einer liberalen Demokratie. Das ist – oder wäre – die Zukunft. Es hat aber in Serbien nach Milosevic nicht so angefangen, dass es einen heroischen Impuls hierfür gab. Es gab eine Pseudorevolution, wenn man es denn Revolution nennen will: den Marsch auf das serbische Parlamentsgebäude im Jahre 2000. Im Übrigen: Als er sah, dass das Volk gegen ihn war, trat Milosevic ab. Ich sage nicht, dass alle Demonstranten von aussen finanziert waren, aber sehr viele waren es.

Wir würden uns wünschen, dass sich Serbien in freiheitlich-demokratische Richtung entwickelt.

Wie anders? Diktaturen oder Autokratien – kein Mensch will das. Das ist für ewig zu Ende, hoffe ich. Ich sehe allerdings versteckte Autokratien, auch im Westen. Sodann: Die Frage nach meinem Verhältnis zur serbischen Opposition ist völlig legitim. Aber wie sollte ich mich öffnen? Man ist niemals auf mich zugekommen. Es ist bezeichnend für den Balkan, dass sehr wenige das Gespräch über die eigenen Kreise hinweg suchen. Keiner schafft das, auch kein Politiker. Dabei wäre es relativ einfach. Es fehlt nur die Sprache. Kostunica hat keine Sprache. Tadic hat keine Sprache. Seselj ist ein Grossmaul.

Wie sehen Sie Serbiens Perspektiven?

Serbien ist für den Moment verloren, nicht für die Ewigkeit. Es existiert nicht mehr. Die Banken sind in fremder Hand. Die Post, das Fernsehen, die Zeitungen sind deutsch, österreichisch, auch schweizerisch. Serbien existiert noch da und dort auf dem Land, aber Belgrad ist eine fremde Stadt. Überall liest man «Raiffeisenbank». Auf den serbischen Stahlwerken steht «US Steel». Ich sage nicht, dass das eine Katastrophe ist, denn die Wirtschaft muss sich erneuern. In Serbien gibt es dank fremden Investitionen einen Aufschwung, Arbeit ist da. Da kann man nicht dagegen sein.

Wird der Nationalismus auf dem Balkan dadurch gezähmt werden, dass alle die neuen Kleinstaaten dereinst in der EU aufgehen? Wie es scheint, brauchen viele Völker ihr trotziges 19. Jahrhundert.

Gerade Jugoslawien war das Beispiel, wie Europa hätte anders sein können. Jetzt haben wir fast nur noch das Macht- und das Diktier-Europa und das Moralisierer-Europa. Jugoslawien war wirklich ein freies Land.

Das ist schwer zu glauben.

Es war kein Zwangsland, kein stalinistisches Land.

Aber es war ein Land mit einem System, das wirtschaftlich nicht funktionierte.

Da bin ich einverstanden, letztlich. Jugoslawien ist, so glaube ich, am Weltsystem gescheitert. Gegen den Kapitalismus, den freien Markt ist nichts zu machen. Ich wiederhole mich: Milosevic wollte den freien Markt, aber da hatten die Serben nichts mehr zu bieten. Es war zu spät.

Das alte Jugoslawien scheint in gewisser Weise noch zu existieren unter Intellektuellen, die während des Krieges den geistigen Zusammenhalt bewahrt haben. Wir denken an Autoren wie Drago Jancar, Slavenka Drakulic, Dubravka Ugresic, Bora Cosic und Dzevad Karahasan. Warum sind sie aus diesem Kreis ausgeschlossen?

Pardon: Das sind Berufs-Ex-Jugoslawen.

Da scheint kein Dialog möglich zu sein.

Da ist zurzeit jeder Moment vertan.

Gibt es serbische Intellektuelle, die Sie schätzen?

Sicher, es gibt viele Widerständler, aber die werden nicht von Soros unterstützt. Sie verkörpern, was Jugoslawien war. Mit Nationalisten rede ich kein Wort. Es gibt viel mehr Nationalisten als Widerständler. Serbische Nationalisten, die plötzlich orthodox werden – das interessiert mich nicht.

Und Slowenien, das «neunte Land», ist Ihnen keine Heimat mehr?

Die slowenischen Dichter fingen drei, vier Jahre vor dem Krieg an zu sagen: Wir sind keine Jugoslawen, sondern Mitteleuropäer. Wir machen in Kroatien eine zwei Stockwerke hohe Mauer gegen die Serben, die Mazedonier, gegen die Muslime und die Albaner. Anders gesagt: Sowie man aus einer Region eine Ideologie macht, stellt sich bei mir alles dagegen. So habe ich mich verabschiedet von Slowenien. Von seinen Dichtern. Sie haben einiges Unheil angerichtet. Vielleicht übertreibe ich. Ich hätte das nie gemacht: eine Landschaft als Keule zu verwenden, eine Landschaft, die man liebt, wo der Rhythmus der Sprache herkommt, zu benützen, um andere Völker schlechtzumachen.

Slowenien gilt als die Erfolgsstory der Länder Ex- Jugoslawiens. Das Land ist in der Nato und in der EU, die Politik ist solide, der Wohlstand steigt.

Die Slowenen waren schlau. Sie haben gedacht, wir haben den Fremdenverkehr, wir sind nahe an den Grenzen zu Österreich, Deutschland, Italien. Wenn es ums Geld geht, pfeift man auf Jugoslawien. Das ist sehr verständlich. Kurz: Zwar bin ich immer noch unterwegs in Slowenien. Ich grüsse Slowenien, wenn Sie so wollen. Doch ich schwenke nicht die Fahne. Es geht mir nicht mehr das Herz auf. Aber das ist vielleicht mein Problem.

Peter Handke, persönlich

Martin Meyer + Wer mit Peter Handke debattiert – härter gesprochen: streitet –, findet ein Gegenüber, von dem beträchtliche Energien ausgehen. Als Schriftsteller im Umgang mit dem Politischen ist Handke nun ein Mann aus Wachsamkeit und Insistenz. Er hört zu, und meistens findet der andere den Raum, die eigenen Gedanken vorzubringen und zu entwickeln. Doch zugleich wartet die Ungeduld: der Sprung in die Gegenrede, das Wort aus Einwand und Korrektur. Während der Epiker seiner Romane und Reiseberichte die Gelassenheit nicht nur aufs Programm setzt, sondern Satz um Satz verwirklicht, forciert der Redner und Schreiber zum politischen Geschehen ein kämpferisches, manchmal bis zu schroffer Polemik ausholendes Temperament. Doktor Jekyll und Mr. Hyde? Handke selbst allerdings zeigt bis anhin keinerlei Schwierigkeiten, beide Positionen je nach Lage und Bedürfnis wahrzunehmen.

Das grosse politische, im weitesten Sinn auch kulturelle Thema, an dem sich Peter Handkes Leidenschaften entzünden, heisst bekanntlich Jugoslawien. Seit mehr als zehn Jahren – also seit dem zunächst langsamen, dann kriegerisch beschleunigten Zerfall des Vielvölkerstaats – verteidigt Handke die Sache Serbiens. Denn Serbien, so argumentiert der Schriftsteller, stand für die alte Einheit im Zusammenhalt, derweil andere Teile schon kurz nach der historischen Wende von «1989» ihre eigenen – ethnisch-nationalistischen – Interessen verfolgt und dadurch Leid und Elend über das Land gebracht hätten. Für Handke markierte die Wiedergeburt Jugoslawiens nach dem Sieg der Partisanen im Zweiten Weltkrieg ein entscheidendes Datum: den Beginn friedlicher Koexistenz der verschiedenen Ethnien und Nationalitäten unter dem Banner des einen Staates.

Solche Sichtweise läuft freilich auf eine Überhöhung und Idealisierung der Geschichte hinaus. Was dem Marschall Tito als einem eher aufgeklärten Diktator gelang, gelang gleichwohl nur mit diversen Mitteln politischer, wirtschaftlicher und kultureller Repression. Das Dach, das Jugoslawien als Verbund aus Differenzen historischer, religiöser und sozialer Herkunft schützte, war mit den Instrumenten des Zwangs errichtet worden. Schon Tito sah voraus, dass die Lockerung des Korsetts zu Unruhen und Gewalttaten führen würde.

Es trifft zu, dass vom Beginn der Zerfallskriege bis auf unsere Tage die Rolle der Serben im Kampf um das Erbe von Jugoslawien nicht selten allzu einseitig kritisch wahrgenommen wurde. Insofern ist Handkes Anliegen einer «Gerechtigkeit für Serbien» verständlich und legitim. Es trifft nicht zu, dass die Serben vor allem bloss Opfer des gewalttätigen Chauvinismus ihrer Nachbarn, insbesondere der Kroaten und Muslime, gewesen wären. Während sie unter dem alten Regime zentrale Positionen innehatten, pflegten sie später eine Idee von Grossserbien, die ihrerseits deutlich nationalistische Züge trug und in den kriegerischen Auseinandersetzungen zu brutaler Realität gelangte. Das Massaker von Srebrenica – auch Peter Handke sagt es mittlerweile klarer und schärfer – steht für ein Verbrechen, das in der europäischen Geschichte seit 1945 seinesgleichen sucht.

Aber Handke, der als Dichter aus vielerlei Perspektiven schreibt und seine Stoffe mit immer neuen Blicken umkreist, wird als Kommentator des Zeitgeschehens zum Vereinfacher. Er sieht im Zerfall Jugoslawiens eine gleichsam physikalische Logik von Schlag und Gegenschlag, von Terror und Doppelterror am Werk, wobei die serbische Seite - repräsentiert durch den damaligen Potentaten Slobodan Milosevic - vor allem lediglich reagiert hätte. «Srebrenica» war möglicherweise auch die Antwort auf «Kravica», wo muslimische Krieger etwa fünfzig Menschen umbrachten. Doch zugleich bewegte sich die Schandtat von Srebrenica in weiteren Dimensionen: eines kaltblütig geplanten und vollstreckten Völkermords. Kann man – nicht nur im politischen, sondern auch im moralischen Verstand – das eine mit dem anderen überhaupt zusammenziehen?

Auch Schriftsteller sollen sich einmischen dürfen ins Politische. Solche Interventionen, Fragen, Standpunkte, Provokationen haben eine lange Tradition. Indessen müssen die Dichter damit rechnen, dass man ihnen darauf entgegnet – mitunter ähnlich resolut und provokativ. So geschehen in dem Gespräch mit Peter Handke, das hier abgedruckt ist. Dieses verlief übrigens durchaus friedlich, und wenn daraus für alle Seiten, die Öffentlichkeit eingerechnet, etwas für weitere – notwendige – Verständigung zu lernen wäre, dann umso besser.